avatar

Wie das Totalitäre beginnt

Als ich im Sommersemester 1968 an der Universität Tübingen mit dem Studium der Germanistik begann, besuchte ich die Vorlesung des hochgerühmten Hölderlinspezialisten Friedrich Beißner. Da das Sommersemester von schweren Turbulenzen der Studentenbewegung geprägt war (Auslöser war das Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968), konnte es nicht ausbleiben, dass  Aktivisten vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) in die Vorlesung stürmten, um über die Hintergründe des Attentats –  die Hetze der Springer-Presse – zu diskutieren. Der Professor, damals schon hochbetagt, verlangte eine Abstimmung des vollbesetzten Auditoriums. Da die SDS-Studenten ahnten, dass sie keine Mehrheit bekommen würden (Tübingen war eben nicht Berlin), lehnten sie die Abstimmung ab, drängten den Professor vom Vorlesungspult und begannen ihre spontanen Reden. Als die Studenten  „ab-stim-men! ab-stim-men!“ skandierten,  führte ein „Genosse“   aus, eine Abstimmung sei „nur formaldemokratisch“, während sie eine „inhaltliche Demokratie“ verträten. Als Neuling im akademischen Betrieb und mit  der linken Sprachregelung noch nicht vertraut  war mir der Unterschied zwischen „Inhalt“ und „Form“ bei demokratischen  Abstimmungen  noch nicht  geläufig. Weiterlesen

avatar

Absturz der Grünen

Über die Grünen gibt es das Bonmot, sie gewännen stets die Meinungsumfragen, nicht aber die Wahlen. So war es auch bei der Bundestagswahl 2013. In Umfragen wurden sie damals mit bis zu 15% gehandelt. Das reale Ergebnis betrug dann ernüchternde  8,4%. Gegenwärtig erleben die Grünen  einen starken  Rückgang in der Zustimmung bei der Wählerbefragung – ein beängstigendes Zeichen. Bei der Sonntagsfrage schwanken die Werte der Grünen gegenwärtig zwischen 6,5% und 9%. Es kann also durchaus sein, dass die Grünen am 24. September um den Einzug ins Parlament bangen müssen. Weiterlesen

avatar

Schulkampf in Kleve

Wie   eine  unsoziale  Schulpolitik das Kindeswohl missachtet

Im beschaulichen Kleve, nahe  an der niederländischen Grenze gelegen, ist der Schulkampf ausgebrochen. Es kämpfen nicht Schüler gegen unbeliebte Lehrer, wie dies ab und zu vorkommt  – nein, Eltern gehen auf die Barrikaden, weil sie ihre Kinder durch die von oben verordnete Zuweisung zu einer weiterführenden Schule benachteiligt sehen. Am 21. Februar wollen sich die Eltern mit ihren Kindern vor dem Gebäude des Rats der Stadt zum Protest versammeln. Was war geschehen? Weiterlesen

avatar

Der Wunderheiler aus Würselen

Wer die Ereignisse der letzten Wochen verfolgt hat, reibt sich verdutzt die Augen:  Was ist nur mit der SPD los? Die Partei, die sonst jeglicher Emotionalisierung abhold ist und stets der Ratio den Vorrang einräumt, gibt sich sinnestrunken einem kollektiven Taumel hin. Die Partei, die auf Parteitagen verbissen Stapel von Papier durcharbeitet, als hinge von der letzten Fußnote eines Antrags das Schicksal der Menschheit ab, bejubelt besinnungslos  einen neuen  Messias namens Schulz, der vom Himmel herabgestiegen zu sein scheint, um die darbende Partei aus dem irdischen Jammertal, den niedrigen Umfragewerten,  zu erlösen. Dabei hat Schulz politisch noch gar nicht richtig  Stellung bezogen. Was er bisher getan hat, nennen die Psychologen „Autosuggestion“. Vor jeder Versammlung verkündet er voller Inbrunst:  „Ich will Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden!“. Die F.A.Z. nennt Schulz deshalb einen Illusionskünstler. Wie bei allen Magiern verfliegt die Illusion, wenn das Saallicht angeht. Die interessierte Öffentlichkeit wird deshalb in den verbleibenden sieben Monaten vor der Bundestagswahl  das Scheinwerferlicht auf  Martin Schulz richten, um seine Schwachstellen auszuleuchten. Die politischen Gegner werden dasselbe tun. Fündig werden können sie allemal. Weiterlesen

avatar

Versöhnung mit den Tätern?

Es gibt Zeitungsartikel, bei denen man schon nach  der Lektüre weniger  Zeilen das Gefühl hat, dass an der Argumentation des  Autors etwas  nicht stimmt. So ging es mir mit einem Artikel des SPIEGEL-Redakteurs Jochen-Martin Gutsch, der sich mit dem – wie er fand – unbarmherzigen Umgang  der Öffentlichkeit mit dem ehemaligen Stasi-Offizier Andrej Holm auseinandersetzt.   Die moralische Schieflage der Argumentation  erkannte  ich, als  ich ein kleines sprachliches Experiment durchführte. Ich datierte den Artikel in das Jahr 1966 zurück (ich machte damals gerade das Abitur) und ersetzte die Begriffe DDR durch „Drittes Reich“, SED durch NSDAP und Stasi durch Gestapo. Der Text, der dadurch entsteht, ist schaurig. Hier  eine Kostprobe:

„Das Erstaunliche aber ist, dass die alten Frontverläufe noch immer da sind.“

„Es gab in den vergangen fünf Wochen von allem zu wenig: zu wenig historische Kenntnis, zu wenig Bereitschaft zuzuhören, zu wenig Versöhnung.“

„Noch ist schwer zu sagen, wer den Staffelstab im Aufarbeitungsbusiness übernehmen könnte.“

„Und man kann nur beten, dass jetzt niemand ernsthaft die Frage stellt, ob man über die Gestapo lachen darf. Also, historisch und aufarbeitungspolitisch gesehen.“ Weiterlesen

avatar

Krise als Chance

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ (Friedrich Hölderlin)

Das Wort Krise bedeutet   im ursprünglichen griechischen Wortsinn  neben der heute gebräuchlichen Übersetzung  „krisenhafte Zuspitzung“   auch „Wendepunkt“ und „Entscheidung“. Das sollte man im Auge behalten, wenn man über die gegenwärtige Krise in der Weltpolitik diskutiert. Weiterlesen

avatar

Der Frieden muss bewaffnet sein

„Speak softly and carry a big stick“ (Theodore Roosevelt)

Am 5. Dezember 1994 wurde in Budapest auf der im Rahmen der dort stattfindenden KSZE-Konferenz das „Budapester Memorandum“ unterzeichnet. Darin verpflichteten sich die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Russland gegenüber den ehemaligen Mitgliedsstaaten der Sowjetunion Kasachstan, Weißrussland und der Ukraine die Souveränität und die bestehenden Grenzen dieser Länder zu achten. Dafür mussten  sie auf ihre  Nuklearwaffen  verzichten, die danach in russische Depots verbracht  wurden. Der Verbleib der aus der ehemaligen SU stammenden Nuklearwaffen war dringend zu regeln, da diese Waffen den drei Staaten nach der Auflösung der SU „vererbt“ worden waren. Die Ukraine hatte so plötzlich das drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt. Nach Abschluss des  „Budapester Memorandums“ konnte der Atomwaffensperrvertrag von allen Ländern, die ihn unterzeichnet hatten, ratifiziert werden. China und Frankreich gaben zur Sicherheitsgarantie der Ukraine eigene Erklärungen ab. Weiterlesen

avatar

Von „R2G“ zu „R2B“

Wir schreiben das Jahr 2019. Die rot-rot-grüne Bundesregierung unter  Kanzler Sigmar Gabriel ist nun schon zwei Jahre im Amt. Große Teile des vereinbarten Regierungsprogramms hat sie erfolgreich abgearbeitet. Die Vermögenssteuer wurde eingeführt, der Spitzensteuersatz auf 55% erhöht, die Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge  abgeschafft und durch den persönlichen Steuersatz ersetzt. Die private Krankenversicherung wurde abgewickelt und die „Bürgerversicherung“ eingeführt. Für alle KfZ mit Verbrennungsmotor wurde das Auslaufen der Zulassung  auf das Jahr 2035 festgelegt. Weitere einschneidende Reformmaßnahmen sind in Arbeit. Weiterlesen

avatar

Video-Phobie

Die rot-rot-grüne Landesregierung von Berlin ist die einzige Regierung eines Bundeslandes, die die Video-Überwachung öffentlicher Stadträume ausdrücklich ablehnt. Selbst der Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche im Dezember 2016  hat den Senat nicht umstimmen können. Dass man den Täter identifizieren konnte, verdankt sich allein dem Umstand, dass er seine Duldungserklärung als Asylbewerber in der Fahrerkabine des LKW zurückgelassen hat. Da der viel frequentierte Breitscheidplatz keine Videotechnik aufweist, hätte der Attentäter ohne dieses Dokument  nicht ermittelt werden können. Das war auch der Grund, weshalb die Berliner Polizei Passanten und Besucher des Marktes aufforderte, private Videoaufnahmen an das Polizei-Portal zu senden. Private Videos müssen offizielle,  staatlich genehmigte ersetzen! Der Manipulation sind Tür und Tor geöffnet.  Irrsinn in rot-rot-grün. Weiterlesen

avatar

Mehr Demokratie wagen

Ein Neujahrswunsch

Am 28. Oktober 1969 sagte der damalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) in seiner Regierungserklärung den berühmt gewordenen Satz: „Wir wollen mehr Demokratie wagen!“. Er wollte die  im staatlichen Bereich  gut funktionierende Demokratie durch demokratische Reformen in den gesellschaftlichen Institutionen ergänzen. In den Schulen führte die Schülermitverantwortung (später: Schülervertretung) zu einem partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern. In der Hochschule beendete die Drittelparität die Dominanz der Professoren im akademischen Getriebe. In den Betrieben und in der öffentlichen Verwaltung wurden die Rechte der Betriebsräte und  Personalvertretungen gestärkt. In jener Zeit begann der Prozess, der bei den Bürgern das Bewusstsein weckte, dass die Demokratie nicht nur die Sache der politischen Profis – sprich Parteien – sei, sondern das Recht, ja die Pflicht  eines jeden Bürgers. Teilhabe wurde zum entscheidenden Motto.  Die  1970er Jahre wurden zur Epoche der Bürgerinitiativen, ohne die die Grünen als Partei undenkbar wären. Die Vitalität  unserer  Zivilgesellschaft mit ihren zigtausend ehrenamtlichen Initiativen auf kommunaler Ebene wäre ohne diesen Aufbruch im „sozialdemokratischen Jahrzehnt“ (Bernd Faulenbach) nicht möglich. Die Willkommenskultur in der Flüchtlingskrise im Jahre 2015 war der sichtbare Beweis für die Lebendigkeit und Stärke dieser demokratischen Alltagskultur. Weiterlesen

avatar

Wie einer Partei die Moral abhanden kommt

Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat  den Begriff „postfaktisch“ zum Wort des Jahres 2016 gewählt.  Damit kürt sie einen Begriff, der ein Phänomen benennt, das  in den politischen Auseinandersetzungen  des zurückliegenden Jahres tatsächlich eine wichtige Rolle gespielt hat. Sowohl die Brexit-Befürworter als auch die Trump-Wahlkampagne  operierten mit Informationen, die mit Halbwahrheiten noch sanft umschrieben sind. Keine Lüge war krude genug, um von den fanatisierten Anhängern noch für bare Münze genommen zu werden. Der Glaube an die missionarischen Verheißungen der  Populisten Farage, Johnson und Trump war größer als der gesunde Menschenverstand, der die Botschaften eigentlich als abstrus und die Versprechungen  als realitätsfern  hätte entlarven müssen. Weiterlesen

Scroll To Top