Es gibt Leute, denen das âNetzwerk Schule ohne Rassismus Schule mit Courageâ ein Dorn im Auge ist. Und das sind nicht nur unverbesserliche Rassisten, Moslemhasser und Ă€hnliche Spinner. Durchaus ernst zu nehmende Leute aus der florierenden Sozialarbeits- und Sozialreparaturszene meinen, es handele sich bei dem von Sanem Kleff als Leiterin und Eberhard Seidel als GeschĂ€ftsfĂŒhrer gefĂŒhrten Projekt um ein gut gehendes, mit öffentlichen Geldern alimentiertes âFamilienunternehmenâ, zumal beide auch privat liiert seien.
Da mag auch Sozialneid eine Rolle spielen. Ich persönlich finde es zwar bedenklich, wenn die Leitung eines Unternehmens derart quasi-familiĂ€r monopolisiert wird, aber am Ende zĂ€hlt die EffektivitĂ€t der Arbeit. Und wenn ĂŒber 1250 Schulen dem Netzwerk angeschlossen sind, wenn Millionen SchĂŒler und SchĂŒlerinnen an den Projekttagen, Workshops, Kursen und Veranstaltungen des Netzwerks teilnehmen, kann man eigentlich nichts dagegen sagen. Oder?
Verschiedentlich hatte ich mit dem Netzwerk zu tun. (Bekanntlich hat mir meine publizistische Arbeit gegen Xenophobie und Islamophobie bei den Rassisten von âPolitically Incorrectâ den Ehrentitel âDöner-Posenerâund eine âAnklageâ u.a. wegen âVolksverhetzungâ und âLobbyarbeit fĂŒr eine fremde Machtâ (Israel? Die TĂŒrkei?) bei den Nazis von âNĂŒrnberg 2.0â eingebracht.) Deshalb wurde mir auch die neueste Publikation, âRassismus erkennen & bekĂ€mpfenâ, mit dem Vermerk zugeschickt: âĂber einen redaktionellen Bericht wĂŒrden wir uns freuen.â
Nun weiĂ ich nicht, was ein âredaktioneller Berichtâ fĂŒr eine Textsorte sein soll. Ich habe jedoch das Heft studiert und darĂŒber in der âWeltâ eine Glosse geschrieben:
http://www.welt.de/kultur/article118537332/Rassistischer-Antirassismus-fuer-den-Unterricht.html
Ich habe nicht erwartet, dass diese Glosse beim Netzwerk gut ankommt, und sie ist nicht gut angekommen. Einige der wĂŒtenden Reaktionen kann man â etwa â auf der Facebook-Seite des Netzwerks nachlesen. Nachdenklicher war da die Reaktion Eberhard Seidels, der mir in einem langen, mit Zitaten aus dem Heft gespickten Schreiben vorwarf, ich hĂ€tte die darin vertretenen Positionen verkĂŒrzt und verzerrt dargestellt. Nun, dass ich mich in einer kurzen Glosse kurz fassen musste, das versteht sich; und dass ich die Aussagen des Hefts zur Kenntlichkeit verzerrt habe, will ich nicht abstreiten. Es hat ja 71 Seiten.
Ich habe jedenfalls Eberhard Seidel und Sanem Kleff angeboten, mich in einem Forum ihrer Wahl der Gegenkritik zu stellen und meine Kritik etwas nĂ€her zu begrĂŒnden, als es in der Glosse möglich war. Darauf hat es keine Reaktion gegeben, aber vielleicht brauchen die Netzwerker noch etwas Zeit. Da ist es vielleicht nĂŒtzlich, schon mal auf einige Argumente einzugehen.
In seinem Schreiben an mich, das zugleich der Leserbriefredaktion der âWeltâ zur Veröffentlichung zuging (es ist aber leider dafĂŒr viel zu lang), kritisiert Eberhard Seidel: âSie werfen uns weiterhin vor: âDer Massenmord an den europĂ€ischen Juden wird, weil er so gar nicht in dieses simple antiimperialistische Schema passt, ganze zweimal â in je einem Satz â erwĂ€hnt. Ăberhaupt wird der Antisemitismus verharmlost.â Herr Posener, sie hĂ€tten es besser wissen können. Alleine in dem Kapitel âGeschichte des Rassismusâ das acht Druckseiten umfasst und die Zeit von der Antike bis 1945 kursorisch behandelt, nimmt das Unterkapitel âRassismus des Nationalsozialismusâ (Seite 21) zwei Seiten ein.â Es folgen die zwei Seiten in Kopie, die ich unten kursiv nachdrucke.
Stellen wir zunĂ€chst fest, dass auch nach Seidels Angaben die Nazi-Zeit ganze zwei von 71 Seiten umfasst. Wenn Sie diese Seiten lesen, werden Sie feststellen, dass der Massenmord an den europĂ€ischen Juden in der Tat ganze zwei Mal â nĂ€mlich im ersten und im letzten Satz â erwĂ€hnt wird:
âZwischen 1933 und 1945 schufen die Nationalsozialisten in Deutschland ein umfassendes rassistisches Gesellschaftsmodell. Die systematische und industrielle Ermordung von JĂŒdInnen, Sinti und Roma, sowjetischen Kriegsgefangenen, PolInnen u.a. sowie der brutale Einsatz von mehr als sieben Millionen ZwangsarbeiterInnen als Sklaven fĂŒr die deutsche Gesellschaft wĂ€hrend des Krieges waren monströse, durch Rassismus motivierte Verbrechen.
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Sie haben durchaus mit dem Kolonialismus zu tun. Viele Deutsche hatten nach dem Verlust der Kolonien im Zuge der Niederlage im Ersten Weltkrieg 1918 und wĂ€hrend der Weimarer Republik und der Nazidiktatur das GefĂŒhl, im Gerangel um die Kolonien in Afrika und andernorts zu kurz gekommen zu sein. TatsĂ€chlich wĂ€hrte die Ăra des deutschen Kolonialismus im Vergleich zu anderen europĂ€ischen Nationen relativ kurz, rund 35 Jahre lang â von 1884 bis 1919. Die Nationalsozialisten knĂŒpften mit der Besetzung fast aller LĂ€nder Europas wĂ€hrend des Zweiten Weltkrieges an den Kolonialismus an. Deutschland ĂŒbernahm dabei das Konzept des ĂŒberseeischen Kolonialismus und der Versklavung von Afrikanern und ĂŒbertrug es auf die EuropĂ€er.
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Namentlich die Slawen, also vor allem Polen und die BĂŒrger der Sowjetunion sowie die europĂ€ischen Juden galten den Nationalsozialisten als Untermenschen und waren fĂŒr die Versklavung und Vernichtung vorgesehen. Die Rechtfertigungen fĂŒr die Unterwerfung, Versklavung und Ermordung von Millionen Menschen in den besetzten Gebieten haben sich nicht erst die Nationalsozialisten ausgedacht. Die rassistischen Grundlagen dieser Politik waren schon Jahrzehnte vorher ausformuliert.
Seit der AufklĂ€rung im 18. Jahrhundert versuchten Generationen von Anthropologen, Medizinern, Biologen, Philosophen, Kriminologen und Historikern, die verwirrende Vielfalt der menschlichen Spezies durch die Einteilung der Menschen in âRassenâ biologisch zu erklĂ€ren und wissenschaftlich zu messen.
Scharen von Wissenschaftlern vermaĂen SchĂ€del, Nasen und KörperlĂ€ngen diverser Bevölkerungsgruppen. Nach dem Ersten Weltkrieg war es nicht ungewöhnlich, ĂŒber den Nutzen bestimmter âMenschenrassenâ zu diskutieren. Psychiater und Juristen erörterten das Recht zur âVernichtung des Lebens unwerten Lebensâ, wie sie es nannten. Gemeint waren damit Schwerkranke und Behinderte.
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Keine politische Bewegung in Deutschland hat so viel Papier produziert wie die zahlreichen Splittergruppen und Sekten der völkischen Bewegung. Sie radikalisierten die gesellschaftliche Mitte in atemberaubendem Tempo. Galt es fĂŒr die Mehrheit der gebildeten BĂŒrger und BĂŒrgerinnen um 1890 noch als anrĂŒchig, sich antisemitisch zu Ă€uĂern, so gehörte der Antisemitismus kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 schon zum guten Ton konservativer Eliten in Deutschland. Vor allem Richter, Juristen und Ărzte bereiteten dem deutschen Antisemitismus die Bahn. Alte antijĂŒdische Vorurteile vom Finanzjudentum und der Verschwörung zur Erreichung der Weltherrschaft wurden wieder aufgegriffen und in ein geschlossenes âRassenkonzeptâ integriert. âDer Judeâ wurde zum Inbegriff des DĂ€monischen und abgrundtief Bösen.
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Kultur besaĂ nur der ânordische Herrenmenschâ. Jener sei besonders kreativ, habe eine niedrige KriminalitĂ€tsrate, ein BedĂŒrfnis nach Eroberungen und sei zur Weltherrschaft auserkoren, wĂ€hrend z.B. der âostische Menschâ als bĂ€uerlicher Typ sich nach einem bescheidenen und mit weniger Rechten versehenen Leben unter âarischer FĂŒhrungâ sehne. Juden und âZigeunerâ galten in dieser Logik als gefĂ€hrliche âGegenrassenâ, die man bekĂ€mpfen und ausgrenzen musste. Rassentheoretiker lieferten die Deutungen und Definitionen fĂŒr alle Lebensbereiche. Mit ihren Lehrwerken, Schriftenreihen, Reiseberichten, Fachzeitschriften und SammelbĂ€nden zur Rassenkunde fĂŒllten sie zahlreiche Forschungsbibliotheken und Archive. Ob man als Bauer oder Stadtbewohner lebte, sich klassenkĂ€mpferisch oder soldatisch gab oder eine Karriere als Krimineller oder Beamter verfolgte â alles wurde wĂ€hrend des Nationalsozialismus ârassischâ begrĂŒndet.
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Die Nationalsozialisten haben im mörderischen Spiel um âRasse, Blut und Geneâ nichts substanziell Neues erfunden. Ihr politisches Erfolgsrezept bestand darin, wĂ€hrend der Zeit der Weimarer Republik die rassistischen Ideen und Akteure der deutschen Gesellschaft geschickt zusammengefĂŒhrt und radikalisiert zu haben. Rassismus wurde nun zum MaĂ von Recht und Gesetz.
Nach 1933 hatten insbesondere die Berufsgruppen der Lehrer, Ărzte, Juristen und Journalisten die Aufgabe, das gesammelte rassistische Wissen in Schulen und Hochschulen, GesundheitsĂ€mter, KrankenhĂ€user, Justiz, Medien, Kunst und Kultur zu tragen. Die gesamte Gesellschaft sollte nach rassistischen Prinzipien erfasst und neu geordnet werden.
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Zentral war ein radikaler Antisemitismus: Die Vorstellung, dass die âarische Rasseâ mit einer vermeintlich âjĂŒdischen Rasseâ in einen Kampf auf Leben und Tod verstrickt sei, fand ihren rechtlichen Ausdruck in den NĂŒrnberger Gesetzen von 1935 (âGesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehreâ und âReichsbĂŒrgergesetzâ), mit denen die Ausgrenzung der Juden aus der deutschen Gesellschaft rechtlich legitimiert und die fast vollstĂ€ndige Vernichtung des europĂ€ischen Judentums erst möglich wurde.â
Vieles von dem, was auf diesen zwei Seiten steht, ist ja richtig. Was aber vor allem auffĂ€llt, ist eben das, was ich ein âsimples antiimperialistisches Schemaâ genannt habe. Weil âviele Deutscheâ das GefĂŒhl hatten, beim Gerangel um die Kolonien zu kurz gekommen zu sein, hĂ€tten sie âdas Konzept des ĂŒberseeischen Kolonialismus und der Versklavung von Afrikanern einfach auf Europa ĂŒbertragen.â
Es folgt dann die Aussage, dass besonders die Slawen und Juden zur Versklavung und Vernichtung â analog den âAfrikanernâ, nehme ich an â vorgesehen gewesen seien.
Abgesehen davon, dass es selbst in den schlimmsten europĂ€ischen Kolonien â den afrikanischen Besitzungen der Belgier und Franzosen â seit Anfang des 19. Jahrhunderts keine Sklaven gab, und dass eine systematische âVernichtungâ der âAfrikanerâ nie Politik irgendeiner europĂ€ischen Macht war; abgesehen davon, dass â im Gegenteil â die britische Marine im gesamten indischen Ozean wĂ€hrend des gesamten 19. Jahrhunderts Jagd auf arabische SklavenhĂ€ndler machte, ihre erbĂ€rmliche menschliche Fracht befreite und den UnglĂŒcklichen â etwa â auf den Seychellen eine neue Existenz ermöglichte; abgesehen also von der Geschichtsklitterung, die den Vernichtungs- und Unterwerfungskrieg der Deutschen im 20. Jahrhundert als bloĂe Variante des Kolonialismus darstellt, womit er im Grunde genommen verniedlicht wird, abgesehen davon, ist es schlicht und einfach unsinnig, den Holocaust abzuleiten aus dem GefĂŒhl âvieler Deutscherâ, in Sachen Kolonien zu kurz gekommen zu sein.
Niemals war es Ziel nationalsozialistischer âJudenpolitikâ, die Juden sozusagen als Kolonialvolk zu halten und auszubeuten. Ja, es stimmt, die Autoren des Hefts schreiben auch: Alte antijĂŒdische Vorurteile vom Finanzjudentum und der Verschwörung zur Erreichung der Weltherrschaft wurden wieder aufgegriffen und in ein geschlossenes âRassenkonzeptâ integriert. âDer Judeâ wurde zum Inbegriff des DĂ€monischen und abgrundtief Bösen.
Das klingt zunĂ€chst richtig. Aber es handelte sich beim Antisemitismus der Nazis eben nicht darum, dass âalte jĂŒdische Vorurteile wieder aufgegriffenâ wurden; schon gar nicht wurden diese âalten Vorurteileâ in ein âgeschlossenes Rassenkonzept integriertâ. Vielmehr war es so, dass die Vorstellung, âder Judeâ beute âden Deutschenâ aus, habe es auf sein Leib und Leben abgesehen, stecke als âWallstreetjudeâ und âKremljudeâ hinter den Hauptfeinden der Deutschen und der Menschheit, Kapitalismus und Kommunismus, hinter Sozialismus, Liberalismus, Materialismus, RelativitĂ€tstheorie und so weiter und so fort â vielmehr war es so, dass diese Vorstellung, der Arier sei Opfer des ĂŒberlegenen Juden, ganz und gar nichts zu tun hatte mit dem Kolonialismus und der paternalistischen Vorstellung edler Wilder oder unterlegener Kinder zu tun, die Anfang des Jahrhunderts herangezogen wurde, um die fortgesetzte Herrschaft der EuropĂ€er ĂŒber ihre Kolonien zu rechtfertigen.
Die Vorstellung, dass die âarische Rasseâ mit einer vermeintlich âjĂŒdischen Rasseâ in einen Kampf auf Leben und Tod verstrickt sei, wird ja auch gegen Ende des Textes beschworen. Wie das aber gemeint und begrĂŒndet war; wie sich dieser âeliminatorische Antisemitismusâ vom milden Antisemitismus unterschied, den es durchaus auch in den USA und GroĂbritannien, in Frankreich und Italien gab â all das wird nicht erklĂ€rt; eben weil es nicht in das âsimple antiimperialistische Schemaâ passt, dem das Heft verpflichtet ist.
Und das hat eben doch Methode. Denn der starke und wachsende Antisemitismus unter Arabern, TĂŒrken, Russen, Polen und anderen Zuwanderergruppen hat eben auch nichts mit dem Kolonialismus zu tun; er entspringt ja auch oft nationalsozialistischen Quellen (âMein Kampfâ ist in all diesen LĂ€ndern ein Bestseller); und mit der DĂ€monisierung Israels, dem man ja nicht, was durchaus diskutierbar wĂ€re, eine gewisse Sturheit vorwirft, sondern â wie es auch GĂŒnter Grass und Jakob Augstein getan haben â im Grunde die Manipulierung und GefĂ€hrdung der gesamten westlichen Welt, ist der Antisemitismus in neuem Gewand wieder entstanden; wie denn der Antisemitismus seinerseits die Fortsetzung des christlichen Antijudaismus im âwissenschaftlichenâ Gewand war. Freilich ist vom Antizionismus ebenso wenig die Rede wie vom Zionismus; das Wort âIsraelâ fĂ€llt an keiner Stelle; und obwohl viele Seiten des Hefts dem heldenhaften antikolonialen Kampf der unterdrĂŒckten Völker gewidmet sind, wird der Kampf der Juden in PalĂ€stina fĂŒr nationale Selbstbestimmung gegen die Briten konsequent beschwiegen.
Das sind keine TrivialitÀten.
Das sind keine FlĂŒchtigkeitsfehler.
Das könnte auch Eberhard Seidel âbesser wissenâ; und weiĂ es wohl auch besser; anders kann ich mir sein Schweigen auf meine Aufforderung hin, sich meiner Kritik in einer öffentlichen Diskussion zu stellen, nicht erklĂ€ren.