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Viele Worte, wenig Klarheit

 Worte können verräterisch sein. Vor allem wenn sie in emotional aufgeheizten Situationen gesprochen werden. Seit den schockierenden Ereignissen in Köln während der Silvesternacht herrscht in unserem Land emotionale Aufgeregtheit, die sich vor allem verbal entlädt. Politiker jeglicher Couleur fordern die „Bestrafung der Täter von Köln ohne Ansehen der Person„. Merkwürdige Betonung. Seit es bei uns ein Strafgesetzbuch gibt, gilt, dass über die Straftäter vor Gericht „ohne Ansehen der Person“ geurteilt werden muss. Deshalb ist die symbolische Darstellung der Gerechtigkeit, die Göttin Justitia, mit einer Augenbinde versehen. Sie richtet „blind“ – eben ohne Ansehen der Person. Wenn Politiker diesen Satz so penetrant wiederholen, gleicht das dem Eingeständnis, dass es mit der Blindheit so weit her gar nicht gewesen ist. Offensichtlich hat das weit verbreitete Verständnis für straffällige Ausländer auch auf die Urteile unserer Gerichte abgefärbt. Eines dieser milden Urteile ging letzte Woche durch die Presse. Ein 18-jähriger Marokkaner hatte in Köln schon vor Silvester zusammen mit einem Komplizen mit der „Antanz-Methode“ Passanten um ihre Handys gebracht. Er wurde vom Amtsgericht Köln wegen „einfachen Diebstahls“ zu einer Woche Jugendarrest verurteilt. Weiterlesen

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Die Würde der Frau

 Vor einigen Jahren hatte ich im Rahmen eines Lehreraustausches eine Kollegin aus Bogotá zu Gast. Vormittags besuchte sie meine Schule, nachmittags arbeitete sie als Übersetzerin im Iberoamerikanischen Kulturinstitut Berlins. Wenn sie Freunde aus der kolumbianischen Community besuchte, kam sie oft spät in der Nacht nach Hause. Sie fuhr mit dem BVG-Bus die letzte Strecke von Tegel nach Tegelort, den Stadtteil am nordwestlichen Stadtrand Berlins. Nie ist ihr dabei etwas Schlimmes widerfahren. Als sie sich nach drei Monaten auf dem Flughafen von mir verabschiedete, sagte sie: „Adoro el bus 222, dale mis saludos!“ (Ich liebe den Bus 222, grüß ihn von mir). Ich war verblüfft über diese merkwürdige Liebeserklärung. Sie nannte mir auch den Grund. In ihrer Heimatstadt werden Frauen in öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig von jungen Männern sexuell belästigt, bedroht und genötigt. Deshalb gibt es in vielen Metropolen des Kontinents inzwischen rosa gefärbte Busse, die nur Frauen befördern. Die Fahrt mit dem Bus 222 durch das nächtliche Berlin empfand sie als wahre Wohltat, weil sie nie anzüglich angemacht oder gar belästigt worden war. Weiterlesen

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Mutlose SPD

 Auf dem Parteitag der SPD Mitte Dezember in Berlin gab es für die anwesenden Delegierten der SPD eine Schrecksekunde. Dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel war gerade von der Wahlkommission auf einem Zettel das Ergebnis seiner Wahl als Parteivorsitzender gereicht worden. Er erhielt nur 74,3% der Delegiertenstimmen – eine Demütigung. Wie versteinert saß Gabriel da und wälzte nur einen Gedanken: hinschmeißen oder weitermachen? Wie Beobachter der Szene später schilderten, war es nur dem guten Zuspruch enger Genossen und Freunde zu verdanken, dass er nicht das Handtuch warf, sondern sich mit einer trotzigen Rede zu dem Ergebnis bekannte: Jetzt sei über den Kurs der Partei entschieden und diejenigen, die ihn nicht gewählt haben, wüssten, wo es künftig lang geht.

Dass die SPD ihr eigenes Führungspersonal gerne mal abstraft, ja regelrecht demontiert, hat in dieser Programmpartei eine lange Tradition. Rudolf Scharping wurde 1994 auf einem denkwürdigen Parteitag in Mannheim als Vorsitzender vom Hof gejagt und durch den Volkstribun Oskar Lafontaine ersetzt. Ein fataler Irrtum, wie sich später herausstellen sollte. Dem Vorsitzenden Kurt Beck erging es 2008 am Schwielowsee nicht besser. Die SPD kann im Umgang mit dem eigenen Führungspersonal unbarmherzig sein, was für eine Partei, die vorgeblich die Solidarität in den Genen trägt, zumindest ungewöhnlich ist. Weiterlesen

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Schickt die jungen afghanischen Männer nach Hause!

Nach einem turbulenten Sommer und Herbst sind sich die Deutschen immer noch mehrheitlich einig, dass wir den aus Syrien geflohenen Menschen in Deutschland Schutz gewähren sollten. Nur die hartherzigen Anhänger von Pegida und der AfD – vielleicht auch Teile der CSU – möchten selbst diesen schutzbedürftigen vor dem Krieg geflohenen Menschen die Aufnahme in unserem Land verweigern. Der Status, den die Syrier in unserem Land genießen sollten – primärer oder subsidiärer Schutz – ist unerheblich, ein Streit unter Experten. Fürs erste geht es darum, dass sie ein Dach über dem Kopf, Nahrung und Kleidung bekommen und ihre Kinder in eine „Willkommensklasse“ aufgenommen werden, wie die Schulklassen für Flüchtlinge in Berlin euphemistisch genannt werden.

Die Mehrzahl der Deutschen ist sich auch darin einig, dass die Staaten des westlichen Balkans – allesamt EU-Beitrittsaspiranten – als so sicher gelten können, dass man den aus diesen Ländern nach Deutschland gereisten Menschen weder Asyl noch sonst irgendeinen Schutzstatus gewähren kann. Dieser Regelung haben selbst die Grünen zugestimmt, die vor dem großen Flüchtlingsansturm in diesem Sommer ja immer die Losung ausgegeben haben: „Alle sind willkommen!“ – So zerbröseln vor der Macht des Faktischen ideologische Gewissheiten. Weiterlesen

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Adiós Socialismo!

 Am 6. Dezember 2015 wurde durch Wahlen ein Experiment beendet, das ein ganzes Volk in die Verelendung gestürzt hatte: der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ in Venezuela. Die Parlamentsfraktion der sozialistischen Partei des Präsidenten Nicolás Maduro PUSV wurde halbiert, das konservative Oppositionsbündnis MUD gewann haushoch und erreichte 109 von 167 Sitzen im Parlament. Zusammen mit den drei Mandaten einer indogenen Minderheit erreicht die Opposition im Parlament eine verfassungsändernde Mehrheit. Damit kann sie die undemokratischen Dekrete des Präsidenten stoppen.

Was waren die Gründe für diesen Erdrutschsieg der Opposition? Hätte ein bekennender Freund des Kapitalismus ein Zerrbild des Sozialismus zeichnen sollen, es hätte in der Realität Venezuelas eine genaue Entsprechung gefunden. Nach 17 Jahren „Chávismo“ (abgeleitet von der Politik von Hugo Chávez) steht das Land am Abgrund.

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Wiederkehr des Verdrängten: Kauft nicht bei Juden

Die Fotos findet man in allen Geschichtsbüchern. SA-Mitglieder belagern jüdische Einrichtungen, an denen sie Plakate angebracht haben: „Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei Juden!“ – Die Schaufensterscheiben und Fassaden der Geschäfte haben sie mit Judensternen beschmiert und für diejenigen, die dieses Symbol nicht kennen, in Großbuchstaben in weißer Farbe dazu geschrieben: „J U D E !“

Das geschah am 1. April 1933, nur zwei Monate nach der Machtübertragung an Adolf Hitler und seine NSDAP. Dieser Judenboykott war generalstabsmäßig vorbereitet. Im ganzen Reich sollten am frühen Morgen jüdische Geschäfte, Warenhäuser, Rechtsanwaltskanzleien, Notariate und Arztpraxen von SA-Einheiten abgeriegelt und die nichtjüdische Kundschaft am Betreten gehindert werden. Schon im ersten Parteiprogramm von 1920 hatte die NSDAP angekündigt, dass sie, wenn sie an die Macht komme, alle Juden aus dem Wirtschaftsleben „entfernen“ wolle. In einem hatte sich die NSDAP allerdings verrechnet: Die Bevölkerung stand dem Boykott so passiv gegenüber, dass man die Abriegelung der Geschäfte kaum mit der Vollstreckung des „Volkszorns“ begründen konnte. Der Boykott wurde deshalb schon am Abend des 1. April für beendet erklärt. Er gilt dennoch als der erste schwerwiegende Angriff auf die Juden im Deutschen Reich nach Machtantritt Hitlers. Weiterlesen

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Törichte Worte

Als die französische Nationalversammlung am 20. 11. 2015 über die Verschärfung der Sicherheitsgesetze und die Verlängerung des Ausnahmezustands abstimmte, gab es dafür eine überwältigende Mehrheit. Bei 551 Ja-Stimmen gab es nur sechs Nein-Stimmen. Eine davon gehörte dem  grünen Abgeordneten Noêl Mamère. Bemerkenswert war seine Begründung: „Das Überangebot an Sicherheit passt nicht zur Situation.“ (FAZ vom 21. 11. 2015) – Dem grünen Herrn  ist anscheinend entgangen, dass das „Unterangebot“ an Sicherheit in Paris zu 130 ermordeten Menschen geführt hat.

„Dann hätte der Terror gesiegt“

In Deutschland gibt es ähnliche konfuse Stimmen. Bei den Grünen werden schon wieder die alten Reflexe bemüht: Eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze sei unnötig, sogar schädlich, weil dies unsere Freiheitsrechte zerstöre. Wenn wir jetzt in diesem Sinne „aufrüsteten“, „hätte der Terror gesiegt“. Viele plappern dieses Wort nach, ohne zu merken, wie töricht es ist. Als ginge es den Terroristen vom Islamischen Staat darum, die europäischen Gesellschaften von Demokratien in autoritäre Staatsformen umzuwandeln. Weiterlesen

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Wehrhafte Demokratie ist die Lösung

Es ist zu erwarten, dass die schrecklichen Terroranschläge von Paris von der islamophoben Rechten, wie z.B. Pegida und AfD, aber auch von Teilen der CSU für ihre politischen Ziele instrumentalisiert werden. Der unvermeidliche Vielsprecher Markus Söder hat sich auf Twitter schon in diesem Sinne geäußert. Wenn die Anstandspflicht, die die Rechten nur aus politischem Kalkül einhalten, vorbei ist, wird ein Schwall von Schimpftiraden (gegen   d i e   Muslime) und Schuldzuweisungen (gegen die Wir-schaffen-das-Kanzlerin) über uns hereinbrechen. In Frankreich werden wir dasselbe erleben. Aus früheren Fällen hat Marine le Pen vom Front National ihre Lektion gelernt. Sie wird kühl abwarten, bis die Trauer um die vielen Toten abebbt, um dann ihren Hass gegen die „unfähige“ und „willfährige“ Regierung der Sozialisten umso heftiger zu versprühen. Auf der Gegenseite – bei Linken, Grünen, Pro-Asyl-Gruppen – wird der Generalverdacht der Rechten gegen die Muslime mit dem Gegenteil gekontert: mit einem Generalverständnis für alle Menschen muslimischen Glaubens. Weiterlesen

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Arabischer Frühling: zum Winter erstarrt

„Ihr lacht wohl über den Träumer,
Der Blumen im Winter sah?“

(Wilhelm Müller: „Winterreise“)

 

Als im Dezember 2010 in Tunesien lokale Proteste gegen die schlechten Lebensbedingungen und die Perspektivlosigkeit der Jugend ausbrachen, nahmen westliche Beobachter davon noch kaum Notiz. Wenige Monate später sollte sich das ändern. Denn die Proteste wuchsen sich zu einem Volksaufstand gegen die autoritäre Regierung des Präsidenten Ben Ali aus. Gleichzeitig verbreitete er sich wie ein Flächenbrand im ganzen Maghreb und führte zum Sturz der Präsidenten Ägyptens, Mubarak, und Jemens, Salih. In Libyen mündete der Aufstand in einen Bürgerkrieg, der durch eine NATO-Intervention zugunsten der Opposition entschieden wurde. Der Diktator Gaddafi wurde von aufständischen Milizen gelyncht. Ein ähnliches Szenario entfaltete sich in Syrien. Als der Diktator Assad die moderaten Proteste oppositioneller Gruppen mit Gewalt unterdrücken ließ, radikalisierte sich der Protest, in den sich bald auch benachbarte Mächte (Türkei, Saudi-Arabien, Iran, Libanon) einmischten. Der Bürgerkrieg dauert nun schon länger als vier Jahre an und hat mehr als 250.000 Menschen das Leben gekostet. Ein Viertel der syrischen Bevölkerung ist auf der Flucht. Inzwischen ist das Land zum Spielball ausländischer Mächte geworden, die entweder Assad stützen (Iran, Russland, Hisbollah) oder ihn stürzen wollen (Türkei, Saudi-Arabien). Gleichzeitig hat die radikale Terrororganisation „Islamischer Staat“ große Teile des Landes besetzt und ein mittelalterlich anmutendes Kalifat errichtet, in dem die Scharia in ihrer brutalsten Form gilt. In seinem Herrschaftsgebiet hat der „IS“ eine brutale Kulturzerstörung ins Werk gesetzt. Weiterlesen

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Amal – Stadt der Hoffnung

An einem verregneten Wochenende im Oktober trafen sich am Werbellinsee am Rande der Schorfheide die Parteivorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien unter strengster Geheimhaltung zu einer Krisensitzung. Eingeladen hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel. In einem von der Presse abgeschotteten Nobelhotel wollte sie den Spitzen der anderen Parteien eine kühne Idee verkünden, die sich ihr Stab unter Leitung des „Flüchtlingskommissars“ Peter Altmaier ausgedacht hatte – frei nach dem Motto: Ungewöhnliche Situationen verlangen nach ungewöhnlichen Lösungen. Der Vorschlag, den sie unterbreitete, ist wahrhaft revolutionär, weil er mit einem zentralen Axiom der Integrationspolitik in unserem Land radikal bricht. Bisher galt die Lehrmeinung, dass Integration von Menschen aus fremden Kulturen in unsere Gesellschaft nur gelingen könne, wenn sie in unserer Mitte leben und sich nicht in Ghettos unter Ihresgleichen zurückziehen und sich dadurch von den Deutschen abschotten. Berlin-Neukölln, Duisburg-Marxloh und Dortmund-Nordstadt gelten in diesem Diskurs immer als die abschreckenden Beispiele für „verlorene Quartiere“.

Altmaier und seine Crew schlugen der illustren Runde nun das genaue Gegenteil vor. Sie wollen den Flüchtlingen aus Syrien ermöglichen, eine eigene Stadt zu gründen und darin weitgehend selbstverwaltet zu leben. Der Vorschlag steht so quer zu allem, was bisher als unumstößlich galt, dass die Kanzlerin die Notwendigkeit sah, die anderen demokratischen Parteien vorab in die Diskussion einzubinden, bevor der Vorschlag das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Weiterlesen

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Sarah Wagenknecht, Stalin und Goethe

Sarah Wagenknecht, die Stil-Ikone der LINKEN, tourt zur Zeit durch die Lande und unterhält ein bildungsbürgerlich geprägtes Publikum mit einer Goethe-Lektion. Dabei wendet sie eine Masche an, die sie schon bei der Vereinnahmung des Urvaters der westdeutschen Marktwirtschaft, Ludwig Ehrhard, für ihr sozialistisches Projekt praktiziert hat. Sie erklärt Goethe zum Antikapitalisten! Dabei beruft sie sich vor allem auf eine Passage im fünften Akt von „Faust II“. Dort entwickelt der alternde Faust (Goethe?) die Vision einer Landkultivierung für Millionen von Menschen, die von einer „kühn-emsige[n] Völkerschaft“ ins Werk gesetzt wird. Faust möchte Teil dieser tätigen Gemeinschaft sein: „Solch ein Gewimmel möcht ich sehn! / Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn!“. Diese Textstelle hat schon die marxistische Literaturinterpretation der DDR für ihre Ideologie missbraucht. Sie hat in den Text das Bekenntnis Goethes zum schaffenden Volk, ja, zum Sozialismus (Stichwörter: „Volk“/“Gemeindrang“/“Völkerschaft“) hinein gelesen. Weiterlesen

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