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Wiederkehr des Verdrängten: Kauft nicht bei Juden

Die Fotos findet man in allen Geschichtsbüchern. SA-Mitglieder belagern jüdische Einrichtungen, an denen sie Plakate angebracht haben: „Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei Juden!“ – Die Schaufensterscheiben und Fassaden der Geschäfte haben sie mit Judensternen beschmiert und für diejenigen, die dieses Symbol nicht kennen, in Großbuchstaben in weißer Farbe dazu geschrieben: „J U D E !“

Das geschah am 1. April 1933, nur zwei Monate nach der Machtübertragung an Adolf Hitler und seine NSDAP. Dieser Judenboykott war generalstabsmäßig vorbereitet. Im ganzen Reich sollten am frühen Morgen jüdische Geschäfte, Warenhäuser, Rechtsanwaltskanzleien, Notariate und Arztpraxen von SA-Einheiten abgeriegelt und die nichtjüdische Kundschaft am Betreten gehindert werden. Schon im ersten Parteiprogramm von 1920 hatte die NSDAP angekündigt, dass sie, wenn sie an die Macht komme, alle Juden aus dem Wirtschaftsleben „entfernen“ wolle. In einem hatte sich die NSDAP allerdings verrechnet: Die Bevölkerung stand dem Boykott so passiv gegenüber, dass man die Abriegelung der Geschäfte kaum mit der Vollstreckung des „Volkszorns“ begründen konnte. Der Boykott wurde deshalb schon am Abend des 1. April für beendet erklärt. Er gilt dennoch als der erste schwerwiegende Angriff auf die Juden im Deutschen Reich nach Machtantritt Hitlers. Weiterlesen

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Die Aktualität Adolph Kolpings

Von Martin Grünewald:
Heute organisieren sich deutschlandweit eine Viertelmillion Menschen im Kolpingwerk, der Verband ist weltweit verbreitet. Was fasziniert heute an Adolph Kolping? Wie ist seine Wirkung in der Gesellschaft?

Adolph Kolping starb am 4. Dezember 1865, also vor 150 Jahren. Dieses Jubiläum bildete den wichtigsten Anlass für den Kolpingtag 2015, der 15.000 Teilnehmende drei Tage lang in diesem September in Köln begeisterte.

In den Tagen um den 4. Dezember begehen die allermeisten der bundesweit 2.500 Kolpingsfamilien sowie Kolpingmitglieder in weltweit 61 Ländern mit Gottesdiensten und Feierstunden den Kolping-Gedenktag. Warum interessieren sich heute so viele Menschen für diese Person?

Als viertes Kind eines Schäfers in Kerpen bei Köln am 8. Dezember 1813 geboren, wächst Kolping in sehr bescheidenen Verhältnissen auf und erlernt das Schuhmacherhandwerk. Weiterlesen

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Muss der Staat Prostituierte vor sich selbst schützen?

In den Schubladen der Koalition ruht ein abgespeckter Entwurf eines Gesetzes zum Schutz Prostituierter (SZ-Politik, vom27.11.2015: „Schutz und Pflicht“). Federführend ist das Frauenministerium. Nun wollen ausgerechnet die Länder im Bundesrat nicht zustimmen, welche eine Reform angestoßen hatten (etwa NRW). Ziel müsste eine möglichst effektive Kontrolle der Bordellbetreiber sein, entstanden ist ein Entwurf, der das Gegenteil bewirkt: eine engmaschige und bürokratische Überwachung der Prostituierten. Statt „Schutz“ vor Übervorteilung sieht der Entwurf Anmeldepflichten und eine Pflichtuntersuchungen vor (früher hieß das „Bockschein“). Zuständig sollen die Gesundheitsämter sein. Diese können aber weder umfassend beraten noch werden sie eine bezahlbare HIV-Prävention anbieten. Schreibt man dennoch sanktionsbewehrte Pflichtuntersuchungen vor, schafft man eine völlig sinnlose Normenfalle. Weiterlesen

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Zur Aktualität von Martin Walsers Paulskirchenrede

Martin Walsers Paulskirchenrede von 1998 wurde vor nunmehr beinahe zwanzig Jahren wegen ihrer Kritik an der so genannten Gedenkkultur berüchtigt. Als Walser „vor Kühnheit zitternd“ behauptete, die Deutschen seien ein „ganz normales Volk“ geworden und seine Abscheu gegen die „Dauerrepräsentation unserer Schande“ bekundete, als er bekannte, er habe sich angewöhnt, bei Bildern aus den KZ „wegzuschauen“, da sprang die versammelte Elite der Bundesrepublik – mit einer Ausnahme, nämlich Ignatz Bubis – von den Sitzen auf und applaudierte. Womit sie ungewollt jenem „wirklich bedeutenden Denker“ Recht gab, der im Zentrum der Walser’schen Kritik stand, weil er von einer „moralisch-politischen Verwahrlosung“ des Landes gesprochen hatte.

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Warum der Begriff „Rechtskatholik“ berechtigt ist

Alexander Pschera hat einen Essay geschrieben, in dem er Bedenken gegenüber dem auch von mir verwendeten Begriff des „Rechtskatholiken“ äußert. Dieser lesenswerte Beitrag zum Verständnis der Haltung von Christen zu Politik und Gesellschaft fordert Widerspruch heraus. Eine Replik.

Im konservativ-bürgerlichen Milieu hat sich seit geraumer Zeit eine immer tiefer und breiter werdende Bruchlinie aufgetan, die auch vor entsprechenden christlichen Kreisen nicht Halt macht. Ganz im Gegenteil. Dort ist sie besonders deutlich zu sehen, und zwar sowohl unter Katholiken als auch unter Evangelikalen. Eine, so wirkt es jedenfalls, immer größer werdende Gruppe Gläubiger zeigt deutliche Sympathien für rechtspopulistische und/oder neurechts geprägte Bewegungen wie Pegida, für die AfD sowie Autoren wie Thilo Sarrazin sowie Akif Pirincçi, jedenfalls bis zu dessen Rede auf der Dresdner Pegida-Demonstration am 9. November 2015. Weiterlesen

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Das Verbot der professionellen Sterbehilfe vom 6.11.2015

 Von Prof. Dr. Monika Frommel:

 Gegen die grundlegende strafrechtliche Regel, dass Beihilfe zu einer erlaubten Tat, dem wohlüberlegten Freitod, nicht verboten sein kann, sie gilt seit 1871, beschloss der Bundestag am 6.11.2015, die „geschäftsmäßige Sterbehilfe“ zu verbieten. Laien mag es einleuchten, wenn man rhetorisch formuliert und sagt, niemand dürfe mit der Not sterbewilliger Menschen Geschäfte machen. Aber darum geht es nicht, wenn Menschen erfahrene Ärzte um Rat fragen, weil sie nicht mehr weiter wissen. Und selbstverständlich rechnen Ärzte Beratungsgespräche ab. Das Gesetz hätte also alle Ärzte von dieser Regelung ausnehmen müssen, wenn sie umfassend beraten, Alternativen aufzeigen und dann Sterbehilfe im Rahmen des geltenden Strafgesetzes leisten, also die Letztentscheidung dem Patienten aufbürden. Ein Strafgesetz mit einem derartig dehnbaren Inhalt hat aber unkalkulierbare Wirkungen. Weiterlesen

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Törichte Worte

Als die französische Nationalversammlung am 20. 11. 2015 über die Verschärfung der Sicherheitsgesetze und die Verlängerung des Ausnahmezustands abstimmte, gab es dafür eine überwältigende Mehrheit. Bei 551 Ja-Stimmen gab es nur sechs Nein-Stimmen. Eine davon gehörte dem  grünen Abgeordneten Noêl Mamère. Bemerkenswert war seine Begründung: „Das Überangebot an Sicherheit passt nicht zur Situation.“ (FAZ vom 21. 11. 2015) – Dem grünen Herrn  ist anscheinend entgangen, dass das „Unterangebot“ an Sicherheit in Paris zu 130 ermordeten Menschen geführt hat.

„Dann hätte der Terror gesiegt“

In Deutschland gibt es ähnliche konfuse Stimmen. Bei den Grünen werden schon wieder die alten Reflexe bemüht: Eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze sei unnötig, sogar schädlich, weil dies unsere Freiheitsrechte zerstöre. Wenn wir jetzt in diesem Sinne „aufrüsteten“, „hätte der Terror gesiegt“. Viele plappern dieses Wort nach, ohne zu merken, wie töricht es ist. Als ginge es den Terroristen vom Islamischen Staat darum, die europäischen Gesellschaften von Demokratien in autoritäre Staatsformen umzuwandeln. Weiterlesen

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Fünf Lügen, die sie uns über Paris erzählen

Jetzt, da jeder und sein Hund sich in Sachen Paris zu Wort gemeldet haben, mit und ohne Smileys, möchte ich fünf Lügen auflisten, die ich in der Debatte immer wieder gehört haben, was sie nicht besser macht.

Erste Lüge: Der Terror ist auch Ergebnis der Ausgrenzung und Diskriminierung der Muslime in Frankreich.
Unsinn. Viele Minderheiten werden im Westen ausgegrenzt und diskriminiert. Das ist schlimm. Die Juden zum Beispiel wurden über Jahrhunderte in Europa verfolgt. Deshalb griffen sie aber nicht zum Terror. Die Schwarzen in den USA erlitten Jahrhunderte der Sklaverei, ein Apartheidregime in den Südstaaten, ständige Zurücksetzung bis heute. Dennoch griffen sie – von wenigen Ausnahmen in den 1970er Jahren abgesehen – nicht zum Terror.

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Aux armes citoyens- was heisst jetzt: Solidarität mit Paris und Frankreich?

Heute wurde in allen europäischen Städten und auch beim G 20 Gipfel in der Türkei um 12 Uhr mittags eine Schweigeminute abgehalten.Im Radio wurde nach dem Glockenläuten dann gesagt, Präsident Hollande hätte mit Minister Valls an der Sorbonne in Paris mit Studenten für 60 Sekunden inne gehalten.
Inne halten, eine seltene Haltung und Sprache in der heutigen Twitter -und Millisekunden Reaktionsgesellschaft.Inne halten hätte ich mir für mehr deutsche Politikerinnen und Medien und Experten erst mal nach den grausigen Nachrichten von dem IS Terroranschlag auf Paris, sein Massen-morden am Tag des deutsch französischen Fußballspiels dort gewünscht.
Sollten nicht die Opfer und Freunde und Verwandten derer, die in Cafes und in der Musikhalle mitten im Konzert brutal ermordet wurden, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen so wie die Arbeit der Sicherheitsdienste und Polizei , die nach dem Terroristenumfeld aus den strategisch immer besser organisierten, nun fast global agierenden IS Staates in Syrien und dem Irak fahnden?
Ich hätte mir gewünscht, dass wie die schönen Lichtinstallationen mit den französischen Nationalfahnenfarben in den USA , am Brandenburger Tor ,weltweit, darüber hinaus für einige Tage die Hälfte der Kinos und Programme der Musikevents umgestellt worden wären, Solidarität mit der französischen Lebensweise demonstriert worden wäre mit Filmen, französischer Musik, französischem Essen und Trinken wie mit Wahrnehmen französischer Debatten. Statt dessen wurde wieder typisch deutsch der fast immergleiche Diskurs dem mutigen Handeln vorgezogen, die Wahltaktik der echten Solidarität. Es wurde über die korrekte Verwendung des Begriffes und Wortes Krieg parliert und der focus der Debatte wieder auf die deutsche Flüchtlingsdebatte zurückgeführt von allen Seiten, mal wieder um Wahltaktik aller Parteien hier gekreist. Weiterlesen

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Wehrhafte Demokratie ist die Lösung

Es ist zu erwarten, dass die schrecklichen Terroranschläge von Paris von der islamophoben Rechten, wie z.B. Pegida und AfD, aber auch von Teilen der CSU für ihre politischen Ziele instrumentalisiert werden. Der unvermeidliche Vielsprecher Markus Söder hat sich auf Twitter schon in diesem Sinne geäußert. Wenn die Anstandspflicht, die die Rechten nur aus politischem Kalkül einhalten, vorbei ist, wird ein Schwall von Schimpftiraden (gegen   d i e   Muslime) und Schuldzuweisungen (gegen die Wir-schaffen-das-Kanzlerin) über uns hereinbrechen. In Frankreich werden wir dasselbe erleben. Aus früheren Fällen hat Marine le Pen vom Front National ihre Lektion gelernt. Sie wird kühl abwarten, bis die Trauer um die vielen Toten abebbt, um dann ihren Hass gegen die „unfähige“ und „willfährige“ Regierung der Sozialisten umso heftiger zu versprühen. Auf der Gegenseite – bei Linken, Grünen, Pro-Asyl-Gruppen – wird der Generalverdacht der Rechten gegen die Muslime mit dem Gegenteil gekontert: mit einem Generalverständnis für alle Menschen muslimischen Glaubens. Weiterlesen

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Warum es jetzt einen muslimischen Aufstand der Anständigen geben muss

Die Mordanschläge in Paris sind eine Kriegserklärung des Islamischen Staats (IS) an den Westen. Das Gefühl der Sicherheit im Alltag ist perdu. Rechtspopulisten werden die Attentate gnadenlos für ihre Hetze gegen Flüchtlinge und Muslime instrumentaliseren. Genau, aber nicht nur deshalb, muss es nun auch von der ganz großen Mehrheit der friedlichen Muslime eine deutliche Reaktion gegen die Instrumentalisierung ihrer Religion geben.

Man findet kaum ein Wort für das, was gestern in Paris geschehen ist. Horror, Terror, Attentate sind zu schwache Begriffe. Europa, der Westen erlebt etwas, was man nicht für möglich gehalten hat. Eine konzertierte Aktion islamistischer Attentäter mitten in Paris, mitten im pulsierenden Leben der Stadt.

An einem Freitagabend, unter anderem am Stade de France, in dem gerade das Länderspiel zwischen Frankreich und Deutschland stattfand. Das Innere des Stadions blieb nur deshalb verschont, weil die Polizei das Eindringen der Islamisten des IS, der sich inzwischen dazu bekannt hat, verhindern konnte. Schüsse, Tote an Orten, an denen sich typischerweise junge Menschen aufhalten. Ein Gemetzel. So etwas gab es zuletzt 2008 im indischen Mumbai, als islamistische Terroristen an insgesamt zehn Orten 170 Menschen niederschossen und Geiseln nahmen. Weiterlesen

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