


Das Imperium und die nationale Würde
Oft hörte man bei den Protesten auf dem Syntagma-Platz in Athen das Wort von der „nationalen Würde“. Ein verstörendes Wort für postnational denkende Deutsche. Das griechische Volk – „Volk“ ist auch so ein Wort, das hierzulande eher mit Fingerspitzen angefasst wird – habe mit seinem Widerstand gegen das ökonomische Diktat der „Institutionen“ – EU-Kommission, EZB und IWF – gegen seine Erniedrigung protestiert: „Lieber aufrecht sterben, als mit gebeugtem Rücken leben“. Dagegen schnurrten die wortreichen Argumente der Befürworter der EU-Maßnahmen hierzulande auf den zynischen Hinweis zusammen, den das englische Sprichwort trifft: „Beggars can’t be choosers“. Wer bettelt, darf nicht wählerisch sein. Auf Deutsch etwas brutaler: Vogel friss oder stirb.

Antiamerikanismus – das beständige Ressentiment
Von dem Journalisten Henryk M. Broder stammt das Wort, der Antisemitismus sei ein „beständiges Gefühl“, das zu allen Zeiten in allen Weltregionen auftrete, selbst dort, wo es gar keine Juden gibt. Antisemitismus sieht Broder keineswegs auf alte oder neue Nazis beschränkt. Antisemitismus finde sich in allen Gesellschaftsschichten, auch bei vermeintlich aufgeklärten (linken) Intellektuellen, manchmal offen, manchmal subkutan.
Diesem „beständigen Gefühl“ kann man mit gutem Grund ein weiteres hartnäckig wirkendes Ressentiment hinzufügen: den Anti-Amerikanismus. Das Meinungsforschungsinstitut Allensbach befragt in regelmäßigen Abständen die Einstellung der Deutschen gegenüber den Vereinigten Staaten. Dabei bejaht stets eine große Mehrheit die Aussage, die US-Amerikaner seien „als Konsum- und Wegwerfgesellschaft ein abschreckendes Beispiel für den Rest der Welt“. Allensbach stellt noch eine weitere Frage: „Wenn jemand sagt, kein Land tritt immer wieder so für die Demokratie ein, ist ein so starker Verfechter von Freiheit und Menschenrechten wie die Vereinigten Staaten. Würden Sie da zustimmen oder nicht zustimmen?“ – Dieser Meinung über die USA pflichtet nur eine Minderheit bei. Weiterlesen

Die Ungarn und die Anderen
Von Igor Mitchnik
Die Hölle bleiben die anderen: Wie die drei Haupt-Figuren in Jean-Paul Sartres Stück „Geschlossene Gesellschaft“ leiden die Ungarn an der Gegenwart ihrer Mitmenschen. Die ungarischen Juden leiden am Mainstream-Antisemitismus. Die Roma und vor allem die Flüchtlinge im Land leiden an gesellschaftlicher Ablehnung und Rassismus. Und die restlichen Ungarn ertragen die Gegenwart der anderen drei Gruppen nicht.
Dieses Phänomen ist in Ungarn keineswegs neu und schon gar nicht erst in den letzten Jahren entstanden. „Anders“ durfte man bereits in der ungarischen Bauerngesellschaft der 1960er und 1970er Jahre nicht sein. Das lehrt die Mutter den Protagonisten des Buches „Die Mittellosen“ von Szilárd Borbély. „Sie riechen bei dem, der nicht so ist wie sie, den Fremdengeruch“, erklärt die Mutter. Wer auffällt, wird niedergemacht. Weiterlesen

Imperium der Zukunft? Wirklich?
Es hat angesichts der nunmehr seit mindestens fünf Jahren sich hinziehenden Krise Europas nicht an höhnischen Stimmen gefehlt, die mich fragen, ob ich immer noch dazu stehe, Europa als „Imperium der Zukunft“ zu bezeichnen, wie ich es in einem 2007 erschienenen Buch tat.
Imperium? Auf alle Fälle. Das beweisen die Krisen in Griechenland, der Ukraine und dem Mittelmeer wohl zur Genüge.
Zukunft? Nun, da wird’s schwieriger.

Würde Jesus den Müll trennen?
Am 18. 06. 2015 stellte Papst Franziskus in Rom seine Ökologie-Enzyklika vor. Sie trägt den melodisch klingenden Titel „Laudato Si“. Damit erinnert der Papst an sein großes Vorbild, den Heiligen Franziskus von Assisi, der in seinem Lobgesang „Laudato si‚, mi‘ Signore“ (Gelobt seist du, mein Herr), den Schöpfer der Welt gepriesen hatte. In seiner „Regierungsklärung“ kritisiert der Papst all das, was das grünbewegte Herz schlecht finden muss: die (vom Menschen gemachte) Klimaveränderung, die Zunahme von Naturkatastrophen, Bodenverwüstung und Wassermangel, blinden Wachstumsglauben, Technik-Vergötterung, die Verirrungen der Humangenetik usw. Dass in Papst Franziskus´ Gefolge der Chef des „Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung“ (PIK), Hans Joachim Schellnhuber, auftrat, lässt nichts Gutes ahnen. Denn dieses Institut ist das Zentralkomitee des grünen Alarmismus. Das PIK fiel in der Vergangenheit schon mehrfach dadurch auf, dass es Horrorszenarien in Umlauf setzte, die sich später als „falsch berechnet“ herausstellten. Seriöse Wissenschaftler fassen die Expertise des PIK seither nur noch mit den Fingerspitzen an. Weiterlesen

Eine gefährliche Enzyklika
Die neue Enzyklika des Papstes, „Laudato si’“, scheint auf viel Zustimmung zu stoßen. Ich habe sie gelesen, und ich kann in dieses Lob nicht einstimmen. Sie ist ein Dokument, das vor allem die Verantwortung der Kirche – und anderer Religionen – für Armut und Umweltschäden vertuschen soll. Sie ist ein Dokument, das explizit die wichtigste Hoffnung der Armen und der Umwelt – nämlich Wirtschaftswachstum – verteufelt. Kein Wort verliert diese Enzyklika zum notwendigen Zusammenhang zwischen Demokratie, Entwicklung und Menschenwürde. Sie verrät die tiefe Verwurzelung des argentinischen Papstes in der Gedankenwelt südamerikanischen Antiimperialismus und insbesondere des Peronismus.

Wer rettet wen bei der Griechenland-„Rettung“?
Sprache hat die Eigentümlichkeit, dass man mit ihr Sachverhalte griffig verkürzen, sie gleichzeitig aber auch verschleiern kann. In der deutschen Griechenland-Debatte ist häufig davon die Rede, dass „wir“ verpflichtet seien, „die Griechen“ zu retten. Die Frage drängt sich auf: Wer ist mit „wir“ gemeint? Und: Retten wir tatsächlich „die“ Griechen, also „alle“ Einwohner dieses schönen, traditionsreichen Landes? Weiterlesen

Bosnien, zwanzig Jahre danach
Im kommenden Monat jährt sich zum 20. Mal das Massaker von Srebrenica. Ich habe den Ort vor einigen Tagen besucht – und zu meiner Überraschung festgestellt, dass die ehemals hauptsächlich von Muslimen bewohnte Stadt heute in der Republika Srpska liegt, dem serbischen Autonomiegebiet Bosniens, und serbisch-orthodox geprägt ist. Das ist eigentlich „logisch“ gemäß der perversen Logik der „ethnischen“ – sprich religiösen – Säuberung. Srebrenica war bis 1995 eine muslimische Enklave innerhalb einer mehrheitlich serbisch-orthodoxen Region, die ja auch unmittelbar an der Grenze zu Serbien liegt. Aber ich hatte mir naiverweiser vorgestellt, dass die Vereinten Nationen, die damals in den Konflikt eingegriffen hatten, um den multireligiösen Charakter Bosniens zu erhalten, nicht stillschweigend die Resultate der Säuberungspolitik akzeptieren würden.
Genau das aber ist geschehen.

Ägyptens Präsident Sisi – Bad guy oder Hoffnungsträger?
Der Besuch des ägyptischen Präsidenten Abd al Fattah al Sisi am 3. 6. 2015 in Berlin sorgte schon im Vorfeld für Wirbel. Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte demonstrativ das geplante Gespräch ab, weil er in den zuletzt von ägyptischen Gerichten verhängten 500 Todesurteilen eine schwere Menschenrechtsverletzung sah. Anstatt mit Sisi darüber zu diskutieren, zog sich Lammert lieber in den moralischen Schmollwinkel zurück. Man darf gespannt sein, ob er künftig Putin die Hand schütteln wird, der durch seine Aggression in der Ostukraine für 6000 Tote verantwortlich ist. Oder dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping, der für 2400 hingerichtete Menschen pro Jahr verantwortlich ist (Zahl von 2013). Weiterlesen

Flüchtlingspolitik – romantisch verklärt oder rational gelöst?
Teil 2 (und Schluss)
- Irrtum: Migration schadet nicht den Herkunftsländern.
Ein Argument wird immer bemüht, wenn es darum geht, eine verstärkte Einwanderung zu rechtfertigen. Die Migranten seien in der Regel besonders motiviert, im Leben voranzukommen. Das sei für die Aufnahmeländer unter ökonomischen Gesichtspunkten ein Gewinn. Paul Collier hat in seinem schon erwähnten Buch „Exodus. Warum wir Einwanderung neu regeln müssen“ (2014) diesem Argument einen zweifelhaften moralischen Wert zugesprochen: „Ein Talenttransfer von armen in reiche Gesellschaften ist nicht unbedingt etwas, das weltweit gefeiert werden sollte.“ An konkreten Beispielen weist er nach, dass der Brain Drain der Durchsetzungsstarken und Risikofreudigen den Herkunftsländern einen schweren Entwicklungsschaden zufügt. In London gebe es mehr sudanesische Ärzte als im Sudan, in Paris mehr rumänische Ärzte als in Bukarest. Haiti erlitt, bedingt durch die räumliche Nähe zu den USA, einen extrem starken Aderlass, indem 85% der gebildeten Haitianer auswanderten. Dass mit dem verbleibenden Rest der Staat nicht zu modernisieren ist, liegt auf der Hand. Weiterlesen