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Das Verbot der professionellen Sterbehilfe vom 6.11.2015

 Von Prof. Dr. Monika Frommel:

 Gegen die grundlegende strafrechtliche Regel, dass Beihilfe zu einer erlaubten Tat, dem wohlüberlegten Freitod, nicht verboten sein kann, sie gilt seit 1871, beschloss der Bundestag am 6.11.2015, die „geschäftsmäßige Sterbehilfe“ zu verbieten. Laien mag es einleuchten, wenn man rhetorisch formuliert und sagt, niemand dürfe mit der Not sterbewilliger Menschen Geschäfte machen. Aber darum geht es nicht, wenn Menschen erfahrene Ärzte um Rat fragen, weil sie nicht mehr weiter wissen. Und selbstverständlich rechnen Ärzte Beratungsgespräche ab. Das Gesetz hätte also alle Ärzte von dieser Regelung ausnehmen müssen, wenn sie umfassend beraten, Alternativen aufzeigen und dann Sterbehilfe im Rahmen des geltenden Strafgesetzes leisten, also die Letztentscheidung dem Patienten aufbürden. Ein Strafgesetz mit einem derartig dehnbaren Inhalt hat aber unkalkulierbare Wirkungen. Staatsanwälte können – bleibt dieses Gesetz so bestehen, wie es nun einmal formuliert ist – Ermittlungsverfahren einleiten gegen Ärzte, die sich nicht durch das extrem Patienten unfreundliche Berufsrecht einschüchtern lassen. Sie können dann Patientendateien beschlagnahmen, die Angehörigen vernehmen und am Ende einen Sachverhalt formulieren, der – je nach Sicht – den Vorwurf der Geschäftsmäßigkeit bereits dann bejaht, wenn „Beratungsgespräche“ dokumentiert worden sind. Sie werden dann diesen verkürzt formulierten Sachverhalt den für den Arzt oder die Ärztin zuständige Landesärztekammern zuleiten, die dann berufsrechtliche Sanktionen prüfen kann. Wäre die organisierte Ärzteschaft in Deutschland offen für die Belange der Patienten, bestünde keine Gefahr. Aber leider ist sie – je nach Bundesland leicht variierend – zurzeit die einzige Institution, die sich dem Sterbewunsch der Menschen verschließt. Denn hätten sie sich in der Vergangenheit geöffnet, gäbe es die Sterbehilfe-Vereine, die nun verboten werden sollen, nicht. Was für eine absurde Reihenfolge. Palliativmedizin und die von Strafgerichten allen Bürgern und Bürgerinnen zugesicherte Möglichkeit des Behandlungsabbruchs sind wichtig. Aber sie haben begrenzte Möglichkeiten. Immer bleiben Fälle übrig, bei denen Ärzte und Ärztinnen benötigt werden, die wissen, was sie in diesen Extremsituationen tun können und die dann Ergebnis offen und umfassend beraten. Das können sie künftig nicht mehr ohne Angst, selbst mit der für Berufsrecht zuständigen Stelle in einen Konflikt zu geraten, der für sie das Ende ihrer Berufstätigkeit bedeuten kann. Das hinter diesem Gesetz stehende System ist bedrohlich. Es produziert nicht selbstbewusste und erfahrene, sondern ängstliche Ärzte und Ärztinnen. Im Sinne der Menschen ist das nicht, denn diese antworten in Umfragen (je nach Konfession) in mehr als 80 % bis über 90% für Sterbehilfe.

 

Was macht das Berufsrecht der Ärzteschaft so bedrohlich? Der Zeitpunkt, der dort angesetzt wird, ist der ‚irreversibel einsetzende Sterbeprozess’. Das ist viel zu spät. Auch die Formel, dass Patienten zu an einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leiden müssen, ist sehr restriktiv. Demenzkranke etwa (selbst solche mit einer entsprechenden Bevollmächtigung ihres Vorsorgeberechtigten) und lebensmüde Menschen, die aber trotz Überdruss am Leben durchaus noch eigenverantwortlich entscheiden können (sog. Bilanzselbstmord), werden nicht erfasst. Sie werden allein gelassen. Von einer dem konkreten Menschen zugewandten Verantwortungsethik ist eine solche Haltung, weit entfernt. Deshalb haben alle Fachleute dieses Gesetz abgelehnt. Sie wurden aber, wie das Beispiel der großen Gruppe der Strafrechtslehrer zeigt, nicht gehört. Diese hatten noch im April geschlossen gewarnt vor den damals geplanten Entwürfen.

 

Bedeutungslos war sogar der Einfluss der öffentlichen Meinung. Nur die Art und Weise der Pressemitteilung wurde davon beeinflusst. Statt deutlich zu machen, was dieses Gesetz bewirken wird, sollte es das Bundesverfassungsgericht nicht aufheben oder einschränken, redeten Politiker so, als wollten sie Sterbehilfe nun endlich „begrenzt“ zulassen. Das Gegenteil ist der Fall. Sterbehelfer wie Dr. med. Uwe-Christian Arnold waren bislang ein Hoffnungsschimmer. Allein die Aussicht, selbstbestimmt sterben zu können, half Menschen, mit ihrem Leid besser zurechtzukommen. In Diese Hoffnung hat der Deutsche Bundestag nun den Menschen nun genommen.

 

Prof. Dr. Monika Frommel, 1946 geboren, ist Strafrechtslehrerin und war bis 2011 Direktorin des Kriminologischen Instituts der Universität Kiel. 

 

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Ein Gedanke zu “Das Verbot der professionellen Sterbehilfe vom 6.11.2015

  1. avatar

    Wenn die Einschränkung der geschäftsmäßigen Sterbehilfe „unkalkulierbare Wirkungen“ auf die behandelnden Ärzte hat, welche „unkalkulierbaren Wirkungen“ darf man dann für den Fall der Freigabe der geschäftsmäßigen Sterbehilfe auf die Patienten erwarten?

    Krankheit und Alter sind schon ein Milliardengeschäft mit einer Masse allzu kalkulierter „unkalkulierter Wirkungen“. Wollen wir das kalkuliert unkalkulierte Geschäft auch noch um den Posten „Tod“ erweitern? Fangen wir mit der Sterbeversicherung und dem Facharzt für Sterbehilfe an! Die Sterbefachklinik, mit Fachabteilung für Organentnahme, folgt. Und lassen wir die Pharmaindustrie schon mal die geeigneten Mittelchen für die Zulassung erproben. Freiwillige vor! Kalkulieren wir den Tod! Und als eine der „unkalkulierbare Wirkungen“ lösen wir auch noch unser Überalterungsproblem.

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