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Wider die Generationengerechtigkeit

Wer Generationengerechtigkeit sagt, meint Raub an den Lebenden. Der Begriff ist ansonsten unsinnig. Es gibt schon innerhalb der Generationen keine Gerechtigkeit. So lebt jemand, der wie ich 1949 geboren wurde, in China oder Indien heute in der Regel schlechter als ich und hat dafür ein schwereres Leben gehabt.  Und das gilt natürlich für viele, vielleicht sogar die meisten Menschen meiner Generation in Europa, ja sogar Deutschland, da ich ein in vielerlei Hinsicht privilegiertes Dasein führen durfte. Die Vorstellung, es könne oder müsse gar eine Gerechtigkeit über Generationengrenzen hinweg geben, ist Unsinn und maskiert in aller Regel nur den Wunsch, es von den Lebenden zu nehmen; ob es den Nachgeborenen gegeben wird, können die derart Besteuerten naturgemäß nicht überprüfen; darum ist die Generationengerechtigkeit als Forderung auch undemokratisch.

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Darf Satire wirklich alles?

Selten gehe ich mit der Meinung  konform, die Jakob Augstein in seiner Kolumne „Im Zweifel links“ auf SPIEGEL-online   äußert. Mit seinem letzten Kommentar „Witz, komm raus!“ (18. 04. 2016) bin ich allerdings  voll und ganz einverstanden. Die Botschaft ist so einfach wie treffend: Bei Jan Böhmermanns Machwerk handele es  sich weder um Kunst noch um Satire, sondern um eine Beleidigung. Und eine Beleidigung sei nach unserer Rechtsordnung strafbar – Kanzlerin-Ermächtigung hin oder her.

Mich hat in der öffentlichen Debatte  gewundert, wie sehr  die feinsinnigen Feuilletonisten der liberalen Blätter bemüht waren, das beleidigende Potential des anstößigen „Gedichts“  hinter dem Pathos der Verteidigung von Meinungsfreiheit und  Kunstprivileg  zu verstecken. Man stelle sich einmal folgendes vor: Ein Pegida-Anhänger hätte ein solches Schmähgedicht gegen die Ausländerbeauftrage der Bundesregierung (eine Deutsche mit türkischem Hintergrund) oder gegen Cem Özdemir von den  Grünen oder – noch schlimmer – gegen einen homosexuellen Politiker verfasst. Dann wären die Wogen der Empörung hochgeschlagen und die  wackeren Verteidiger der Meinungsfreiheit hätten nach dem Kadi gerufen. Weiterlesen

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„Je suis Fassbinder“ – Falk Richter und Stanislas Nordey bringen in Straßburg den europäischen Ausnahmezustand auf die Bühne

„Deutschland im Herbst 2016“. So lautet der Untertitel des neuen Stücks „Je suis Fassbinder“ von Falk Richter, das dieser Anfang März im Théâtre National in Straßburg in gemeinsamer Regie mit dem dortigen Intendanten Stanislas Nordey auf die Bühne gebracht hat. Richter und Nordey zeigen, wie die Angst vor dem Terror in das Privatleben hineinwirkt, wie rechte Scharfmacher sich diese zunutze machen und wie wichtig eine klare Haltung von Künstlern zu dieser Entwicklung ist. „Je suis Fassbinder“ setzt so Maßstäbe für die Relevanz des Gegenwarttheaters.

112-Répétition-Stanislas Nordey et Falk Richter © Jean-Louis Fernandez_NB_033

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Ein Gespräch über Böhmermann

In der Causa Böhmermann gibt es meines Erachtens vier mögliche Betrachtungsweisen.
Entweder das Gedicht war eine Beleidigung (1.), oder es war keine Beleidigung (2.).
Wenn es keine Beleidigung war, dann deshalb, weil es eine Belehrung (1.1.) oder eine Satire (1.2.) war. Wenn es eine Beleidigung war, dann hat Erdogan sie entweder verdient (2.1.), oder er hat sie nicht verdient (2.2.), in welchem Falle Böhmermann eine Strafe verdient hätte.

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Böhmermann, Erdogan und kein Ende

Ja, darf er denn das? Bei vielen Diskussionen um Jan Böhmermanns Schmähgedicht gegen den Präsidenten der Türkei habe ich den Eindruck, die Diskutanten wüssten nicht, wovon sie reden. Der „Musik-Express“ hat dankenswerterweise den Text dokumentiert. Hier ist es nachzulesen (und hier):

Sackdoof, feige und verklemmt,
ist Erdoğan, der Präsident…

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Das „Nee“ der Niederlande – das Liberum Veto unserer Zeit?

von Karl Adam:

Nachdem das stolze Polen gegen Ende des 17. Jahrhunderts noch einmal eine kurze politische Renaissance erlebte, sank es im 18. Jahrhundert zum Spielball fremder Mächte herab, bis es, beginnend ab 1772, durch Russland, Preußen und Österreich aufgeteilt wurde und erst ab 1918 wieder als unabhängiger Staat auftauchte.

Schuld an dieser Entwicklung war unter anderem das Liberum Veto, ein Einspruchsrecht, das jeder Abgeordnete im polnischen Parlament, dem Sejm, innehatte und mit dem jeder Beschluss verhindert werden konnte, da Entscheidungen stets einstimmig gefällt werden mussten. Es reichte also ein einziger von einer fremden Macht bestochener Abgeordneter, um die Beschlussfähigkeit des Sejm komplett lahmzulegen. Weiterlesen

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Billiges Geld und die Folgen

Unter Kollateralschäden versteht man im Militärischen die Begleitschäden, die unbeabsichtigt erfolgen, die aber um der  eigentlichen Waffenwirkung willen in Kauf genommen werden. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt es auch Kollateralschäden. Nur sind sie weniger offensichtlich als die militärischen, weil es die Opfer nur allmählich merken, dass sie durch etwas in Mitleidenschaft gezogen werden, das sie nicht beeinflussen können.

Am 10. März 2016  hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf 0,05 % abgesenkt. Das Volumen der monatlichen Anleihekäufe wurde auf 80 Milliarden Euro angehoben. Der Strafzins, den Banken für Einlagen bei der EZB zahlen müssen, wurde auf minus 0,4% abgesenkt. Gleichzeitig wurde signalisiert, dass  dies noch nicht das Ende der Fahnenstange bedeute. Im Jahre 2012 hat  Notenbankchef Mario Draghi  mit seiner geldpolitischen Bazooka die Politik des billigen Geldes eingeläutet. Draghi wollte damit einerseits das Abgleiten in eine Deflation verhindern, andererseits die Unternehmen dazu veranlassen, mit Hilfe von billigen  Krediten  Investitionen vorzunehmen, die das Wirtschaftswachstum ankurbeln sollten. Damit glaubte er die Wachstumsschwäche in der Europäischen Union überwinden zu können. Nach vier Jahren ist es an der Zeit zu fragen, ob  sich diese Voraussagen erfüllt haben. Weiterlesen

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Neue Arbeiterpartei AfD

Bemerkenswert  bei  den drei Landtagswahlen am 13. März 2016 war die Tatsache, dass die  AfD  in allen drei Bundesländern massiv Arbeiter und Arbeitslose  angezogen hat. Beide Wählergruppen stellten mit Anteilen  von 23% / 25% in Rheinland-Pfalz, 30% / 32% in Baden-Württemberg und 35% / 36% in Sachsen-Anhalt die größten Stimmenanteile. Danach folgten erst Selbständige, Angestellte  und als Schlusslicht Rentner. Die Wählerwanderung hin zur AfD aus den anderen Parteien bestätigt diesen Befund. Nach der CDU verlor die SPD am stärksten an die AfD. In Sachsen-Anhalt war es die Linke, die nach der CDU am heftigsten zur Ader gelassen wurde. Die Linke stürzte in dem Land, in dem sie vor der Wahl  sogar Regierungsambitionen gehegt hatte, regelrecht ab. Beide linke Parteien zusammen (SPD / Linke) verloren in diesem Land  18,3% an Stimmen. Ein beispielloser Absturz zweier Arbeiterparteien. Weiterlesen

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Margot Käßmann und der Terror

Soll man Terroristen mit Liebe begegnen? Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, hat einiges Aufsehen provoziert mit ihrer Behauptung, Christen dürften nicht mit Gewalt auf den islamischen Terror reagieren, sondern mit Liebe und Gebet.
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Nach den AfD-Erfolgen: Bleibt Deutschland westlich?

Ein Hotel in Nordzypern, beim Auschecken. Der Angestellte an der Rezeption fragt einen deutschen Touristen nach seiner Zimmernummer – auf Englisch. Der starrt ein Loch in die Luft und sagt gleichmütig: „Deutsch, bitte.“ Nicht, dass er kein Englisch gekonnt hätte. Er war in meinem Alter, ein Wessi, der mindestens vier Jahre englisch in der Schule gehabt haben dürfte und zweifellos in der Lage gewesen wäre, die gefragten drei Zahlen aufzusagen. Aber er wollte nicht. Und mir schien sich da etwas Verstorendes anzukündigen.

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Plädoyer für das Mehrheitswahlrecht

Die Kommunalwahlen in Hessen vom 6. 3. 2016 waren das erste  Menetekel. Die beiden  ehemals großen Volksparteien CDU und SPD sind landesweit  in der Wählergunst unter die 30%-Marke gefallen. In einigen hessischen Städten, wie z.B. in Frankfurt, Offenbach und Wiesbaden,  gibt es keine Partei mehr, die wenigstens ein Viertel der Stimmen errungen hätte. Von Volksparteien kann man wohl kaum noch sprechen, wenn man unter die  magischen Marke von einem Drittel  der Stimmen abrutscht. Es versteht sich von selbst, dass die Bildung der Stadtregierungen unter diesen Umständen schwieriger geworden ist, zumal mit der AfD eine Partei Einzug in die Stadtparlamente gehalten hat, mit der niemand koalieren will. Bei den drei  Landtagswahlen am 13. März 2016 hat sich dieser Trend zur Zersplitterung fortgesetzt. Die ehemaligen Volksparteien CDU und SPD können in den Bundesländern Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt mangels Masse nicht mehr miteinander koalieren. In Baden-Württemberg hingegen ist die neue Volkspartei grün. In allen Landtagen, die am 13. März gewählt wurden, sind jetzt mindestens fünf Parteien vertreten, was die Koalitionsbildung erschwert, da nicht alle miteinander koalieren wollen. Weiterlesen

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