Der „Spiegel“ brachte es auf den Punkt: im täglichen Newsletter „Die Lage“ konnte ich lesen: Das Eklat um Sigmar Gabriels Israelreise „zeigt vor allem eines: Die historisch bedingte Sonderbehandlung Israels stößt mit der Regierung Netanyahu an ihre Grenzen.“
Allgemein
Erosion der Demokratie
Im Jahre 1748 erschien in Genf ein Buch, das sich in der Folgezeit zu einer der bedeutendsten Schriften der Staatsphilosophie entwickeln sollte: „Der Geist der Gesetze“ von Baron de Montesquieu. Der Autor unterscheidet darin drei Staatsformen – Republik, Monarchie und Despotie – und ordnet ihnen bestimmte Merkmale zu. Zur Republik, heute würden wir sagen: Demokratie, gehört für den französischen Philosophen die Trennung der wichtigsten Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative, weil ihre Zusammenballung in einer Hand Freiheit und Gerechtigkeit der Untertanen beschädigen würde. Heute rechnen wir noch eine freie Presse als vierte Gewalt dazu. Die erste Verfassung eines Staates, in die das Postulat von Montesquieu Eingang gefunden hat, ist die amerikanische von 1787. Die darin verankerten „Checks and Balances“ wurden sprichwörtlich für ein Staatsgebilde, das es vermeidet, die Gewalten in wenigen Händen zu konzentrieren. Bis heute kann man Diktatur von Demokratie zuverlässig entlang der Scheidelinie „Gewaltenteilung ja oder nein?“ unterscheiden. Dieser demokratische Lackmustest ist für die Lebenssituation der Menschen bedeutsamer als die Frage nach freien Wahlen. Weiterlesen
Melanie Amanns verstörende Nähe zur AfD
Jeder Journalist kennt das: die Korruption durch Nähe. Die notwendige Symbiose von Beobachter und Quelle führt zu Situationen, bei denen der Unterschied zuweilen verschwimmt. Deshalb sollte man gelegentlich die Themen wechseln. Die „Spiegel“-Journalistin Melanie Amann beschäftigt sich seit vier Jahren ausschließlich mit der AfD. Das hat ihrer Urteilskraft geschadet. Sie ist zu nahe dran.
Matthias Matussek, Benedikt XVI und der Islam
In der „Jungen Freiheit“ gratuliert Matthias Matussek dem früheren Papst Benedikt XVI zum 90. Geburtstag. Das ist ein schöner Zug. Der Opportunismus der Amtskirche, die Joseph Ratzinger, so lange er auf dem Stuhl Petri saß, Hosianna zurief, um ihn und seine Theologie dann möglichst schnell zu vergessen und einem Papst zuzujubeln, der in Vielem das Gegenteil predigt, ist zutiefst unangenehm. Leider gründet Matusseks Lob auf Unkenntnis.
Die Naivität der AfD-Kritikerin Melanie Amann
Melanie Amann kennt „Die Wahrheit über die AfD“. So heißt es jedenfalls auf dem Umschlag ihres Buchs über diese Partei der Neuen Rechten. Leider sind Amanns Kenntnisse in anderen Bereichen eher schwach. Und deshalb weiß sie am Ende zu wenig auch über die AfD; schon gar nicht die „Wahrheit“. Weiterlesen
Wie man Amos Oz vermarktet
Klappentexte sind immer problematisch. Selten kann man sich auf sie verlassen, wenn man wissen will, worum es in einem Buch geht. Aber sie verraten einiges darüber, welche Leser der Verlag ansprechen will und welche Erwartungen er bei ihnen vermutet. Deshalb lohnt es sich, den Klappentext von „Judas“, dem neuen Roman von Amos Oz, zu analysieren.
Ohne Story, kein Film: „Tiger Girl“
Die Misere des deutschen Films hat viele Gründe, allen voran die staatlich geförderte Überproduktion. Künstlerisch freilich lässt sie sich auf einen einfachen Begriff bringen: Geringschätzung der Handlung. Ohne Story kein Film. Dafür liefert „Tiger Girl“ wieder einmal den Beweis. Weiterlesen
Fiktionale Geschichtsklitterung
Schriftsteller sind keine guten Gewährsleute für die Verkündigung historischer Wahrheiten. Aus der Stalin-Ära ist bekannt, dass intelligente Autoren, die bei der Entlarvung des Kapitalismus jeden Scharfsinn aufboten, ihren Verstand abschalteten, als sie Huldigungsgedichte an den sowjetischen Diktator verfassten. Die Poeme sind an Peinlichkeit und Zynismus nicht zu überbieten. Hier zwei Beispiele für deutschen Stalin-Kitsch:
„Dort wirst du, Stalin, stehn, in voller Blüte
Der Apfelbäume an dem Bodensee,
Und durch den Schwarzwald wandert seine Güte,
Und winkt zu sich heran ein scheues Reh.“ (Johannes R. Becher)
“ Das Leben hörte ihm zu.
Die er jetzt belehrte,
Hatten ihn viel gelehrt,
Immer horchte er hin in die Masse,
Mit ihren Schmerzen beschwert.
Die er dem Licht zukehrte.“ (Stephan Hermlin)
Wer meinte, solche Geschichtsklitterungen gehörten der Vergangenheit an, wurde jüngst eines Besseren belehrt. Im SPIEGEL 12/2017 erschien ein Text der österreichischen Schriftstellerin Eva Menasse. Weiterlesen
Für eine gerechtere Flüchtlingspolitik
Die Flüchtlingsfrage spielt im beginnenden Wahlkampf kaum eine Rolle. Der Herausforderer der Kanzlerin, Martin Schulz, hat sich auf das Thema „soziale Gerechtigkeit“ eingeschossen. Die CDU sucht, gelähmt vom fulminanten Start des neuen Hoffnungsträgers der SPD, noch für das passende Konzept für den Wahlkampf. Die Grünen bangen um die parlamentarische Existenz und ziehen sich auf ihre Kernkompetenz Ökologie zurück. Die AfD hat parallel zum Aufstieg von Schulz bei den Meinungsumfragen stetig verloren und verharrt nun bei einer Zustimmung von weniger als 10%. Das Chaos, das Mr. Trump in Washington angerichtet hat, dürfte auf etliche AfD-Sympathisanten doch eher abschreckend gewirkt haben. Weiterlesen
Die autoritäre Revolte
Bei einem Vortrag in Schnellroda vor anderthalb Jahren erinnerte sich Björn Höcke an den 9. November 1989. Er und sein Vater hätten die Bilder aus Berlin im Fernsehen angeschaut und seien einander weinend in die Arme gefallen. „Als wir uns voneinander lösten, sagte mein Vater einen Satz, den ich nie vergessen werde. Er sagte: ‚Das ist das Ende des deutschen Volkes.‘“
Wie das Totalitäre beginnt
Als ich im Sommersemester 1968 an der Universität Tübingen mit dem Studium der Germanistik begann, besuchte ich die Vorlesung des hochgerühmten Hölderlinspezialisten Friedrich Beißner. Da das Sommersemester von schweren Turbulenzen der Studentenbewegung geprägt war (Auslöser war das Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968), konnte es nicht ausbleiben, dass Aktivisten vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) in die Vorlesung stürmten, um über die Hintergründe des Attentats – die Hetze der Springer-Presse – zu diskutieren. Der Professor, damals schon hochbetagt, verlangte eine Abstimmung des vollbesetzten Auditoriums. Da die SDS-Studenten ahnten, dass sie keine Mehrheit bekommen würden (Tübingen war eben nicht Berlin), lehnten sie die Abstimmung ab, drängten den Professor vom Vorlesungspult und begannen ihre spontanen Reden. Als die Studenten „ab-stim-men! ab-stim-men!“ skandierten, führte ein „Genosse“ aus, eine Abstimmung sei „nur formaldemokratisch“, während sie eine „inhaltliche Demokratie“ verträten. Als Neuling im akademischen Betrieb und mit der linken Sprachregelung noch nicht vertraut war mir der Unterschied zwischen „Inhalt“ und „Form“ bei demokratischen Abstimmungen noch nicht geläufig. Weiterlesen