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Lehren aus Sarajewo

Reisen bildet, sagt man. Dieser Aussage steht jene gegenüber, der zufolge wir nur sehen, was wir schon wissen. Nun war ich einige Tag in der bosnischen Stadt Sarajewo, und obwohl ich mich nicht gleich als Balkan-Experte aufspielen will, hat dieser Aufenthalt mir einige Dinge klar gemacht, die ich vielleicht tatsächlich vorher gewusst, jedoch selten mit solcher Deutlichkeit gespürt habe. Die Reise war also in diesem Sinne ein Bildungserlebnis.

Was einem in Sarajewo sofort deutlich wird, ist die Unsinnigkeit des Begriffs „ethnische Säuberung“, mit dem in der europäischen Presse das beschrieben wurde und wird, was vor allem die Serben (aber nicht nur sie!) in den jugoslawischen Kriegen 1991 bis 2001 praktiziert haben. Weiterlesen

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Die Grünen und der Kindesmissbrauch

Zur Beurteilung einerseits der Zustände in der katholischen Klosterschule Ettal, wo „über Jahrzehnte ein Regime (herrschte), dem mehr als 100 Kinder und Jugendliche zum Opfer fielen, die „ein Hort von Sadisten und Päderasten, Gewalt und Missbrauch“ gewesen sei, andererseits des Wegsehens und Vertuschens seitens der kirchlichen und staatlichen Behörden sowie der Eltern schreiben die Autoren der maßgeblichen Studie: „Natürlich sind die Taten aus heutiger Sicht anders zu beurteilen als im Kontext der Siebziger- und selbst der Achtzigerjahre.

Begriffe wie sexueller Missbrauch oder Pädophilie sind nur wenigen geläufig, dass Täter oft krankhaft handeln und immer in Gefahr sind, rückfällig zu werden, wissen nur Experten. Weiterlesen

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Merkel trotz alledem. Aber reden wir von alledem

Wie ich an dieser Stelle schon ausgeführt habe: Sonntag wähle ich Merkel. Erststimme CDU, Zweitstimme FDP. Und das, obwohl ich laut Wahl-O-Mat am ehesten mit den Forderungen der Grünen übereinstimme (64% gegen etwa 50% Übereinstimmung mit der Union).

Ich wähle die Fortsetzung der gegenwärtigen Koalition also eher aus Trotz denn aus Überzeugung. Oder aus der Überzeugung heraus, dass Rot-Grün noch schlechter für das Land wäre. Weiterlesen

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Das Ende des progressiven Imperialismus

In seinen Memoiren erzählt Christopher Hitchens von den  Reaktionen seiner politischen Weggefährten auf seine Unterstützung des Afghanistan-Feldzugs nach 9/11. Da der Ex-Trotzkist Hitchens bis dahin immer noch als Linker galt und sich als Linken verstand, waren die meisten entsetzt. Galt doch der von George W. Bush ausgerufene „Krieg gegen den Terror“ unter Linken als schlecht kaschierter Vorwand zur Etablierung eines amerikanischen Imperiums. Hatte Hitchens seine Seele verkauft? Sein Bruder Peter, ein erzkonservativer Publizist, meinte allerdings abfällig, der Einmarsch in Afghanistan sei genau die Art von linkem Abenteuer, für das „Hitch“ immer schon eine Schwäche gehabt habe. Weiterlesen

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Gerhard Schröder, Friedenstaube

Wie nicht anders zu erwarten, steht Wladimir Putin hinter seinem Verbündeten Baschar al-Assad. Dessen Gegner seien „Terroristen“ – wie weiland die Freiheitskämpfer im russisch besetzten Kaukasus – und hätten vermutlich sich selbst vergast, um die USA in den Krieg gegen Syrien zu ziehen.

Solche Töne verwundern nicht von Putin, der als lupenreiner Demokrat die Opposition im eigenen Land – Stichwort Pussy Riot, Michail Chodorkowski, Alexander Litwinenko – mit Polizeistaatsmethoden verfolgt. Erstaunlich ist nur, wie viele Leute im Westen bereit sind, sie nachzuplappern. Weiterlesen

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Die USA müssen Assad eine Lektion erteilen

Im Roman „Im Westen nichts Neues“ kommt der Ich-Erzähler von der Hölle der Westfront auf Heimaturlaub und muss sich anhören, wie seine ehemaligen Lehrer und andere Besserwisser aus sicherer Entfernung über die Notwendigkeit verstärkter Anstrengung schwadronieren, auf dass der Endsieg in diesem gerechten Krieg errungen werde. Mir ist es – auch – darum immer ein wenig unangenehm, als Lehnsesselmaulheld militärische Aktionen zu fordern oder zu begrüßen.

Den Preis für meinen Bellizismus zahlen dann andere.

Freilich zahlen auch andere den Preis für meinen Pazifismus. Weiterlesen

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Der Verfassungsschutz muss aufgelöst werden

 

 

Man könnte die deutsche Empörung über die Spionagepraktiken der amerikanischen NSA – selbst wenn man, wie ich, diese Praktiken für weitgehend gerechtfertigt hält – als Zeichen einer gesunden liberalen, ja geradezu libertären Einstellung werten. Manche Deutsche – darunter auch der Bundespräsident – tun das auch, indem sie darauf hinweisen, die Deutschen seien aufgrund ihrer Geschichte besonders empfindlich gegenüber Geheimdiensten aller Art.

Man könnte das also auch so sehen – wenn man auf mindestens einem Auge blind wäre. Denn im Gegensatz zu allen anderen westlichen Demokratien unterhält die angeblich so sensible Bundesrepublik Deutschland einen Inlandsgeheimdienst, dessen einzige Aufgabe darin besteht, die Gesinnung der eigenen Bürger auszuschnüffeln. Genauer gesagt sind es 17 Geheimdienste – die Verfassungsschutzämter der Länder plus das Verfassungsschutzamt des Bundes. Wir wollen sie aber – trotz der nachgewiesenen Unfähigkeit der Ämter, miteinander zu kooperieren – im Folgenden wie eine Behörde behandeln. Sie gehört abgeschafft.  Weiterlesen

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OK, wen wählen wir nun?

Ich setze voraus, dass Linke und Piraten nicht ernsthaft wählbar sind.  Jedenfalls nicht, wenn man mit seiner Stimme die Regierungsbildung beeinflussen will. Ähnliches gilt für die „Alternative für Deutschland“.
Natürlich kann man der Ansicht sein, dass sich möglichst viele Leute mit interessanten Meinungen im Parlament tummeln sollen. Aber der Bundestag ist keine Talkshow, sondern ein Ort, wo Politik gemacht und kontrolliert wird.
Es geht also um Rot-Grün oder Schwarz-Gelb. Weiterlesen
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Mr Bezos kauft eine Zeitung – und Herr Döpfner verkauft welche

Ich will keine ausführliche Diskurskritik leisten. Sie haben das ja alles selbst gelesen und gehört. Zusammenfassen kann man die Reaktionen auf die neusten Ereignisse in der Presselandschaft etwa so: In den USA finden die meisten Kommentatoren den Verkauf der „Washington Post“ durch die Verlegerfamilie Graham bitter, sehen den Kauf durch den „Amazon“-Gründer Jeff Bezos aber als Chance.  In Deutschland meinen die meisten Kommentatoren, so etwa Moritz Müller-Wirth auf Seite eins der „Zeit“, mit dem Verkauf aller Print-Titel bis auf die Marken „Bild“ und „Welt“ durch Axel Springer „wurde nichts Geringeres als das Ende des Journalismus heraufbeschworen“.

Nun ja.

Der Berliner meint: Hamse’s nich ne Nummer kleener? Weiterlesen

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„Rassismus erkennen & bekämpfen“

Es gibt Leute, denen das „Netzwerk Schule ohne Rassismus Schule mit Courage“ ein Dorn im Auge ist. Und das sind nicht nur unverbesserliche Rassisten, Moslemhasser und ähnliche Spinner. Durchaus ernst zu nehmende Leute aus der florierenden Sozialarbeits- und Sozialreparaturszene meinen, es handele sich bei dem von Sanem Kleff als Leiterin und Eberhard Seidel als Geschäftsführer geführten Projekt um ein gut gehendes, mit öffentlichen Geldern alimentiertes „Familienunternehmen“, zumal beide auch privat liiert seien.

Da mag auch Sozialneid eine Rolle spielen. Ich persönlich finde es zwar bedenklich, wenn die Leitung eines Unternehmens derart quasi-familiär monopolisiert wird, aber am Ende zählt die Effektivität der Arbeit. Und wenn über 1250 Schulen dem Netzwerk angeschlossen sind, wenn Millionen Schüler und Schülerinnen an den Projekttagen, Workshops, Kursen und Veranstaltungen des Netzwerks teilnehmen, kann man eigentlich nichts dagegen sagen. Oder?

Verschiedentlich hatte ich mit dem Netzwerk zu tun. (Bekanntlich hat mir meine publizistische Arbeit gegen Xenophobie und Islamophobie bei den Rassisten von „Politically Incorrect“ den Ehrentitel „Döner-Posener“und eine „Anklage“ u.a. wegen „Volksverhetzung“ und „Lobbyarbeit für eine fremde Macht“ (Israel? Die Türkei?) bei den Nazis von „Nürnberg 2.0“ eingebracht.) Deshalb wurde mir auch die neueste Publikation, „Rassismus erkennen & bekämpfen“, mit dem Vermerk zugeschickt: „Über einen redaktionellen Bericht würden wir uns freuen.“

Nun weiß ich nicht, was ein „redaktioneller Bericht“ für eine Textsorte sein soll. Ich habe jedoch das Heft studiert und darüber in der „Welt“ eine Glosse geschrieben:

 

http://www.welt.de/kultur/article118537332/Rassistischer-Antirassismus-fuer-den-Unterricht.html

 

Ich habe nicht erwartet, dass diese Glosse beim Netzwerk gut ankommt, und sie ist nicht gut angekommen. Einige der wütenden Reaktionen kann man – etwa – auf der Facebook-Seite des Netzwerks nachlesen. Nachdenklicher war da die Reaktion Eberhard Seidels, der mir in einem langen, mit Zitaten aus dem Heft gespickten Schreiben vorwarf, ich hätte die darin vertretenen Positionen verkürzt und verzerrt dargestellt. Nun, dass ich mich in einer kurzen Glosse kurz fassen musste, das versteht sich; und dass ich die Aussagen des Hefts zur Kenntlichkeit verzerrt habe, will ich nicht abstreiten. Es hat ja 71 Seiten.

Ich habe jedenfalls Eberhard Seidel und Sanem Kleff angeboten, mich in einem Forum ihrer Wahl der Gegenkritik zu stellen und meine Kritik etwas näher zu begründen, als es in der Glosse möglich war. Darauf hat es keine Reaktion gegeben, aber vielleicht brauchen die Netzwerker noch etwas Zeit. Da ist es vielleicht nützlich, schon mal auf einige Argumente einzugehen.

In seinem Schreiben an mich, das zugleich der Leserbriefredaktion der „Welt“ zur Veröffentlichung zuging (es ist aber leider dafür viel zu lang), kritisiert Eberhard Seidel: „Sie werfen uns weiterhin vor: ‚Der Massenmord an den europäischen Juden wird, weil er so gar nicht in dieses simple antiimperialistische Schema passt, ganze zweimal – in je einem Satz – erwähnt. Überhaupt wird der Antisemitismus verharmlost.’ Herr Posener, sie hätten es besser wissen können. Alleine in dem Kapitel „Geschichte des Rassismus“ das acht Druckseiten umfasst und die Zeit von der Antike bis 1945 kursorisch behandelt, nimmt das Unterkapitel „Rassismus des Nationalsozialismus“ (Seite 21) zwei Seiten ein.“ Es folgen die zwei Seiten in Kopie, die ich unten kursiv nachdrucke.

Stellen wir zunächst fest, dass auch nach Seidels Angaben die Nazi-Zeit ganze zwei von 71 Seiten umfasst. Wenn Sie diese Seiten lesen, werden Sie feststellen, dass der Massenmord an den europäischen Juden in der Tat ganze zwei Mal – nämlich im ersten und im letzten Satz – erwähnt wird:

 

„Zwischen 1933 und 1945 schufen die Nationalsozialisten in Deutschland ein umfassendes rassistisches Gesellschaftsmodell. Die systematische und industrielle Ermordung von JüdInnen, Sinti und Roma, sowjetischen Kriegsgefangenen, PolInnen u.a. sowie der brutale Einsatz von mehr als sieben Millionen ZwangsarbeiterInnen als Sklaven für die deutsche Gesellschaft während des Krieges waren monströse, durch Rassismus motivierte Verbrechen.

 

Sie haben durchaus mit dem Kolonialismus zu tun. Viele Deutsche hatten nach dem Verlust der Kolonien im Zuge der Niederlage im Ersten Weltkrieg 1918 und während der Weimarer Republik und der Nazidiktatur das Gefühl, im Gerangel um die Kolonien in Afrika und andernorts zu kurz gekommen zu sein. Tatsächlich währte die Ära des deutschen Kolonialismus im Vergleich zu anderen europäischen Nationen relativ kurz, rund 35 Jahre lang – von 1884 bis 1919. Die Nationalsozialisten knüpften mit der Besetzung fast aller Länder Europas während des Zweiten Weltkrieges an den Kolonialismus an. Deutschland übernahm dabei das Konzept des überseeischen Kolonialismus und der Versklavung von Afrikanern und übertrug es auf die Europäer.

 

Namentlich die Slawen, also vor allem Polen und die Bürger der Sowjetunion sowie die europäischen Juden galten den Nationalsozialisten als Untermenschen und waren für die Versklavung und Vernichtung vorgesehen. Die Rechtfertigungen für die Unterwerfung, Versklavung und Ermordung von Millionen Menschen in den besetzten Gebieten haben sich nicht erst die Nationalsozialisten ausgedacht. Die rassistischen Grundlagen dieser Politik waren schon Jahrzehnte vorher ausformuliert.

Seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert versuchten Generationen von Anthropologen, Medizinern, Biologen, Philosophen, Kriminologen und Historikern, die verwirrende Vielfalt der menschlichen Spezies durch die Einteilung der Menschen in „Rassen“ biologisch zu erklären und wissenschaftlich zu messen.

Scharen von Wissenschaftlern vermaßen Schädel, Nasen und Körperlängen diverser Bevölkerungsgruppen. Nach dem Ersten Weltkrieg war es nicht ungewöhnlich, über den Nutzen bestimmter „Menschenrassen“ zu diskutieren. Psychiater und Juristen erörterten das Recht zur „Vernichtung des Lebens unwerten Lebens“, wie sie es nannten. Gemeint waren damit Schwerkranke und Behinderte.

 

Keine politische Bewegung in Deutschland hat so viel Papier produziert wie die zahlreichen Splittergruppen und Sekten der völkischen Bewegung. Sie radikalisierten die gesellschaftliche Mitte in atemberaubendem Tempo. Galt es für die Mehrheit der gebildeten Bürger und Bürgerinnen um 1890 noch als anrüchig, sich antisemitisch zu äußern, so gehörte der Antisemitismus kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 schon zum guten Ton konservativer Eliten in Deutschland. Vor allem Richter, Juristen und Ärzte bereiteten dem deutschen Antisemitismus die Bahn. Alte antijüdische Vorurteile vom Finanzjudentum und der Verschwörung zur Erreichung der Weltherrschaft wurden wieder aufgegriffen und in ein geschlossenes „Rassenkonzept“ integriert. „Der Jude“ wurde zum Inbegriff des Dämonischen und abgrundtief Bösen.

 

Kultur besaß nur der „nordische Herrenmensch“. Jener sei besonders kreativ, habe eine niedrige Kriminalitätsrate, ein Bedürfnis nach Eroberungen und sei zur Weltherrschaft auserkoren, während z.B. der „ostische Mensch“ als bäuerlicher Typ sich nach einem bescheidenen und mit weniger Rechten versehenen Leben unter „arischer Führung“ sehne. Juden und „Zigeuner“ galten in dieser Logik als gefährliche „Gegenrassen“, die man bekämpfen und ausgrenzen musste. Rassentheoretiker lieferten die Deutungen und Definitionen für alle Lebensbereiche. Mit ihren Lehrwerken, Schriftenreihen, Reiseberichten, Fachzeitschriften und Sammelbänden zur Rassenkunde füllten sie zahlreiche Forschungsbibliotheken und Archive. Ob man als Bauer oder Stadtbewohner lebte, sich klassenkämpferisch oder soldatisch gab oder eine Karriere als Krimineller oder Beamter verfolgte – alles wurde während des Nationalsozialismus „rassisch“ begründet.

 

Die Nationalsozialisten haben im mörderischen Spiel um „Rasse, Blut und Gene“ nichts substanziell Neues erfunden. Ihr politisches Erfolgsrezept bestand darin, während der Zeit der Weimarer Republik die rassistischen Ideen und Akteure der deutschen Gesellschaft geschickt zusammengeführt und radikalisiert zu haben. Rassismus wurde nun zum Maß von Recht und Gesetz.

Nach 1933 hatten insbesondere die Berufsgruppen der Lehrer, Ärzte, Juristen und Journalisten die Aufgabe, das gesammelte rassistische Wissen in Schulen und Hochschulen, Gesundheitsämter, Krankenhäuser, Justiz, Medien, Kunst und Kultur zu tragen. Die gesamte Gesellschaft sollte nach rassistischen Prinzipien erfasst und neu geordnet werden.

 

Zentral war ein radikaler Antisemitismus: Die Vorstellung, dass die „arische Rasse“ mit einer vermeintlich „jüdischen Rasse“ in einen Kampf auf Leben und Tod verstrickt sei, fand ihren rechtlichen Ausdruck in den Nürnberger Gesetzen von 1935 (‚Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre‘ und ‚Reichsbürgergesetz‘), mit denen die Ausgrenzung der Juden aus der deutschen Gesellschaft rechtlich legitimiert und die fast vollständige Vernichtung des europäischen Judentums erst möglich wurde.“

 

Vieles von dem, was auf diesen zwei Seiten steht, ist ja richtig. Was aber vor allem auffällt, ist eben das, was ich ein „simples antiimperialistisches Schema“ genannt habe. Weil „viele Deutsche“ das Gefühl hatten, beim Gerangel um die Kolonien zu kurz gekommen zu sein, hätten sie „das Konzept des überseeischen Kolonialismus und der Versklavung von Afrikanern einfach auf Europa übertragen.“

Es folgt dann die Aussage, dass besonders die Slawen und Juden zur Versklavung und Vernichtung – analog den „Afrikanern“, nehme ich an – vorgesehen gewesen seien.

Abgesehen davon, dass es selbst in den schlimmsten europäischen Kolonien – den afrikanischen Besitzungen der Belgier und Franzosen – seit Anfang des 19. Jahrhunderts keine Sklaven gab, und dass eine systematische „Vernichtung“ der „Afrikaner“ nie Politik irgendeiner europäischen Macht war; abgesehen davon, dass – im Gegenteil – die britische Marine im gesamten indischen Ozean während des gesamten 19. Jahrhunderts Jagd auf arabische Sklavenhändler machte, ihre erbärmliche menschliche Fracht befreite und den Unglücklichen – etwa – auf den Seychellen eine neue Existenz ermöglichte; abgesehen also von der Geschichtsklitterung, die den Vernichtungs- und Unterwerfungskrieg der Deutschen im 20. Jahrhundert als bloße Variante des Kolonialismus darstellt, womit er im Grunde genommen verniedlicht wird, abgesehen davon, ist es schlicht und einfach unsinnig, den Holocaust abzuleiten aus dem Gefühl „vieler Deutscher“, in Sachen Kolonien zu kurz gekommen zu sein.

Niemals war es Ziel nationalsozialistischer „Judenpolitik“, die Juden sozusagen als Kolonialvolk zu halten und auszubeuten. Ja, es stimmt, die Autoren des Hefts schreiben auch: Alte antijüdische Vorurteile vom Finanzjudentum und der Verschwörung zur Erreichung der Weltherrschaft wurden wieder aufgegriffen und in ein geschlossenes „Rassenkonzept“ integriert. „Der Jude“ wurde zum Inbegriff des Dämonischen und abgrundtief Bösen.

Das klingt zunächst richtig. Aber es handelte sich beim Antisemitismus der Nazis eben nicht darum, dass „alte jüdische Vorurteile wieder aufgegriffen“ wurden; schon gar nicht wurden diese „alten Vorurteile“ in ein „geschlossenes Rassenkonzept integriert“. Vielmehr war es so, dass die Vorstellung, „der Jude“ beute „den Deutschen“ aus, habe es auf sein Leib und Leben abgesehen, stecke als „Wallstreetjude“ und „Kremljude“ hinter den Hauptfeinden der Deutschen und der Menschheit, Kapitalismus und Kommunismus, hinter Sozialismus, Liberalismus, Materialismus, Relativitätstheorie und so weiter und so fort – vielmehr war es so, dass diese Vorstellung, der Arier sei Opfer des überlegenen Juden, ganz und gar nichts zu tun hatte mit dem Kolonialismus und der paternalistischen Vorstellung edler Wilder oder unterlegener Kinder zu tun, die Anfang des Jahrhunderts herangezogen wurde, um die fortgesetzte Herrschaft der Europäer über ihre Kolonien zu rechtfertigen.

Die Vorstellung, dass die „arische Rasse“ mit einer vermeintlich „jüdischen Rasse“ in einen Kampf auf Leben und Tod verstrickt sei, wird ja auch gegen Ende des Textes beschworen. Wie das aber gemeint und begründet war; wie sich dieser „eliminatorische Antisemitismus“ vom milden Antisemitismus unterschied, den es durchaus auch in den USA und Großbritannien, in Frankreich und Italien gab – all das wird nicht erklärt; eben weil es nicht in das „simple antiimperialistische Schema“ passt, dem das Heft verpflichtet ist.

Und das hat eben doch Methode. Denn der starke und wachsende Antisemitismus unter Arabern, Türken, Russen, Polen und anderen Zuwanderergruppen hat eben auch nichts mit dem Kolonialismus zu tun; er entspringt ja auch oft nationalsozialistischen Quellen („Mein Kampf“ ist in all diesen Ländern ein Bestseller); und mit der Dämonisierung Israels, dem man ja nicht, was durchaus diskutierbar wäre, eine gewisse Sturheit vorwirft, sondern – wie es auch Günter Grass und Jakob Augstein getan haben – im Grunde die Manipulierung und Gefährdung der gesamten westlichen Welt, ist der Antisemitismus in neuem Gewand wieder entstanden; wie denn der Antisemitismus seinerseits die Fortsetzung des christlichen Antijudaismus im „wissenschaftlichen“ Gewand war. Freilich ist vom Antizionismus ebenso wenig die Rede wie vom Zionismus; das Wort „Israel“ fällt an keiner Stelle; und obwohl viele Seiten des Hefts dem heldenhaften antikolonialen Kampf der unterdrückten Völker gewidmet sind, wird der Kampf der Juden in Palästina für nationale Selbstbestimmung gegen die Briten konsequent beschwiegen.

Das sind keine Trivialitäten.

Das sind keine Flüchtigkeitsfehler.

Das könnte auch Eberhard Seidel „besser wissen“; und weiß es wohl auch besser; anders kann ich mir sein Schweigen auf meine Aufforderung hin, sich meiner Kritik in einer öffentlichen Diskussion zu stellen, nicht erklären.

 


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Syrien muss geteilt werden

Als Jugoslawien nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur implodierte und sich Serben, Kroaten, Albaner, Christen und Muslime an die Gurgel gingen, war die Lösung relativ schnell gefunden: Der künstliche Staat wurde in seine Bestandteile zerlegt, jedes Völkchen bekam seinen Mini-Staat. Lediglich Bosnien wurde als multi-ethnisches, multi-religiöses Feigenblatt beibehalten. Heute sind all diese ethnisch weitgehend homogenisierten Zwergstaaten halbwegs funktionierende Demokratien oder doch wenigstens keine failed states.

Slowenien und Kroatien sind bereits Mitglieder der Europäischen Union, die anderen werden früher oder später folgen. Lediglich das multiethnische Bosnien funktioniert bis heute nicht als Staat und wird faktisch vom Hohen Repräsentanten der EU als Protektorat regiert.

Dabei war Jugoslawien im Vergleich zu Syrien ein ganz gut funktionierendes föderales Gebilde. Syrien hingegen ist ein von den britischen und französischen Regierungen aus der Konkursmasse des Osmanischen Reichs zusammengeschustertes Gebilde, das nie als Nation – geschweige denn als Demokratie – funktioniert hat. Weiterlesen

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