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Die Abenteuer des Joseph Samuel Posener (6): Geschäftsmann werden

Heute den 18ten December (1843) seit drey Monath arbeite ich in (diesem) Hause, und habe schon ungefehr an 50 Thaler gespaart, Reichtum welcher zum ersten mahl meines Lebens in besitz gekommen, ich habe beschlossen mit diesem Gelde mit noch ein College mich zu Etabliren, mit der Sprache geht es schohn so ziemlich. —

Seit 3 Monahten das wir Etabliert sind, es geht so ziemlich gut, zwar müssen wir sehr schwehr arbeiten, aber es bringt seine Früchte, wir haben schohn wehrend der Zeit einige hundert Thaler gespart, und ich erwarte nun die Gelegenheit um Euch meine lieben Eltern mit etwas Unterstützen zu können.

Der Ehrgeiz, ein eigenes Geschäft zu eröffnen, selbstständig zu werden, sich zu Etabliren“, ist so bemerkenswert wie der Fortschritt bei der Beherrschung der neuen Sprache, des Portugiesischen.

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Die Abenteuer des Joseph Samuel Posener (5): Reise nach Rio

Mit dem Schiff „Warsaw“ verlässt Joseph nach seinen Angaben am 7. Juli 1843 New Orleans. Erst am 16. September erreicht er Rio de Janeiro. Er selbst spricht allerdings von 103 Tagen und „beinahe vier Monaten“. Entweder stimmt das Datum 7. Juli nicht, und er meinte 7. Juni, bzw. nicht den 16. September, sondern den 16. Oktober, oder er übertreibt – wozu der mittlerweile 21-Jährige auch neigt. Das Schiff „Warsaw“ war übrigens ein Schooner, also ein Segelschiff, das damals zwischen verschiedenen lateinamerikanischen Häfen und New Orleans als so genanntes „packet ship“ unterwegs war. Ab 1853 wurde es als Lastenschiff auf dem Sacramento-Fluss eingesetzt. Wie es von New Orleans nach San Francisco kam, weiß ich nicht, zumal es offenbar schon 1843 kaum noch seetüchtig war.

Heute den 16ten September 1843 bin ich in Rio de Janeiro Haupt-Stadt Brasiliens angelangt. Die Herrliche, Reizende und Romantische Ansicht der Einfart im Hafen hat mich so Ueberrascht, das ich die langen mit 103 Tagen Seereise für einen Augenblick vergessen hatte. Meine Seereise oder vielmehr Unsere, den wir waren unserer 24 Passagiere, wie gesagt, unsere Seereise war in dieser Hinsicht ohne Gefahr, indem wir wenig starken Wind, und sogar sehr viel Windstille hatten. Das Schiff an sich war schohn sehr alt, und zog folglich ziemlich Wasser so viel daß alle zwey Stunden (gepumpt?) wurde, um dem Wasser nicht zuviel Ueberhand zu lassen. Und wir schätzten uns Alle einer großen Gefahr gerettet den Tag, den wir glücklich in Rio de Janeiro anlangten.

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Die Abenteuer meines Urgroßvaters Joseph Samuel (4): Abgestürzt in New Orleans

Von New York aus reist Joseph Samuel per Schiff nach New Orleans, wo ihn sein Bruder Julius erwartet. Julius ist bereits ein erfolgreicher Geschäftsmann.

1842

Mein Bruder hat mich sehr gut Eingekleidet und gab reine Wäsche, aber solche feine und schon gewaschene Wäsche habe ich nie früher gesehen. Ich bin wirklich sehr Glüklich, mein Bruder ist der beste Mänsch wo man Sehen will. Ich habe Ihm heute vorwurfe gemacht, warum das Er seine Eltern so schlecht behandelt, und er hat mir versprochen Ihnen etwas Geld zu schikken. – Ich gehe herum Spazieren mein Bruder will noch nicht das ich anfangen soll zu Arbeiten, und was will ich mehr haben? Ich habe Geld, so viel ich Nöhtig habe, mein Bruder nimt mich zu Allen Vergnügungen mit, und ist kein Mensch auf der Welt Glüklicher als wie ich.

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Die Abenteuer meines Urgroßvaters Joseph Samuel (3): Von Liverpool nach New Orleans

Im Mai 1840 ist der mittellose jüdische Schneidergeselle Joseph Samuel aus der preußischen Provinz Posen (daher „Posener“) nach England aufgebrochen. 

Ich bin bereits neun Monate hier, und habe kaum mein Reisegeld zusammen, jedoch hatte ich das Glükk mir 2 Pfund Sterling zu sparen, welche ich heute den 15ten April 1841 an meine Eltern sende. Wie glükklich werden sie sein, wenn sie diesen Beweis meiner Zährtlichkeit sehen werden und wie froh und glüklich bin ich selbst fürs erste mahl seitdem ich vort bin meine Eltern ein wenig unterstützen zu können. Ich hoffe der Allmächtige Gott wird mir helfen solches für immer prakziziren zu können.

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Die Abenteuer meines Urgroßvaters Joseph Samuel (2): von Berlin nach Liverpool

Der zweite Teil des Tagebuchs, das mein Urgroßvater Joseph Samuel, der sich später Posener nennen musste, über seine Auswanderung aus und Rückkehr nach Preußen führte.

Den 10ten May 1840 bin ich in Berlin angelangt. Mein böser Fuss ist die Ursache, dass ich die Stadt nicht sehen kann!
Den 16ten habe ich Berlin verlassen und komme den 19ten in Hamburg an, ich muss all mein bisschen Geld für die Seereise nach England anwenden, nicht allein das Geld, sondern auch eine alte Uhr, welche mir mein Schwager Wolf zum Andenken gegeben hat, habe ich verkaufen müssen, um das ganze Reisegeld zusammen zu machen.
Den 24ten dieses, bin ich in Hull (England) angelangt. Wir waren 3 Tage zur See und wir hatten sehr schlechtes Wetter, obgleich ich das Wetter gar nicht gesehen habe, indem ich alle 3 Tage sehr seekrank war und habe viel Übel und Schmerzen daran gefunden; wir kamen in Hull des Nachts an, und mein ganzes Vermögen (musste ch ausgeben, um) die erste Nacht mein Logie (zu bezahlen). Nun jetzt bin ich in der grossen weiten Welt, ich verstehe kein Wort von der Sprache, und es fängt mich zu hungern. Ich kann keine Arbeit finden, obgleich ich mir solche viele Mühe gegeben habe um solche zu suchen. Der liebe Gott weiss, wie es mir gehen wird. Mein Reisekamerad Wolf Lippmann ist auch schon in (unleserlich), er schreibt aber heute an seinen Bruder, wo er hofft, etwas Geld geschikt zu bekommen. Er ist sehr gut für mich, und hat mir versprochen Wortzuhalten.

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Die Abenteuer meines Urgroßvaters Joseph Samuel aus Wirsitz (1)

Mein Urgroßvater väterlicherseits, ein Ostjude aus der damals preußischen Provinz Posen, heute Großpolen, hinterließ ein Tagebuch. Es beschreibt, wie er 1840 als armer Schneidergeselle aus seinem Dorf Wirsitz bei Schneidemühl aufbricht, um zuerst in Großbritannien, dann den USA, schließlich Brasilien sein Glück zu machen, und wie er 1856 als wohlhabender Mann in seine Heimat – nach Berlin allerdings, nicht Wirsitz – zurückkehrt. Joseph war also das, was man heute abschätzig einen Wirtschaftsflüchtling nennen würde. Ich werde das Tagebuch hier abschnittsweise veröffentlichen und gegebenenfalls kommentieren. Es ist ein Dokument des jüdischen Aufstiegswillens. Original-Orthografie und Grammatik sind beibehalten. Joseph war kein gebildeter Mann.

Es ist ein jeden Menschen seine Schuldigkeit, der Gesellschaft eine klare Rechnung seiner
Thaten, Handel und Gewerbe zu geben. Der Mensch ist nicht allein dieses an der Gesellschaft
schuldig, sondern sich selbst und seinen Eltern. Wenigstens ist dieses mein Vorsatz, das wenn ich
mein Geburts-Ort verlassen soll, alle meine Thaten, Gute oder Schlechte (welches ich zu Gott
bitte, mich nur zur Besten zu leiten) in diesem kleinen Heft nieder zu schreiben, um das wenn ich
einst durch einen Unglücksfall sterben sollte (indem ich den Allmächtigen Schöpfer anflehe diesen
großen Grahm nicht so bald meinen guten Eltern zuzufügen) wie oben gesagt, wenn mich der
große Gott so hoch strafen sollte, auf meinen Reisen umzukommen, dass wenigstens meine
Eltern über mich urtheilen können.

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Das Jagger-Richards-Songbuch (16): The Singer Not the Song

Mein alter Freund Paul Badde schrieb im Vorwort zu „Ohne Filter„, der Autobiographie von Bernie Conrads, dieser Song sei „Stuss“. Das hat meinen berüchtigten Widerspruchsgeist provoziert; außerdem habe ich, ohne je besonders auf den Text zu achten, diesen Song immer geliebt und schon als 15-Jähriger mit meiner Schulband gesungen.

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Dem Zynismus eine Gasse oder ein Gassenhauer: „You Like Me Too Much“

Als Beatle-Fan war „Help“ für mich eine Enttäuschung, wie schon „Beatles For Sale“. Die Beatles wirkten auf beiden Alben abgekämpft und einfallslos. Andere Bands wie die Rolling Stones, Kinks, Pretty Things, Byrds waren musikalisch aufregender; Bob Dylan zeigte, was man alles an Text in einem Rocksong unterbringen konnte, aber die Beatles …

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Der anachronistische Zug (frei nach Bertolt Brecht)

Sommer wurd‘s in deutschem Land
An Unis und am Badestrand
Wurde wieder Haut gezeigt
Nebenbei Hamas geliked

Denn vom Süden, dem globalen
Bewegte sich von Postkolonialen
Ein modischer und schicker Zug
Der eine alte Losung trug

Miniröcke, Palli-Tücher
Gucci-Taschen, Butlers Bücher
Und man rief so etwas wie:
From the River to the Sea

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Das Jagger-Richards-Songbuch (15): Memory Motel

Songs mit Hotels spielen in der Rockmusik eine große Rolle, was nicht verwunderlich ist, weil Rockmusiker notgedrungen viel Zeit in Hotels verbringen. Wenn sie Glück haben. Ich erinnere mich an eine Tournee mit der „Berlin Blues Band“, wo wir – vermutlich aus Versehen – angeheuert wurden, in einem Sylter Puff zu spielen und anschließend in den vakanten Fickkabinen übernachten mussten … andere Geschichte.

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„Let It Be“: Ein Song gegen den Strom der Zeit

Es gehörte schon Chuzpe dazu, der aufgewühlten post-68er Jugend „Let It Be“ als Abschiedssingle zuzumuten. Ein Song, der allem Aufbegehren gegen „times of trouble“, und „darkness“ eine Absage erteilt und der Weisheit der „Mother Mary“ vertraut: Lass gut sein, es wird schon.

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