Martin Schaefer meinte, „Memories“ sei der einzige brauchbare Song auf dem Album „Death of a Ladies‘ Man“. Der Meinung bin ich bekanntlich nicht. Aber „Memories“ ist kein schlechter Song.

Songs von Leonard Cohen (9): Memories

Martin Schaefer meinte, „Memories“ sei der einzige brauchbare Song auf dem Album „Death of a Ladies‘ Man“. Der Meinung bin ich bekanntlich nicht. Aber „Memories“ ist kein schlechter Song.
Kürzlich las ich das Buch „Leadership“ von Henry Kissinger. Obwohl ich nie ein Bewunderer Kissingers war (persönlich begegnete ich ihm nur zweimal in kleinerer Runde, einmal im Springer-Journalisten-Club in Berlin, einmal in einem noch exklusiveren und darum erheblich schäbigeren Club in London), haben mir die Porträts politischer Führungsgestalten in diesem Buch gut gefallen, besonders die von Konrad Adenauer, Charles de Gaulle, Margaret Thatcher und Lee Kuan Yew. Die Porträts von Richard Nixon und Anwar as-Sadat haben es mir weniger angetan; vielleicht war Kissinger hier zu nahe dran. Aber darum geht es mir hier nicht.
Wahrscheinlich könnte ich einen schönen Distinktionsgewinn einheimsen, wenn ich sagen würde, „Death of a Ladies‘ Man“ wäre mein Lieblingsalbum von Leonard Cohen. Leider wäre das gelogen, ich muss also auf den Originalitätsbonus verzichten. Aber ich mag das von Phil Spector produzierte Album doch; auch und gerade, weil Cohen hier mit seiner normalen Gesangsstimme auftritt, weil ihm Spector nicht die künstliche Tiefe gönnt, die zuweilen dazu dient, auch gedankliche Tiefe dort zu insinuieren, wo sie zum Glück nicht vorliegt.
Es ist leicht, diesen Song zu lieben. Deshalb muss er nicht schlecht sein. Da ist die Melodie, diese in Moll gesetzte Version des unheimlichen englischen Kinderreims „Three Blind Mice“, und da ist, in der Album-Fassung, das Duett mit Janis Ian; aber von der Musik will ich ja bei diesen Exegesen nicht reden, hier geht es immer um die Texte.
Vorneweg: Dieser Song ist geklaut. Das kommt bei den besten Musikern vor. George Harrison klaute die Melodie von „My Sweet Lord“ Note für Note von „He’s So Fine“, einem Song, den Ronnie Mack für die Girlgroup The Chiffons schrieb. John Lennon klaute die erste Zeile von „Come Together“ von Chuck Berrys „You Can’t Catch Me“, dem sein Song auch musikalisch ähnelt. In beiden Fällen ist das Original besser, musikalisch und textlich („Doo lang doo lang doo lang“ ist doch viel, viel schöner als „Hare Krishna“, und Chuck Berrys Song über sein neues Auto, mit dem er allen davonfahren kann, ist viel besser als Lennons prätentiöse Nonsensverse, auch wenn „He got feet down below his knees“ zugegebenermaßen ziemlich geil ist.).
Ich bespreche diesen Song nicht wegen der schönen Musik, obwohl der Samba-Rhythmus unwiderstehlich ist und ich es schön finde, dass Leonard Cohen hier in seiner normalen Stimme singt – in einer Tonlage, in der ich auch singen kann – und nicht in der zuweilen künstlich wirkenden tiefen Stimme, die sein Markenzeichen ist.
Manche Leute meinen, es gebe zwei Versionen von „Hallelujah“: eine heilige oder doch religiös angehauchte, die Ur-Fassung sozusagen, mit den Strophen 1, 2, 6 und 7, und eine profane Version, nämlich die Strophen 3, 4 und 5. Die Produzentin von „Shrek“ nannte die Strophe 4 sogar „schmutzig“ und ließ Rufus Wainwright für den Film eine gesäuberte Version davon singen. Aber wir haben schon gesehen, dass auch die beiden ersten Strophen die Bibelhelden ironisch zitieren und von den schmutzigen Tricks der Musik und der Liebe handeln.
Ich dachte, ich könnte es langsam angehen, die Spannung steigern, den Höhepunkt hinauszögern – aber diese beim Sex durchaus empfehlenswerte Taktik funktioniert hier nicht – schlicht, weil mir der Song nicht aus dem Kopf geht und mir ständig neue Ideen dazu einfallen. „Hallelujah“ also. Leonard Cohens erfolgreichster Song, und leider aus den falschen Gründen erfolgreich.
Dass ich ein anderer sei, das wissen wir; aber wer ist Du? Wer will es dunkler? „You Want It Darker“, so heißt das letzte zu Lebzeiten Leonard Cohens veröffentlichte Album. Als ich den Titel las, dachte ich, der Mann gestatte sich einen letzten Scherz mit seinen Fans: Ihr wollt es noch dunkler. Die Stimme tiefer, die Stimmung düsterer. Bitte sehr.
Der BILD entnehme ich, dass die Rot-Schwarze Koalition „das Lügen verbieten“ wolle. Viel Glück damit, möchte man den Koalitionären zurufen. Verwunderlich ist allerdings die Empörung in manchen Kreisen. Mir war nicht klar, wie heilig manchen Leuten das Lügen ist. Dabei sind es oft dieselben Leute, die meinen, Deutschland müsse ein christliches Land bleiben; was ja hieße, dass hier auch das Achte Gebot gilt, Meinungsfreiheit hin oder her.
Vor einigen Wochen passierte mir etwas Schreckliches: Ich fing an. Leonard Cohen zu mögen. Immerhin ist es nicht Neil Diamond. Oder Reinhard May. Aber trotzdem. Natürlich wusste der Cohen, dass es so kommen würde:
You never liked to get
The letters that I sent
But now you’ve got the gist
Of what my letters meant
„Meine Briefe hast du nie gern empfangen, aber jetzt verstehst du ungefähr, was ich sagen wollte.“ So heißt es in „The Letters“ auf dem schönen Album „Dear Heather“ aus dem Jahr 2004. Und aus diesem Hinweis mag man ersehen, dass ich, wie ich so bin, systematisch herangehe, und beim samstäglichen Hausputz ein Cohen-Album nach dem anderen anhöre, nachdem ich so um 1969 herum das letzte Mal ein Album von ihm durchhörte.