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Die Politik hat´s vermasselt: Über die Irrtümer der neuesten Empörungsliteratur

Gegenwärtig haben Empörungsschriften Hochkonjunktur. Den Anfang machte die  Streitschrift „Empört Euch!“  des 95jährigen deutsch-französischen Schriftstellers Stéphane Hessel. Sie wurde in alle europäischen Sprachen übersetzt und diente der Occupy-Bewegung als Erweckungs-Evangelium. Darin geißelt Hessel die „Diktatur der Finanzmärkte, die […] Frieden und Demokratie […] gefährden.“ Für ihn ist die Marktwirtschaft zu einem „Tanz um das goldene Kalb“ geworden.

Dem Leser der Schrift erschließt sich freilich nicht, warum er seiner Suada gegen die „Macht des Geldes“ eine hasserfüllte Kritik an der Politik Israels gegenüber den Palästinensern beimengt („Verbrechen gegen die Menschlichkeit“). Sollten ihn dabei antisemitische Reflexe   umtreiben? Weiterlesen

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Ein Gespräch im Hause Springer über die Zukunft des Euro

Neulich traf ich im Bus auf dem Weg zur Arbeit einen Kollegen aus der Wirtschaftsredaktion, mit dem ich gelegentlich plaudere, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie in Fachkreisen über die Zukunft der Gemeinschaftswährung gedacht wird. Der Kollege war nicht sehr glücklich über einen Kommentar in der „Welt“, in dem die Europäische Zentralbank (EZB) unter Mario Draghi wegen der Ankündigung großer Aufkäufe von Staatsanleihen der Krisenländer als „trojanisches Pferd der Südländer“ bezeichnet worden war.

Der Kollege (K): Draghi hatte doch Recht. Und auch Angela Merkel und Francois Hollande haben Recht, wenn sie sagen, sie würden „alles tun“, um den Euro zu retten. Wir machen uns gar keine Vorstellung davon, was passiert, wenn die Eurozone zerbricht. Das wird der Untergang Deutschlands als Exportnation bedeuten.

Ich: Weil wir bislang von einer im Verhältnis zu unserer nationalen Wirtschaftskraft unterbewerteten Währung profitieren? Weiterlesen

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Dogma oder Barmherzigkeit

In der Schule liebe ich  Vertretungsstunden. In ihnen kann man  Dinge ausprobieren, für die sonst kein Raum ist. So versetzte ich eine 7. Klasse an einem Gymnasium im Osten Berlins in Aufregung, als ich ihr zu Beginn der Stunde mitteilte, die Schulverwaltung habe beschlossen, dass künftig nur noch die Schüler in den Genuss der kirchlichen Feiertage kommen könnten, die Mitglied in einer christlichen Kirche sind.

„Gemein“ und „unfair“ schallte es mir aus der Klasse entgegen. Ich fragte zurück, ob sie denn wüssten, welche Feiertage denn dann wegfielen. Allgemeines Kopfschütteln.  Ich nutzte die Gunst des Augenblicks,  um mit ihnen alle kirchlichen Feiertage des Jahres durchzugehen und ihren historisch-theologischen  Ursprung zu erklären. Dabei konnten mich nur vier Kinder unterstützen, die christlich getauft waren. Weiterlesen

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Religionskritik und Antijudaismus

Die „Vorhautkriege“ habe auch ihr Gutes. So sortiert sich unter den philosemitischen und prozionistischen Islamophoben derzeit einiges. Die einen begreifen, dass ihre Islamophobie sich eigentlich doch ganz gut durch Antisemitismus ergänzt. Die anderen opfern ihre Islamophobie ihrem Philosemitismus.
Natürlich spült die gegenwärtige Diskussion um die Beschneidung eine Menge an Antisemitismus hoch. Wie zwischen legitimer Kritik an Israels Politik und antisemitischer „Israelkritik“ besteht zwischen legitimer, ja notwendiger Kritik an Bräuchen, Texten oder Glaubensinhalten des Judentums und Antijudaismus ein großer Unterschied. Darauf hinzuweisen, ist gerade inmitten der „Vorhautkriege“ nicht unwichtig. Und zwar nach beiden Seiten. Weiterlesen
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Vorhautkriege

Am Montag bekam ich folgende Mail von einem jungen Blogger, den ich nicht zuletzt wegen seines Eintretens für Israel (aber keineswegs nur deshalb) bewundere:

Lieber Alan Posener,
das war ein ganz interessantes Wochenende. Ich habe am Samstag einen Artikel geschrieben, in dem ich gewisse Zweifel daran erkennen lasse, ob es tatsächlich so selbstverständlich sein muss, dass man kleine Jungs beschneidet. Und schon war es vorbei mit der Entspanntheit in Teilen meines jüdisch-christlichen (was wollen die Christen überhaupt?) Bekanntenkreises. Weiterlesen

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Der Club der Guten. Oder: Die Neuerfindung der Vereinten Nationen

In den regnerischen Morgenstunden  des  24. Mai 2014,  im zweiten  Jahr nach seiner Wiederwahl,  hat  Präsident Barack Obama    beim Joggen im Park des Weißen Hauses  ein Erweckungserlebnis. Es ist  keine christliche Wiedergeburt in der Art seines  Vorgängers Georg W. Bush.

Nein, Obama hat eine Vision, die die Welt, wie wir sie bisher  kannten, von Grund auf  verändern sollte. Nach dem Duschen  ruft er sofort seinen engsten Mitarbeiterstab zusammen, um den Vertrauten der Macht  seine grandiose Idee zu unterbreiten. Noch am selben Tag werden wichtige  Schritte in die Wege geleitet. Eine hektische Geheimdiplomatie mit  Vertretern der befreundeten Staaten beginnt. Weiterlesen

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Angela Merkels Vision für Europa – und warum sie nicht funktionieren wird

Vor etwa einem halben Jahr gab Angela Merkel der britischen Zeitung „The Guardian“ ein Interview, in dem sie ihre Vorstellung von der „Finalität“ der Europäischen Union umriss:

My vision is one of political union because Europe needs to forge its own unique path. We need to become incrementally closer and closer, in all policy areas. Over a long process, we will transfer more powers to the [European] Commission, which will then handle what falls within the European remit like a government of Europe. That will require a strong parliament. A kind of second chamber, if you like, will be the council comprising the heads of [national] government. Weiterlesen

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Wissen ist Macht – Nichtwissen ist schick

Der  Berliner Spitzen-Pirat  Andreas Baum  wurde berühmt, weil er vor den Abgeordnetenhaus-Wahlen in Berlin in einer Talkshow  im RBB  mit unschuldiger Miene sein abgrundtiefes Nichtwissen zur Schau stellte. Gefragt, ob er wisse, wie hoch die Schulen  Berlins seien, antwortete er: „Viele, viele Millionen“.

Die Diskussionsteilnehmer waren fassungslos:  Berlin steht mit über 63 Milliarden € in der Kreide. Irren ist menschlich. Doch:  Die Piraten schickten sich nicht an, die Quizkönige Deutschlands zu werden, sie kandierten für ein Parlament, das Gesetze beschließt und dessen vornehmstes Recht das Budgetrecht ist. Darf da irren auch noch menschlich sein?

Von Wladimir I. Lenin ist der Spruch überliefert: „Lernen, lernen und nochmals lernen!“ Weiterlesen

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Zehn Fragen zum Verhältnis von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat

  1. „Der Mensch ist frei geboren und liegt doch überall in Ketten“, sagte Jean-Jacques Rousseau. Man könnte auch sagen: in der Theorie kommt zuerst das freie Individuum und dann der freiheitliche Staat, in der Praxis ist das Individuum nur frei, wenn der Staat freiheitlich ist. ist die Theorie deshalb falsch?
  2. Im Kalten Krieg standen sich die Freie Welt und der Kommunismus unversöhnlich gegenüber. Zweifellos stand der Westen auf der richtigen Seite der Geschichte – auf der Seite der Freiheit. Aber: hätte ein Martin Luther King richtig gehandelt, wenn er die Zusammenarbeit mit Kommunisten und Sympathisanten der KP der USA abgelehnt hätte? Ich meine nicht: Wäre das politisch opportun gewesen, sondern: wäre es richtig? Weiterlesen
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Düstere Nachrichten aus dem Keller der Gesellschaft

Die Präsentation des  nationalen   Bildungsberichtes, den die Kultusministerkonferenz (KMK) und das Bundesbildungsministerium   alle zwei Jahre vorstellen, ging dieses Jahr recht geräuschlos über die Bühne. Für einen kurzen Aufreger im politischen Berlin sorgte lediglich der verklausulierte Hinweis darauf, dass das von der Bundesregierung geplante Betreuungsgeld nicht hilfreich sei, weil es dazu führe könne, dass Kinder  die frühen Bildungsangebote in der Kita nicht annehmen.

In der Kita betreute Kinder – so der Befund des Berichts – starten  besser  in der Schule,  weil sie in der Kommunikation  mit anderen Kindern  ihr Deutsch verbessern. Der in den letzten Jahren verstärkt erfolgte  Ausbau der Kinderbetreuung ist   einer der Hauptgründe für das allgemein gestiegene Bildungsniveau unserer Schüler. Eine positive Zahl belegt dies: Zwischen 2006 und 2010  verringerte sich die Zahl der Schulabbrecher  pro Jahrgang von 8 %  auf 6,5 %. Weiterlesen

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Warum der Euro scheitern wird

Der Euro scheitert an seinen eigenen Widersprüchen. Wenn nicht jetzt, dann später

1. Es ist ein Gemeinplatz zu sagen der Euro sei kein ökonomisches, sondern ein politisches Projekt gewesen. Diese Aussage ist nicht deshalb falsch, weil sie ein Gemeinplatz ist, aber sie bedarf der Ergänzung.

2. Ursprünglich sollte die politische Union der wirtschaftlichen Union Europas vorausgehen – oder ihr zumindest schnell folgen. Das war die Position der Bundesregierung und der Bundesbank, der Wirtschaft und der Politik, bis Anfang der 1990er Jahre. Aus welchen Gründen auch immer: Helmut Kohl gab diese Position auf. Weiterlesen

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