
Alan Posener


Wenn Atheisten beten
Atheist werden ist nicht leicht. Eigentlich liegt es eher nahe, irgendwie religiös zu sein. Obwohl meine Eltern beide nicht besonders gläubig waren (mein Vater ein jüdischer Agnostiker mit Sympathien für das Christentum, meine Mutter eine anglikanische Agnostikerin mit einer Schwäche für Astrologie), war ich als Kind ein frommer Christ.
Allerdings rang ich als Neunjähriger mit folgendem Problem: Wenn ich der Sohn Gottes wäre, und ich wüsste, dass mein vorübergehender Tod die Welt erlösen würde – na, dann würde ich mich doch opfern. Ein viel größeres Opfer, schien es mir, hatten unsere tapferen britischen Soldaten gebracht, die fürs Vaterland oder für ihre Kameraden ihr Leben hingegeben hatten, ohne Gewissheit des ewigen Lebens und ohne Gewissheit, dass ihr Opfer etwas nutzen würde. Weiterlesen

Was ist die Moderne? Erster Versuch: Die Moderne bedeutet die Heiligkeit der Fakten

Matthias Matussek, der Papst und die Moderne
Mein Freund und Kollege Matthias Matussek hat im „Spiegel“ seinem Papst Joseph Ratzinger zum 85. Geburtstag gratuliert. Dieser Artikel ist lesenswert – nicht, weil er besonders originell wäre, sondern weil er den Hauptantreib des modernen Salonkatholizismus aufs Schönste offen legt.
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,827594,00.html
Die Kernpassage dieser Suada lautet:
„Ja, meine tiefe Überzeugung ist, dass die Kirche der Ort sein sollte, wo wir uns dem Hochmut der Moderne entziehen dürfen. Aufatmend die Ohren verschließen vor dem Geplärr der nächsten Welterklärung, des nächsten Systemsturzes, der nächsten Fünf-Minuten-Mode, der nächsten Sau, die durchs Dorf rennt, und sich stattdessen der ewigen Wahrheit zuwenden. Weiterlesen

Was Günter Grass umtreibt
Ach ja, Günter Grass. Über sein „Gedicht“ zur israelischen Atombombe brauchen wir keine weiteren Worte zu verlieren. (Dennoch erscheint in der „Welt“ vom Mittwoch ein Artikel von mir zum Thema.)
Das Merkwürdige ist ja, dass alle Versuche, ihn in ein Schema – immer schon Nazi und Judenfeind gewesen, siehe seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS, oder immer schon Islamversteher gewesen, siehe seine Reaktion auf die Mohammed-Karikaturen, oder immer schon ein Weichei gegenüber dem Kommunismus, siehe seinen Widerstand gegen die Wiedervereinigung – zu pressen, an der Komplexität des Menschen Günter Grass scheitern. Weiterlesen

Gedanken zur Karwoche: Die christlichen Kirchen und der Staat Israel
In meinem Arbeitsvertrag heißt es gleich in Paragraf zwei: „Die Zeitung hat folgende grundsätzliche Haltung: …“ es folgen die berühmt-berüchtigten fünf „Springer-Essentials“, zu denen unter Punkt zwei gehört: „Das Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen, hierzu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes“.
Es versteht sich von selbst, dass mit dieser grundsätzlichen Haltung des Verlags eine Kritik der jeweiligen israelischen Regierung und ihrer Politik durchaus vereinbar ist, ja dass eine solche Kritik im Interesse der Lebensrechte des israelischen Volkes geboten sein kann. Weiterlesen

Merah und Breivik: Woher kommt das Böse?
Klaus Kocks hat hier eine wichtige Diskussion begonnen, als er danach fragte, wie man die Tat und die Person des Mörders Mohamed Merah beurteilen soll. Ich bin in einigen entscheidenden Punkten nicht seiner Meinung, obwohl ich ihm in vielem auch zustimme. Deshalb möchte ich hier einigen Fragen nachgehen, die Klaus Kocks hier aufgeworfen hat:
Vorweg möchte ich daran erinnern, dass wir hier auf „Starke Meinungen“ auch über den Mörder Anders Breivik diskutiert haben. Und die Diskussion fand nicht nur hier statt. Stark vereinfacht könnte man nun sagen: Dieselben Leute, die bei Anders Breivik entschieden die ideologische Natur seiner Taten bestritten und ihn als geistesgestörten Einzelgänger hingestellt haben, sehen in Mohamed Merah einen voll verantwortlichen Agenten des radikalen Islam. Weiterlesen

Quo vadis, Europa?
Es sind nun fast vier Monate vergangen seit jenem denkwürdigen Europa-Gipfel, bei dem Angela Merkel ihren „Fiskalpakt“ gegen den Widerstand Großbritanniens durchsetzte. Zeit, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, mit welchem politischen und publizistischen Getöse die Gipfelergebnisse damals begrüßt wurden, und sich zu fragen, was daraus geworden ist. Weiterlesen

Freiheit(en), die ich meine
Über den Ex-Pastor Joachim Gauck nörgelte Pastor Friedrich Schorlemmer, der künftige Bundespräsident verfüge nur über das „Pathos der Freiheit“, nicht über das „Pathos der Gerechtigkeit“. Aus dem Umfeld der Bundeskanzlerin verlautete zuvor als Grund, Gauck abzulehnen, er „könne nur Freiheit“, sei also monothematisch. Völlig zu Recht schrieb Mathias Döpfner dazu in einem Kommentar für die Bild-Zeitung, immerhin habe Gauck ein Thema, und es gebe wahrlich schlechtere.
Die Frage ist, was man unter Freiheit versteht. Weiterlesen

Noch einmal: Joachim Gauck, der Holocaust, Israel und Europa
Mittlerweile hat die Diskussion über das Geschichtsverständnis Joachim Gaucks, die in der Blogosphäre begann, die wichtigen Printmedien der Republik erreicht. Götz Aly kritisierte in der linksliberalen „Zeit“ die „infamen Vorwürfe“ gegen Gauck, Harry Nutt kritisierte in der linksliberalen „Frankfurter Rundschau“ unter der Überschrift „Starke Meinungen“ (!) den „Furor“, der Gauck-Kritiker wie Yücel, Posener und Hasgall umtreibe. Weiterlesen

Der Pfarrer als Präsident: Joachim Gauck und der Holocaust
Dass ein Pfarrer, wenn auch ein Pfarrer im Ruhestand, der es offensichtlich mit der christlichen Sexualmoral nicht so ernst nimmt, Präsident der Bundesrepublik Deutschland wird, ist ein Novum.
Ich bin keineswegs überzeugt, dass dies ein gutes Zeichen ist. Es ist eine Sache, wenn eine Bischöfin Kässmann die Afghanistan-Politik oder ein Bischof Lehmann die Abtreibungsgesetzgebung kritisieren. Ihre Räson ist eben nur bedingt die Staatsräson, und das ist in Ordnung so; die Kirchen sind Parallelgesellschaften, in denen letztendlich gefordert wird, die Loyalität zu Gott über die Loyalität zum Staat zu stellen.
Gerade deshalb sollten aber die Funktionäre der Kirchen auf eine gewisse Distanz zum Staat achten – und der Staat auf eine gewisse Distanz zu den Kirchen. Und deshalb ist es eine andere Sache, wenn einer aus diesen Reihen, plötzlich das Amt innehat, das die Staatsräson verkörpert.
Wie problematisch das im Falle Joachim Gaucks ist, will ich an seinem Verhältnis zum Holocaust erläutern. Weiterlesen