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Zehn Fragen zum Verhältnis von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat

  1. „Der Mensch ist frei geboren und liegt doch überall in Ketten“, sagte Jean-Jacques Rousseau. Man könnte auch sagen: in der Theorie kommt zuerst das freie Individuum und dann der freiheitliche Staat, in der Praxis ist das Individuum nur frei, wenn der Staat freiheitlich ist. ist die Theorie deshalb falsch?
  2. Im Kalten Krieg standen sich die Freie Welt und der Kommunismus unversöhnlich gegenüber. Zweifellos stand der Westen auf der richtigen Seite der Geschichte – auf der Seite der Freiheit. Aber: hätte ein Martin Luther King richtig gehandelt, wenn er die Zusammenarbeit mit Kommunisten und Sympathisanten der KP der USA abgelehnt hätte? Ich meine nicht: Wäre das politisch opportun gewesen, sondern: wäre es richtig?
  3. Kann man eine – nicht theoretische, sondern konkrete – Fragestellung wie bei Frage 2 entwickeln, bei der statt Kommunisten „Faschisten“ stünde? Und wenn nein (was ich glaube): Warum nicht? Und was sagt das aus über das Verhältnis von Demokraten zu Kommunisten und Faschisten, und über die „Totalitarismustheorie“?
  4. Um auf die erste Frage zurückzukommen: Kann man von der Tatsache, dass man in einem demokratischen Staat lebt schließen, dass man frei ist? (Ich meine nicht im metaphysischen und auch nicht im philosophischen Sinn, sondern politisch – vielleicht auch wirtschaftlich.)
  5. „Die Freiheit besteht darin, den Staat aus einem der Gesellschaft übergeordneten in ein ihr durchaus untergeordnetes Organ zu verwandeln, und auch heutig sind die Staatsformen freier oder unfreier im Maß, worin sie die ‚Freiheit des Staats’ beschränken.“ Sind diese Ausführungen weniger richtig, wenn man weiß, dass sie von Karl Marx stammen? Und wenn ja, warum?
  6. Das Popper’sche Paradoxon der Toleranz besagt, dass man gegenüber der Intoleranz intolerant sein muss, um  die Toleranz zu schützen. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist die Definition von Toleranz und Intoleranz. Bedeutet die Tolerierung der Koranverteilung durch Salafisten, dass der Staat die Intoleranz toleriert? Oder würde ein Verbot solcher Aktionen bedeuten, dass der Staat selbst übermäßig intolerant ist? Ähnliche Fragen haben sich ergeben beim Verbot der Burka, des Kopftuchs usw. Bedeutet ein Verbot der Burka (weil sie angeblich Ausdruck der Unterdrückung der Frau ist) nicht einfach, dass der Staat das Recht hat, Menschen zu ihrem Glück zu zwingen? Hat er das? (Ich glaube nicht.)
  7. Aber der Staat kann mich doch zwingen, einen Sicherheitsgurt zu tragen, mein Auto zu versichern, mein Haus zu versichern, mich selbst zu versichern. Er zwingt mich auch hier zu meinem Glück. Freilich sagen manche Libertäre – etwa aus der Tea-Party-Bewegung -: das dürfte er nicht. Wo ist die Grenze zwischen einem erlaubten und einem unerlaubten Eingriff? Gibt es dafür klare Kriterien? Hilft der Begriff der Menschenwürde hier weiter?
  8. Als ein Volksentscheid in der Schweiz ein Minarettverbot erzwang, meinten Liberale hierzulande: Auch ein Volksentscheid kann das Grundrecht der freien Religionsausübung nicht aufheben, zu dem auch der Bau von Gotteshäusern nach einem bestimmten Muster gehören, so lange die baurechtliche Bestimmungen beachtet werden. Das heißt, nach liberaler Auffassung muss man bestimmte Dinge dem demokratischen Zugriff entziehen. In Deutschland sind das nicht nur die Grundrechte und die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“, die auch durch Zweidrittelmehrheit nicht aufgehoben werden können. Auch über die Geldpolitik der Bundesbank und der EZB etwa wird nicht abgestimmt. Das Volk darf sich eine inflationäre Geldpolitik nicht verordnen. Welche Bereiche darf man im Namen der Liberalität (oder der wirtschaftlichen Vernunft) dem Zugriff der Demokratie entziehen? Wie definiert man eine Grenze, so dass man mit Bestimmtheit sagen könnte: Das Tragen einer Burka, das Bauen eines Minaretts, eines Bahnhofs, die Hinrichtung eines Mörders, das Drucken von Geld, die Entlohnung von Managern usw. usf. darf / darf nicht Gegenstand eines demokratischen – oder gar plebiszitären – Entscheidungsprozesses sein?
  9. Ist es wirklich gut, wenn sich möglichst viele Bürger für die Politik interessieren, sich an Wahlen beteiligen usw.? Warum? Reicht es nicht, wenn sie mit dem Ergebnis zufrieden sind? (Und wenn sie bei einem bestimmten Grad der Unzufriedenheit die Möglichkeit haben, etwas dagegen zu tun.)
  10. Wenn man „postdemokratisch“ im Sinne von Colin Crouch eine „Ergebnisdemokratie“ (siehe 9.) befürwortet, was heißt das für die Struktur der Europäischen Union? Und wenn man das nicht tut, was folgt daraus für die Strukturen der Europäischen Union? Womit wir wieder bei Frage 1 sind: Kann der EU-Bürger frei sein, wenn die EU-Strukturen nicht freiheitlich, nicht demokratisch sind?  Genauer: Wo sichern die Strukturen der EU dem Bürger mehr Freiheiten (z.B. Schengen sichert die Bewegungsfreiheit), wo schränken sie seine Freiheiten ein? Was folgt daraus?

 

Diese Fragen würde ich gern dem Bundespräsidenten stellen. Einstweilen bin ich auf die Antworten der Leser dieses Blogs gespannt.

 

 

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23 Gedanken zu “Zehn Fragen zum Verhältnis von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat;”

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    @R.E.G.

    … nun ja – ich lese aus den ‚Aufklärern‘, angefangen von Luther über Voltaire und seine Kumpane, den ‚alten Fritz‘ und Kant, eher (jeweils differenziert) Staatshörigkeit, Sklaverei, Rassismus und Antisemitismus heraus. Oder nicht?

    Übrigens sind mir Franzosen/…nen nicht schlechter, ja mindest genauso ‚lieb‘, als andere.

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    @ Hannes: Zu King: völlig d’accord. Er musste sich freilich von seinem Berater, dem Geschäftsmann und Ex-Kommunisten Stanley Levison (ja…) auf Druck der Kennedy-Brüder distanzieren. Das war eigentlich der anlass meiner Frage.
    http://en.wikipedia.org/wiki/Stanley_Levison
    Zur Frage, ob man sich eventuell mit Faschisten gegen eine Gefahr (von extrem rechts oder extrem links) verbünden kann: Vielen Dank für das Beispiel Griechenland. Das leuchtet mir sofort ein. Wahrscheinlich wäre hier auch Josef Pilsudski, der die Sowjets 1920 vor Warschau stoppte, zu nennen.
    @ Rainer: Ja, einerseits. Allerdings waren die Auswirkungen der Großen Depression in Großbritannien und den USA mindestens so stark wie in Deutschland. Und diese beiden Länder widerstanden den Versuchungen von links und rechts. Vielleicht ist die demokratische Erziehung doch wichtiger als die wirtschaftliche Bestechung, bestimmt das Bewusstsein zuweilen – und zum Glück – das Sein.

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    Damals 1933, beschloss das Parlament das Ermächtigungsgesetz und gab damit Hitler diktatorische Macht. Anfangs entwickelte sich die Wirtschaft sehr gut und das Volk sah das als Erfolg der Regierung. (Zur gleichen Zeit wurde die Wirtschaftskrise aber auch in Grossbritanien überwunden. 1938 gab es in GB die nächste Krise und von Deutschland ausgehend die ersten Kriegsanstrengungen.)
    Das Volk wählte die Nationalsozialisten.

    Jetzt gibt der Bundestag die Macht an das undemokratische Gremium ESM und am Ende ist das volk mit dieser Diktatur ganz zufrieden. Verteilung des Geldes nur sachgerecht und ohne Kungelei. Irgendwann werden diese „Diktatoren“ korrupt werden und es ist aus mit der Herlichkeit.

    Das so etwas möglich ist. So etwas ähnliches wie ein Ermächtigungsgesetz und Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit zum sachlich angemessenen Kompromiss.

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    @derblondehans
    „Vielleicht kann ja eine/r von den Herrschaften erklären was denn nun Aufklärung ist?“
    Nix leichter als das: Nachdenken, zensurfrei.

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    @derblondehans: Da Sie die Franzosen nicht mögen, nachfolgend die Definition von Kant:

    AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

    Genau das predige ich seit Jahrzehnten, „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, ohne die Anleitung eines anderen.“

    Und genau das wirft man mir auch hier schon seit Jahren vor.

    Aber das halte ich auch für kein Weltwunder in dieser Republik, bei einer repräsentativen Umfrage vor 2 Jahren in Deutschland konnten sich ca. 70& für den Sozialismus erwärmen, wenn er Ihnen materielle Sicherheit biete.

    Und ein Mitglied des Club of Rome, ein Norweger, sprach im Zusammenhang mit Klimaschutz davon, daß wir eine“ gute Diktatur“ bräuchten.

    Würde ich Alan Posener nicht besser kennen, müßte ich vermuten, daß sein Wunsch von einer „Elite in Brüssel, die der Kontrolle des Wahlvolkes entzogen ist“, aus einem ähnlichen Loch pfeift.

    Diese, meine Beispiele sind das genaue Gegenteil von Aufklärung.

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    @R.E.G.

    … werte Fr. R.E.G., ich ziehe mir den ‚Aufklärer‘ Voltaire und seine Kumpane nicht rein. Egal was die abgelassen haben. Es sind J.L.L und – ahemm – Sie und EJ und noch ’n paar andere hier. BY THE WAY.

    Vielleicht kann ja eine/r von den Herrschaften erklären was denn nun Aufklärung ist?

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    @der blondehans: Offensichtlich lesen Sie meine Beiträge nicht. Voltaire hielt die Gebräuche der Juden für barbarisch und hat tatsächlich obiges Zitat aborbiert.

    Trotzdem hat er sich (wahrscheinlich hatte auch er einen Judenknacks?) besonders für die Juden und deren Unversehrtheit eingesetzt. Verstand er nämlich als Toleranz, der Aufgeklärte.

    Ihr Zitat ist nur die halbe Wahrheit, wofür er die Christen hielt, zeigt er in nachfolgendem Zitat aus“dem Gesellschftsvertrag oder den Prinzipien des Staatsrechts“.

    „Das Christentum predigt nur Knechtschaft und Unterwerfung. Sein Geist ist der Tyrannei nur zu günstig, als dass sie nicht immer Gewinn daraus geschlagen hätten.
    Die wahren Cristen sind zu Sklaven geschaffen.“

    Schaue ich mir diese Diskussion an, kann ich dem Zitatgeber nur vollständig zustimmen.

    By the way, wenn schon (Halb)wahrheiten, dann bitte ganz.

  8. avatar

    JLL: ihr Recht auf Meinungsfreiheit vetteidige ich mit Voltaire …

    … moin, moin … JLL :-&

    Voltaire: Le Dictionnaire philosophiqu

    ‚Ich spreche mit Bedauern von den Juden: Diese Nation ist, in vielerlei Beziehung, die verachtenswerteste, die jemals die Erde beschmutzt hat.‘

    ‚Sie werden in ihnen nur ein unwissendes und barbarisches Volk treffen, das schon seit langer Zeit die schmutzigste Habsucht mit dem verabscheuungswürdigsten Aberglauben und dem unüberwindlichsten Hass gegenüber allen Völkern verbindet, die sie dulden und an denen sie sich bereichern. Man soll sie jedoch nicht verbrennen.‘

  9. avatar

    Die meisten Antworten weiss ich nicht. Aber ich moechte doch etwas zur 2. und zur 3. Frage sagen.
    Zu Martin Luther King: Der Stiefel, den man im eigenen Gesicht spuert, sieht immer besonders gross aus; und die anderen Stiefel wirken im Vergleich laecherlich klein. Der Stiefel, den Martin Luther King im Gesicht spuerte, war das Apartheidsystem, das damals noch in den amerikanischen Suedstaaten herrschte; es kommt mir weltfremd, im Grunde sogar unmenschlich vor, im Rueckblick von ihm zu verlangen, er haette auch noch ein verlaesslicher Streiter im Kampf gegen den Kommunismus sein sollen.
    Fuer mich ist Dr. King vielleicht der groesste Amerikaner des 20. Jahrhunderts. Warum? Weil er nicht den Irrweg von Malcolm X und seinen Nachfolgern gegangen ist. Weil er fuer Integration der Schwarzen in die amerikanische Gesellschaft war, nicht fuer freiwillige Absonderung. Weil er seinen Kampf ohne Gewalt fuehrte. Weil er wusste, wie wichtig Bildung ist. Weil er das Gluecksversprechen der amerikanischen Unabhaengigkeitserklaerung ernst nahm und Amerika trotz alledem nicht als Feindesland begriff. Nicht zuletzt auch darum, weil dieser Christ kein Antisemit war.
    That covers a multitude of sins.
    Zur 3. Frage: Wer war der erste Staatsmann, der dem europaeischen Faschismus eine verheerende Niederlage beibrachte? Der griechische Diktator Metaxas, der ein Faschist war. Seine Truppen schlugen das Heer Mussolinis, als es Griechenland besetzen wollte; die Griechen feiern Metaxas‘ Unbeugsamkeit bis heute am Ochi-Tag.
    Dass spaeter die Wehrmacht Griechenland 1941 doch okkupierte, nimmt diesem Sieg nichts von seinem Glanz.
    Wer stand Metaxas 1940 zur Seite? Grossbritannien, versteht sich. Das Griechenland des Diktators Metaxas kaempfte besser, es war verlaesslicher als die franzoesische Republik. Was sagt das ueber den inneren Zustand der liberalen Demokratien? Gar nichts, glaube ich.

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    @Rita

    ihr Recht auf Meinungsfreiheit vetteidige ich mit Voltaire oder auch mit Rosa Luxemburg

    Nur frage ich mich ob es sinnvoll ist die Nouvelle Droite als Legitimationszeugen heranzurufen?

    Es mag gut sein, Macht zu besitzen, die auf Gewehren ruht, besser aber und beglückender ist es, das Herz eines Volkes zu gewinnen und es auch zu behalten.

    per se kann ich dieses Zitat auch unterschreiben, aber wenn wenn ich mir den background des Verfassers anschaue…

    Fuer mich ist die Neue Rechte ein Wolf im Schafspelz, der sehr elegant die Schaefchen einfaengt.

    Lese sie ein wenig in der deutschen Zeitung junge freiheit und sie werden schnell sehen wie und auf welche Weise hier populistisches Stroemungen genutzt werden.
    dazu zaehlt auch der latente Antisemitismus

    daher:

    Von dieser mischpoke sollte man sich doch etwas distanzieren

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    @Jean-Luc: Warum die Enttäuschung, wenn ich Benoist zitiere.

    War der denn nicht ein Rechter? Wenn einer von dieser Coleur Natonalsozialismus und Kommunismus auf einer Ebene sieht, untermauert so ein Zitat die These.

    Wenn ich bestimmte Personen zitiere, weil deren Erkenntnisse z.B. in einem Teil meine Erkenntnisse treffen, muß ich mch noch lange nicht mit diesen identifizieren.

    Daß ich keine Rechtsnationale bin, brauche ich Ihnen sicher nicht erklären, Sie sind schon lange genug hier dabei.

    Wäre dem aber so, würde ich meine Meinung auch z.B. hier vertreten. Und im Sinne der Aufklärung mpßten Sie es dann aber auch mit Voltaire halten, und mein Recht auf Meinungsfreiheit bis zu Ihrem letzten Blutstropfen verteidigen.

    Um nochmals auf Ihren Vorwurf zu kommen, und da ich mal gerade wieder meine Voltaire-Phase habe:

    „Les sots admirent tout dans un auteur estimé. Je ne lis que pour moi; je n’aime que ce qui est à mon usage.“

    So hielt es der große Mann und ich hinke ihm unvollkommen hinterher.

    Damit wir uns auch noch in Jahren etwas zu sagen haben verabschiede ich mich mit Voltaire

    „Le secret d’ennuyer est celui de tout dire.“

    Das Geheimnis zu langweilen besteht darin, alles zu sagen.

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    Erratum:
    So ist Regieren sicher auch, die Kunst, bei gegebenen Verhältnissen und Situationen (Ihre Frage 2 und 3) das beste für die Einzelnen zu tun (oder sollte es sein).

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    @Alan Posener
    Natürlich ist der neugeborene Mensch nicht frei, sondern komplett abhängig, aber eben nicht vom Staat, sondern von der Familie, später von einem Fürsten oder Vergleichbarem. Ohne Staat bliebe das auch so. So ist Regieren sicher auch, die Kunst, gegebenen Verhältnisse und Situationen (Ihre Frage 2 und 3) das beste für die Einzelnen zu tun (oder sollte es sein). Das kann Kompromisse beinhalten, bis zu einem gewissen Grade (Beispiel rassistischer Faschismus): Wenn der Einzelne gefährdet ist, sollte Schluss damit sein.
    Und selbstverständlich kann man nicht von Demokratie direkt auf Freiheit schließen (Frage 4), weil sich Stimmungen und Entscheidungen im Sinne der Chaostheorie „versklaven“ lassen. (Wen die psychologische Grundlagen dazu interessieren: Luc Ciompi
    Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik.) Der Mensch scheint in einem Sinne programmierbar zu sein, der ihm selber nicht gut tut.
    Die „Freiheit des Staates“ (Frage 5) ist die Freiheit eines Abstraktums, einer Idee und muss – natürlich – beschränkt werden, soll sie nicht totalitaristisch ausarten, gerade auch in einer Demokratie!
    Nein, der Staat darf die Menschen nicht zu seinem Glück zwingen (Frage 6), weil „er“ nicht weiß, wissen kann wo das beim Einzelnen liegt. Manche, unsere, Gesellschaft neigt da zu einem gewissen Konsenszwang.
    Die Tea Party – Bewegung (Frage 7) wird auch durch Leute am Leben erhalten, denen das Sicherheitsbedürfnis der Mehrheit zuviel ist. Aber auch ökonomische Zwänge in einer neoliberalen Wirtschaft sind eine Bedrohung für die Freiheit („meine Krankenkassenbeiträge für Raucher und Sportvermeider..“). Eine Diskussion über das Menschenbild, die Menschenwürde, Kriterien der Nichteinmischung ist überfällig (s. Thema „Beschneidung“).
    Grundwerte in der Verfassung (Frage 8) können nicht Gegenstand einer Abstimmung sein.
    Befassen sich möglichst viele Bürger in der einen oder anderen Form inhaltlich mit politischen Fragestellungen (Frage 9), sind sie immunisiert gegen emotionale Versklavung (s. Frage 4).
    „Postdemokratie“, „Ergebnisdemokratie“ (Frage 10) sind Entmündigung. Wäre Europa eine Assotiation souveräner, demokratisch legitimierter Staaten, bräuchten europäische Entscheidungen nicht zusätzlich legitimiert werden und die Assotiation wäre freiheitsfördernd. Derzeit geschieht das Umgekehrte: Brüssel überzieht uns mit nicht demokratisch legitimierten Regelungen und Gesetzen.

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    Damit wir von der Theorie einmal wieder auf die Praxis zurückkommen:

    Wenn die Transparenz fehlt, wenn die Nomenklatura keine Bodenhaftung mehr hat, wenn die Deregulierung zu solchen Zuständen führt, siehe unten,

    dann stinkt der Fisch doch wohl vom Kopf:

    Liborgate

    http://www.tagesanzeiger.ch/wi.....y/26540824

    http://www.tagesanzeiger.ch/wi.....y/11541326

    http://www.guardian.co.uk/busi.....or-scandal

    http://www.handelsblatt.com/un.....31464.html

    Hier ein paar Ausrisse:

    „In der Finanzwelt besitzt der Libor einen enormen Stellenwert. Nachgelagerte Finanzprodukte im Wert von 350 Billionen Dollar (Anmerkung : europäische Billionen!!!)hängen von diesem Zins ab. Das ist über 20-mal das Bruttoinlandprodukt der Vereinigten Staaten. Dem Libor nicht zu vertrauen, heisst, dem Zeiger auf deiner Armbanduhr nicht zu vertrauen. Doch im Sommer 2008 begannen wir, genau dies zu tun.“

    „Das Gefühl für den Wert der Risiken ging verloren“

    „Erschreckend ist der Tatbestand selbst: Dass sich die mächtigsten Institute zusammentaten, um den Rest der Finanzwelt anzulügen.“

    „Warum niemand den Schwindel aufdeckte? Auch als Unwissende lebten die Londoner Banker zur damaligen Zeit nicht schlecht.“

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    Lieber Alan,
    wenn man das Verhältnis von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat diskutiert, sollte man eine wichtige Konstante nicht vergessen: die Ökonomie. Die Katastrophen des 20. Jahrhunderts (Weimar / Hitler) und die aktuelle Finanzkrise (Griechenland) lehren uns, dass die Demokratie dadurch gefährdet sein kann, dass ihr vom sozialen Abstieg bedrohte gesellschaftliche Gruppen die Legitimation entziehen. An der gegenwärtigen Krise der EU kann man ablesen, dass überall dort, wo massive Einsparungen nötig geworden sind, Parteien Zulauf bekommen, die an beiden extremen Rändern angesiedelt sind. Deshalb ist die beste „Lebensversicherung“ für die Demokratie (und dadurch auch für die Freiheit des Einzelnen) eine stabile Wirtschaft, die möglichst alle gesellschaftliche Gruppen sozial zufrieden stellt. Das ist die aktuelle Bedeutung des Satzes von Bill Clinton: „It´s the economy, stupid!“
    Dabei besteht die „Kunst“ darin, die Wirtschaft so von Fesseln zu befreien, dass sie den Sozialstaat finanzieren kann, sie aber gleichzeitig so zu regulieren, dass Übertreibungen und Blasen vermieden werden. Deshalb müsste eigentlich immer der beste Ökonom auch Kanzler sein.
    Was Volksentscheide angeht, bin ich sehr zurückhaltend: eher weniger als mehr „Volksdemokratie“. Die Grundrechte, aber auch Finanzfragen sollten völlig ausgeklammert sein.
    Bei den anderen Themen besteht die Gefahr, dass rechte (mit rassistischen Parolen) und linke (mit Enteignungspropaganda) Populisten zum Zuge kommen.Warum nicht bei der guten alten repräsentativen Demokratie bleiben? Sie zähmt letztlich alle popolustischen Parteien, wenn sie den Sprung ins Parlament schaffen.
    Gruß, Rainer

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    Welche Regierung die beste sei?
    Diejenige, die uns lehrt, uns selbst zu regieren.

    Goethe

    (gefühlte 1000 Jahre her…)

  17. avatar

    @blonderhans: Völlig daccord! Nicht nur Nolte – den auch Sie gelesen haben, nicht nur Herr Posener – haben die große Ähnlichkeit zwischen Kommunismus und
    Faschismus konstatiert.

    Erlauben Sie mir ein Zitat von Alain Benoist:

    „Der Vergleich des Kommunismus mit dem Nationalsozialismus ist nicht bloß zulässig, sondern geradezu geboten, und der beste übergeordnete Begriff ist derjenige des ,Totalitarismus‘. Alain de Benoist skizziert aber auch die Gefahr eines weichen Totalitarismus im Liberalismus. “

    Auch wir Deutschen sollten uns unserer traurigen historischen Erfahrung stellen und Frage 3. von Herrn Posener daher – leider – mit Ja beantworten.

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    … werter Apo, Sie sind befangen wie Prinz Harry. Freundlich geschrieben.

    Sie haben die Mao-Fibel und Prinz Harry die SS-Uniform getragen. Sie beide hätten es nicht getan, wären Sie, Apo, durch ein Gulag und Prinz Harry durch ein Konzentrationslager geschliffen worden.

    Fragen Sie Betroffene nach einem Unterschied zwischen Kommunismus und Faschismus. Es gibt keinen.

    Meine Vorstellungen für Prinzipien des Zusammenlebens des Menschen in Gesellschaft und Staat sehen so aus. Es gibt nix besseres.

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    zu 1.) Ja: wörtlich genommen ist diese Theorie falsch. V.a.D. wird man nicht „frei geboren“, sondern befreit sich mehr oder weniger selbst. Man kann Rousseau aber auch so verstehen, dass Freiheit der gemeinsame Nenner und das Ziel des Erwachsenwerdens ist, und dass Freiheit immer relativ ist, d.h. von einem Gewirr an Grenzen eingeschränkt wird, weshalb es darauf ankömmt, konstruktive von destruktiven Grenzen zu unterscheiden.

    zu 2.) Nein, der Kalte Krieg bedeutete eine riesige Gefahr, die so groß war, dass sie die ideologische Auseinandersetzung als solche in gewisser Weise widerlegte. Man musste versuchen, sich über die ideologischen Grenzen hinweg zu verständigen.

    zu 3.) Ja, wenn die Alternative zur Zusammenarbeit eine Katastrophe für alle bedeutet, muss man auch mit Faschisten zusammenarbeiten.

    zu 4:) Keinesfalls. Man ist nicht frei, nur weil man in einem freien Staat lebt. Nicht mal politisch, wirtschaftlich schon gar nicht. Um die Freiheit muss man sich schon selber kümmern, sonst bestimmen andere über einen. Man kann sich um seine Freiheit übrigens auch kümmern, wenn man selbst nicht bzw. noch nicht frei ist.

    zu 5.) Richtige Ausführungen sind unabhängig von dem, der sie ausführt, also: Nein.

    zu 6.) Der Staat hat nicht das Recht, jemanden zu seinem Glück zu zwingen. Im Gegenteil hat jeder das Recht auf sein eigenes Unglück. Bei den in Rede stehenden Verboten geht es nicht allein um das Glück der Betroffenen, sondern auch um das der anderen. Einem Mann, der von seiner Frau die Burka verlangt, soll mit dem Burkaverbot gezeigt werden, dass diese Regel hier nicht gilt und als Regel darüber hinaus auch nicht toleriert wird. Diese Demonstration richtet sich nicht nur an den Mann, dessen Frau in Burka 5 Meter hinter ihm läuft, sondern an alle Männer, die mit dem Gedanken spielen, dass so eine Regel doch vielleicht eine ganz angenehme Sache sein könnte.

    zu 7.) Diese Beispiele dienen in erster Linie dazu, Schaden von anderen – der zahlenden Gemeinschaft – abzuwenden. Wenn Sie unangeschnallt einen Unfall bauen, müssen andere dafür aufkommen, Sie wieder aufzupäppeln.

    zu 8.) Die Menschenrechte sollten die Grenze darstellen, über die hinaus nicht abgestimmt werden darf. Dadurch werden die Minderheiten vor den Begehrlichkeiten der Mehrheit geschützt.

    zu 9.) Es ist gut, wenn die Bürger die Möglichkeit zur Beteiligung haben. Ob sie sich dann beteiligen oder nicht, ist eher egal. Wenn sich dann allerdings keiner beteiligt, ist die kritische Grenze erreicht, ab der bereits die Beteiligung an sich gut wird.

    zu 10.) Nichts heißt das für die EU-Struktur. Ich glaube nicht, dass die Forderung nach mehr Freiheit das Entscheidende ist, das die Organisation der EU stimuliert. Freiheit gab es auch in den demokratischen Nationalstaaten zur Genüge. Statt „Freiheit“ ist es die politisch-ökonomische Macht im Globalisieurngszeitalter, die die EU als Organisationsform vorantreibt. Anders gesagt: Ohne die EU versinken die europäischen Nationalstaaten in der Bedeutungslosigkeit und werden zu Spielbällen anderer supranationaler Mächte.

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    @Lieber Herr Posener: Die elementaren Fragen an eine freiheitliche Gesellschaftsordnung haben Sie – allesamt völlig zurecht – hier gestellt.

    Bei etwas ironischer Böswilligkeit (was mir grundsätzlich unterstellt wird) könnte man darin auch eine freie Interpretation des Wiesbadener Grundsätze der F D P vom Jahre 1997 sehen.

    Dort bedient sich z.B. die FDP bei der Definition von Freiheit bei Rosa Luxemburg, nur um sich gleichzeitig wieder extrem vom Sozialismus zu distanzieren.Was jetzt zu Ihren Fragen 2. und 3. führen könnte.

    Eine weitere Aussage der FPD: „Politik kann und darf nicht alles regeln. Sie muß das Wesentliche schützen.“ Hier wären wir zumindest bei Ihren Fragen 6. und 7.

    Die Frage 9. scheint mir die für Sie elementarste zu sein.
    Ich erinnere mich gut an einen Ihrer Sätze in der vorangegangenen Europa und Euro-Diskussion.
    Wenn ich mich recht erinnere hätten Sie gerne „eine unabhängige Elite in Brüssel die der Kontrolle des Wahlvolkes entzogen ist.“

    Dieser Satz hat mich damals einigermaßen aufgeregt.
    Er zeigt ein ein besonderes Mißtrauen gegenüber dem sog.“gesunden Volksempfinden“, bzw. Ihre Einschätzung ,daß das Volk grundsätzlich doof und verantwortungslos ist. Bei unserer historischen Deutschen Erfahrung sind wir da – völlig zurecht – prädisponiert. Andererseits zeigt das sog. Deutsche Volk – anläßlich der politischen Skandale der letzten 2 Jahre – tatsächlich immer mehr gesunden Menschenverstand und Demokratieverständnis, als man ihm hätte zutrauen können.

    Den Fehler bei Ihrem Demokratie- und Europaverständnis finde ich darin, daß Sie nicht endlich anmahnen daß eine spärlich vorhandene Geisteselite Ihre Verantwortung übernimmt, sondern
    daß Sie diese eigentlich nicht vorhandene Elite der Kontrolle des gesunden Volksempfindens entziehen wollen.
    Ihr Mißtrauen teile ich durchaus, Ihre elitäre Konsequenz überhaupt nicht.

    Trotzdem wir die vermutlich beste Verfassung in Europa haben, in der besten Gesellschaftsform, die dieses Land je hatte leben, , mangelt es swohl an Transparenz, was die Vorteile unseres Rechtsstaates betrifft, als auch an der Bereitschaft in der Auseinandersetzung mit dem sog. Rechtsstaat bis an die Grenzen zu gehen, was für mich als Bürger heißt, alle Möglichkeiten der mir zugesicherten Freiheit auszunützen. Nicht in Nachbarschaftsquerelen die Gerichte zu überlasten, sondern in der Verteidigung“ des Wesentlichen“.

    Sie stellen hier tatsächlich die Gretchenfragen der Demokratie, was mir sehr willkommen ist.

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