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Das Versagen der Europäischen Union in Tunesien

Die Ereignisse in Tunesien müssen das Herz eines jeden Demokraten höher schlagen lassen. Wie die „Zedernrevolution“ im Libanon 2005, die Demonstrationen gegen den Wahlbetrug im Iran 2009 und gegen steigende Preise und Jugendarbeitslosigkeit Anfang dieses Jahres in Algerien, zeigt der Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali, dass die Bereitschaft, autoritäre Regimes zu akzeptieren, in der „islamischen Welt“ – einer Welt, die ebensowenig ausschließlich „islamisch“ ist wie unsere christlich – schwindet. Das gilt es auch dann festzuhalten, wenn man feststellen muss, dass keine dieser Bewegungen bisher zu dauerhaften demokratischen Strukturen geführt hat.

Umso deprimierender fällt die Antwort auf die Frage aus, was eigentlich die Europäische Union getan hat (und tut), um die Demokratie und die Rechtstaatlichkeit in diesem Teil der Welt zu fördern. Weiterlesen

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Ursula Sarrazin und die Schule als Service-Unternehmen

Ob Ursula Sarrazin, wie sie selbst meint, eine gute, obwohl – oder weil – strenge Lehrerin ist, oder, wie der Berliner Landeselternausschuss meint, eine Lehrerin, die Kinder mobbt, anschreit und mit Verbalinjurien („du Hauptschüler!“ du Opfer!“) zu Tränen rührt, kann ich nicht beurteilen.

Möglicherweise stimmt beides – es kommt ja vor, dass gute Lehrer durchdrehen; möglicherweise stimmt auch, dass an ihr etwas ausagiert wird, was mit ihrer Fähigkeit oder Unfähigkeit gar nichts, mit ihrem Mann aber sehr viel zu tun hat. Ich weiß es nicht, und ich denke, das weiß niemand außerhalb ihrer Schule. Weiterlesen

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Ernst Nolte, Thilo Sarrazin und die Struktur des Vorurteils

Aus Gründen, die hier zunächst nicht interessieren, habe ich mir wieder Ernst Noltes „Der Faschismus in seiner Epoche“ hervorgekramt; das Buch begründete bei seinem Erscheinen 1963 Noltes Ruf als Ausnahmehistoriker und ist nach wie vor lesenswert.  Verstörend freilich ist das Vorwort zur Ausgabe von 1995, in dem Nolte den Versuch macht, das Werk sozusagen in eine Gesamtschau seines Schaffens einzuordnen. Insbesondere versucht er hier noch einmal, die Genese jener Thesen vom „kausalen Nexus“ zwischen Gulag und Auschwitz und von der Nachvollziehbarkeit der eliminatorischen Juden-Phobie der Nazis nachvollziehbar zu machen, die im Zentrum des „Historikerstreits“ standen. Weiterlesen

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Kann das Christentum tolerant sein?

Beim – ziemlich schlecht besuchten – Festgottesdienst am 2. Weihnachtsfeiertag im Berliner Dom hielt Domprediger Thomas C. Müller eine interessante Predigt, die meines Erachtens die Möglichkeit des Relativismus im Glauben begründete und zugleich erklärte, warum der Begriff der „christlichen Leitkultur“ für einen wahren Christen problematisch ist.

Es war angenehm, im protzigen Dom, einem Sinnbild für das Bündnis zwischen Thron und Altar, in dem schon der christlich-soziale Hofprediger Adolf Stöcker seine antisemitischen Tiraden im Namen des Glaubens hielt, nun eine ganz andere Stimme zu vernehmen. Weiterlesen

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Frohe Weihnacht allerseits

„Und sie gebar ihren ersten Sohn und legte ihn in eine Futterkrippe, denn der Wirt hatte gesagt. Trollt euch in den Stall! Das hier ist eine Herberge und keine Transferunion!“

Von den kostbaren Geschenken der Weisen aus dem Morgenland – darunter immerhin Gold, schon damals eine wertbeständige Anleihe – scheint später nichts übrig geblieben zu sein; und wenn, dann hätte der missratene Sohn alles den Armen geschenkt, wie er es dem reichen Mann vorschrieb, der gehofft hatte, sein Jünger zu werden. Weiterlesen

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Die Islamophobie und ihr Kritiker

Der französische Publizist Pascal Bruckner möchte ein Wort verbieten lassen. Eigentlich eher eine deutsche Obsession. Für Bruckner aber gehört das Wort „Islamophobie“ zu „jenen Begriffen, die wir dringend aus unserem Vokabular streichen sollten.“ Man fragt sich etwas bang, was die anderen Dinge sind, die wir nach Bruckner „dringend“ entworten sollten: Rechtspopulismus? Rassismus? Werterelativismus? Weiterlesen

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Hamburg oder die neue Übersichtlichkeit

Als die Hamburger Grünen letzte Woche die Koalition mit der CDU verließen, zogen sie nur die örtliche Konsequenz aus einer bundespolitischen Wetterwende. Man führt wieder Lagerwahlkampf, Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb. Jedenfalls im Westen der Republik; im Osten ist die Sache wegen der Stärke der Linkspartei anders gelagert. Aber auch da sind Bündnisse über die Lager-Gräben hinweg eher unwahrscheinlich.

Schwarz-Grün erscheint nicht mehr als jene auch bundespolitisch mögliche Machtoption, mit der Angela Merkel nach Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb alle denkbaren Koalitionspartner durchprobiert und die deutschen Verhältnisse zum Tanzen gebracht hätte. Die bereits ausgerufene „neue Unübersichtlichkeit“ sieht schon wieder alt aus, die Optionen erscheinen durchaus überschaubar.

Grundsätzlich ist das zu begrüßen. Weiterlesen

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Geschlecht als Wissenskategorie

Warum sind National-Körper weiblich – Britannia, Deutschland, die Fußballmannschaft? Das Individum aber männlich, wie der „deutsche Michel“ oder „John Bull“? Alan Posener hat dazu ein Interview mit Christina von Braun geführt. Und weil er darin „starke Meinungen“ verspricht, hier nun ausnahmsweise kein Kommentar, sondern ein Interview. Weiterlesen

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Hans Mommsen liest „Das Amt und die Vergangenheit“

Wenn Historiker die Werke ihrer Kollegen rezensieren, ist selten mit ungeteiltem Lob zu rechnen. Insofern überrascht es nicht, wenn der Historiker Hans Mommsen dem Bericht der unabhängigen Historikerkommission über das Auswärtige Amt im Dritten Reich und in der Bundesrepublik bescheinigt, es biete „keine neuen Einsichten“. Weiterlesen

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Warum man den Plenarsaal des niedersächsischen Landtags ruhig abreißen kann

Der Landtag von Niedersachsen sitzt im ehemaligen Schloss der Hannoveranischen Könige. Man erreicht ihn vom Hauptbahnhof nach einem zehnminütigen Spaziergang durch die obligate Fußgängerzone und ein Stück wieder aufgebaute Fachwerkaltstadt. Er liegt direkt an der Leine. Jenseits des Flusses haben die Stadtplaner der 1950er Jahre unter Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht im Interesse der „autogerechten Stadt“ eine jener Asphaltschneisen durch frühere Sichtachsen und Stadtquartiere geschlagen, die bis heute so viel zur Unwirtlichkeit westdeutscher Städte beitragen. Weiterlesen

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Brauchen wir ein politisches Streikrecht?

Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske, hat sich dafür ausgesprochen, den Generalstreik als Mittel der politischen Auseinandersetzung zuzulassen. Auch in Deutschland werde ein politisches Streikrecht gebraucht, sagte Bsirske dem „Hamburger Abendblatt“. Das geltende Verbot stamme aus dem Jahr 1955. Heute habe man aber eine vollkommen andere Situation. Bsirske verwies auf den Widerstand der Franzosen gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Von der Protestkultur in Frankreich könnten sich die Deutschen eine Scheibe abschneiden, meinte er.

Es liegt nahe, sich an den Kopf zu fassen. Wer den Widerstand der Franzosen gegen eine maßvolle Anhebung des Renteneintrittsalters von 60 auf 62 Jahre als Vorbild hinstellt, scheint nicht ganz bei Trost zu sein. Weiterlesen

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