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Hamburg oder die neue Übersichtlichkeit

Als die Hamburger Grünen letzte Woche die Koalition mit der CDU verließen, zogen sie nur die örtliche Konsequenz aus einer bundespolitischen Wetterwende. Man führt wieder Lagerwahlkampf, Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb. Jedenfalls im Westen der Republik; im Osten ist die Sache wegen der Stärke der Linkspartei anders gelagert. Aber auch da sind Bündnisse über die Lager-Gräben hinweg eher unwahrscheinlich.

Schwarz-Grün erscheint nicht mehr als jene auch bundespolitisch mögliche Machtoption, mit der Angela Merkel nach Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb alle denkbaren Koalitionspartner durchprobiert und die deutschen Verhältnisse zum Tanzen gebracht hätte. Die bereits ausgerufene „neue Unübersichtlichkeit“ sieht schon wieder alt aus, die Optionen erscheinen durchaus überschaubar.

Grundsätzlich ist das zu begrüßen. Die Bildung zweier relativ scharf voneinander geschiedener Lager erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es zu wirklichen Macht- und Politikwechseln kommt, statt zu ewig neuen Koalitionskombinationen, bei denen ein Großteil des Personals mit wechselnden Partnern mal diese, mal jene Politik macht und dabei sein Profil verliert.

Selbst wenn man weiß, dass nie so heiß gegessen wird wie gekocht, wofür die schwarz-gelben Jahre unter Helmut Kohl das herausragende Beispiel sind, so wird doch heißer gekocht, wenn man nicht davon ausgeht, am Tag nach der Wahl mit jenen koalieren zu müssen, deren mögliche Regierungsbeteiligung man eben noch als Untergang des Abendlandes (oder des Sozialstaats, oder der Umwelt, oder des Unternehmertums) gegeißelt hat. Die Demokratie lebt vom Streit der Meinungen.

Freilich ist keineswegs sicher, dass sich diese neue Übersichtlichkeit auch durchhalten lässt. Angela Merkel hat die Union nicht aus Überzeugung nach rechts geführt (und da nur symbolisch, mit der Laufzeitverlängerung für AKW, dem Bekenntnis zu Stuttgart 21 und einer verbalen Attacke auf den Multikulturalismus), sondern weil sie einsehen muss, dass Basis und Stammwählerschaft nur zu mobilisieren sind, wenn man ihnen einredet, es ginge um etwas, oder noch besser gegen etwas: Windräder, Technikfeinde und Ausländer zum Beispiel, mitsamt den Bildungsbürgern, die so etwas schick finden.

Auch die Grünen-Realos um Cem Özdemir und Jürgen Trittin geben eher mit schlechtem Gewissen der Basis nach, die umgekehrt endlich wieder die „Atomkraft? Nein Danke!“-Plaketten an ihre mittlerweise schicker gewordenen Autos kleben will. Und die SPD-Spitze weiß zwar  genau, dass Gerhard Schröders Hartz-Reformen genauso unumgänglich waren wie es Franz Münteferings Rente mit 67 ist; aber die Basis möchte gern wieder trillerpfeifend und guten Gewissens gegen soziale Kälte demonstrieren.

Die Parteien, heißt es im Grundgesetz, tragen zur politischen Willensbildung bei, und sie tun das zuweilen gegen die Vernunft ihrer Führungen, die mal regiert haben oder gern regieren wollen. Sie sind Weltanschauungsvereine, die eigentlichen Stammtische der Nation, und sie fordern von ihrem Leitungspersonal einen entsprechenden Tribut.

Was ist aber, wenn sich trotz aller Stammwählermobilisierung die erwünschte Übersichtlichkeit bei den Verhältnissen im Parlament nicht einstellt? Wenn der notorisch unzuverlässige Wähler etwa in Baden-Württemberg eine Situation schafft, in der Schwarz-Grün die einzige regierungsfähige Konstellation ist (oder wider Erwarten in Hamburg ähnliches herbeiführt)? Und so weiter durch die verschiedenen Landtagswahlen der kommenden Jahre (2011 neben BaWü und HH sind das Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, 2012/13 Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bayern, Hessen) bis hin zur Bundestagswahl im Herbst 2013?

Im Zeitalter der Nicht- und Wechselwähler ist es besonders fatal, auf jene durchaus untypischen Zeitgenossen zu hören, die abends lieber in Parteiversammlungen als in der Kneipe sitzen und samstags lieber am Parteistand stehen als einkaufen gehen. Es ist heute Mode, mürrisch  zu beklagen, alle Parteien würden sich gleichen; allerdings konnte man zur Zeit der Rot-Grünen Koalition immer wieder die Klage hören, die Parteien würden sich nur bekriegen, statt gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Sollte der Lagerwahlkampf nicht zu klaren Lager-Mehrheiten und entsprechenden Regierungen führen, dürfte sich der Unmut unter den einfachen Parteimitgliedern, besonders bei der Union und der FDP, steigern. Es dürfte dann nur eine Frage der Zeit sein, bis sich rechts von der Union eine ernst zu nehmende Partei mit Parolen gegen Zuwanderung, europäische Integration und Globalisierung etabliert. Genau das will ja Merkel mit ihrem Schwenk nach rechts verhindern. Gerade dadurch aber, dass sie eine Wende suggeriert, die ihre Partei in der Praxis nicht durchhalten kann, könnte sie am Ende dieses unerwünschte Ergebnis beschleunigen. Freilich würde die Entstehung einer wählbaren Rechtspartei, die notgedrungen von Union und FDP vorerst jedenfalls mit dem Bann belegt werden müsste, die Vorherrschaft von Rot-Grün auf mindestens ein Jahrzehnt sichern.

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7 Gedanken zu “Hamburg oder die neue Übersichtlichkeit;”

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    Die Grünen sind mit ihrer „Dagegen-Politik“ ja nur deshalb so erfolgreich, weil der Wähler sehr genügsam geworden ist. Viele Bürger sind verärgert über schwarz-gelb und versuchen diesem Ärger nun mit Fundamentalopposition luft zu machen. Genau diese Wähler versuchen die Grünen für sich zu gewinnen, denn dagegen zu sein ist einfacher als konkrete Lösungen anzubieten – außerdem würden
    dann viele Wähler begreifen, welche Ziele die Grünen in Wahrheit verfolgen.
    SPD und Grüne sind verantwortlich für Hartz4, Ausbau der Leiharbeit, Rentenkürzung, etc..siehe Zustimmung im Bundestag (Stichwort Schröder, der Genosse der Bosse).Immer schön zurück schauen, wer für was verantwortlich ist oder mitgewirkt hat!

    Man kann nur hoffen, dass die Bevölkerung diese Taktik vor der nächsten Wahl durchschaut.

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    @Rite E. Groda: Ein schöner Film, nur habe ich keinen Fernseher und will schlafen. Was die Wählerfluktuation betrifft: ich glaube es ist ein gutes Zeichen, dass die Leute nicht so flächendeckend wie früher an bestimmten Parteien und Meinungen kleben, ein Zeichen der Selbstständigkeit. Allerdings um den Preis der Unberechenbarkeit: Man kann schnell die Gunst der Stunde nutzen und mit wehenden Fahnen in den Bundestag einziehen, aber genauso schnell kann man beim nächsten Mal wieder herausgeworfen werden. Was dann wieder ein tröstlicher Gedanke ist.

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    @Alan Posener: Ja, theoretisch könnte auch die FDP die Rolle des Demagogen am rechten Rand übernehmen. Das dazu benötigte Feindbild ist von Leuten wie Sarrazin und Wilders bereits fertiggestellt worden und wartet nun auf die Verwurstung. Dies hätte für die FDP allerdings mind. zwei Nachteile: Sie würde erstens einer sechsten rechten Partei den Weg versperren; das Parteiensystem bliebe also bei fünf Parteien, was ein struktureller Nachteil für die Rechte ist. Und zweitens wäre eine Koalition mit der SPD nun erstmalig auch inhaltlich unmöglich geworden, was für die FDP bedeutet, dass sie nur noch eine einzige Machtoption hätte: eben ein rechtes Bündnis. Ich glaube also, dass die FDP dort bleiben wird, wo sie ist, und lediglich ihre Machtoption nach rechts erhalten und nach links eröffnen wird.

    Für die CDU wäre eine neue rechte Partei ein echtes Problem, das ist klar. So wie die LINKE für die RotGrünen ein Problem ist. Nach einiger Zeit werden beide entweder weggewählt oder für koalitionsfähig erklärt. Solange wäre im Fall einer Rechtspartei Rot-Grün in der Tat im Vorteil. Allerdings könnte trotz Rechtspartei FDP+CDU wieder eine Mehrheit finden oder Jamaica gemacht werden, was mit einer neuen Rechtspartei wahrscheinlicher werden würde.

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    Wir sind keine Engel, alle. Ustinov, Bogart und Henreid
    haben die sog. Klassifizierungen, die Guten und die Bösen, zur interessanten Glosse gemacht, die um 0,20 gesendet wird und die gängigen Klischees karikiert, oder in Frage stellt.Die Guten sind hier die Bösen und umgekehrt.

    Was spricht eigentlich ernsthaft dagegen, daß der Wähler sich z.B. so verhält, wie Frau Merkel es in ihrem Fernseh-Statement, vor der Wahl, für sich in Anspruch nahm. Wenn ich sozialdemokratisch denken muß, bin ich sozialdemokratisch, wenn ich konservativ handeln muß, tue ich das konservativ. Heute empfinde ich diese Aussage nicht mehr so opportunistisch, wie damals.
    Ich gebe, allerdings zähneknirschend zu, daß dieser Standpunkt nicht unrichtig war, als einmaliges Zeichen für Flexibilität. Im Hinblick auf die Stammwähler natürlich gefährlich. Frau Merkel wollte für eine Weltanschauung stehen, die nicht ausschließlich konservativ ist.
    Im Hinblick auf die künftigen Wahlen hat sie jetzt, unseligerweise, eine einseitige Profilschärfung vorgenommen. Das ist wenig hilfreich!

    Den Nachtschwärmern viel Spaß bei den Engeln.

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    @Roland Ziegler: Ihre Einschätzung ist nicht unrichtig, Britische Verhältnisse sollte man aber, tatsächlich, bloß nicht herbeireden.
    Es ist ein Qualitätsmerkmal unseres Systems, daß sich der Unmut der Bürger nicht an rechts- und linksradikalen Rändern manifestiert. Gleichzeitig aber auch das Dilemma der für die Mitte stehenden Parteien.

    Das anscheinend tief verwurzelte Mißtrauen in die Basis, aller Parteien, auch von Herrn Posener, irritiert mich.
    Wir sind nicht in der Schweiz, Abstimmungen über die Grundlagen unseres Systems sind vom Grundgesetz her nicht möglich. Die Basis, der Normalo-Wähler, entscheidet bei der Wahl rein projektorientiert. Das ruft natürlich inzwischen bei den Parteien große Verunsicherung hervor.
    Bei nicht nur Herrn Posener ist dieses Mißtrauen, verständlicherweise, biografisch bedingt.Andererseits, war der 9.November, ich meinte die Reichskristallnacht, die freiwillige und begeisterte Aktion einer bescheuerten Basis? Oder hat eine skrupellose „Elite“ einen, zugegebenermaßen latent vorhandenen Antisemitismus in die“(r)echten Bahnen“ geleitet?

    Eine gewählte aber auch selbsternannte Elite hat Angst um ihre Pfründe. Der Basis unterschwellig den schwarzen Peter für eigenes Versagen unterschieben zu wollen, sogar bereits für das zukünftige – eigentlich ganz schön frech.

    Marktforschung, im Supermarkt und in der Kneipe, würde nicht nur bei Politikern zu erhellenden Einsichten fürhren. An manch Deutschen Stammtischen wird heute vernünftiger diskutiert, als im Deutschen Bundestag. Hat der populärste Deutsche Hundehalter, mit der Lizenz zum Lachen, kürzlich auch bemerkt.

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    @ Roland Ziegler: Interessante Gedankengänge. Ich frage mich aber, wie anfällig etwa eine auf fünf Prozent reduzierte FDP wäre für eine Profilierung im Sinne von Haider oder Wilders. Möllemann hat das ja schon versucht, nur mit dem falschen Feind, den Juden, und das war gar nicht so erfolglos. (Sie begreifen hoffentlich die Ironeie in dem Begriff vom „falschen Feind“. Heutzutage weiß man nie…) Herbeireden will ich nichts. Die Frage ist, ob eine Rechtspartei dem rechten Parteienspektrum nützt oder schadet. Und ich sage: Weil die politische Korrektheit (und vielleicht sogar der simple Anstand) es der CDU für einige Jahre verbieten würde(n), mit einer solchen Partei zu koalieren, würde eine Rechtspartei vor allem Rot-Grün Nutzen bringen, so wie die Linkspartei die wichtigste Stütze der Kanzlerschaft Angela Merkels ist.

  7. avatar

    Eine Vorherrschaft von Rot-Grün über mindestens ein Jahrzehnt ist m.E. ausgeschlossen, weil bei dieser Konstellation zu viele und zu einflussreiche Zeitgenossen aus den verschiedensten Branchen irrationale, geradezu allergische Abwehrreaktionen zeigen. Rot-Grün ist immer eine kipplige Angelegenheit.

    Ansonsten aber kann ich zustimmen, wobei die Rolle der LINKEN unbetrachtet geblieben ist. Wenn sie ein paar Positionen über Bord werfen und ihre Fundis rausschmeißen, könnte mit ihnen eine wesentlich stabilere 3-Parteien-Mehrheit entstehen. Nimmt man hinzu, dass die FDP sich auf ein breiteres Fundament des Liberalismus besinnen könnte, das noch etwas anderes als Wirtschaftsliberalismus bietet, würde das dazu führen, dass sie sich Ampelkonstellatinen nicht weiter verschließen könnte. Und dann hätte man eine große Varianz möglicher Koalitionen um einen rotgrünen Kern herum.

    Das ist für die Konkurrenz, die sich so gerne irreführenderweise als „bürgerliches Lager“ bezeichnet, ein echtes Problem. Auch um dieses Problem zu lösen, wird die Rechtspartei kommen. Das Personal dafür versucht sich ja schon ins Gespräch zu bringen (siehe z.B. J.-O. Henkel). Man sollte dieser Gründung allerdings viel viel Zeit lassen – gut Ding will schließlich Weile haben – und sie nicht herbeireden.

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