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Ein großes Loch

Von Alexander Görlach, Herausgeber und Chefredakteur „The European“:

Es ist überhaupt nichts Besonderes, dass Dossiers und Notizen angefertigt werden. Von Politikern, Wirtschaftsbossen, Medienmenschen. So machen das Diplomaten eben. Und was stand schon aufregend Neues in den Depeschen des amerikanischen Botschafters in Deutschland? Dirk Niebel eine „schräge Wahl“, Horst Seehofer „unberechenbar“. Das hätte Phil Murphy aus der Zeitung abschreiben können, das hätten Hillary Clintons Beamte beim Lesen von The European oder anderen deutschen Qualitätsmedien auch erfahren können.

Vielleicht gibt es die arme FDP-Wurst am Ende gar nicht, die sich aus vermeintlichem Geltungsdrang heraus dem Vertreter der letzten Supermacht in unserem armen und gebeutelten Land ans Bein geworfen und anheischig gemacht hat. Vielleicht ist es der Geltungsdrang des Botschafters selbst? Auf jeden Fall ist es eine Frechheit, jedes, aber auch jedes Wort, so wie es scheint, das man zu ihm spricht, diplomatisch zu verwerten. Diplomatisch – oder nachrichtendienstlich? Der SPIEGEL deutet die Depeschen in diese Richtung, ihr Wortlaut legt das nahe. Im Prinzip bleibt dem US-Botschafter nichts anderes übrig, als die Bundesrepublik zu verlassen.

Zum Glück gibt es Wikileaks, sonst wäre das nicht ans Licht gekommen! Das scheint bei manchen die Schlussfolgerung aus diesen Enthüllungen zu sein. Diese Schlussfolgerung ist falsch. Bestimmte Inhalte sind einer Öffentlichkeit zuzumuten: ausrecherchierte Geschichten, Stimme und Gegenstimme. Abwägung einzelner Umstände. So arbeiten Journalisten. Einen Berg Dokumente ins Netz stellen? Nicht auf die Konsequenzen achten? Sich selber dadurch zum Spielball anderer Interessen machen? Diese Nachfragen kümmern den Wikileaks-Chef nicht. Rund um den Globus müssen Journalisten seine Arbeit machen und die Papiere auswerten.

Geheimnisverrat ist kein Kavaliersdelikt. Schon jeder Arbeitnehmer unterschreibt in seinem Vertrag, die Interna des Unternehmens, für das er arbeiten wird, nicht nach außen zu tragen. Viel mehr gilt das in Ministerien und Armeeführungen. Die Veröffentlichungslust der einen paart sich mit der Hybris Assanges, der Weltöffentlichkeit für einen Moment klarzumachen, mit welcher Machtfülle er sich ausgestattet glaubt. Beide Motive sind widerlich. Als Nächstes, so lässt der schaurige Weißhaarige verlauten, sei die Wall Street mit Enthüllungen dran. Ruhig Blut, wir werden auch hier sicher vor allem das erfahren, was wir schon wussten. Oder glauben Sie, es kommen Unterlagen ans Licht, wonach sich Banker reihenweise mit ihren Boni in sozialen Projekten in der Dritten Welt engagiert haben?

Was Assange will, ist die totale Transparenz. Sein Credo ist die finale Öffentlichkeit alles Gesprochenen und Gedachten, er ist ihr Hohepriester. Es gibt nun aber Dinge, die nicht für eine größere Öffentlichkeit bestimmt sind: was Sie mit Ihrem Partner besprechen beispielsweise. Oder mit Ihrem Arzt. Stellen Sie sich vor, alle Krankenakten der Einwohner Ihrer Stadt würden auf einmal ins Netz gestellt.

Wikileaks ist kein Segen, sondern ein Fluch. Für uns alle. Assange führt auf obskure Weise eine obskure Organisation. Wann gibt es dort mal ein Leck, wann packt da mal jemand aus? Botschafter Murphy ist ein geschickter Fragesteller. Nach seiner Demission aus Deutschland kann er im Wikileaks-Umfeld den Aushorcher geben. Zeit dafür hat er ja dann.

Alexander Görlach ist Herausgeber und Chefredakteur des Debatten-Magazins The European.

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7 Gedanken zu “Ein großes Loch;”

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    Weder Assange noch Wikileak sind ein „Fluch“ fuer das „normal“ Publikum – aber dieser Autor meint solche „Unarten“ sollten nicht erlaubt werden. Weil sie die Wuerde euerer Besatzungsmacht verletzen ? Die USA sucht immer nach Hebeln zur Erpressung . Hinter jeden U.S. Diplomaten kommen die „Enforcer“(Erpresser) von der „Back Office“ – und die sagen nur leise Hinweise wie: „Wenn Costa Rica die Forderung nicht befolgt und dem International Criminal Court trotzdem beitritt – koennte die USA die Haefen Costa Ricas als ‚insecure‘ fuer den Turismus klassifizieren…“ -( aber die Gewerkschaft der oeffentlichen Angestellten hat das trotzdem durch ihren geheimes Abhoersystem im Praesidentenpalast „mitgehoert“ 2005…) Wie fremde Politiker, Diplomaten und Staatsleiter und ihre Familien „indirekt“ von USA erpresst werden – waere zu gruslich fuer Wikileaks! Die USA hat sich nie gescheut sogar die Mafia und noch Schlimmere fuer ihre Ziele zu nuetzen – innerhalb der USA ( z. B.gegen die „unabhaengigen“ Gewerkschaften) und im Ausland zum Lahmlegen von Gewerkschaften, Haefen, Heuer von Muskelmaenner, Saboteure, Waffenschmugler und „Sicarios“.

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    „Wikileaks ist kein Segen, sondern ein Fluch.“

    So? Und wer ist der Hohe Priester?

    Wikileaks, das sind Wir (!) lieber Herr Görlach. Sie und ich. Hätten wir kein Interesse daran, dann gäbe es Wikileaks doch gar nicht. Jeder Bericht, der über Wikileaks schreibt, befördert doch erst das Ding, zu dem es geworden ist, – auch Ihrer! Wikileaks ist spannend. Es ist zugleich gut und böse, – weil es beschreibt unsere Wirklichkeit. Oder sind Diplomatendepeschen nicht ein Abbild der Wirklichkeit? Wir sind gierig nach Informationen, warum interessiert sich Spiegel für die Inhalte? Wieso wird die Veröffentlich so inzeniert? Stück für Stück…tagelang, wochenlang? Monatelang? Wir verhalten uns wie Voyeure, die durch´s Schlüsselloch schauen dürfen, haben angst, etwas zu verpassen, sind gespannt, was Neues kommt. Warten auf den Skandal, hoffen, mit dabei sein zu können, wenn es zum Eklat kommt. Scharren mit den Hufen, um ja nicht zu verpassen.

    Es sind Wir! Es ist ein Teil von uns, es ist unser – Netz -, das uns vorgeführt wird. Nichts ist so spannend, wie die Wirklichkeit. Es gäbe Wikileaks nicht, wenn wir das Gefühl hätten, wir wüssten schon alles. Hat uns die Mainstreampresse etwa irgendwas vorenthalten? Sind die Amis tatsächlich Die, für die wir sie halten? Wir wollen es wissen, wir gieren danach!

    Ob Wikileaks ein Fluch oder ein Segen sein wird. Auch das entscheiden Wir! Werden die Mächtigen vorsichtiger werden, oder sich noch weiter abkapseln? Oder schlägt das Pendel in die andere Richtung und Wikileaks wird geoutet als machtlüstern, gepaart mit Veröffentlichungslust, wie sie es bezeichnen?

    Herr Görlach, Wikileaks ist spannend, weil es ist ein Teil von uns. Die Welt ist klein geworden, durch das internet. Wir sehen uns im Spiegel, in doppelter Bedeutung. Es liegt an uns, was wir daraus machen.

    Kinder, haben einen klareren Blick.

    Liebe Kinder, wie das Land, so das Netz

    http://ralfschwartz.typepad.co.....-netz.html

  3. avatar

    Herr Görlach, was ich mit meinem Arzt oder meiner Partnerin bespreche, landet nicht auf Wikileads. Warum eigentlich nicht? Dazu sagen Sie nichts. Sie haben also selber Ihre Geschichte nicht bis zur Öffentlichkeitsreife gebracht, und trotzdem steht sie jetzt im Internet.

    Stattdessen wissen Sie bereits jetzt, was zukünftig alles aus dem Verborgenen ans Tageslicht befördert wird. DAS nenne ich Hybris.

    Das Leben von Assange hängt am seidenen Faden. Er wird außerdem von Interpol gesucht. Wegen Hochverrat o.ä.? Nein, wegen Vergewaltigung. Welche mutmaßlichen Vergewaltiger werden eigentlich sonst noch von Interpol gesucht?

  4. avatar

    Das ganze Internet ist ein Segen und Fluch zugleich!
    Wer die ganzen Veröffentlichungen durchforstet,
    kann nichts wirklich bewegendes feststellen.
    Außer dass Clinton zur Spionage angestiftet haben soll.
    Außer dass der ganze arabische Raum den Iran in den Krieg führen will.
    Außer dass Putin und Berlusconi bedenkliche Geschäfte machen???
    Außer dass in Afganistan Zivilisten mordlüstern erschossen wurden mit Gelächter.
    Außer dass der homosexuelle Büroleiter von Westerwelle der Maulwurf war,der die Nachrichten direkt von seinem Notizblock angelesen hat und dem amerikanischen Diplomat aushändigte.
    Politiker zu beschreiben ist da noch harmlos.
    Aber es war absolut treffend.
    Brauchen wir im schnellen Zeitalter des Internets und Handy solche Foren?
    Ich sage „ja“
    Es zwingt Menschen dazu ehrlicher zu sein.
    Wir haben eine Kultur erschaffen von Hinterhältigeit,Falschheit und Korruption.
    Wir haben keine Kontrolle mehr in unserer Demokratie.
    Alle Massenmedien arbeiten für den Mainstream der uns aufzwingt, was oder wie wir denken sollen.
    Das Internet zwingt uns dazu , selber nachzudenken.
    Die Nachrichtenflut ist so groß und schnell,
    dass wir alle nachdenken müßen.

  5. avatar

    Herr Görlach: Hätte sich der Deutsche Nachrichtendienst, oder Plural, bei Wikileakes erkundigt, ob der Super-Mega-Informationslieferant zum Irak die Wahrheit spricht, wäre es ein wahrer Segen gewesen, für die USA, Herrn Busch und die zahllosen Opfer dieser Lüge.

    Mich schüttelt die Selbsgerechtigkeit Ihrer journalistischen Aussage, die Anmaßung und daß Sie sich in diesem Beitrag mindestens einmal selber widersprechen.
    Danke für Ihre Belehrungen, wir können selber denken!!

  6. avatar

    Sehr geehrter Herr Görlach,
    a propos Geltungsdrang – das arme FDP-Würstchen wurde bereits seines Amtes als Büroleiter enthoben, in gegenseitigem Einvernehmen.
    Was die öffentlich rechtlichen Medien mit 2 Sätzen in den Nachrichten so nebenbei erwähnten.
    Manchmal, ja manchmal ist die Nachricht von heute schon der Schnee von gestern.

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