Angela Merkel hat in ihrer bisherigen politischen Karriere ein deutlich ausgeprägtes Machtbewusstsein bewiesen, mit dem es ihr gelungen ist, innenpolitische Kontrahenten aus dem Feld zu schlagen. Auch außenpolitischen Gegnern – selbst egomanen Autokraten – hat sie erfolgreich Paroli geboten. Dass Trump sich auf sie einschießt, hat mit diesen Qualitäten zu tun, die er (starken) Frauen missgönnt. Die Kanzlerin hat einen überragenden Verstand und die Fähigkeit, politische Prozesse von ihrem vermutlichen Ende her zu bewerten. Dies hat blendend funktioniert, bis die Kanzlerin von dieser Rationalität abgelassen und ihren Emotionen freien Lauf gelassen hat: im denkwürdigen September 2015, als sie für den über die Balkan-Route anmarschierenden Flüchtlingsstrom die Grenzen des Landes öffnete. Weiterlesen
Month: Juli 2018
Die Grenze des Sagbaren
Sprache hat die schöne Eigenschaft, den gesellschaftlichen Wandel abzubilden. Mit zeitlicher Verzögerung sickern sprachliche Prägungen sozialer Bewegungen in den allgemeinen Sprachgebrauch ein und werden vom flexibel reagierenden Sprachkörper absorbiert. So hat die Studentenbewegung von 1968 sprachliche Wendungen geprägt, die heute selbstverständlich zum Sprachgebrauch der Deutschen gehören: „Selbstbestimmung“, „mündiger Bürger“, „Basisdemokratie“, „ziviler Ungehorsam“, „strukturelle Gewalt“, „antiautoritäre (partnerschaftliche) Erziehung“, „etwas ausdiskutieren“. Auch die Grünen waren seit ihrer Gründung im Jahre 1980 beim Prägen neuer Begriffe sehr erfolgreich: „Nachhaltigkeit“, „biologische Nahrungsmittel“, „regenerative Energiegewinnung“, „Klimaschutz“ zählen zu ihren großen Hits. In der Pädagogik ist ihnen ein besonderer Clou gelungen. Mit der Forderung nach „längerem gemeinsamen Lernen“ haben sie eine Formel geprägt, die durch die positive Konnotation des Wortes „gemeinsam“ bei vielen Eltern gut ankommt. Weiterlesen
Gaulands agitatorische Rede auf dem Parteitag der AfD in Augsburg – eine Analyse
Alexander Gauland, Co-Bundesvorsitzender der AfD, hat auf dem jüngsten Parteitag in einer agitatorischen Rede klar gezeigt, wie doppelzüngig sein Verständnis von Pluralismus ist. Während die AfD seiner Auffassung nach im Bundestag für Pluralismus sorgt, überzieht Gauland die politische Konkurrenz mit DDR-Vergleichen wie „Blockparteien“ und attestiert der CDU gleich ganz, „in der Demokratie nichts verloren“ zu haben. Eine ausführliche Analyse.
Seit mehr als fünf Jahren existiert die AfD nun und irgendwie hat man sich an ihre ständigen Tabubrüche schon so sehr gewöhnt und wird von diesen auf Trab gehalten, dass man den Blick für den jetzigen Grundsound der Partei verliert. Deshalb lohnt es sich, einen näheren Blick auf die Rede zu werfen, mit welcher der Co-Bundesvorsitzende Alexander Gauland den Bundesparteitag der AfD am vorletzten Wochenende in Augsburg eröffnet hat. Weiterlesen
Orwells Schafe
Ich hatte hier Rainer Werners Kritik an Willi Jaspers Buch über 68 und die Folgen meinerseits kritisiert. Darauf antwortete Rainer ausführlich in einem Kommentar. Auch dieser Beitrag kann nicht unwidersprochen stehen bleiben.
Lieber Rainer,
1. Herr Keuner ist ein Weiser. Er weiß, dass nicht nur Linke sich irren, sondern dass Irren menschlich ist. Vielleicht kann man die Welt sogar einteilen in solche, die demütig wie Herr Keuner sind und solche, die glauben, ihre politische Position – links, rechts, grün, liberal, feministisch, antiimperialistisch – mache sie für Fehler immun.
Kritik im Selbstschongang
Der Beitrag meines Freunds und Ex-Genossen Rainer Werner kann nicht unwiderprochen bleiben.
Lieber Rainer,
du wirfst vielen ehemaligen 68ern zu Recht vor, Ihre Jugend zu verklären.
Genau dagegen richtet sich Jaspers Buch. Erstaunlich, dass du das nicht erkennst. Jasper macht klar, dass 68 mitnichten eine frohes antiautoritäres Fest der Fantasie war, sondern eben schon voller Gewalt steckte; dass Mao lange vor Gründung der K-Gruppen Säulenheiliger des 68er Establishments war.
Selbstkritik im Schongang
Wie ein führender Maoist der 1970er Jahre die 68er-Bewegung erklärt
Es ist menschlich, die Zeit, die man als Jugendlicher und Heranwachsender verbracht hat, in rosiges Licht zu tauchen, Unliebsames und Peinliches auszublenden. Politische Aktivisten, die einst angetreten waren, Geschichte zu schreiben, sind davor nicht gefeit. Allzu gerne reden sie sich ihr Engagement nach dem Scheitern ihrer Ambitionen schön. Wie das funktioniert, kann man an den „Erinnerungen“ ehemaliger „68er“ sehen: Schönfärbereien und Geschichtsklitterungen zuhauf. Ein extremes Mittel der Realitätsverdrängung ist die Fälschung. Eine solche Retusche nahm z. B. der Schriftsteller Peter Schneider in seinem Buch „Rebellion und Wahn“ (2008) vor. Bei der Strategiekonferenz des SDS im Jahre 1969 habe er den Gedanken vorgetragen, es komme darauf an, „in die Betriebe [zu] gehen und die Arbeiterklasse [zu] mobilisieren.“ Vor allem aber forderte er, wie Tonbandprotokolle jener Sitzung belegen, in einem flammenden Plädoyer, „eine zentralisierte Organisation nach marxistisch-leninistischem Vorbild“ zu gründen. Joschka Fischer und Jürgen Trittin versuchten, ihr gewalttätiges Auftreten im Frankfurter Straßenkampf (Fischer) und an den Zäunen der Atomanlagen von Brokdorf, Kalkar, Grohnde (Trittin) kleinzureden, als sie Minister waren. Weiterlesen