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Wir sind, was wir erzählen

Im Kalten Krieg waren Stacheldraht und Wachtürme der Inbegriff der Grenze. Nicht zufällig wurde der Ostblock als sozialistisches Lager bezeichnet. Nach dem Ende der Systemkonfrontation öffneten sich die Grenzen. Ob ganz abgeschafft, wie im Schengenraum, oder weiter kontrolliert, wurden sie seitdem grundsätzlich durchlässig: für legale und illegale Waren ebenso wie für legale und illegale Menschenströme. Der gemeinsame Nenner für die Überschreitung einer kontrollierten Grenze ist die Korruption. Ob gescheiterte Staaten oder schwache Fassadendemokratien: deren politisches und Sicherheitspersonal verdient mit. Man könnte das auch Globalisierung nennen.
Der Erfindungsreichtum der betroffenen Akteure kennt dabei keine Grenzen. Er reicht von der Bestechung korrupter Beamter in der Entscheidungskette sowohl in den Herkunfts-, als auch in den Zielländern bis zum florierenden Markt der Fälscher und Schlepper, die auf die Nachfrage aus den Abwanderungsgebieten mit vielfältigen Angeboten reagieren. Ein unberechtigtes Visum, eine falsche Identität oder gar eine echte Staatsangehörigkeit sind eine Frage des Preises. Die gefälschten Bescheinigungen der Taliban über die angebliche Verfolgung sämtlicher Asylsuchender zum Preis von tausend Dollar oder die aus der Türkei nach Deutschland geschickten leeren syrischen Pässe führen die schnelle Diversifizierung des Angebots vor Augen.
Der Rechtsstaatsapparat der Zielländer mit ihren Gutachtern und Anwälten, die in den Schengenstaaten an der Verhinderung der Abschiebungen aus humanitären Gründen völlig legal verdienen, vervollständigt das Netzwerk der grenzübergreifenden Korruption. Freilich wird dadurch das individuelle Asylrecht, das die Entscheidung an die Identität des verfolgten und gefährdeten Flüchtlings festmacht, an absurdum geführt.

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Einwanderung „made in Germany“

Von Sonja Margolina:

Millionen von Migranten strömen ins Land. Unter ihnen gebe es junge und fähige Menschen, die zum gemeinsamen Wohlstand beitragen könnten, war neulich im SD- Beitrag von Anna-Christina Grohnert „Vielfalt zahlt sich aus“ zu lesen. Sie würden eine demografische Talfahrt beenden und vielleicht den begabten Nachwuchs mitbringen. Wie Sergej Brin, der als Fünfjähriger mit seinen jüdischen Eltern als Mathematiker 1978 in die USA ausgewandert war und später Google gegründet hatte. Oder Steve Jobs, der Sohn syrischer Einwanderer, der in den USA adoptiert wurde. Wider die guten Absichten der Autorin liest sich der Artikel weniger als Plädoyer für die Einwanderung, denn eher als Beleg für deren Scheitern in Deutschland.

Die Eltern von Sergej Brin würden vermutlich nicht auf Idee kommen, nach Deutschland auszuwandern. Weiterlesen

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Die letzte Ambulanz

Von Sonja Margolina:

Auf einer Tagung begegnete ich einem Bulgaren, der in Berlin promoviert wurde und in einer Parteistiftung arbeitet. Sein Berufsweg war exemplarisch für Ostblock-Zeitgenossen, die als Heranwachsende dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems beigewohnt hatten und mit einer bis dahin undenkbaren Selbstverständlichkeit die Vorteile der Bewegungsfreiheit genießen dürften. Wir unterhielten uns über die Abwanderung des Bildungsnachwuchses aus Bulgarien und anderen postsozialistischen Ländern.

Kurz vor diesem Gespräch habe ich mir den Dokumentarfilm „Sofias letzte Ambulanz“(2012) im Berliner Off-Kino „Krokodil“ angeschaut. Dessen Regisseur Ilian Metev ist ein Bulgare, der nach London ging. Das Kamera-Team begleitete eine der wenigen übrig gebliebenen Notambulanzen in Sofia bei ihren Einsätzen. Deren Mannschaft – ein übermüdeter, unterbezahlter Arzt um die 50, eine ältere Krankenschwester und ein Fahrer – könnten ihren Lebensunterhalt im Ausland oder in einer privaten Klinik verdienen, aber sie retten Menschenleben in den gottverlassenen, buckligen, unbeleuchteten Gassen. Der Zerfall sozialer Strukturen, Anonymität, Hoffnungslosigkeit begegnen dem Zuschauer auf Schritt und Tritt. Weiterlesen

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Der Pipeline-Fluch

Von Sonja Margolina:

Fast unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit wurde auf dem East Economic Forum, das am 3-5.September in Wladiwostok stattfand, ein Milliardendeal zwischen dem russischen Staatskonzern Gazprom und dem Chemiekonzern BASF unterzeichnet. Das Abkommen sieht vor, dass die BASF-Tochter Wintershall ihre Gashandel- und Gasspeichergeschäft zum Ende dieses Jahres vollständig an Gazprom abgibt. Zugleich haben Gazprom und eine Reihe europäischer Partner, unter anderem EON, Wintershall und Royal Dutch Shell, ein Konsortium gebildet, das bis Ende 2019 zwei zusätzlichen Gas-Pipelines in der Ostsee verlegen wollen. Bei der Kapazität von 55 Mrd. Kubikmeter Gas werden die neuen Stränge zusammen mit dem bereits in Betrieb genommenen Nordstream Russland ermöglichen, ein Drittel des gesamteuropäischen Verbrauchs zu decken und die Ukraine als Transitland überflüssig machen.

Für die betroffenen deutsche Wirtschaft ist das Abkommen, das bereits 2013 beschlossen, aber wegen der Ukraine-Krise aufs Eis gelegt wurde, eine Rückkehr zum business as usual. Vor dem Hintergrund der immer noch bestehenden Sanktionen gegen Russland ist der Deal jedoch ein politischer Dolchstoß. Weiterlesen

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Der Schwanengesang des Imperiums, Teil 2

Von Sonja Margolina:

General Dawydow, ein Protagonist meines Romans „Brandgeruch“ (Berlin-Verlag 2011), hat eine steile Karriere in der sowjetischen Außenaufklärung hinter sich. In den 70er Jahren war er einem Zirkel von Geheimdienstverschwörern beigetreten, die zum Ziel hatten, das unfähige Politbüro zu entmachten und die Konfrontation mit dem Westen zu beenden. Anfangs von der Perestroika und dem Zerfall der Sowjetunion (SU) überrumpelt, gelang es den Verschwörern doch noch, ihren Einfluss zurückzugewinnen und ihn sogar noch auszubauen.

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