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Aus meinem Songbuch (4): Routine Check Up

Ich wollte immer schon einen dieser Songs schreiben, die von historischen oder biblischen Anspielungen leben. Der bekannteste ist wohl Bob Dylans “Highway 61 Revisited”, der mit der großartigen und schrecklichen Zeile beginnt: “God said to Abraham, kill me a son”. Abraham kann das gar nicht glauben: Du machst Witze oder? Gott so: Mach, was du willst, Abe, aber wenn ich das nächste Mal hier vorbeikomme, solltest du lieber eine Fliege machen.

Womit der Charakter dieser furchtbaren Gestalt klar wird: Er ist ein Gangster.

Ungefähr um die gleiche Zeit schrieben Mick Jagger und Keith Richards “Sympathy For The Devil”, wo sich Lucifer brüstet:

I was round when Jesus Christ / Had his moment of doubt and pain / Made damn sure that Pilate / Washed his hands, sealed his fate.

Isaak und Jesus: sozusagen die spiegelbildliche Situation: Von Abraham fordert Gott seinen Sohn; in Gestalt Jesu gibt er selbst seinen Sohn hin. Man kann fragen, was besser ist. Ein anderes Mal. Theologisch ist “Sympathy For The Devil” aber an dieser Stelle fragwürdig; denn wenn es der Teufel war, der Pontius Pilatus dazu bewegte, seine Hände in gespielter Unschuld zu waschen, den Juden die Schuld für die Hinrichtung des Gottessohns in die Schuhe zu schieben und Jesus kreuzigen zu lassen, so hat er – der Teufel – dadurch nicht nur die Grundlage des christlichen Antisemitismus gelegt, was ganz in seinem Sinne gewesen sein dürfte, sondern seinen eigenen Untergang besiegelt. Denn das Sühneopfer Jesu ist – jedenfalls nach der Kreuzestheologie – nicht nur das Gegenstück zum Tod Isaaks auf dem Berg Moria (ein Opfer, das Gott im letzten Augenblick verhindert),  sondern vor allem die Antwort auf den Fall Adams, die Erlösung von der Erbsünde, die Möglichkeit des Neubeginns. Vielleicht sollte man gerade deshalb “sympathy” – Mitleid – mit Lucifer empfinden. Wie man es als Teufel macht, ist es falsch.

Aber der Song ist überhaupt intellektuell etwas überambitioniert. Der Klassiker des Genres Bibelrock ist “Hard Headed Woman” von Claude Demetrius, dessen Spezialität frauenfeindliche Songs waren. Zum Beispiel “Mean Woman Blues” (toll die Aufnahme von Roy Orbison) oder “Ain’t that Just Like A Woman” (unten die Aufnahme vom großen Louis Jordan) wo es heißt:

There was Adam, happy as a man could be
Till Eve got him messin‘ with that old apple tree
Ain‘t that just like a woman?
Yeah, ain‘t that just like a woman?
Ain‘t that just like a woman?
They‘ll do it every time

Es geht weiter mit Lot und seiner Frau, Samson und Delilah, Nero (entweder schwulenfeindliche Anspielung oder männliche Selbstironie), Marie Antoinette und schließlich den Frauen überhaupt. Die Idee variierte Demetrius in “Hard Headed Woman”, einem Song, den er für Elvis sang:

Adam told Eve
„Listen here to me
Don’t you let me catch you
Messing ‚round that apple tree“

Oh yeah (oh yeah)
Ever since the world began
A hard headed woman
Been a thorn in the side of man

 

Ist natürlich theologisch Quatsch. Adam hat Eva gar nichts verboten, das war Gott persönlich, der Besitzer des Gartens Eden, aber egal. Weiter geht’s mit Samson und Delilah, Isebel und Ahab und schließlich den Frauen überhaupt.

Chuck Berry, der von Demetrius nicht nur musikalisch stark beeinflusst war, sondern auch von seiner Art, Geschichten zu erzählen, sieht die Frauen viel freundlicher; in “Brown Eyed Handsome Man” heißt es:

Way back in history, 3000 years
In fact, ever since the world began
There’s been a whole lotta good women sheddin‘ tears
Over a brown eyed handsome man
It’s a lot of trouble with a brown eyed handsome man

Ein toller Song; was Chuck Berry meint, ist natürlich „a brown-skinned handsome man“ (so wie Van Morrison irgendwo sagt, dass „Brown Eyed Girl“ ursprünglich „Brown Skinned Girl“ heißen sollte). Zum ersten Mal wird bei Chuck Berry – 1956! – der schwarze Mann als Sexobjekt thematisiert, zwölf Jahre vor James Browns „Say It Loud, I’m Black And I’m Proud“. Ganz toll übrigens, dass Buddy Holly Chuck Berrys Song später gecovert und zu einem Hit gemacht hat. Aber … wo war ich stehen geblieben?

Ach ja, Songs mit biblischem Bezug. In „Ain’t That Just Like A Woman“ zitiert Demetrius die Geschichte von Lot und seiner Frau:

Lot took his wife down to the cornerstore for a malted
She wouldn’t mind her business, boy did she get salted
Ain’t that just like a woman?

Nun gut, wie wir wissen, wurde Lots Frau nicht deshalb in eine Salzsäule verwandelt (den Ort kann man heute in Israel unweit des Toten Meers besichtigen), weil sie sich in anderer Leute Angelegenheiten eingemischt hat, sondern weil sie gegen den ausdrücklichen Befehl Gottes zurückblickte, als er Sodom und Gomorrha mit allen Einwohnern vernichtete. Er hat es nicht gern, wenn man ihm beim Massenmord zuguckt, was immerhin dafür spricht, dass er so etwas wie Schamgefühl besitzt.

Jedenfalls griff ich die Geschichte auf, als ich selbst einen englischen Text verfassen sollte für einen Song, den Peter geschrieben hatte. Ich weiß nicht mehr, ob er einen deutschen Text hatte, vermutlich. Ich schrieb:

Well Sodom and Gomorrha they were having a ball

But the big boss man wasn’t happy at all

When Lot warned them, said the Lord is coming round

They stopped up their ears and they laughed him out of town –

It’s just a routine check up …

Everything’s under control

 

Also, “Sodom and Gomorrah, they were having a ball” finde ich immer noch eine ziemlich geile Einstiegszeile. Ich nehme mir zwar ein paar Freiheiten mit der biblischen Geschichte heraus: Die Sodomiten haben Lot nicht bloß ausgelacht, sie wollten seine Töchter und die bei ihm wohnenden – männlichen – Engel vergewaltigen, aber ich wollte zur Pointe kommen, dass sie die göttliche Inspektion nicht fürchteten: Es ist bloß eine Routineüberprüfung. Kein Grund zur Sorge. Reich mir den Lustknaben.

Die Zeile mit der “routine check up” hatte ich wahrscheinlich von Randy Newman. In seiner bitterbösen (OK, Newman und bitterböse ist ein Pleionasmus) Ballade “They Just got Married” heißt es von der süßen jungen Braut:

A couple of years go by / She’s going to see the doctor / It’s just a regular checkup / Plus she thinks she might be pregnant.

Und dann geht es weiter wie ein Schlag ins Gesicht:

Anyway, she dies …

Ja, wie sollte es nach Sodom und Gomorrah weiter gehen? Da hatte ich die Latte ziemlich hoch gelegt. Und leider schlüpfe ich in den nächsten Versen darunter. Ich selbst war nie ein grundsätzlicher Gegner der Atomkraft, wenn auch kein überzeugter Befürworter, aber hier habe ich der damals, Anfang der 1980er Jahre, ziemlich populären Anti-AKW-Bewegung sozusagen ein Lied geschenkt. Ein Typ lebt neben einem AKW, das macht ihm nichts aus, bis eines Tages ein paar Leute mit Geigerzählern auftauchen: “Nur eine Routineüberprüfung.”

Well I live round the corner from the nuclear plant

Some people here are worried, I can’t say that I am

But the other day these guys with Geiger counters came to call

I said, “Hey now, what’s up?” they said “Nothing at all” –

It’s just a routine check up …

Dem Typen geht es schlecht, er fragt seinen Arzt, der nur seufzt und ihn ins Krankenhaus einweist. Keine Sorge, bloße eine Routineüberprüfung, in zwei Tagen bist du raus.

Well lately I feel sick and I get easily tired

Went to see my doctor, he just looked at me and sighed

“You’ll have to go to hospital – don’t worry, it’s OK

They’ll just look you over, you’ll be out in two days” –

It’s just a routine check up …

Nun ist der Typ schon einen Monat drin, niemand sagt ihm, was los ist,und er fantasiert, dass demnächst der Bestatter reinkommen wird, um Maß für den Sarg zu nehmen: Bloß eine Routineüberprüfung …

Well I’ve been in here now for a month or so

And the doctors won’t tell me when they’re gonna let me go

I’m waiting for the day when the undertaker knocks

And starts measuring me up for my little pine box –

It’s just a routine check up …

 

Nicht wirklich lustig, etwas zu politisch, und ich wünschte, ich hätte mir die Zeit genommen, die biblischen oder geschichtlichen Anspielungen durchzuhalten. Noah zum Beispiel hätte man verwenden können, noch so ein Warner, auf den man nicht hörte; ja, und warum nicht Adam und Eva? Als Gott abends in seinem Garten spazieren geht und nach Adam und Eva ruft, könnte Eva sagen: bloß eine Routineüberprüfung. Was soll schon sein?

Vielleicht schreibe ich den Song noch um. Aber wie gesagt, die erste Zeile ist ziemlich geil.

Hier ist die Single von 1983 mit der Berlin Blues Band:

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7 Gedanken zu “Aus meinem Songbuch (4): Routine Check Up;”

  1. avatar

    APo: ‚… Also, “Sodom and Gomorrah, they were having a ball” finde ich immer noch eine ziemlich geile Einstiegszeile. …‘

    Röm 6,16. ‚… ; ihr seid entweder Sklaven der Sünde, die zum Tod führt, oder des Gehorsams, der zur Gerechtigkeit führt.‘

    … ich versuch‘ das mal – spiegelbildlich – zu ‚übersetzen‘.

    Isaak und Jesus – das ist die sinnbildliche und die reale Auferstehung.

    Faktisch ist Antisemitismus Antikapitalismus. Semiten sind die Völker in Nah-Ost. Es geht gegen Hebräer. Antijudaismus seit es Juden gibt. Warum? Ich zitiere Jean-Marie Kardinal Lustiger: ‚Wenn die Juden durch Götzendiener vernichtet wurden, dann, weil die Juden die Zeugen sowohl Gottes, als auch des Menschen sind – sie störten.‘ (Hatten ‚wir‘ hier schon.)

    … meine ich. 😉

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      Kardinal Lustiger, dessen Cousin ich das Vergnügen hatte kennenzulernen, mag Recht haben: „Wenn die Juden durch Götzendiener vernichtet wurden, dann, weil die Juden die Zeugen sowohl Gottes, als auch des Menschen sind – sie störten.“ Freilich haben alle Götzendiener der Welt nicht so viele Juden getötet wie die Christen. Und woran lag das?

      1. avatar

        APo: ‚Freilich haben alle Götzendiener der Welt nicht so viele Juden getötet wie die Christen. Und woran lag das?‘

        … das liegt daran, wenn Sie, u.a., Auschwitz als ‚christlich‘ definieren (wollen).

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        Nein, auch ohne jenen Massenmord, begangen durch getaufte Christen auf Befehl des Katholiken Adolf Hitler. Ich denke an die unzähligen Pogrome des Mittelalters, an die Inquisition in Spanien, an das Wüten im vorrevolutionären Zarenreich, an Banderas Leute in der Ukraine …

      3. avatar

        @APo

        … Ihre Behauptung hatte ich in Mai ’18 mit Heinrich York-Steiner bestritten. Sie haben, außer mit ‚Allgemeinplätzen‘, nicht gegen argumentiert.

        … und ja, es gibt getaufte Menschenfeinde, wie es auch andere Menschenfeinde gibt.

        Bestimmt werden Sie, um beim Thema zu bleiben, wissen, dass Luzifer ein himmlischer Engel, von Gott geschaffen ward. Er war vollkommen an Weisheit und Schönheit und stand unmittelbar vor Gottes Thron.

        Ez 28; 14-15 Einem Kerub mit ausgebreiteten, schützenden Flügeln gesellte ich dich bei. / Auf dem heiligen Berg der Götter bist du gewesen. / Zwischen den feurigen Steinen gingst du umher. Ohne Tadel war dein Verhalten / seit dem Tag, an dem man dich schuf, / bis zu dem Tag, an dem du Böses getan hast.

      4. avatar

        Lieber Hans, all die Argumente, die Jesus gegen die Pharisäer vorbringt, passen heute auf diejenigen, die sich auf den Mann aus Nazareth beziehen. Allen voran die selbstzufriedene Vorstellung, sie seien die Guten.

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