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Aus meinem Songbuch (3): Credit Card

Peter Gentsch hatte einen deutschen Blues geschrieben mit dem Titel „Ich hab‘ kein Geld mehr“. Wie der Text sonst war, weiß ich nicht, sicher gut, aber die „Berlin Blues Band“ spielte nur englische Titel, also sollte ich einen englischen Text dazu schreiben. Nun, das Metrum ließ sich übertragen: „Ich hab’ kein Geld mehr“ – „Ain’t got no money“; aber wie weiter?

Natürlich hätte ich daraus eine erfundene Geschichte schreiben können, wie man sie täglich in der S-Bahn hört: „Hallo, ich bin der Jan, vor vier Monaten verlor ich meinen Job, nun lebe ich auf der Straße und verkaufe die Obdachlosenzeitung …“ usw. usf. Warum auch nicht? Tatsächlich aber lebte ich damals in einer WG, die sich eine Villa in der Nähe des Schlachtensees leistete, und mir war nicht danach, Geschichten über die Schläge des Schicksals zu schreiben. Warum hat also der Typ kein Geld mehr? Und was macht er in dieser Situation?

Die Antwort hatte schon mehr mit mir zu tun:

I quit my steady job and started singing in a band

My baby says I’m crazy and I guess that‘s what I am

My friends say man you’re broke, yeah, you‘re really in a mess

But who needs cash? I’ve got American Express!

Ain’t got no money

And working’s much too hard

But baby don’t you worry

I’ve got my credit card.

Tatsächlich hatte ich meinen auf Lebenszeit beamteten Job als Studiendirektor verlassen, wenn auch damals noch zunächst vorübergehend, beurlaubt ohne Bezüge, und nicht nur, um in einer Band zu singen, sondern um Schriftsteller zu werden; da ich aber meine möglichen Einnahmen brutto kalkuliert hatte, nicht netto, war ich tatsächlich pleite. Wobei meine Frau keineswegs meinte, ich sei verrückt, sondern mich unterstützte, auch indem sie als Lehrerin weiterarbeitete, obwohl wir schon ein Kind hatten. Trotzdem war das Geld knapp, zumal wir nicht daran dachten, uns einzuschränken, und tatsächlich waren unsere Kreditkarten – damals, Anfang der 1980er Jahre, noch eine Seltenheit in Deutschland – oft die Rettung.

Wie ich sagte: einschränken wollten wir uns nicht. Sparen ist so was von inkompatible mit dem Selbstbild eines Rockstars:

When my little girl gets hungry and she needs a bite to eat

I find a classy restaurant on 42nd Street

I get drunk on good champagne, Lisa eats her fill

Then I call the waiter and let Visa pay the bill –

Ain’t got no money …

OK, hier ist die Szenerie nach New York versetzt, wie es sich in einem Blues gehört, ich hätte da kaum das „Alt-Luxemburg“, „Rockendorfs“, „Frühsammers“ oder wie die von uns damals frequentierten Etablissements alle hießen, reimmäßig unterbringen können. Und wegen des Reims heißt mein „Mädchen“ hier „Lisa“. „Lisa eats her fill / Visa pays the bill“: den Reim würde ich noch heute gern der Visa AG verkaufen und auf einem Plakat sehen.

Ok, nun aber zurück zum Ausgangspunkt, der Band:

We travel up and down the country doing one night stands

And when the show is over I buy whiskey for the band

Hey, waiter, double bourbons! Make them nice and large

Don’t forget the ice, send the check to Master Charge –

Ain’t got no money …

Wie ich schon erzählt habe, haben wir nur einmal eine Deutschlandtournee gemacht, jede Nacht woanders spielen, wie das hier behauptet wird. Mir hat das gereicht, selbst wenn man uns nochmal hätte haben wollen. Ein schreckliches Leben, und wenn ich heute „On The Road Again“ von Willie Nelson singe, dann immer mit Vorbehalt: „I can‘t wait to get back on the road again..“ Also, ich muss das nicht haben.

Und natürlich habe ich der Band nicht Whiskey spendiert. Der Alkoholismus war auch so – auch das habe ich geschildert – ein Problem. Gegen das Lampenfieber, das mir die Kehle zuschnürt, habe ich damals unmittelbar vor dem Auftritt ein Glas Tequila getrunken (Limone dabei: Vitamin C, gell), danach vielleicht zum Runterkommen ein Bier, aber eigentlich war ich meistens recht solide. Manchmal musste ich deshalb den Band-LKW fahren. Was toll war, weil mein eigentlicher Berufswunsch LKW-Fahrer war., seit ich in den 1970er Jahren als Fahrer für die KPD jede Woche die „Rote Fahne“ in Hannover abholte und mit einem plombierten Ford Transit nach West-Berlin brachte. Vielleicht liebe ich deshalb die Countrymusik. Da geht es ja oft um Trucker.

Aber ich schweife ab. Was sich sagen will: Der Text gefällt mir, weil der Sänger hier nicht so tut, als sei er wirklich zu bemitleiden, sondern ein Schlawiner ist, der heute leben und morgen erst (vielleicht) bezahlen will. Eine Haltung, die ich nach wie vor nur billigen kann: Wie meine Mutter sagte, von der ich diese Lebenseinstellung habe: „We’ll burn our bridges when we get to them.“ Irgendwann muss ich diese Zeile in einem Song verwenden. Sie hat es verdient.

Hier Peter mit dem Song im Duo mit Ralf Tonnius:

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4 Gedanken zu “Aus meinem Songbuch (3): Credit Card;”

      1. avatar

        Stimmt, bei ideologischen Oberwellen bin ich mittlerweile auch ‚woke‘. Ihren Text und auch den von Albert Collins finde auch ich charmanter. Jetzt könnte man noch über die Unterschiede in der Musik philosophieren……….

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