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Vom Maoisten zum Hasenfuß

 Politiker von SPD und Grünen sind eigentlich dafür bekannt, dass sie überall für die Demokratie in die Bresche springen, wo sie eine akute Gefährdung wittern. Die Grundrechte verteidigen sie selbst dort noch, wo sie von radikalen Kräften missbraucht werden, z.B. von militanten Demonstranten, die eine Guillotine mit einer Gabriel-Puppe mit sich führten (Anti-TTIP-Demonstration in Berlin am 12. 10. 2015). Umso verwunderlicher ist es, dass sich die Spitzenpolitiker beider Parteien in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz weigern, die Demokratie öffentlich zu verteidigen, weil sie nicht mit Vertretern der AfD im Fernsehen diskutieren wollen. Sowohl Winfried Kretschmann (Die Grünen) als auch Nils Schmid und Malu Dreyer (beide SDP) haben ihre Teilnahme an der Elefantenrunde des Regionalfernsehens abgesagt, um – wie sie sagten – die AfD nicht aufzuwerten. Ich möchte hier nicht wiederholen, was in der Presse alles über „Feigheit vor dem Feind“, „Schönwetterdemokraten“ und „Erpressung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens“ geschrieben worden ist. Ich möchte mich nur mit einem der Diskussionsverweigerer auseinandersetzen, mit Winfried Kretschmann, dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg.

Mit ihm verbindet mich nämlich eine gemeinsame politische Vergangenheit als Maoist. Kretschmann studierte an der Universität Hohenheim. Dort war er mehrere Jahre Vorsitzender des Allgemeinen Studentenausschusses (AstA). Nach dem Zerfall der antiautoritären Studentenbewegung schloss er sich dem Kommunistischen Bund Westdeutschlands an, einer der damals gegründeten maoistischen Klein-Parteien. Ich studierte damals in Tübingen und war Mitglied im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Kretschmann lernte ich auf einer Diskussionsveranstaltung zum Vietnamkrieg in Stuttgart kennen, an der alle relevanten linksradikalen Gruppierungen teilnahmen. Als ich später an die Freie Universität Berlin wechselte, verlor ich ihn wie viele andere schwäbische Maoisten aus den Augen.

Der Maoismus war damals in deutschen Landes   etwas sehr Exotisches. Ich kann mich noch gut an eine Episode erinnern, die die Fremdheit dieser Bewegung in unserer Gesellschaft illustriert. Im Zentrum Münchens, auf dem Karlsplatz, auch Stachus genannt, verkaufte ich die maoistische Zeitung „Rote Fahne“. Wir taten dies nicht so still und devot, wie die Zeugen Jehovas ihre Erbauungsschriften anpreisen. Wir riefen die Hauptschlagzeilen laut aus, was zur Folge hatte, dass   sofort Passanten stehen blieben und uns in heftige Debatten verwickelten. So hatte ich im Nu eine Traube von bis zu 40 Münchener Bürgern um mich versammelt, die wild gestikulierend in bayerischem Dialekt auf mich einredeten. Schlagfertig zu sein und keine Angst vor Attacken zu haben, war unbedingt nötig, um dem Schwall an Anfeindungen und Hasstiraden widerstehen zu können. Als ich mich später in einen Biergarten setzte, kam ein Mann auf mich zu und verwickelte mich in ein Gespräch. Er habe mich auf dem Stachus beobachtet: „Alle Achtung, Sie sind ja mit allen Wassern gewaschen, wie sie da den ganzen Leuten Paroli geboten haben…“.

Maoisten mussten sich wie alle anderen politischen Splittergruppen links von der SPD vor allem von der Klasse beschimpfen lassen, die wir eigentlich von der „Lohnsklaverei befreien“ wollten: von den Arbeitern. Das frühmorgendliche Flugblattverteilen vor den Portalen von Borsig, Siemens, AEG und Flohr Otis war ein Spießrutenlaufen ohne Ende. Ich habe „Genossen“ gekannt, die das nicht ausgehalten haben und um einen leichteren Agitprop-Einsatz nachgesucht haben. Meiner späteren Tätigkeit als Lehrer für Deutsch, Geschichte und Politik hat der „Einsatz an der Meinungsfront“ durchaus genutzt. In den Diskussionen im Politik-Unterricht bildeten sich all die Konflikte und Kämpfe ab, die in der Gesellschaft gerade ausgetragen wurden: die radikale Anti-Atom-Bewegung, die Hausbesetzer-Bewegung in Berlin, die Kämpfe der Autonomen um staatsfreie Rückzugsräume. Immer erlebte man in der Klasse einige der „Kämpfer“, die versuchten, ihr „Anliegen“ mit Vehemenz und rhetorischem Geschick zu vertreten. Als Lehrer und Demokrat musste man Flagge zeigen und den jungen Menschen veranschaulichen, weshalb sie sich in einer Sackgasse verrannten oder einem undemokratischen Gewaltkult huldigten. Kneifen ging nicht. Es wäre undemokratisch und auch unpädagogisch gewesen.

Heute ist der freundliche Herr Kretschmann Teil der bundesrepublikanischen Politik-Elite. Ausgestattet mit allen Insignien der Macht und versehen mit dem antrainierten Habitus des Staatsmanns und dem Image des gediegenen Landesfürsten müsste es ihm ein Leichtes sein, die demagogischen Verlautbarungen der Alternative für Deutschland vor einem Millionenpublikum zu zerpflücken und den Mythos AfD zu entzaubern – wenn er sich denn seinen Mut und seinen Kampfgeist von einst bewahrt hätte. Mich erfüllt es durchaus mit Scham, dass ein ehemaliger „Kampfgenosse“ (sorry für das pathetische Wort) davor kneift, unsere Demokratie und unsere lebenswerte Gesellschaft gegen Feinde von rechts zu verteidigen.

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53 Gedanken zu “Vom Maoisten zum Hasenfuß;”

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    Es ist schon bemerkenswert, wie angebliche ‚Demokraten‘ mit anderen Meinungen einer politsch zugelassenen Partei umgehen. Gesinnungkontrolle durch die faktenfreien grün-linken Ideologen Deutschlands.

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    Am besten mit Bild, Sybille. Aber nur, falls Sie mit meinem Liebling Megyn mithalten können, und das dürfte impossible sein.

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