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Wer ist eigentlich dieses „Wir“, Frau Merkel?

Der Satz „Wir schaffen das“ von Angela Merkel ist binnen kürzester Zeit zu einem geflügelten Wort geworden, im In- und Ausland. Heftig wird darum gerungen, ob er denn nun richtig oder falsch ist, ob wir eine sinnvolle Bewältigung der Flüchtlingskrise wirklich schaffen, oder nicht. Dabei gerät aus dem Fokus, dass überhaupt nicht klar ist, wen Angela Merkel mit „wir“ eigentlich meint. Die Regierung? Die Bevölkerung? Europa? Die westliche Welt? Oder gar die Menschheit?

Auch wenn sich diese Bemerkung zunächst wie eine Spitzfindigkeit anhören mag, sie ist das Gegenteil. Wer „wir“ sagt, sollte ein Kollektiv meinen, zu dem er selbst gehört. Angela Merkels Politik allerdings funktioniert in der Regel eher nach dem Motto „Wer wir sagt, meint immer die anderen“. Die Flüchtlingskrise illustriert das mehr als deutlich. Die Hauptlast der derzeitigen Situation schultern Kommunalverwaltungen und die zahllosen Ehrenamtlichen, die mit allem, was sie haben, eine humanitäre Katastrophe angesichts des nahenden Winters zu vermeiden versuchen. Die Bundesregierung stellt Geld zur Verfügung, ansonsten tut sie alles, um den Helfern Stöcke zwischen die Beine zu werfen und ins Feuer der nach rechts kippenden Stimmung ordentlich Öl zu gießen. Wenn sich die Köpfe hinter AfD, Pegida und Co eines wünschen könnten, wäre es ein Gefühl in der Bevölkerung, dass die Regierung nicht mehr Herr der Lage ist. Und genau das ist jetzt der Fall.

Wer sagt „Wir schaffen das“, sollte einen Plan in der Tasche haben, wie es gehen soll. Der Streit zwischen Union und SPD, der Streit zwischen CDU und CSU, der Streit innerhalb der CDU, die Verwerfung zwischen Merkel auf der einen und de Maizière und Schäuble auf der anderen Seite lassen allerdings kaum Zweifel: Angela Merkel fehlt genau dieser Plan. Sie verlässt sich einmal mehr darauf, dass andere ihren Worten Taten folgen lassen. Ein echtes „Wir“ sieht anders aus.

Man braucht inzwischen keine Glaskugel mehr, um vorherzusagen, dass von Angela Merkels Kanzlerschaft vor allem große Versprechen, die andere in der Zukunft einlösen müssen, bleiben werden. Die Energiewende als Ziel ist richtig. Wie diese allerdings finanzierbar und demokratisch organisierbar so auf den Weg gebracht werden soll, dass man zum vereinbarten Zeitpunkt alle deutschen Atomkraftwerke abschalten kann, ist noch nicht abschließend geklärt. Angela Merkel dürfte nicht mehr im Amt sein, wenn dieses Thema virulent wird, so oder so. Bei der Eurorettung verhält es sich ähnlich. Angela Merkel hat sich mit dem klaren Bekenntnis zum Euro auf die richtige Seite gestellt. Der Europa von ihr aufgezwungene Kurs ist allerdings gescheitert. Anstatt aber umzusteuern, wird der Kurs beibehalten und mit weiteren Rettungspaketen Zeit gekauft. Europa reißt es dabei immer weiter auseinander – das Endspiel um Europa wird dann allerdings nicht mehr Merkel, sondern einer ihrer Nachfolger bestreiten dürfen. „Nach mir die Sintflut“, scheint sich die Kanzlerin zu denken. Auch hier gilt wieder: „Wir“ sieht anders aus.

Dabei möchte ich diese Kritik nicht falsch verstanden wissen. Ich glaube durchaus, dass wir all das schaffen können. Aber eben nur gemeinsam, in einem Bündnis aus Zivilgesellschaft, Lokal-, Bundes- und Europapolitik. Dafür müsste Angela Merkel allerdings Demut zeigen, vor allem gegenüber den europäischen Partnern, die sie über die letzten Jahre immer wieder brüsk vor den Kopf gestoßen hat, und die nun an der Seitenlinie stehen und mal sehen wollen, wie Deutschland alleine klarkommt. Merkel müsste außerdem zeigen, dass sie auch innerhalb Deutschlands zu planvollem Handeln zurückkehrt. Die Flüchtlingszahlen in Deutschland müssen sinken – nicht aus xenophoben Motiven, wie sie AfD, Pegida, NPD und Teile der CSU antreiben, sondern schlichtweg um eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten und den Menschen, die hierher kommen, Perspektiven bieten zu können. Dazu braucht es neben einem gemeinsamen europäischen Vorgehen pragmatische bürokratische Lösungen in Deutschland, wie sie etwa von FDP-Chef Christian Lindner ins Spiel gebracht werden. Sonst kommen wirklich irgendwann wieder Zäune und der Schießbefehl.

Die aktuelle Debatte muss von der emotionalen Ebene auf die Sachebene geführt werden, um den rechten Menschenhassern und Feinden der offenen Gesellschaft nicht in die Hände zu spielen. Angela Merkel sollte das zu ihrem Ziel machen, alle Kraft in diese Aufgabe stecken. Und danach abtreten. Es braucht wieder Macher, keine Träumer an der Spitze des größten und wirtschaftlich stärksten Landes Europas. Sonst wird das nichts mehr mit dem „Wir“, wie auch immer man es definieren mag.

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10 Gedanken zu “Wer ist eigentlich dieses „Wir“, Frau Merkel?;”

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    Sehr geehrter Herr Giesa, in dem, was Sie ganz „ohne xenophobe Motive“ fordern, sehe ich keinen substanziellen Unterschied zur Politik derjenigen Parteien, gegenüber denen Sie sich eigentlich abzugrenzen versuchen. Mag sein, dass CSU und AfD im Gegensatz zu Ihnen offen rassistisch argumentieren und sich dadurch auch noch auf verbaler Ebene um die Diskriminierung von Geflüchteten bemühen, doch letzten Endes kann es selbigen ziemlich egal sein, aus welchen Motiven sie nun in den Tod geschickt werden (was in einem nicht unbeträchtlichen Ausmaß ja die Folge ihrer Zurückweisung wäre).
    Ich kann in vielen Bereichen nachvollziehen, weshalb ‚Liberale‘ (für die wir uns glaube ich beide halten) einen großen Abgrenzungsbedarf gegenüber ‚Linksradikalen‘ haben, doch in diesem Bereich verstehe ich das nicht. Ich finde es schade, dass ‚Sozialliberale‘ – zu denen ich Sie zählen würde (korrigieren Sie mich, wenn ich damit falsch liege) – in Fragen der Migration (und insbesondere der Fluchtmigration) eine härtere Linie als so manche rechtslibertäre Hardliner*innen fahren (letztere setzten sich – wenn auch ihrerseits aus ‚falschen Motiven‘ – immerhin für einen umfassenden Abbau von Migrationshindernissen ein: http://www.offene-grenzen.net/.....-stiftung/).
    Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Meine spitze Wortwahl ist meiner Überzeugung in der ‚Sache‘ geschuldet und entspringt keiner Aversion Ihnen gegenüber. Ich will Sie weder ‚in die rechte Ecke stellen‘, noch als ‚Nazi‘ denunzieren oder sonst wie persönlich angreifen (leider kommt das bei mir öfter so rüber, darum sag ich das lieber explizit ;-)).

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    @Alan Posener, Ihre Links

    Wie sagen Sie immer so schön? „So isses!“ Wobei ich Merkel ihr Lavieren in der gegenwärtigen Krise noch am Ehesten verzeihe.

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    derblondehans: ‘… muhahaha!‘

    … ich korrigiere mich, ‚vulgo plemplem‘ ist nicht lustig, sondern gemeingefährlich.

    Yeah, this right here goes out to everyone that has lost someone that they truly loved Check it out …

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    ‚Aber niemals hat jemand geargwöhnt, eine Figur, die qua Charisma oder durch die Laune eines Wahlausgangs oder wegen innerparteilicher Rochaden es an die ausführende Spitze der Industrienation Deutschland geschafft hatte, sei regelrecht verrückt geworden.

    Verrückt im Sinne von nicht zurechnungsfähig, vulgo plemplem.‘

    … muhahaha!

  5. avatar

    „Wir schaffen das !“ ist doch nur noch eine platte, absolutem Realitätsverlust geschuldete Durchhalteparole.
    Man ist versucht zu sagen, so etwas habe es in Deutschland von einem Regierungschef noch nie gegeben, aber zumindest im Führerbunker gab es eine vergleichbare Realitätsverleugnung.

    Wohin das geführt hat ist bekannt, daher habe ich immer noch die Hoffnung, irgendjemand stoppt diese Frau.
    Ob die Wähler dazu in der Lage sind weis ich nicht, aber zumindest im Bundestag hält die „Refugees Welcome“-Fraktion annährend 100 Prozent der Sitze.
    Wenn die Wähler wirklich etwas ändern wollen, müssen sie sich bei zukünftigen Wahlen bei den Parteien umschauen, die bisher nicht im Bundestag vertreten sind.

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