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Aus meinem Songbuch (5): I Don’t Know

Auf der Suche nach einem anderen Song von mir entdeckte ich auf Klaus Kluges YouTube-Kanal diesen Blues, den ich völlig vergessen hatte. Also schiebe ich ihn hier ein, bevor ich wieder vergesse, dass ich ihn geschrieben habe.

https://www.youtube.com/watch?v=ScEnjLUhtKE

Aufgenommen haben wir den Song mit der Band „Blues & Loose“, das muss also um 1999 herum gewesen sein. Der Sänger von „Blues & Loose“, Michael Sellin, hatte aus irgendwelchen Gründen die Band zeitweilig verlassen, und Klaus hatte mich wider alle meine Instinkte überredet, als Ersatz einzuspringen.

Das war ein Fehler, denn erstens hatte Sellin eine Stimme, die ich weder imitieren noch toppen konnte, und das Repertoire der Gruppe war nun einmal auf diese Stimme ausgerichtet. Ich war mir also stets der Tatsache bewusst, in etwas zu großen, jedenfalls nicht passenden Schuhen herumzulaufen. Zweitens aber hatte ich in der Zeit schriftstellerisch und als Übersetzer erfreulich viel zu tun, so dass ich auch gar nicht die Zeit hatte, mich voll in die Arbeit mit der Band zu werfen und fremdelte auch persönlich mit den Leuten. Als ich dann bei der WELT anfing, im Frühjahr 2000, habe ich die Band verlassen – und erst 15 Jahre später wieder begonnen, Musik zu machen.

„I Don’t Know“ habe ich bestimmt nicht für „Blues & Loose“ geschrieben. Wahrscheinlich wieder 15 Jahre davor für die „Berlin Blues Band“. Denn die beschriebene Situation ist etwas zu nahe dran an bestimmten frustrierenden Erlebnissen der 1980er Jahre, eine etwas zu realistische Beschreibung eines wiederkehrenden Ehestreits, um in die alles in allem für mich sehr viel weniger frustrierenden späten 1990er zu passen; und ein so guter Songwriter, dass ich mir das alles sozusagen durch Einfühlung in die Vergangenheit ausdenken könnte, bin und war ich nicht.

Meistens brauchen solche Songs wenigstens als Ausgangspunkt eine reale Situation: „I once had a girl, or should I say she once had me …“ John Lennons Beichte einer außerehelichen Affäre mit einer Journalistin, die er aber aus Feigheit oder Rücksicht umbiegt in eine surrealistische Brandstiftergeschichte: „So I lit a fire, isn’t it good Norwegian wood?“Bei „I Don’t Know“ war der Ausgangpunkt bestimmt erstmal Klaus Kluge; ich wette, er wollte „I Don’t Know“ im Refrain haben. Obwohl es ja einen von der Blues Band und den Blues Brothers popularisierten Song von Willie Mabon mit dem Titel schon gab. Da dreht es sich auch um einen Ehestreit, und der Refrain geht so: (Mit gespielter Unschuld gesungen:) „What did I say to make you mad this time, bay-bee? She said Mmmmmm … I don’t know …“ Vielleicht hat Mabons Blues mich auf die Idee gebracht, einen Ehestreit-Blues zu machen. Ich weiß es nicht mehr. I don’t know.

Mabons Song ist humorvoll. Ein bisschen männlich-chauvinistisch, aber er ist auch aus dem Jahr 1952. Meiner ist überhaupt nicht humorvoll. Ziemlich bitter:

It’s late in the evening, I gotta go

Don’t ask me where, cause baby I don’t know.

I feel so lonesome, feel so cold

When I’m with you you make me feel so old.

Conversation going round and round

Communication breaking down

Get off of your cloud, don’t wear that thorny crown

You say that you love me, but I don’t know

You say that you need me, I don’t know.

Now you’re criticizing everything I do

When I don’t do anything you criticize me too

Every woman I talk to, you see us in bed

All thos crazy pictures, Mama, they’re in your head

Conversation …

 

Es gibt solche Abrechnungssongs, „How Do You Sleep?“ von Lennon, oder „Gratitude“ eine tolle späte Nummer von Paul McCartney; „Don’t Think Twice“ und viele andere von Bob Dylan, und das ganz wunderbare „Diamonds And Rust“ von Joan Baez, in dem sie über das Ende ihrer Liebesbeziehung mit Dylan sinniert. Und, und, und; aber wenige sind so unnachgiebig traurig wie dieser hier. Wahrscheinlich müsste man den als Shuffle spielen, damit wenigstens die Musik einen nicht so herunterzieht.

Der Text hat, zugegeben, hier und da etwas Witz: „Du kritisierst alles, was ich tue; tue ich aber gar nichts, passt dir das auch nicht.“ Das wäre gelegentlich wiederverwertbar. Ansonsten ist „Get off of your cloud“ natürlich ein Zitat, geklaut von Mick Jagger, aus Faulheit , nehme ich an, und die Dornenkrone auch: „She took my crown of thorns“, singt Dylan: „Come on, she said, I’ll give you shelter from the storm“. Die Dornenkrone als Bild der Selbststilisierung als Märtyrer hat mir immer gut gefallen. Außerdem reimt sich „crown“ auf „down“ und „town“ und „round and round“ und „sound“ …

Die Dornenkrone taucht auch in dem Song „Hurt“ auf, den Trent Reznor 1994 für Nine Inch Nails geschrieben hat, aber ich habe ihn erst viel später kennen gelernt, nämlich seit Peter Gentsch ihn – in der Version von Johnny Cash – bei uns singt. „I wear my crown of thorns on my liar‘s chair / full of broken thoughts I cannot repair …“ Da geht es um einen Junkie, der sich und andere belügt, er sei eigentlich ein Opfer, während er in Wirklichkeit bloß zu selbstsüchtig ist, mit der Sucht zu brechen. Auch ein sehr, sehr düsteres Lied, aber poetischer als dieser hier.

Na gut. Der Vollständigkeit halber. Bitte sehr.

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