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Das Jagger-Richards-Songbuch (13): Satisfaction

OK, irgendwann muss ich doch ran. Es ist ja DER Stones-Song. Und sicher der Song meiner Generation, mehr als „My Generation“ von The Who oder gar „The Times, They Are A-Changin‘“ von Bob Dylan. Und musikalisch wie textlich so gut wie, wenn nicht besser als, diese beiden Songs.

Es ist schwer, vermutlich unmöglich, Angehörigen glücklicherer Generationen zu erklären, was dieser Song uns bedeutet hat. Jeder wird zwar den einfachen Riff auf dem Fuzz-Bass wiedererkennen, das treibende Motown-Schlagzeug goutieren und die Art, wie der eigentliche Bass sich schlangenhaft unter dem ganzen Song hindurchwühlt; jeder wird den Schock nachvollziehen, den Mick Jaggers einschmeichelnd-weich, sozusagen androgyn vorgetragene Vocals beim ersten Hören auslösen: „Ah can’t git no syaaatisfacshawn …“, bis er sich bei „Cause I try and I try and I try and I try …“ in Blues-Shouter-Modus hochschraubt. Das alles ist höchste Kunst und Kunst-Fertigkeit, und als solche erkennbar. Aber die Rede war von glücklicheren Generationen.

Vom Notstand des Lustprinzips

Manche Babyboomer pflegen einen selbstzufriedenen Rückblick auf ihre Jugend. Hach, waren wir rebellisch! Hach, was hatten wir für tolle Musik! Ach, wie traurig muss es sein, heute jung zu sein, mit der ganzen Angst vor Klimawandel, Krieg, KI und so weiter. Ich aber würde sofort tauschen.

Um mit der Musik zu beginnen: Abgesehen davon, dass die tolle Musik der Beatles und Stones, Kinks, Who, Dylan, Byrds usw. usf., von den schwarzen Bluesern ganz zu schweigen, in Europa kaum irgendwo zu hören war – in Großbritannien auf Radio Luxemburg und so genannten Piratensendern in der Nordsee, bei uns in West-Deutschland auch auf Radio Luxemburg, wenn man ein FM-Radio hatte und lange genug aufblieb, und sonst nur dort, wo man die Soldatensender AFN oder BFN hören konnte, und auch da nur zu bestimmten Tageszeiten – und dass man ungeheuer viel Mist von Peter Alexander oder Engelbert Humperdinck über sich ergehen lassen musste, bis man in irgendeiner Schlager- oder Hitparadensendung endlich etwas Vernünftiges hören konnte; abgesehen also davon, dass wir die Musik ja eben nicht „hatten“: Die wirklich tolle Musik war ja auch deshalb so toll, weil sie Protest war gegen die Zeiten, die so finster waren.

Das sah die vorige Generation natürlich nicht so. „Wir haben doch für euch den Krieg gewonnen!“, hieß es in Großbritannien (John Lennon spielte 1967 in Richard Lesters großartigem Film „How I Won The War“ mit, der diesen Mythos parodiert); „Wir haben nach Krieg und Vertreibung dieses Land für euch wieder aufgebaut!“ hieß es hierzulande, jedenfalls im Westen: „Ihr sollt es einmal besser haben!“ Was wie eine Drohung klang und als Drohung gemeint war.

Der Rock’n’Roll hatte zwar den Einbruch des Lustprinzips in die formierte Gesellschaft angekündigt, aber das angeschlagene Leistungs- und Konsumprinzip hatte sich gefangen, hatte aus Rock-Rebellen Familienväter, aus der Revolte einen Stil gemacht, was, wie George Melly feststellt, die Grundfunktion des Jugendprotests in der Marktwirtschaft ist. Aber das wussten wir ebenso wenig wie es heute die Leute von „Fridays For Future“ usw. ahnen.

Der Kalte Krieg tat ein Übriges, um die Aufsässigkeit im Zaum zu halten. Elvis ging in die Armee; und als ich mir sieben Jahre später aus Begeisterung für die Beatles die Haare über die Ohren wachsen ließ, wurde ich nicht nur von den älteren Jungen meines deutschen Internats mit Scheren gejagt, sondern musste mir vom sozialdemokratischen Rektor dieser Reformschule eine Predigt anhören, der zufolge die Kommunisten nur auf solche Zeichen der Dekadenz warteten, um uns einzusacken. Mein Geschichtslehrer derweil illustrierte den Satz des Historikers Theodor Mommsen, die Juden seien überall „Ferment der Dekomposition“ mit dem Hinweis auf mich, meine Haare und meine Vorliebe für die Negermusik; wobei, das muss ich ihm zugutehalten, er mich mochte und als nationaler Sozialist der Ansicht war, die Demokratie könnte durchaus etwas Dekomposition vertragen.

Aber ich schweife ab. Man sagt, in den 1960ern habe eine sexuelle Revolution stattgefunden; aber die Revolution war nur deshalb nötig, weil die sexuellen Zustände so repressiv waren. Ian McEwan hat darüber in seinem Roman „On Chesil Beach“ sehr anschaulich geschrieben. Und für Frauen und Mädchen hundertmal repressiver als für Jungen und Männer. Später haben die Pille und der Minirock, kurzum die Leistungs- und Konsumgesellschaft, dem Lustprinzip Geltung verschafft; aber es war für junge Mädchen in den 1960er Jahren fast unmöglich, an die Pille heranzukommen. Weder Jungen noch Mädchen wussten genau, wie Sexualität funktioniert, und das Ganze war so mit Angst vor Schwangerschaft und Entdeckung, mit Tabus und Ekel, Mythen und Lügen besetzt, dass es eigentlich ein Wunder ist, dass wir nicht alle noch viel verklemmter waren und sind.

Und eben kein Wunder, dass ein Song, in dem es immer wieder hechelnd heißt, ich versuche, versuche, versuche, aber ich kriege keine Befriedigung, zum Schlachtruf – oder zum orgiastischen Sammelruf – einer ganzen Generation wurde. Die Beatles hatten zwar mit „Please Please Me“ – bitte befriedige mich – auch ein Zeichen gesetzt gegen die erzwungene weibliche Prüderie, aber im Wortspiel versteckt: In Großbritannien verstanden das alle, in Deutschland verstand das keiner. „Satisfaction“ verstanden aber auch die Deutschen.

Bei „Satisfaction“ geht es nicht um Sex

Und verstanden doch den Song falsch. Denn allenfalls in der dritten Strophe geht es um die sexuelle Befriedigung. Da meint der Sänger, dass er um die Welt fährt (was bei den Stones damals, 1965, wörtlich stimmte, sich aber auch auf sexuelle Praktiken beziehen kann, vor allem um die Kombination von oralem, analem und vaginalem Sex), dieses und jenes tut und unterzeichnet und versucht, bei „irgendeinem Mädchen“ zu landen, das ihm aber sagt, er solle lieber nächste Woche wiederkommen. Es folgt die Zeile, über die wir 15-Jährigen damals ewig rätselten: Sagt der Sänger, dass ER „on a losing streak“ sei, dass er also erotisch gesehen eine Pechsträhne hat? Oder sagt das Mädchen, dass SIE gerade – hier pubertäres, pickeliges Jungmännerlachen einfügen – ihre Tage hat?  Ihre TAGE? Grmmpf! In einem SONG! Boah.

Ich habe nicht nachgeschlagen, wie der Stand der Diskussion über diese Zeile heute ist. Jagger soll aber gesagt haben, die Kritiker, die sich über „girl reaction“ empörten, hätten damals „die schmutzigste Zeile nicht verstanden“; also dann hätten wir das dann schon richtig halbverstanden. Jagger sagt aber auch irgendwo, das Thema des Songs sei gar nicht der Sex, sondern die „Entfremdung“. Und da hat er natürlich, wie meistens, Recht.

Denn in der ersten Strophe geht es um „nutzlose Information“ im Radio, deren Zweck nur darin bestehe, „meine Fantasie zu befeuern“; und in der zweiten um die Fernsehwerbung, damals in den unschuldigen Zeiten vor Google noch die Speerspitze des konsumistischen Angriffs auf das Bewusstsein: Konkret geht es um einen Schauspieler, der im Fernsehen ein Waschmittel anpreist, der aber gar kein echter Mann sein kann, weil er in einem anderen Werbespot eine Zigarettenmarke anpreist, die der Sänger ablehnt. Es geht also um das, was Theodor Adorno die „Bewusstseinsindustrie“ nannte, um die Manipulation unserer Bedürfnisse durch die Medien.

Übrigens kamen die Stones mit ihrem nächsten Single, dem textlich vielleicht überambitionierten „Get Off Of My Cloud“, auf das Thema Waschmittelwerbung zurück:

Then in flies a guy
Who’s all dressed up just like the Union Jack
Says, I’ve won five pounds
If I have his kind of detergent pack

Da fliegt ein Typ herein, herausgeputzt in den Nationalfarben, der sagt, ich hätte fünf Pfund gewonnen, wenn ich die richtige Waschmittelpackung vorweisen kann.

Lebe jetzt, zahl später

Und wie fast alles im Rock’n’Roll geht die Kritik an den aggressiven Verkaufsstrategien des Konsumismus wiederum zurück auf Chuck Berry, der in „Too Much Monkey Business“ (Zu viel Schmu) singt:

Salesman talkin‘ to me, tryin‘ to run me up a creek
Says you can buy it, go on try it, you can pay me next week, ahh
Too much monkey business,

Verkäufer labert, will mich hereinlegen, sagt, kauf’s doch, probier’s mal, bezahlen kannst du nächste Woche – Ach! Zu viel Schmu …

Überhaupt galt der Ratenkauf damals, die Einladung, es eben nicht zu machen wie Wolfgang Schäubles berühmte schwäbische Hausfrau, sondern auf Pump zu genießen, sich für den Konsum zu verschulden, als Gipfel der Dekadenz. Aus dem Werbeslogan „Buy now, pay later“ machten Jay Lewis und Jack Trevor Story 1962 den Film „Live Now, Pay Later“, in dem ein Tür-zu-Tür-Verkäufer seine Kundinnen sexuell verführt, um sie dann zum Abschluss von Ratenzahlungsverträgen zu .. nun ja, verführen. Sex also als bloßes Vorspiel, bevor man zur Sache kommt. Jagger wird den Film bestimmt gesehen haben, und „Satisfaction“ atmet dessen Geist: Es geht, der dritten Strophe zum Trotz, nicht um die Unmöglichkeit, Sex zu haben, sondern um die existenzielle Unmöglichkeit, in der Konsumgesellschaft wirkliche Befriedigung zu finden.

Unbefriedigt jeden Augenblick

Und deshalb ist Jaggers Sänger, der um die ganze Welt reist, alles genießen kann, weil er alles hat, und doch nie befriedigt wird, weil er mehr will, als ihm bloße Waren bieten können, mehr als nur die Stimme einer sexuell frustrierten Generation, sondern der illegitime Sohn jenes deutschen Helden des Sturm und Drang, was ja eine gute deutsche Bezeichnung für den Rock And Roll wäre, der nicht nur keine Befriedigung bekommen kann, sondern sie eigentlich auch nicht will, weil wahres Menschsein eben in dem Gefühl bestehe, „I can’t get no satisfaction“. Oder wie es Faust in Goethes gleichnamigem Drama formuliert:

Er wandle so den Erdentag entlang;
Wenn Geister spuken, geh’ er seinen Gang,
Im Weiterschreiten find er Qual und Glück,
Er, unbefriedigt jeden Augenblick!

 

I can’t get no satisfaction
I can’t get no satisfaction
‚Cause I try, and I try, and I try, and I try
I can’t get no, I can’t get no

When I’m driving in my car
When a man come on the radio
He’s telling me more and more
About some useless information
Supposed to fire my imagination

I can’t get no, oh, no, no, no, hey, hey, hey
That’s what I say
I can’t get no satisfaction
I can’t get no satisfaction
‚Cause I try, and I try, and I try, and I try
I can’t get no, I can’t get no

When I’m watchin‘ my TV
And a man comes on and tells me
How white my shirts can be
But, he can’t be a man ‚cause he doesn’t smoke
The same cigarettes as me

I can’t get no, oh, no, no, no, hey, hey, hey
That’s what I say
I can’t get no satisfaction
I can’t get no girl reaction
‚Cause I try, and I try, and I try, and I try
I can’t get no, I can’t get no

When I’m ridin‘ ‚round the world
And I’m doin‘ this and I’m signin‘ that
And I’m tryin‘ to make some girl, who tells me
Baby, better come back maybe next week
Can’t you see I’m on a losing streak?
I can’t get no, oh, no, no, no, hey, hey, hey
That’s what I say
I can’t get no, I can’t get no
I can’t get no satisfaction, no satisfaction …

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18 Gedanken zu “Das Jagger-Richards-Songbuch (13): Satisfaction;”

  1. avatar

    Ich fand ‚Trio‘ auch mit ‚Da, Da, Da‘ richtig klasse. Auch musikalisch. Und sie haben diesen derzeit modernen musikalischen Minimalismus 30 Jahre vorweggenommen. Und ‚Sabine, Sabine..‘ ist genau mein Humor, ja ein „Meisterwerk“.. im Gegensatz zu diesem Video mit dem gockelhaften ‚Guitar Hero‘ Jeff Beck (ansonsten sehr geschätzt von mir) mit Rod Steward, der darin in seiner Frontmann-Sänger-Rolle weit weniger affig auftritt. Gut – war die Zeit und manches wirkt heute peinlich, anderes immer noch frisch und stimmig. Wie der androgyne Überflieger Mick Jagger, der auch in ‚Satisfaction‘ nie vulgär wirkte, auch weil einfach der Text nicht vulgär ist, wie Alan Posener ja treffend darlegte. Dass das Streben nach dem Wahren, Guten und Schönen oftmals so obszön missverstanden wird (..als ob ‚Befriedigung‘ nur sexuell zu verstehen wäre) ist symptomatisch, vielleicht tatsächlich eine Folge von Verklemmtheit. Jagger spielt mit der ‚Satisfaction‘..

    „When I’m watchin‘ my TV
    And a man comes on and tells me
    How white my shirts can be
    But, he can’t be a man ‚cause he doesn’t smoke
    The same cigarettes as me“

    ..beleuchtet sie von allen Seiten. Ein guter Text bleibt eben auch über viele Jahrzehnte vielschichtig. Klassisch. Konservativ.
    Ansonsten, Hans, sollte man schon im eigenen Interesse nicht den Fehler machen und sich an vergangene Klischees z.B. einer vermeintlich besseren Musik klammern. Ich glaube wohl auch, in den 70ern gab es mehr bessere Musik als heute, aber das kann sich auch wieder ändern. Allerdings wird wohl das gute, durchschlagende Neue weder aus dem geförderten Kulturbetrieb des ‚woken’ Zeitgeistes stammen noch von Leuten, die ständig Altes beschwören.

      1. avatar

        Lieber Alan Posener, ich präzisiere: der woke Zeitgeist hat durchweg keine Chancen bei den Menschen, mit denen ich üblicherweise zu tun habe, auch wenn sie homosexuell sind, ‚Grün‘ gewählt haben usw., sondern tritt mir gegenüber nach 30 sec in Erscheinung, wenn ich ö.-r. Kultursender einschalte und in Printmedien, wie ‚Zeit‘, ‚Spiegel‘, mittlerweile auch ‚FAZ‘ usw., sowie in Lebenswelten, die sich mir wahrscheinlich nie erschließen werden.
        Ansonsten sehe ich mich mental nicht in der Lage, mich mit einer Studie einer SPD-nahen Stiftung zu befassen, die ihre Begriffsbestimmung, wie ‚Graubereiche‘, ‚Rechstextrem‘, ‚Befürwortung Diktatur‘, ‚Verharmlosung des Nationalsozialismus‘, ‚Sozialdarwinismus‘ usw. selbst durchführt und offensichtlich „neoliberale Ich-AG-Thesen“ und „wenn man nicht an Solidarität glaubt“ als „Bestandteile einer toxischen Mischung“ und Wegbereiter des Nationalsozialismus ansieht.. (hier https://www.deutschlandfunk.de/systemfragen-100.html oder eben auf der FES).
        Mit den ‚Stones‘ und ‚Sabine, Sabine‘ bin ich aber voll bei Ihnen.

      2. avatar

        Lieber KJN, nun gut, man kann den „Zeitgeist“ so umdefinieren, dass er bedeutet, „das was mich in den Medien ärgert, die ich konsumiere“. Und in der Tat, da keiner von uns in der Lage ist, mehr als nur einen winzigen Ausschnitt aus dem Medienüberangebot auch nur wahrzunehmen, bedeutet der Begriff mittlerweile nicht nur bei Ihnen genau das. Weshalb zum Beispiel „woke“ Leute der Ansicht sind, der Zeitgeist sei „neoliberal“ oder was auch immer. Da sind Umfragen hilfreich, man muss die Deutung nicht teilen.
        Was nun den Neoliberalismus angeht, so war ich von 2000 bis zur Krise 2008 ein unbedingter Verfechter der These, dass privat immer vor Staat gehen und dass die Besteuerung möglichst niedrig sein soll; darüber bin ich mit Frank A. Mayer in Streit geraten, weshalb er mich dann doch nicht als Chefredakteur bei Cicero haben wollte. Das ist aber nun schon 15 Jahre her, und wir haben eine Reihe von Krisen gesehen, bei denen der Markt es nun einmal nicht richten konnte. Und ich muss immer wieder an FAMs Hinweis denken, dass die Schweizer ihre Bahn als ihr Eigentum schätzen, dass sie darum nicht unterfinanziert und selten vandalisiert werde.
        außerdem, und dies ist wichtig und wie ich finde noch nicht ausgedeutet, gibt es auch bei den Neoliberalen eine Hintertür, die zum Rechtsextremismus führt. Auch die AfD trat ursprünglich mit neoliberalen Argumenten gegen den Euro und die EU-Bürokratie an, und Lucke, Starbatty, Henkel, Petry waren Neoliberale. Gauland nicht. Höcke nicht. In Polen ist die Federacja, die offen juden-, schwulen- und frauenfeindlich ist, zugleich ultraliberal und gegen die hohen Sozialausgaben, mit der die PiS ihre Klientel bedenkt. Im Trump-Lager gibt es ebenfalls Neoliberale, während sich die früheren Neocons, die den Export der reinen Marktwirtschaft nach Russland usw. befürworteten, mittlerweise mutiert sind zu Biden-Anhängern. All das ist noch höchst unklar und ungeklärt, aber auch hoch interessant.
        Was die SPD angeht: ich mochte sie nie, habe sie nur einmal gewählt (bei einer Berliner Wahl) und es gleich danach bereut. Gleichzeitig ist sie die Partei, die die Weimarer Republik schuf und mehrmals rettete, die Partei von Ebert, Scheidemann, Noske, Wels, Braun, Reuter und Brandt, und das darf man nicht vergessen.

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        Lieber KJN, nun gut, man kann den „Zeitgeist“ so umdefinieren, dass er bedeutet, „das was mich in den Medien ärgert, die ich konsumiere“. Und in der Tat, da keiner von uns in der Lage ist, mehr als nur einen winzigen Ausschnitt aus dem Medienüberangebot auch nur wahrzunehmen, bedeutet der Begriff mittlerweile nicht nur bei Ihnen genau das. Weshalb zum Beispiel „woke“ Leute der Ansicht sind, der Zeitgeist sei „neoliberal“ oder was auch immer. Da sind Umfragen hilfreich, man muss die Deutung nicht teilen.
        Was nun den Neoliberalismus angeht, so war ich von vor 1990 bis zur Krise 2008 ein unbedingter Verfechter der These, dass privat immer vor Staat gehen und dass die Besteuerung möglichst niedrig sein soll; darüber bin ich mit Frank A. Mayer in Streit geraten, weshalb er mich dann doch nicht als Chefredakteur bei Cicero haben wollte. Das ist aber nun schon 15 Jahre her, und wir haben eine Reihe von Krisen gesehen, bei denen der Markt es nun einmal nicht richten konnte. Und ich muss bei jeder Bahnfahrt an FAMs Hinweis denken, dass die Schweizer ihre Bahn als ihr Eigentum schätzen, dass sie darum nicht unterfinanziert und selten vandalisiert werde.
        Außerdem, und dies ist wichtig und wie ich finde noch nicht ausgedeutet, gibt es auch bei den Neoliberalen eine Hintertür, einen Trampelpfad, die bzw. der zum Rechtsextremismus führt. Auch die AfD trat ja ursprünglich mit neoliberalen Argumenten gegen den Euro und die EU-Bürokratie an, und Lucke, Starbatty, Henkel, Petry waren Neoliberale. Gauland nicht. Höcke nicht. Orbán war mal ein Neoliberaler. In Polen ist die Federacja, die offen juden-, schwulen- und frauenfeindlich ist, zugleich ultraliberal und gegen die hohen Sozialausgaben, mit der die PiS ihre Klientel bedenkt. Im Trump-Lager gibt es ebenfalls Neoliberale, während sich die früheren Neocons, die den Export der reinen Marktwirtschaft nach Russland usw. befürworteten, mittlerweise mutiert sind zu Biden-Anhängern. All das ist noch höchst unklar und ungeklärt, aber auch hoch interessant.
        Was die SPD angeht: ich mochte sie nie, habe sie nur einmal gewählt (bei einer Berliner Wahl) und es gleich danach bereut. Gleichzeitig ist sie die Partei, die die Weimarer Republik schuf und mehrmals rettete, die Partei von Mehring, Ebert, Scheidemann, Noske, Wels, Braun, Reuter und Brandt, und das darf man nicht vergessen.

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        Lieber Alan Posener, ich kann doch für eine verstaatlichte Bahn und Post sein (in den USA ist m.W. sogar die Wasserversorgung weitestgehend verstaatlicht) und gleichzeitig dafür sein, dass der Staat seine Bürger möglichst weitgehend unbehelligt lässt. Kein Staat ist doch gezwungen, entweder alles zu verstaatlichen oder alles ‚neoliberal‘ zu privatisieren – es sei denn, er folgt einer Ideologie.
        Zu dieser FES-Studie: Wer so unmittelbar einer Umfrage seine eigenen Deutungsmuster aufdrückt, tut dem Kampf gegen autoritäre Bestrebungen in der Politik (und der Glaubwürdigkeit von soziologischen Studien) bestimmt keinen Gefallen. Aber mittlerweile muss man ja schon zwischen dem unterscheiden, was ‚Linke‘ und ‚Rechte‘ (wie ich wohl einer bin, zumindest gemäß dieser ‚Studie‘) unter autoritär verstehen. Und in diesem Klima der Begriffsverwirrung (z.B. .. wo ist denn nun der Zeitgeist.. in der verheimlichten oder veröffentlichten Meinung?) gedeiht der letztlich ideologisierende Krieg der Meinungen zwischen denen, die von Soziologen in ‚rechte‘ und ‚linke‘ Meinungsspektren einsortiert werden. An sich ist das schon anmaßend, aber wenn dann noch ein ‚Framing‘ durchgeführt wird, um individuelle Freiheitswerte durch kollektivistische Gesinnungen zu ersetzen, wie der Philosoph Jan Skudlarek das vormacht und in der Deutung dieser Umfrage exekutiert („Solidarität..“) wird das totalitär.

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        Lieber KJN, einigen wir uns darauf, dass man für eine verstaatlichte oder privatisierte Bahn, Post, Wasserversorgung, Mediengrundversorgung, Autobahn, Schule, Universitätsausbildung, Sozial- und Krankenversicherung sein kann und gleichzeitig dafür, dass der Staat die Bürger:innen „unbehelligt“ lässt.
        Was vielleicht bedeuten kann, sie vor der Behelligung durch andere zu schützen, daher: Polizei inklusive Verkehrspolizei, Gewaltmonopol des Staates, Arbeitsschutzgesetzgebung, Wettbewerbsregelungen, die den Markt garantieren sollen usw. bis hin zu jenen EU-Regelungen, die Ihnen ermöglichen, Cookies abzulehnen, was die Unternehmen ja nicht freiwillig angeboten haben, und zum Ordnungsamt, das Sie rufen können, wenn Ihr Nachbar auf dem Balkon eine Grillparty veranstaltet.
        Das Problem fasste mal eine Beamte des Ordnungsamts Neukölln für mich zusammen: „Alle wollen, dass das Ordnungsamt überall ist, bloß nicht bei sich.“ Hier der Kontext:
        https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article106651371/Ordnung-Ordnung-ueber-alles.html

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        Lieber Alan Posener, was soll ich dazu sagen? Vielleicht, dass es außerhalb einer ‚geschlossenen Gesellschaft‘ kein Ordnungsamt und keine Polizei geben kann, die es jedem recht machen kann. Oder wie es unser sympathischer Ortsbürgermeister in einem Nachsatz zu einem Beitrag im unserem Verbandsgemeindeblättchen angesichts einer Beschwerde einer von einem Hund angesprungenen Joggerin formulierte: „Es gibt eine Leinenpflicht innerorts und (!) etwas Toleranz hat noch niemandem geschadet.“
        Zu einer ‚offenen Gesellschaft‘ gehört so m.E. ein ziemliches Maß an Eigenverantwortung und ich muss dahin gehen und ziehen, wo ich mich wohlfühle, dh. ich ziehe nicht in einen Touristenort oder die Innenstadt, wenn ich Ruhe haben will und wenn ich viele Partys feiern will, nicht in eine Vor-/Schlafstadt und ich kann nur dringend davon abraten, aufs Land zu ziehen, wenn mich laute Benzin-Kettensägen, Kreissägen und Freischneider, sowie der Geruch von Holzöfen, Silage und Diesel-Traktoren stört. Und für manche Hypersensible scheint mir wirklich nur noch das Sanatorium zu bleiben oder das Schicksal eines Michael Kohlhaas.
        Daher bin ich der Meinung, dass Ordnungsämter, Polizei, aber eben auch die Politik sich zurückhalten sollte, denn Rücksichtnahme kann sich wohl kaum darin erschöpfen, immer nur die zu schützen, die sich durch irgendwas gestört fühlen. Auch Arbeit, Aktivität, Vitalität müssen ihren Platz haben – und wenn es die Grillfete auf dem Balkon ist. Meine Güte. Sie können sich nun wohl vorstellen, dass ich das Verbot des Hissens der Nationalfahne genauso daneben finde, wie das Einschreiten der Polizei im Ruhrgebiet gegen das Heraushängen der israelischen Fahne aus einem Fenster in der Straße, wo eine Al-Quds Demo stattfand – auch zwecks Appeasement.
        Die Ursache solcher Entscheidungen sehe ich wohl in verfehlten politischen Vorgaben.
        Und wenn ich das alles so verfolge, bin schon ein wenig froh, dass ich nicht aus beruflichen Gründen in Berlin, das ich eigentlich in der Zeit, die ich da verbrachte, mochte, gelandet bin, sondern in der Eifel. Hier erscheint mich doch noch vieles (nicht alles) noch normal.

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      @KJN

      … ich mag Ihnen ein wenig zustimmen. Ich bin wohl, was ‚deutsche Rockmusik‘, Schlagermusik Ost und West, sowieso, betrifft, ein wenig befangen.

      Die westliche ‚Monotonie des JE JE JE‘ und wie das alles auch immer heißt (Ulbricht), ist mir verboten gewesen. Daher hat sich eine Abneigung bei mir gegenüber deutschen Musikern gebildet. Erst recht gegenüber ‚Systemmusikern‘ in ‚Ost und West‘. Die Klassiker und Seemannslieder mal außen vor.

      Das kann ich wirklich nicht vergessen. In MV konnte zwar der NDR mit ‚Tanzmusik‘ aber wenig JE JE JE empfangen werden. Außer man/frau hörte Radio Kopenhagen oder Radio Free Europe auf Kurzwelle und schwach, mit Rauschpegel, Radio Luxemburg auf Mittelwelle. Damit waren ‚wir‘ dann auch beim JE JE JE – herrlich. Aber bei TRIO komme ich wirklich nicht mit. 😉

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        Naja, lieber Hans, im Gesamtkunstwerk ‚Trio‘ war nun wirklich überhaupt kein Raum für irgendwelche propagandistischen oder sonstwie politischen Inhalte, was ich bereits damals angenehm fand.
        Mit der Kurzwelle (‚Weltempfänger‘) bin ich übrigens auch groß geworden und ich höre jetzt wieder öfter auf AM. Skurriles aus den Niederlanden auf Piratensendern zwischen 1600 und 1650 KHz (die Holländer mögen anscheinend Bayrische oder Tiroler Volksmusik und machen sie selber mit flämischem Gesang) oder den wunderbaren britischen Sender Lyco Radio auf 1458 KHz mit schmalziger indischer (oder pakistanischer?) Schlagermusik. Ihr Warnemünder Chor mit E-Gitarrist (‚Sailing‘) ist auch schön. Ich mag ‚Ethno Pop‘ ach, eigentlich sehr vieles, es darf nur in mir kein ‚Bewusstsein wecken‘ wollen, wie dieser dröge Indie-Pop, der in den Kultursendern rauf und runter gespielt wird.

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      @ich, mal wieder.

      … weil ich ’s gerade in FAZ-online gelesen habe, passt; kein o.t. 😉 Passt zu ‚Seele und Würde‘. 😉 Rod Stewart und Jeff Beck mit einem Curtis Mayfield – Song. ‚… Faith is the key. Open the doors and board them. There’s room for all. …‘

      Und nein, ich möchte mit der heutigen Jugend, ‚Tokyo-Hotel‘ u.a., z.B., nicht tauschen. Das ging mir schon bei der ‚Neuen deutschen Welle‘ so; da, da, da … geht ’s noch doofer? Eher steck ich mir den Finger in den Hals.

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        Nun, „Da da da“ war, wie der Titel sagt, ein Dada-Song. Und „Sabine Sabine Sabine“ ist ein Meisterwerk.

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