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Mit Erdogan den Strauß wagen

 Die jüngste Entwicklung in der Türkei wird auch dem größten Türkei-Freund die Augen darüber geöffnet haben, dass dieses Land in der EU nichts verloren hat. Erdogan arbeitet zielstrebig darauf hin, ein  autoritäres  Präsidialsystem nach dem Vorbild Wladimir Putins zu errichten. Alle  Maßnahmen, die er in den Monaten seit dem Militärputsch im Sommer unternommen hat, dienen diesem Ziel: „Säuberung“ aller gesellschaftlichen Bereiche (Justiz, Armee, Schule, Hochschule, Verwaltung, Wirtschaft) von „Feinden“, denen die Regierung entweder Sympathie für die Gülen-Bewegung oder für die PKK unterstellt. Alle unabhängigen Zeitungen und Fernsehkanäle wurden entweder geschlossen oder durch dubiose Eigentumsübertragungen gefügig gemacht. Um seine Gegner auch physisch ausschalten zu können, plant Erdogan die Wiedereinführung der Todesstrafe. Die Partei der kurdischen Minderheit HDP wird von der Regierung als politischer Arm der PKK stigmatisiert. Ihre ganze  Führungsspitze  wurde  inhaftiert, ihr droht ein Prozess wegen Terrorunterstützung. Zuvor war allen Abgeordneten der  HDP   von einem inzwischen  Erdogan-hörigen  Parlament  die Immunität aberkannt worden.

Wer sich in der Geschichte auskennt, fühlt sich an den Gleichschaltungsprozess erinnert, den Adolf Hitler nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933  mit  Hilfe von Verordnungen und mit Anwendung  des Ermächtigungsgesetzes  vom 23. März 1933  in Gang gesetzt hat. Am Ende der Gleichschaltung in der Türkei  wird ebenfalls  eine Diktatur stehen, in der die  Institutionen des Staates  zwar formal  weiterexistieren, ihrer demokratischen Funktion aber gänzlich beraubt sein werden.

Noch vor wenigen Jahren galt es als ausgemachte Sache, dass die Türkei in die EU aufgenommen werden sollte. Als Nato-Mitglied gehört sie schon seit langem  zur freien Staatengemeinschaft. Zudem wurde der Türkei zugutegehalten, dass sie das einzige muslimische Land mit einer funktionierenden Demokratie sei. Die Aufnahme in die EU sei deshalb politisch geboten und auch  „pädagogisch wertvoll“, weil man damit den anderen Staaten mit muslimischer Bevölkerung bedeuten könnte,  es der Türkei gleichzutun, um Anschluss an die Moderne zu finden. Angela Merkel wurde damals viel gescholten, weil sie für die Türkei nur den Status einer privilegierten Partnerschaft gelten lassen wollte. Sie hat mit ihrer Skepsis letzten Endes  recht behalten. In die EU gehören nur Staaten, die  an der demokratischen Substanz – Gewaltenteilung, Rechtstaat –    auch in Krisensituationen eisern festhalten.  Das Beispiel von Ungarn und Polen lehrt uns, dass  sich Staaten  auch noch in der EU zu halbautoritären Systemen zurückentwickeln können, wenn die Regeln der Demokratie nicht wetterfest verankert sind. Vom politischen Islam hätte man eigentlich wissen können, dass er immer den ganzen Staat erobern will, dass er sich mit einer partikularen Rolle im pluralistischen Gefüge nie zufrieden geben wird. Dass Erdogan den Pluralismus jetzt auf allen Ebenen zerstört, entspricht seiner Agenda, die er von Anfang an verfolgt hat. Für die demokratische Staatengemeinschaft ist die Türkei deshalb bis auf weiteres verloren.

Wenn die Europäische Union noch etwas auf ihre Werte gibt, sollte sie die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei jetzt  abbrechen und auch  die Verhandlungen über  einen visumfreien Reiseverkehr in die EU  beenden. Die Türkei im gegenwärtigen Zustand ist weder ein Beitrittskandidat noch ein Partner für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in Visumsfragen. Wir müssen uns eher darauf einstellen, dass politisch Verfolgte  aus der Türkei  nach Europa, vor allem auch nach Deutschland, fliehen werden, wie das  zu Beginn der Verfolgungswelle  nach dem Putsch  teilweise schon geschehen ist. Dass wir diesen Menschen politisches Asyl gewähren, sollte selbstverständlich sein.  Auslieferungsbegehren der türkischen Regierung sollten wir strikt  zurückweisen.

Erdogan wird als Reaktion auf den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen die mit der EU getroffene Flüchtlingsvereinbarung aufkündigen. Darauf sollten wir uns gefasst machen. Diese Reaktion  sollte uns jedoch  nicht verdrießen, weil die EU durchaus  die Möglichkeit hätte, vielfältigen Druck auf die Türkei auszuüben. Wenn absehbar ist, dass die Türkei Schlepperbooten wieder freie Fahrt nach Griechenland gewährt, sie sogar aus ihren Hoheitsgewässern hinauseskortiert, sollte die EU dies als unfreundlichen Akt, als Angriff auf den Schengenraum und als staatlich geförderten Menschenschmuggel bewerten. An Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei führt dann kein Weg mehr vorbei. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hat sie schon ins Gespräch gebracht.

Wir könnten auch an der medialen Front punkten. Dabei sollten wir die Welt darauf aufmerksam machen, dass die muslimische Türkei ihre Brüder in das christliche Europa (und in die Elendslager auf den griechischen Inseln) schickt, anstatt ihnen die brüderliche Hilfe anzubieten, die der Koran von den Glaubensbrüdern fordert. Eine solche Ansage dürfte dem Potentaten, der sich neuerdings so viel auf seine muslimische Gesinnung zugutehält, nicht gefallen. Die türkische Regierung feuert zur Zeit ein Trommelfeuer der Verleumdung gegen die EU und speziell gegen Deutschland ab. Mal werden wir als „rassistisch“ beschimpft, mal wird behauptet, dass die Türken in Deutschland „keine Rechte“ hätten. Will die Türkei ihre syrischen und irakischen Glaubensbrüder tatsächlich in dieses Reich der Finsternis schicken?

Die EU sollte ihre Bürger aufrufen, die krisengeschüttelte, unfreie Türkei als Urlaubsland zu meiden. Die Sicherheitslage in der Türkei ist wegen der vielen Bombenattentate ohnehin fragil. Außerdem ist absehbar, dass die PKK die Ausschaltung der Kurdenpartei  HDP  nicht ohne weiteres hinnehmen wird. Sie wird den Bürgerkrieg und die Attentate wieder  in die Urlaubsregion Antalya tragen, wie sie das in den 1980er Jahren schon einmal getan hat. Dann wären Urlaubsfahrten  in die Türkei  ohnehin hoch riskant. Wie anfällig die Tourismusindustrie der Türkei ist, konnte man vor einem Jahr sehen, als Putin den Flugverkehr in die Türkei stoppte. Viele Hotels, die von russischen Gästen lebten, mussten schließen. Vielleicht kann erst  ein wirtschaftlicher Niedergang   Erdogan zur Besinnung bringen. Er  bringt nämlich auch sein Regime in Bedrängnis.  Die Loyalität der türkischen Mittelschicht mit der AKP  basiert nämlich auf dem Wohlstand, den diese Partei in den letzten 10 Jahren zu schaffen vermochte. Solche Loyalitäten sind jedoch  fragil und können erodieren, wenn sich der Wind dreht.

Deutschland hätte spezielle   Möglichkeiten, auf den Bruch des Flüchtlingsabkommens zu reagieren. Wir müssten Ankara  deutlich machen, dass wir alle Einrichtungen der   türkischen Gemeinschaft schließen, die sich als außenpolitische Agentur der Türkei verstehen und sich in der Öffentlichkeit auch  so benehmen. Einen unschönen Vorgeschmack davon  konnten wir diesen Sommer schon erleben, als in unseren Städten  nationalistische AKP-Fanatiker Jagd auf Gülen-Anhänger und Kurden machten und deren Eigentum zerstörten. Wir sollten klarmachen, dass diejenigen, die in Deutschland türkische Innenpolitik betreiben wollen, ihr Bleiberecht   verspielen. Dass Erdogan oder andere Politiker seiner Regierung künftig in deutschen Fußball-Arenen  Wahlkampf machen, sollte völlig ausgeschlossen sein. Auch die Wahlen selbst  sollten wir künftig nicht mehr  so großzügig wie bislang  organisieren. Wer als türkischer Staatsbürger wählen will, soll dies im Heimatland oder per Briefwahl tun.

Wenn der Innenminister die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.“ (DITIB) verbieten würde, wäre dies für Erdogan und seine islamische Agenda  ein herber Schlag. Dieser Muslim-Verband untersteht der  Religionsbehörde des türkischen Staates, die wiederum eng mit der türkischen Regierung verbunden ist. Die DITIB lässt jede Eigenständigkeit vermissen. In ihrer Kölner Zentrale gehen Vertreter des türkischen Geheimdienstes  ein und aus. Es ist nicht auszuschließen, dass von hier aus die Auskundschaftung der „Gegner“ Erdogans in Deutschland geschieht.

Bisher war  es der DITIB gestattet, türkische Imame nach Deutschland zu holen und in hiesigen Moscheen predigen zu lassen. Dies hat zu einer Grauzone zwischen echter Gläubigkeit und islamistischer Agitation geführt, die vom Verfassungsschutz nur schwer aufzuklären ist, weil er über zu wenige Mitarbeiter verfügt, die der türkischen Sprache mächtig sind. Künftig sollten in Deutschlands Moscheen nur noch Imame predigen dürfen, die in Deutschland ausgebildet wurden und ihre Predigt in deutscher Sprache halten können. Es ist eine echte Schwachstelle des Islam in Deutschland, dass in den Moscheen auch „selbsternannte“ Imame predigen dürfen. Es wäre sicher nicht zu viel verlangt,  wenn wir von den muslimischen Verbänden  verlangen würden, dass sie künftig auf die Predigt von Autodidakten verzichten. Wer sich zum Prediger berufen fühlt, kann einen der offiziellen Ausbildungsgänge durchlaufen.

Die  friedfertigen und demokratischen Türken in Deutschland müssen  wir ermuntern, sich noch mehr als bislang  in Politik und Zivilgesellschaft zu engagieren. Sie müssen zu einem weithin sichtbaren Teil unserer Gesellschaft werden.  Wenn es in jeder Partei eine relevante Gruppe türkischer Abgeordneter und Mandatsträger gäbe, wäre das ein starkes Signal gegen die AKP, die die türkische Demokratie stranguliert. Dass der „anatolische Schwabe“ Cem Özdemir  zum beliebtesten Politiker der Grünen aufgestiegen ist, hat er auch seinem demokratischen Standing zu verdanken, das er bei der Verabschiedung der Armenienresolution und bei den Angriffen der türkischen Regierung auf türkischstämmige Bundestagsabgeordnete gezeigt hat. Wir brauchen auch mehr Menschen mit türkischem Hintergrund als Lehrer, Anwälte und Polizisten. Mit diesen  Berufen  kämen sie in der Mitte der Gesellschaft an und gäben ein vorzügliches Vorbild für Jugendliche aus der türkischen Community ab.

Es gibt unzählige Menschen in der Türkei, die auf eine Annäherung ihres Heimatlandes  an die EU gehofft hatten. In der EU-Mitgliedschaft der Türkei  sahen sie die Krönung der vielfältigen verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen, die über  Jahrzehnte hinweg  zwischen der Türkei und der EU gewachsen sind. Diese Menschen, die das demokratische Gesellschaftsmodell schätzen, werden durch die autoritäre Entwicklung in der Türkei bitter enttäuscht. Ihnen sind wir es schuldig, dass wir den Erpressungen Erdogans in der Flüchtlingsfrage nicht länger nachgeben. Lieber  jetzt ein mutiger Schnitt mit klarer Ansage als ein ewiges Hoffen und Bangen. Aus der Geschichte können wir lernen, dass man sich den Erpressungsmanövern eines Potentaten nicht ausliefern darf, wenn man nicht die eigenen Werte  beschädigen will.

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4 Gedanken zu “Mit Erdogan den Strauß wagen;”

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    Lieber Rainer Werner,
    gut dass Sie kein Politiker sind. Ich bin auch froh, dass ich in dieser schwierigen Lage nicht verantwortlich handeln muss. Alles, was Sie schreiben, ist – als Beschreibung – richtig, aber als Handlungsanweisung zu kurz gedacht. Warten wir doch ab, wie sich die Achse der autoritären (und Kriegsverbrecher-) Regimes jetzt bildet.
    Gezieltes Bombardieren von Krankenhäusern – Russland entzieht sich gerade dem Völkergerichtshof. Die USA haben ähnlich gehandelt (noch unter G W Bush).
    Dann kann man immer noch die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.“ (DITIB) – nicht verbieten -, wohl aber in die Pflicht nehmen. Vertritt sie nur die Erdogan-Anhänger, kann man immer noch handeln, aber das ist alles nicht mit Empörung zu lösen, auch nicht mit Blick auf „Werte“. Es gibt keine europäischen Werte, es gibt Prinzipien, rechtliche Rahmen und Verfahren. Aber es gibt auch einige Widersprüche, aber auch da muss man abwarten, wer Frankreich künftig vertreten wird. Was Italien betrifft, müssen wir warten, ob sich Renzi durchsetzen kann, und so geht es weiter….

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    Merkel hat Bundeswehrsoldaten in die Türkei entsandt, um diese islamische Diktatur zu verteidigen. Dann hat Erdogan den deutschen Politikern verboten, diese Soldaten zu besuchen. Erst als man den Völkermord an den Armeniern offiziell als Unfall deklarierte, durften die deutschen Politclowns wieder zu den Bundeswehrtruppen reisen. Wie jämmerlich und kriechend kann sich die Merkel-Regierung noch verhalten?

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    @Rainer Werner: Ist der Titel mit Absicht so doppeldeutig? – Der Titel hat mich neugierig gemacht, da ich an den guten alten FJS denken mußte. Schließlich hat Erdogan selbst schon als Ministerpräsident Züge von Verstraußung gezeigt – was dem Bayern der Main-Donau-Kanal und die WAA in Wackersdorf war dem türkischen Pendant sein Regierungspalast. Und umgekehrt war auch ein Franz Josef Strauß als Staats- und Parteichef von Bayern nicht frei von autokratischen Zügen und mit einer Reihe von Diktatoren offenbar ganz gut ausgekommen (was so weit ging, daß seine Partei einer Handvoll chilenischer Oppositioneller demonstrativ die Zuflucht in Deutschland verweigert hat).
    Ansonsten: Weitgehende Zustimmung. Bis auf den Punkt, daß sich die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.“ mit DITIB abkürzt (und nicht mit DITIP) und einen kleinen Hinweis, der auch nicht fehlen sollte: Das Militär der Türkei war seit den Zeiten Atatürks auf strikten Laizismus bedacht. Daß Erdogan als Ministerpräsident anfing, den Einfluß des Militärs zurückzudrängen, wurde von den Politikern der EU wohlwollend zur Kenntnis genommen. Warnende Stimmen aus Brüssel waren nicht einmal nennenswert vernehmlich, als die türkische Armee 2011 der Regierung unterstellt wurde.

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