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Gerhard Schröder, Friedenstaube

Wie nicht anders zu erwarten, steht Wladimir Putin hinter seinem Verbündeten Baschar al-Assad. Dessen Gegner seien „Terroristen“ – wie weiland die Freiheitskämpfer im russisch besetzten Kaukasus – und hätten vermutlich sich selbst vergast, um die USA in den Krieg gegen Syrien zu ziehen.

Solche Töne verwundern nicht von Putin, der als lupenreiner Demokrat die Opposition im eigenen Land – Stichwort Pussy Riot, Michail Chodorkowski, Alexander Litwinenko – mit Polizeistaatsmethoden verfolgt. Erstaunlich ist nur, wie viele Leute im Westen bereit sind, sie nachzuplappern.

Oder vielleicht nicht so erstaunlich.

Gehen wir schrittweise vor. Wie „The Moscow Times“ am 2. September berichtete, zahlt Assad gerade seine Schulden für Kriegsgerät bei Putin zurück:

http://www.themoscowtimes.com/news/article/syria-pays-for-russian-arms-to-boost-ties-with-moscow/485308.html

Hier einige relevante Passagen:

„The Russian defense industry source, speaking on the condition of anonymity, said Assad had started in recent months paying off a nearly $1-billion contract for four S-300 anti-aircraft missile systems and another $550 million order for 36 Yak-130 trainer fighter planes.“

Assad beginne gerade deshalb mit den Zahlungen, so spekulieren die Analysten, weil er Putin von der Standfestigkeit seines Regimes überzeugen wolle. Im Gegenzug erhalte er wieder Waffen, die er gegen die Opposition einsetzen könne. Die Zahlungen für Russlands Waffenlieferungen werden, so „Moscow Times“, unter anderem über drei Großbanken abgewickelt: VTB, VEB und Gazprombank.

Gazprombank.

Da müssen deutsche Ohren doch klingeln. Insbesondere, wenn sie hören, dass ein gewisser Gerhard Schröder sich wieder einmal als Friedenskämpfer betätigt:

http://www.t-online.de/nachrichten/specials/id_65332714/syrien-konflikt-schroeder-und-schmidt-wettern-gegen-militaerschlag.html

Man müsse, so der Erfinder der Friedensachse Moskau-Berlin-Paris gegen den Kriegstreiber George W. Bush, „skeptisch sein gegenüber allen, die allzu schnell glauben, politische Probleme könne man mit Hilfe des Militärs lösen“. Womit er nicht etwa Putin meinte, dessen Truppen nicht nur Tschetschenien terrorisiert haben und terrorisieren, sondern auch bis heute widerrechtlich Teile Georgiens besetzt halten. Schröder meint Barack Obama, dem man viel vorwerfen kann, aber doch wohl nicht, dass er „allzu schnell“ an militärische Lösungen denke; zwei Jahre hat der amerikanische Präsident schließlich abgewartet, hat dem syrischen Machthaber goldene Brücken in Gestalt „roter Linien“ gebaut, die Assad jedoch – ein Verhalten, dass paranoiden Diktatoren eigen erscheint – mutwillig überschritten hat.

Schröder ist bis heute Vorsitzender des Aktionärsausschusses der Nordstream AG, die wie die Gazprombank eine Tochtergesellschaft des russischen Gasmonopolisten Gazprom ist.  Zu den wesentlichen Zielen der Nordstream gehört es, die Diversifizierung der europäischen Gasversorgung zu unterlaufen; die EU-Kommission setzte etwa auf  das Nabucco-Pipeline, mit dessen Hilfe Gasvorkommen außerhalb Russlands nach Südeuropa geliefert werden sollte. Dagegen boten die Russen an, eine südlich verlaufende Pipeline – South Stream – zu Dumpingpreisen zu bauen. Das Aus für Nabucco kam vor zwei Monaten.

Ein Schelm, wer die durch dieses Desaster bestätigte deutsche Totalabhängigkeit von russischem Gas mit dem Unwillen der deutschen Politik in Verbindung bringt, sich klar gegen Assad und seinen Hintermann Putin zu positionieren.

 

Natürlich erklären wirtschaftliche Beziehungen nie alles in der Politik. Natürlich gibt es ehrenwerte Gründe, sich gegen eine Militäraktion in Syrien zu stellen. Selbstverständlich unterstelle ich nicht allen Friedensfreunden zynische Motive. Doch zur Ehrlichkeit gehört es auch, auf die sehr handfesten materiellen Motive mancher sehr lauten Friedensfreunde doch zu verweisen.

Nachtrag am 10.09.2013: Obiges wurde geschrieben, bevor Putin seinen neuen Vorschlag aus der Tasche zog. Ich teile die Skepsis, die Angela Merkel interessanterweise gestern in der ARD zum Ausdruck brachte; ich denke, dass Obama Recht hat: Ohne glaubhafte Drohung mit einem Militärschlag wäre der Vorschlag nicht auf den Tisch gekommen; und ich denke, der US-Präsident hat Recht, wenn er sich bereit erklärt, dem Frieden eine Chance zu gehen. Schließlich hat sein Außenminister Kerry immer betont, es gehe bei der geplanten Militäraktion nicht um Regime Change, sondern darum, Assad zu ernsthaften Verhndlungen zu bewegen.

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38 Gedanken zu “Gerhard Schröder, Friedenstaube;”

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    @ Alan Posener: dies & jenes überdacht

    Gestern habe ich Sie gelobt. Deshalb habe ich, bitte, noch was gut bei Ihnen: Manchmal, in diesem Falle z.B., wünsche ich mir, Sie würden, ein bisschen wenigstens, auch so schlecht schreiben können wie ich (oder wie manche Ihrer Kollegen). Deshalb gefällt mir, nebenbei, die jetzige Art Ihres Bloggens, mit mehr oder weniger fertigen Texten, (weit) weniger gut als Ihre Boggerei seinerzeit auf Apocalypso. Sie wissen, dass ich dennoch neidischer Bewunderer Ihrer Schreibe bin. Wie Sie selbst aber (wenn auch wohl eher unfreiwillig) sehr richtig bemerken, werden bestimmte Inhalte in allzu geschwungener Schönschrift doch allzu leicht zu diesem & jenem. Ich könnte auch kurz sagen: Bestimmte Inhalte, Todesanzeigen sind vielleicht eine stilistische Ausnahme, sind nicht für die Zeitung. – Ich warte lieber auf die epische Version Ihrer dann hoffentlich etwas prosaischeren Confessiones. Stoff haben Sie ja reichlich, denke ich 😉

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    http://www.nytimes.com/2013/09.....&_r=0

    Herrlich, wer sich noch nie mit russischer Außenpolitik beschäftigt hat, wird zu Tränen gerührt sein.

    Nur in einem Punkt hat er Recht: Die Aufständischen sind in weiten Teilen keine Verbündeten, sie sind eine Bedrohung für alle.

    Der Rest ist natürlich Blödsinn. In allen diesen Konflikten war Russland beteiligt, im Rahmen seiner Möglichkeiten, nämlich mit Waffenlieferungen. Internationales Recht ist für Putin so bindend, wie seinerzeit den Bushkriegern, nämlich gar nicht. Sein hochhalten der UNO und internationaler Standards ist geheuchelt. Das sollte jedem klar sein. Das Philosophieren eines russischen Präsidenten über kleine und große Staaten ist einfach nur lächerlich.

    Auch diese Wiederbelebung des UNO Gedankens ist eine Nebelkerze. Russland braucht die UNO als Bühne, nicht als Ort der Entscheidungen. Die wollen sich mit den USA hinter den Kulissen einigen und dann den Zwergen die Entscheidung der Riesen vorlegen. Da ist auch mein Vorwurf an Obama: Es geht nicht um die UNO, dort wird nur Verkündet was entschieden wurde. Viel wichtiger sind bilaterale Gespräche mit den betroffenen Staaten und dazu zählt nun mal Russland. Die Bedrohung durch Islamisten ist für sie real. Die USA können Russland durchaus einiges anbieten. Eine Einigung im Vorfeld unter Riesen. Der Zeitpunkt wurde leider verpasst. Als klar war, dass der Aufstand in einen Bürgerkrieg münden wird, hätte man Druck auf andere und Bewegungsfreiheit für sich schaffen müssen. Stattdessen rote Linien, die Putin natürlich als praktischen Nasenring auffasst. Man muss Russland ernst nehmen, sich seinen Rat holen, dazu gehört aber auch, im richtigen Moment Härte zu zeigen. Beides hat Obama nicht gemacht.

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    Vergessen sei auch nicht, dass ein von den USA aufgerüstetes und von US-Militärberatern geführtes Georgien 2008 russische Einheiten angriff und die westlichen Staaten eine Woche wider besseren Wissens behaupteten, Russland sei der Angreifer. Vergessen sei auch nicht, dass die Bush Regierung den UN-Sicherheitsrat bei jeder Gelegenheit marginalisierte und auch der Auftritt von Collin Powell bei den Bushkriegern umstritten war, die wollten die UNO komplett übergehen. Nennen wir es Chuzpe, bei der Spaltung des westlichen Lagers die Bush-Regierung nicht zu erwähnen.
    Russland wird seine Interessen im Kaukasus verteidigen. Die Überraschung, dass es an Assad festhält, kann in Washington nicht so groß gewesen sein. Wie gesagt, vor 5 Jahren wollte man den Russen einen direkten Schlag in der Region versetzen. Diese fürchten, dass Syrien ein Aufmarsch und Rückzugsgebiet für Islamisten aus dem Kaukasus wird und das vollkommen zu Recht. Leider haben die USA nichts dafür getan, mit den Russen ein Konzept für diese Region zu entwickeln. Die Gespräche, die Obama jetzt führt, hätten vor 2 Jahren auf US-Initiative stattfinden sollen. Die heutige Situation war vorhersehbar. Selbst wenn man glaubt, die Russen hätten per se nicht Recht, kann man sie nicht einfach ignorieren. Sie sind nun mal da.
    Vertrauen ist eine harte Währung, die Bush im internationalen Geschäft ordentlich verschleudert hat. Dieser Verlust wiegt schwerer, als ein konstruierter Kriegsgrund. Mit denen haben alle Großmächte Erfahrung, das wiegt nicht viel. Georgien war aber ein direkter Angriff. Die Russen haben keinen besonderen Grund den Amerikaner zu vertrauen, ebenso umgekehrt.

    Sollte das alles in eine Syrien-Strategie beider Länder münden, wäre es fantastisch und Obama in meinen Augen rehabilitiert. Daran glaube ich aber nicht. Obama wird die Geister, die unsere Verbündeten aus der Flasche gelassen haben, nicht einfangen können, ohne die Golfmonarchen vor den Kopf zu stoßen. Auch glaube ich alles, nur keinen russischen Ankündigungen.

    Ein Militärschlag hätte den Krieg jetzt beenden können. Die Verhandlungen und eine Einigung mit Russland wären auch danach möglich gewesen, so sie jemand will. Aus einer Position der wohlwollenden Stärke.Siehe Kosovo.

    Jetzt geht der Krieg weiter, Menschen sterben und die Russen haben die Option, Obama wie den dummen August dastehen zu lassen. Assad sitzt mit am Tisch. Die Islamisten bauen ihre Stellung im Chaos des Bürgerkriegs weiter aus. Der Westen hat die Initiative nun vollständig aus der Hand gegeben. Richtig clever.

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    (Verpöntes) Selbstzitat: müsste man sich auf sich auf epochal veränderte Zusammenarbeit mit den Russen (und Putin) einlassen

    Dazu APOs brillante Analyse des Putin-op-eds in der NYT, Link!

    (Der kleinkariert in außenpolitik-typischen Prestige-Kategorien „denkende“ Titel ist völlig irreführend. Nicht abschrecken lassen, bitte!)

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    @ Luc Muessen wir bei Apo weitere 10 Jahre warten bis er schreibt: Je confesse

    Er muss ja nur noch ein Jährchen (wenn ich richtig rechne). Wenn Welt/WamS usw. ihn gehen lassen – sie wären allerdings schön blöd – dann dauert es bis zu seinen Confessiones vielleicht doch nicht mehr ganz so lange.

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    Cher Jean-Luc,
    J’ai déja confessé. Vous pourriez lire ma confession il y a quelques années dans „Die Welt“. Googlez, et vous la trouverez.

    Aber wenn Sie wollen, gehe ich Dienstag noch einmal auf die Frage des Neo-Imperialismus, des Realismus und der Unterschiede zwischen Syrien und dem Irak ein. Nur eines müssten sie mir im Vorfeld beantworten: Hat Obama mit seiner „Firdenspolitik“ mehr Erfolg gehabt als Bush mit seiner „Kriegspolitik“?

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    Cher EJ,

    Zufall oder kein Zufall:

    ihre Beschreibung vom federlosen hawk…
    und jetzt bringt unser couch-potatoe warrior aus den Zeiten des Iraq Krieges seine Friedenstaube Schroeder wieder an das Tageslicht.

    Es waere fuer mich auch interessant zu erfahren, wie Apo die wirtschaftlichen Abhaengigkeiten der US und Iraq einschaetzt?

    Eine Frage: Die Journalistenkollegen von der N.Y.T. haben ihr Urteil über den Iraq Krieg sehr schnell revidiert.

    Muessen wir bei Apo weitere 10 Jahre warten bis er schreibt:

    Je confesse

  8. avatar

    Lieber Herr Posener,

    mea culpa die Nord-Stream AG ist eine schweizerische AG mit Sitz im Kanton Zug.

    Und das Äquivalent zum deutschen Aufsichtsrat ist der Verwaltungsrat.

    Eine Aktionärsausschuß gibt es in der Schweiz meines Wissens nicht bei der Organisationsform der AG

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    Lieber Herr Posener,

    alles was in Wikipedia steht stimmt leider nicht immer:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Nord_Stream_AG

    Die Nord-Sttream AG ist eine deutsche AG. Sie hat keinen “ Aktionärsausschuß “ sondern einen Aufsichtsrat:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Aufsichtsrat

    Im angloamerikanischen Bereich entspricht dieses Kontrollorgan dem:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Board_of_Directors

    Und Gerhard Schröder ist COB (Chairman of the Board)

    oder auch Aufsichtsratsvorsitzender der Nord-Stream AG

    Soviel zum Wiki-Journalismus 🙂

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    … nachdem Erdolf und Kumpane die rote Linie durch einen Einsatz chemischer Waffen gegen die eigene Bevölkerung ganz klar überschritten hat, und Erdolf am Taksim-Platz in Konstantinopel andere Meinungen brutal niederknüppeln lässt, bin ich auch hier nicht dafür, nun mit Streubomben auf die türkische Bevölkerung zu reagieren.

    Aber aus der NATO sollte die Türkiye Cumhuriyeti gefeuert werden. Sofort. Daher.

    Ohnehin hat die Türkiye Cumhuriyeti genug damit zu tun einen Wirtschaftskollaps abzuwenden. Die Lira auf Rekordtief, die Börsen im Sinkflug, verschreckte Investoren aus dem Ausland: Die türkische Wirtschaft steht derzeit schwer unter Beschuss.

    Dann will man Krieg. Damit andere für falsche Wirtschaftspolitik löhnen sollen. Oder?

    Wie sieht es eigentlich mit Hussein Obamas ‚Wirtschaft‘ aus? Der Herr ‚Frieden’snobelpreisträger. Mhmmm?

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    Es tobt ein Bürgerkrieg an der direkten Grenze zur NATO. Mit viel Potential umliegende Länder, die der Westen zu seiner Sphäre zählt, zu destabilisieren. Den Einsatz von Chemiewaffen zu verhindern, ist in dem Kontext kein besonders ehrgeiziges Ziel. Deswegen klappt das jetzt auch scheinbar so hervorragend.

    Incirlik, einer der größten NATO Flughäfen, liegt ca 500km von Damaskus entfernt. Trotzdem sind wir nicht in der Lage, diesen Konflikt zu beenden. Wenn das nicht geht, wie wollen wir Einfluss auf den nächsten Konflikt im Kongo nehmen und was zum Teufel hat uns dann geritten, in das noch entferntere Afghanistan zu gehen? Wir zelebrieren gerade Impotenz als Stärke.

    In Syrien, das die Nachbarländer seit Jahrzehnten malträtiert, scheinen wir keine Interessen mehr zu haben, außer Armageddon zu verhindern. Wenn das plötzlich unsere einziges Interesse im Mittleren Osten ist, dann sind uns die Trauben wirklich zu sauer geworden. Klar, je kleiner unsere Ansprüche, desto strahlender steht Obama mit erbärmlichen Ergebnissen da. Eine Niederlage ist auch dann eine Niederlage, wenn man eigentlich keine Lust hatte mitzuspielen. Das werden gerade Iran, Russland, China und Venezuela zu deuten wissen.

    Giftgas ist eine taktische Waffe, im Bürgerkrieg einsetzbar. Iran möchte die A-Bomben als strategisches Abschreckungsmittel. Wenn das eine Message an den Iran sein sollte, dann haben wir sie auf der falschen Frequenz geschickt.

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    Zum Zeit-Kommentar: Wieso die Syrer die Verlierer sind, wenn die (höchst reale und alarmierende) Bedrohung durch die Chemiewaffen wegfällt, erschließt sich mir nicht. Auch nicht, was sie durch einen Bombenangriff gewinnen würden.

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    @Alan Posener: Putin hat Obama gestärkt, offenbar ganz bewusst, denn er hätte auch ohne Kerrys Ultimatum seine Initiative zur Sicherung der Chemiewaffen einbringen können. Damit hätte er Obama große Probleme bereitet. Aber er hat den richtigen Moment abgewartet. So – nur so, nur in dieser Reihenfolge der Ereignisse – lässt sich das Ergebnis als konstruktive Zusammenarbeit von USA und Russland deuten.

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    Guter Kommentar, natürlich besser geschrieben als meiner hier:

    http://www.zeit.de/politik/aus.....-kontrolle

    „Wer allerdings glaubt, der Pazifismus habe gesiegt, liegt falsch, und die Erleichterung, die sich nun im Westen breit macht, ist zynisch. Denn es gibt auch Verlierer: Die Syrer. Dort geht das konventionelle Gemetzel ungehindert weiter.“

    „Die einzigen, die in diesem Spiel der Kräfte verlieren, sind die Menschen in Syrien. Das Morden wird dort ungehindert weitergehen. Mehr als 100.000 Menschen sind tot, weit mehr, als selbst pessimistische Beobachter erwartet hatten. Millionen sind auf der Flucht, im Land und in den Nachbarstaaten. Für sie alle bedeutet die Einigung nichts. So zögerlich, wie die Weltgemeinschaft auf den Giftgasangriff reagierte, so wenig wird sie sich nun noch in den Bürgerkrieg einmischen wollen. Die Kämpfe werden erst enden, wenn beide Seiten ausgezehrt sind. Im benachbarten Libanon hat das fünfzehn Jahre lang gedauert.“

    Nochmal: Wir haben keinen Krieg verhindert, weil der Krieg seit 2 Jahren schon läuft.

    Ok, ich habe meine Argumente jetzt verschossen. Wie stellen sich den die Gegner eines Eingriffs die nächsten Jahre vor? Wie sieht eine politische Lösung aus?

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    Letztlich lesen wir alle im Kaffeesatz. Sollte dies der Beginn einer russisch-amerikanischen Verständigung sein, dann habe ich Unrecht und alles wird besser. Ein genialer Schachzug Obamas, den ich Hohlkopf nicht verstanden habe. Sollte ich Recht behalten (bin ich nicht scharf drauf), werden wir nächstes Jahr wieder über das gleiche Thema reden, dann anhand von anderen roten Linien. Nach viel mehr Toten. Und am Ende werden wir trotzdem eingreifen müssen. Vielleicht wegen der Islamisten. Vielleicht mit etwas mehr internationaler Unterstützung. Bis dahin geht der Bürgerkrieg ungebremst weiter.
    Meine Behauptung: Ohne Militäreinsatz keine politische Lösung. Sollte die jetzige Drohung reichen – hurra! Nur ich glaube es halt nicht.

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    Gute Frage, KJN:
    „Interessant die Frage, ob Falken, wie Ronald Reagan, G. W. Bush etc. nicht doch für mehr Frieden in der Welt und bessere Position des Westens sorgten, als Obama, Carter oder Kennedy es konnten.“
    Richtiger Hinweis, Roland Ziegler:
    „Ich hoffe zunächst einmal, dass der Vorschlag Putins umgesetzt wird und die Giftwaffen aus dem Verkehr gezogen werden, egal wie die dahinter liegenden Motive sind und egal wie der Krieg weiterhin verlaufen wird. Sollte dies klappen, ist dies ein Verdienst der Drohung Obamas.“
    Ganz allgemein:
    ich habe zur Begründung eines Militärschlags vor einer woche ja auch gesagt, dass man – erinnern Sie sich, Stevanovic? – sich nicht auf die eigene Moral berufen soll, sondern auf die eigenen Interessen. Und die besagen, dass erstens die bestehenden Massenvernichtungswaffen Assads irgendwie eingesammelt werden müssen, und dass zweitens eine klare Botschaft gesendet werden muss, dass rote Linien nicht überschritten werden dürfen. Ich denke da besonders an den iran, der sich überlegt, ob das Atomwaffenprogramm weiter verfolgt werden soll.
    Weiterhin habe ich vor einigen Wochen hier geschrieben, dass Syrien wohl geteilt werden muss, um das Blutvergießen zu beenden; wobei der Staat nominell als Einheit verbleiben kann. Ob Assad als Chef eines alawitischen Mini-Staats (oder eines alawitischen Kantons) bleiben aknn, ist dabei zweitrangig.
    Ich würde mich über diesen Erfolg der Diplomatie freien. Freilich fürchte ich sehr, dass es sich von Seiten Russlands nur um ein Manöver zum Zeitgewinn handelt, in der Hoffnung, dass sich die Stimmung in Amerika weiter gegen Obama dreht.

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    @ Alan Posener: die existenzielle Abhängigkeit Schröders von einem russischen Staatsunternehmen erhöht nicht seine Glaubwürdigkeit.

    Ja. (Bleiben wir beim stinknormalen Zweifel bzw. beim klassischen Subjekt-Objekt-Schema.)

    Schließlich hat sein Außenminister Kerry immer betont, es gehe bei der geplanten Militäraktion nicht um Regime Change, sondern darum, Assad zu ernsthaften Verhndlungen zu bewegen.

    Da stellen sich allerdings einige Fragen: Wer in Syrien ist denn bereit, mit Assad zu verhandeln? Al Qaida? Die anderen? Worüber könn(t)en die mit Assad verhandeln? Nicht mal über Frieden oder auch nur Waffenstillstand. Sofern sich nicht alle Beteiligten auf Friedens- oder Waffenstillstandsverhandlungen einigen, könnten die Gesprächsbereiten mit Assad allenfalls über (Bürger-)Kriegskoalitionen gegen den Rest verhandeln. Das ist nicht unwahrscheinlich. Aber ansonsten? Über Regierungsbeteiligung? Über Freiheiten und Autonomien? Die dann tatsächlich auch gewährt werden? Also doch über eine Art regime change? Wie ernsthaft muss Assad darüber und überhaupt verhandeln, wenn Putin jetzt nicht mehr nur aus der Ferne die Hand über ihn hält, sondern unmittelbar involviert ist? Wie darf man sich die zukünftige Entwicklung überhaupt vorstellen, wenn Russland sich demnächst anerkanntermaßen (und wahrscheinlich mit UNO-Segen, also sozusagen „offiziell“) als „dritte Kraft“ und womöglich mit (Schutz-)Truppen in Syrien und Nahost festsetzt? Um das einigermaßen [Achtung! Auch als Kalauer zu lesen:] hinzukriegen, müsste man sich auf sich auf epochal veränderte Zusammenarbeit mit den Russen (und Putin) einlassen. Obama würde ich das zutrauen. Sogar Putin bis zu einem gewissen Grade. Aber wem sonst noch?

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    Schroeder ist Von Gazprom nicht Abhaengigkeit, der verdient auch so genug Geld. Aber er ist natuerlich nicht neutral und Al’s ehemaliger Kanzler sollte er zu der ganzen Frage nada sagen.

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    @Ziegler

    Sollten sie Recht haben, würde ich mich das sehr, sehr freuen. Auf den Ablauf des Krieges wird das alles nach dem Stand heute keinen Einfluss haben. Ob die mangelnde sinnvolle Zusammenarbeit im Fall Syrien diesmal wirklich den Russen geschuldet ist, sei mal dahingestellt. Es ist aber ein diplomatischer Fortschritt, keine Frage. USA und Russland reden miteinander. Das könnte ein irgendwann ein Hebel werden. Menschenleben wurden damit jedoch nicht gerettet und der Krieg um keinen Tag verkürzt. Der Westen hat sich die Hände nicht schmutzig gemacht – mehr gibt es nicht zu feiern.

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    APo: Man hat in der Politik immer nur, denke ich, die Wahl der kleineren Übel.

    … das war mal anders. Ich erinnere an die KSZE. (OSZE ist Mist.)

    Korb I: Prinzipiendekalog

    -Souveräne Gleichheit, Achtung der Souveränität innewohnenden Rechte
    -Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt
    -Unverletzlichkeit der Grenzen
    -Territoriale Integrität der Staaten
    -Friedliche Regelung von Streitfällen
    -Nichteinmischung in innere Angelegenheiten
    -Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit
    -Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker
    -Zusammenarbeit zwischen den Staaten
    -Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben

    wo ist das alles geblieben?

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    @Jestadt

    „Heißt: Was soll der (sarkastisch) triumphierende Ton?“

    Oh, triumphierend sollte es überhaupt nicht sein. Mehr verzweifelt. Es werden noch viele, viele Menschen sterben, bis wir wegen einer anderen roten Linie doch eingreifen.

    „Wenn ich Ihre bisherigen einschlägigen Ausführungen richtig verstanden habe, hätten Sie die lieber auf Ihr (Interventions-)Konto genommen und das wäre besser gewesen?“

    Ja.

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    @Stevanovic: Gesetzt, es klappt, wäre eine ganze Menge passiert. Nicht nur wären die Giftwaffen unter Kontrolle, auch gäbe es erstmals eine vernünftige Zusammenarbeit insb. mit Russland. Es ist wie bei einem Flächenbrand: Man versucht, ihn einzudämmen und die explosiven Öltanks in der Nähe in Sicherheit zu bringen. Dadurch wird der Brand in keinster Weise gelöscht, aber es ist trotzdem gut, wenn man das hinbekommt.

  23. avatar

    Das kleinere Übel wäre die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu zwingen. Genau dies ist eben nicht passiert. Im Grunde ist nichts passiert. Zynisch ist es, sich deswegen auf die Schulter zu klopfen.

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    Ich hoffe zunächst einmal, dass der Vorschlag Putins umgesetzt wird und die Giftwaffen aus dem Verkehr gezogen werden, egal wie die dahinter liegenden Motive sind und egal wie der Krieg weiterhin verlaufen wird. Sollte dies klappen, ist dies ein Verdienst der Drohung Obamas. Eine Ein- und Übernahme der Giftwaffen durch eine chaotische islamistische Rebellentruppe ist so ziemlich das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann.

    Schröders und Schmidts Statements im verlinkten Artikel erscheinen mir richtig und werden durch Schröders materielle Verstrickungen nicht falsch oder irgendwie entkräftet. Genauso wie Bushs/Powells Argumente damals nicht deshalb falsch bzw. entkräftet wurden, weil sie in Wirklichkeit (auch) materielle Motive verfolgten. Sondern weil sie nicht nur falsch, sondern sogar gefälscht waren. Jeder kann die materielle Motive verfolgen, die er will – wir leben im globalisierten Kapitalismus – aber er sollte, wenn er unsere Zustimmung braucht, für seine Agenda Argumente vorbringen, die wir nachvollziehen und teilen können. Und diese Argumente müssen andere Dinge betreffen als seine persönlichen materiellen Interessen. Aber es ist jedenfalls gut, wenn man auf die materiellen Interessen der Leute hinweist, so dass man nicht gleich auf ihren Leimruten kleben bleibt.

    Richtig ist auch, dass die Staatschefs von Russland, China und den meisten anderen Staaten alles andere sind als lupenreine Demokraten, aber auch dieses macht ihre Argumente nicht falsch. Und umgekehrt wird ein Argument eines Staatschefs nicht deshalb besser, weil er einem demokratischem Land vorsteht.

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    @Stevanovic
    „Rote Linie eingehalten, der Krieg geht ungehindert weiter.“
    Das meinte ich mit „Moral“. Wieviel Moral hat „der Westen“ – so wie er nunmal ist, mit allen seinen Abhängigkeiten und Kompromissen – überhaupt und wieviel davon kann er umsetzen(?). Nicht viel anscheinend und so, als Popanz, wird er in der „restlichen“ (oft religiösen) Welt auch wahrgenommen: Autos, Konsumgüter, Luxus: Das nehmen wir, den Rest, Eure Lebensart, Ethik, Schwulenehe, Umweltschutz etc., das könnt Ihr behalten.
    Interessant die Frage, ob Falken, wie Ronald Reagan, G. W. Bush etc. nicht doch für mehr Frieden in der Welt und bessere Position des Westens sorgten, als Obama, Carter oder Kennedy es konnten. Allein wg. der wahrgenommenen Position und dem steten Hinweis auf die Atombombe. (das was man auch Israel ständig vorwirft, aber das ist – bitte – eine andere Frage.)

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    @ Stevanovic: Die nächsten 100.000 Toten …

    Wenn ich Ihre bisherigen einschlägigen Ausführungen richtig verstanden habe, hätten Sie die lieber auf Ihr (Interventions-)Konto genommen und das wäre besser gewesen? Heißt: Was soll der (sarkastisch) triumphierende Ton?

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    Lieber Edmund Jestadt, man kann alles mit allem vergleichen. Die Frage ist, was das dann an Erkenntnisgewinn bringt. Mir scheint, die existenzielle Abhängigkeit Schröders von einem russischen Staatsunternehmen erhöht nicht seine Glaubwürdigkeit.
    Lieber Stevanovic, selbst wenn alles, was Sie sagen, „irgendwie“ stimmt: reiner Zynismus wird auf die Dauer langweilig. Man hat in der Politik immer nur, denke ich, die Wahl der kleineren Übel.

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    Assad wurde zu nichts bewegt, außer die Waffen, die er nicht einsetzen kann ohne den Krieg zu verlieren, abzugeben. Dank der roten Linie geht der Bürgerkrieg ungehindert weiter, der Stellvertreterkrieg kann Syrien nun endgültig verwüsten. Russen, China und Iran werden nun erst Recht mit guten Gewissen Waffen liefern. Die nächsten 100.000 Toten, but who cares, der Westen ist glaubwürdig geblieben. Ein Meilenstein in der Friedenspolitik und ein kraftvolles Signal an andere Bürgerkriegsteilnehmer: Vergewaltigung, Plünderung, Verstümmelung, Mord und Totschlag – ist alles OK, solange es biologisch Abbaubar ist und den Anforderungen nachhaltigen Wirtschaftens entspricht. Wir könnten einen Preis ausschreiben: der Bürgerkriegsteilnehmer mit dem kleinsten Carbon Footprint bekommt eine Kiste mit hülsenloser Munition spendiert.

    Rote Linie eingehalten, der Krieg geht ungehindert weiter. Gaudete! Welch ein Friedensfest!

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    Alan Posener: Doch zur Ehrlichkeit gehört es auch, auf die sehr handfesten materiellen Motive mancher sehr lauten Friedensfreunde doch zu verweisen.

    Lieber APO, wenn andere rote Linien überschreiten, sollte das „uns“ nicht dazu verführen, unsererseits im Eifer ebenfalls rote Linien zu überschreiten. Es sind nicht Ihre Motive, über die Sie sprechen. Wie seltsam (vertraut) mutet es angesichts dessen an, dass Sie von „Ehrlichkeit“ sprechen. Sie machen Schröder, Schmidt und Putin ehrlich, indem Sie deren Motive outen? Gehören solche Methoden (der Ehrbarmachung) nicht gerade zu denen, gegen die wir – drohen sie, auf uns angewendet zu werden – notfalls Krieg führen würden?

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    Dies wurde geschrieben, bevor Putin seinen neuen Vorschlag aus der Tasche zog. Ich teile die Skepsis, die Angela Merkel interessanterweise gestern in der ARD zum Ausdruck brachte; ich denke, dass Obama Recht hat: Ohne glaubhafte Drohung mit einem Militärschlag wäre der Vorschlag nicht auf den Tisch gekommen; und ich denke, der US-Präsident hat Recht, wenn er sich bereit erklärt, dem Frieden eine Chance zu gehen. Schließlich hat sein Außenminister Kerry immer betont, es gehe bei der geplanten Militäraktion nicht um Regime Change, sondern darum, Assad zu ernsthaften Verhndlungen zu bewegen.

  31. avatar

    Alles Gesagte ist nicht falsch. Es geht um die Perspektive. Richtig ist, dass deutsche Friedensfreunde ausgerechnet Russland gerne als Kronzeugen gegen den Westen anführen und gerne bereit sind, jede russische Legende zu schlucken. Genauso richtig ist, das Transatlantiker Russland gerne für das verurteilen, was die USA und ihre Verbündeten gerne selbst machen. Georgien wiederrechtlich besetzt? Mal sehen, was man im Kosovo dazu sagt. Tschetschenien ist System, Irak falsch verstanden. Sich gegenseitig Doppelmoral zu unterstellen ist müßig. Sie wird auf beiden Seiten ausgiebig gepflegt.

    Eine andere Frage ist die Achse Berlin-Moskau. Die Achse gehört zum nationalen Interesse beider Länder seit über 100 Jahren Ich möchte mal China, Venezuela und Saudi Arabien anführen. Lupenreine Geschäftspartner der USA. Was ist so verwunderlich, wenn Nachbarn mit einander Handel treiben und dementsprechende Interessen haben? Was, zugegeben, Schröder nicht glaubwürdiger macht. Man mag sich über Russland ärgern, es ist aber etwas bigott, gerade den Handel anzuprangern. Ich bin mir nicht sicher, ob Herr Posener nicht einfach am Rapallo-Komplex leidet.

    Russische Medien sind keine sichere Quelle, da sollte man nicht blauäugig sein. Über Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Gas zu fabulieren, ist aber angelsächsische Verschwörungstheorie.

    Wenn Russland als Partner diskreditiert ist, welcher Partner außerhalb „uns“ wäre es denn nicht? Wer für das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist, der sollte Russland zerschlagen wollen. Wer an dieses Recht nicht glaubt, sollte sich einen in Clans zerfallenen Kaukasus nicht wünschen.

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