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Captain Future und der Populismus: Jürgen Rüttgers macht Wahlkampf

Diesmal also die Rente: Jürgen Rüttgers, unter Helmut Kohl erster Zukunftsminister der Bundesrepublik Deutschland und seit nunmehr fünf Jahren amtierender Ministerpräsident an Rhein und Ruhr, verspricht im Interview mit einer großen Boulevardzeitung seinen Wählern die steuerfinanzierte Mindestrente.

Wer gearbeitet hat soll, so der wortgewaltige Christdemokrat, mit Zuversicht in die Zukunft schauen können. Das klingt gut, das gibt Hoffnung – Balsam auf die jahrelang zur privaten Vorsorge genötigte Arbeitnehmerseele.

Sein Vorgänger im Amt des CDU-Landesvorsitzenden, Norbert Blüm, wusste schon vor 25 Jahren: Mit sicheren Renten fängt man sichere Stimmen. Auch wenn letzterer heute eher als kabarettistische Ulknudel denn als begnadeter Sozialpolitiker bekannt ist, Rüttgers eifert ihm in der Rentenfrage politisch nach.

Der in Pfadfinderschaft und katholischer Studentenverbindung sozialisierte Jurist mit dem Charme und dem Charisma eines Verwaltungsbeamten gibt den unerschrockenen Arbeiterführer, den erfahrenen und besonnenen Steuermann, der seine Passagiere sicher durch alle wilden Fahrwasser von Globalisierung und Finanzkapitalismus bringt.

Wer braucht noch Gewerkschaften wenn er Jürgen Rüttgers hat? Im Alleingang geißelt dieser die Irrungen vermeintlich neoliberaler Politik, sekundiert allein von dem wiedergeborenen Globalisierungsgegner Heiner Geißler. Die Hartz-Gesetze möchte Rüttgers endlich sozialer gestaltet wissen, dafür riskiert er gleichsam publikumswirksam wie aufmerksamkeitsheischend sogar den Streit mit seinen Parteifreunden in Berlin.

Unter seiner Ägide soll aus dem Land, wo einst Kohle, Koks und Stahl die Landschaft formten, ein Musterstandort der Biotechnologie werden, aus dem Gegenwartsteufel Kohlendioxid will der Christdemokrat den begehrten Rohstoff der Zukunft machen. Man reibt sich ob dieser Töne eines CDU-Ministerpräsidenten immer häufiger verwundert die Augen.

Dass die Union sich als der sozialere, gleichsam menschlich wärmere Gegenpart zur FDP im bürgerlichen Lager präsentiert, ist so neu nicht, Anhänger der christlichen Soziallehre hatten, auch zum öffentlichkeitswirksamen Beweis des Binnenpluralismus, in der Partei schon immer ihre Stimme. Die Aufgabe der strikten Abschottung nach links, die prinzipielle Öffnung für Koalitionen jenseits von schwarz-gelb, ist ein gegenwärtigeres Phänomen, doch auch sie ist kein Kind Jürgen Rüttgers.

Das Novum in dessen politischer Betätigung ist vielmehr ein bisher in Deutschland ungekannter Populismus. Der CDU-Politiker bewegt sich in seinen öffentlichen Auftritten inzwischen jenseits von allem bekannten Wahlkampfrummel, seine öffentlichen Äußerungen gehen weit über das hinaus, was man sonst aus der Vorwahlzeit an Versprechungen gewohnt ist. Der konservative Jurist gibt den Arbeiterführer, inszeniert sich vollkommen bedarfsgerecht und passt sich wie ein Chamäleon jedem Publikumshintergrund an.

Soziale Ängste von Arbeitern und kleinen Angestellten werden ebenso bedient wie die Wünsche des neuen ökologischen Bürgertums. Daneben gibt es aber noch eine andere, weit unappetitlichere Facette in der Wandlungsfähigkeit Jürgen Rüttgers: Wann immer es seiner Sache dienlich erscheint, unternimmt er Ausflüge in bigotte fremdenfeindliche Ressentiments. Qualifizierter Arbeitsmigration vom Ufer des Ganges wollte er einst gute deutsche Gebärfreudigkeit entgegengesetzt wissen, den Arbeitnehmern eines kleinen rumänischen Städtchens, das ihn im Subventions- und Lohnkostenwettbewerb ausgestochen hatte, attestierte er eine gänzlich undeutsche Arbeitseinstellung mit allmorgendlicher Unpünktlichkeit und Dienstschluss nach Gutdünken. Migrationsprobleme haben bei Jürgen Rüttgers weniger mit Parallelgesellschaften und Integration zu tun, als viel mehr mit dem Erhalt dezidiert deutscher Arbeitsplätze, Ängsten vor der Globalisierung setzt der Ministerpräsident dumpfen Standortnationalismus entgegen.

Er selbst gibt sich stets fleißig und arbeitsam, selbst das Gespräch mit Vertretern der Wirtschaft wird bei dem Unionspolitiker zur gesondert bezahlten Tätigkeit. Wo andere Spitzenpolitiker Kontaktpflege zu denen betreiben, die Arbeit schaffen und Wohlstand bringen, da wirft sich Rüttgers plump dem Meistbietenden an die Brust.

Ausdrücklich in seiner Funktion als Ministerpräsident und nicht etwa als Privatmann oder Vertreter der Union – ‚Rent a Verfassungsorgan’ als neuester Trend an Rhein und Ruhr. Der Populismus des Jürgen Rüttgers ist nicht nur peinlich, er ist darüber hinaus auch schädlich und betrügerisch. Er schadet der politischen Kultur in Deutschland, indem er dumpfen Nationalismus zur Bedienung der Ängste sozial Schwacher salonfähig macht. Er verrät die Interessen zahlloser bürgerlicher Wähler, die sich von Union und FDP eine solide wirtschaftsliberale Politik und keinen vorgeblich arbeiterbewegten Klamauk erhofft haben. Er ist perfider Betrug eines letztendlich schwarzen Wolfes mit dem Maul voll rot-grüner Kreide an den Wählern, die sich echte soziale Reformen wünschen und diese von einer Regierung Rüttgers nicht bekommen werden.

Einem Vorzeigepopulisten wie Silvio Berlusconi mag man solche Elogen ja noch verzeihen, dieser hat als langjähriger Kreuzfahrtentertainer wenigstens das Potenzial zu einem unterhaltend-charismatischen Kapitän. Jürgen Rüttgers ist hingegen eine echte Fehlbesetzung auf der Brücke, der Weg seines Dampfers führt in die populistische Irre und nicht in eine rosige Zukunft.

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3 Gedanken zu “Captain Future und der Populismus: Jürgen Rüttgers macht Wahlkampf;”

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    @Herr Kocks: Ihren Beitrag habe ich, wie meistens, mit Genuß gelesen.
    Meine Mutter überrascht uns an ihrem 65. Geburtstag mit der Mitteilung, von heute an werde sie nur noch sagen, was sie denke. Was uns deshalb so überraschte, weil wir der Meinung waren, das hätte sie immer schon getan. Nun, auch Sie scheinen langsam in diesen gnadenreichen Zustand überzugehen, und das ist sehr erfreulich und unterhaltsam.
    Ich bin mir nicht so sicher, wie Herr Stumpp, daß es der Wähler in NRW schon richten wird, denn die CDU zieht plötzlich alle Register, bundesweit.

    Höchst verdächtig ist aber, daß alle parteinahen Journalisten plötzlich das „hohe Lied von Frau Merkel“ singen, so kurz vor der Wahl in NRW. Offensichtlich muß es Frau Merkel und damit die CDU doch ganz arg nötig haben!!!

    Wir wissen nicht, wie es in NRW ausgeht. Auf Wählervernunft sollte man nicht bauen. Hoffen können wir nur, daß diese Koalition in den nächsten Jahren der Krise unser Land nicht völlig kaputt-regiert.

  2. avatar

    Der Wähler in NRW ist ja bekanntlich nicht doof und insofern regeln sich solche Auswüchse „raffender Politik“ von alleine. Und der Bundesrat wird den Rest regeln!

    Es wäre vermessen den Eindruck vermitteln zu wollen dass in einem so großen Bundesland wie NRW der Wahlkampf autonom und unabgestimmt von statten geht. Ich bin mir sicher, dass die Machtgier der Berliner Regierungszentrale ihre Grenzen findet!
    Mittlerweile muss doch auch dem uninformiertesten Mittelständler klar geworden sein dass er zum Wasserträger degradiert wurde.
    Manche Rechnung dauert eine Weile bis sie geschrieben wird. Die aktuelle Rechnung für die CDU ist überfällig! Und für die FDP gibts eigentlich nur noch einen Mahnbescheid. Da ist jede Erinnerung zwecklos!

    Der Wähler wird es richten!
    Da bin ich mir ganz sicher!

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