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Der Amtseid: Ergibt er noch Sinn oder kann er weg?

Der Amtseid - nicht mehr als ein Lippenbekenntnis? Grafik: Frank Vollmer

„Alle Macht geht vom Volk aus“ – so ist es in Artikel 20 (2) des Grundgesetzes zu lesen. Das klingt doch erst einmal prima. Der Punkt geht aber noch weiter: „Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Zusammengefasst bedeutet es, dass das (wahlberechtigte) Volk seine Vertreter wählt und diese in seinem Sinne agieren. Dieses System wird als repräsentative Demokratie bezeichnet. Nur, wie repräsentativ ist die Demokratie in Deutschland, wenn selbst fahrlässige politische Fehlentscheidungen keine Konsequenzen haben? Der Versuch einer Streitschrift.

Wohlklingend, aber ohne Konsequenzen

Jeder Politiker, der in der Bundesrepublik zum Bundespräsidenten, Bundeskanzler oder Bundesminister ernannt wird, leistet einen Amtseid: „Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“ Wobei, der religiöse Zusatz ist keine Pflicht. Ob mit Gott oder nicht: Der Amtseid ist eine nette Floskel, letztendlich aber auch nicht mehr, denn in unserem Land wurde noch kein vereidigter Politiker jemals wegen des Bruchs dieses Eids belangt. Wie auch? Der Amtseid, den Politiker wie Bundeskanzler, Minister oder Bundespräsident leisten, ist rechtlich nicht einklagbar. Es handelt sich dabei um eine politisch-moralische Verpflichtung, keine juristisch durchsetzbare Norm. Ein Verstoß gegen den Amtseid kann daher keine direkte strafrechtliche Konsequenz nach sich ziehen. Vielmehr würde das Verhalten politisch bewertet und gegebenenfalls über Wahlen, Misstrauensanträge oder Rücktrittsforderungen sanktioniert. Das bedeutet: Das Schlimmste, was einem Politiker passieren kann, der gegen seinen Amtseid verstößt, ist, dass er seinen Job verliert.

Überflüssig oder reformierbar?

Angesichts der Möglichkeiten, im Anschluss noch gut Geld verdienen zu können, ist die abschreckende Wirkung dieser Konsequenz wohl nicht allzu hoch, der Amtseid ist also im Grunde überflüssig. Noch vor ein paar Jahren hätte ich diesem Thema keine Zeilen gewidmet, mittlerweile aber meine ich, der Amtseid müsste dringend überarbeitet werden – besonders die möglichen Konsequenzen einer Eidverletzung müssten deutlich über die bloße Abwahl hinausgehen. Die Verlockung, den Eid nicht allzu ernst zu nehmen, um die eigene politische Agenda auch gegen die Interessen des Volkes durchzudrücken, ist doch sehr groß.

Die „Was-passiert-dann-Maschine“

Nun ist es nicht so, als hätten Politiker vergangener Regierungen ausnahmslos alles richtig gemacht. Ganz im Gegenteil, Fehler und Fehleinschätzungen gehören zum politischen Geschäft. Schwierig wird es für mich dann, wenn diese Fehleinschätzungen nicht nur weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen, sondern diese Konsequenzen auch noch vorhersehbar waren. Das beste Beispiel für eine solche offensichtliche Fehleinschätzung war sicherlich das Verhalten der Regierung Angela Merkel im Rahmen der Migrationskrise 2015. Die schwerwiegenden Probleme mit Menschen aus Kulturkreisen, die mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung schlichtweg nicht kompatibel sind, wurden von vielen Kritikern frühzeitig – auch schon vor der Entscheidung der Kanzlerin – kommuniziert. Allerdings entschied man sich damals dafür, diese Kritiker in die rechte Ecke zu stellen, anstatt sich offen mit der aus der Sesamstraße wohlbekannten „Was-passiert-dann-Maschine“ auseinanderzusetzen.

Besonders Islamisten hatten Fluchtgründe aus Syrien

Was in diesem Zusammenhang besonders schwer wiegt: Die Zusammensetzung der Migrantenströme war ebenfalls frühzeitig thematisiert worden. Der syrische Diktator Assad war alles, aber kein Islamist. Unter denen, die Syrien damals infolge des Bürgerkriegs verließen, wurden entsprechend viele junge Männer erwartet, die einen islamistischen Hintergrund hatten. Diese Warnungen schafften es aber ebenfalls nicht bis zur Kanzlerin. Die Folge des bewussten Nichthandelns war ein nie gekannter (allerdings vorhersehbarer) Kontrollverlust darüber, wer sich im Staatsgebiet überhaupt aufhält, mit allen Konsequenzen. Mittlerweile leben etwa 3,5 Millionen Menschen in Deutschland, die als „Flüchtlinge“ gelten, darunter etwa eine Million aus der Ukraine. Diese Zahl kann allerdings auch höher liegen, denn, wer nicht registriert wird, wird auch nicht gezählt. Und: Den Bund kosten diese Menschen etwa 30 Milliarden Euro im Jahr, wobei die indirekten Kosten noch nicht eingerechnet sind. Die Folgen spüren die Deutschen hautnah: Die öffentliche Sicherheit hat abgenommen, es fehlt an Geld unter anderem für infrastrukturelle Maßnahmen, dazu ist die Wohnungslage besonders im preiswerteren Segment so angespannt wie wohl noch nie. Natürlich nicht nur wegen der neuen Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt, aber zu einem guten Teil auch deswegen. Nebenbei: Die AfD war 2015 auf dem Weg ins Nirwana. Gerettet wurde sie höchstwahrscheinlich ausgerechnet von Angela Merkel und ihrem Sonderweg in der Migrationskrise.

Große Koalition ignorierte Warnungen

Die politischen Fehler von 2015 und danach sind nicht nur gut dokumentiert, ihre Auswirkungen waren von namhaften Stimmen frühzeitig prognostiziert worden. Trotzdem hat sich die Große Koalition (Kabinett Merkel III) entschieden, die Warnungen zu ignorieren. Ich meine, wohl niemand wird mittlerweile ernsthaft behaupten können, dass dieses Vorgehen dem Souverän, dem deutschen Volk, nicht massiv geschadet hat. Konsequenzen aber hat diese Verletzung des Amtseids keine. Im Gegenteil brachte Angela Merkel kürzlich ihre Memoiren auf den Markt. Tenor: Ich habe alles richtig gemacht. So zumindest habe ich die entsprechenden Passagen des Buchs verstanden.

Kein Platz für persönliche Präferenzen und Ideologien

Das Agieren der Bundesregierungen in der Migrationskrise ist lediglich das wohl prominenteste Beispiel dafür, wie fahrlässig Politiker agieren können, ohne tatsächliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Dem vor allem aus der rechtspopulistischen Ecke erschallenden Ruf, die Altkanzlerin festzusetzen und ihr den Prozess zu machen, erteile ich eine entschiedene Absage – auch, weil dafür jede Rechtsgrundlage fehlt. Allerdings meine ich, dass unsere Gesellschaft, allen voran aber unsere Politiker, aus den Vorgängen von und seit 2015 lernen muss und müssen. Und da spielt der Amtseid für mich eine wichtige Rolle: Wer ihn leistet, verpflichtet sich zu etwas. Persönliche Präferenzen, Ideologien/Weltanschauungen oder religiöse Überzeugungen dürften bei Entscheidungen keine Rolle spielen, zumindest nicht bei weitreichenden Entscheidungen wie denen in der Migrationskrise. Es wäre dann Sache unabhängiger Gerichte zu definieren, wann dem Volk ein vermeidbarer Schaden entstanden ist und ob die Grenze zur Strafbarkeit überschritten wurde. Der Haken an der Sache: Diese Aufwertung des Amtseids müsste eine Bundesregierung auf den Weg bringen, zum Beispiel über das Verbandsklagerecht. Sich selbst aber mehr in die (persönliche) Verantwortung nehmen? Das kann ich mir leider bei bestem Willen nicht vorstellen.

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Über Till Becker

Langjähriger Journalist mit breiten Interessen. Aufgewachsen in Hildesheim, Zeitsoldat bei der Marine, seit einigen Jahren heimisch in der ostfriesischen Idylle. Lokalredakteur mit Leidenschaft, aufmerksamer Beobachter. Hat eine starke Vorliebe für Musik, die andere als Krach bezeichnen könnten. War Jugend-Fußballtrainer und versteht nicht, warum man einen SUV fahren sollte.

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