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Das Jagger-Richards-Songbuch (15): Memory Motel

Songs mit Hotels spielen in der Rockmusik eine große Rolle, was nicht verwunderlich ist, weil Rockmusiker notgedrungen viel Zeit in Hotels verbringen. Wenn sie Glück haben. Ich erinnere mich an eine Tournee mit der „Berlin Blues Band“, wo wir – vermutlich aus Versehen – angeheuert wurden, in einem Sylter Puff zu spielen und anschließend in den vakanten Fickkabinen übernachten mussten … andere Geschichte.

Bob Dylan etwa erzählt in „Sara“, er sei nächtelang im berühmt-berüchtigten Chelsea Hotel in New York City wachgeblieben, um für sie – seine damalige Ehefrau Sara Lowndes – „Sad-Eyed Lady of the Lowlands“ zu schreiben. In einer poetischen Vignette aus dem Tourenleben schreibt John Sebastian in „Boredom“:

Boredom, hangin‘ by myself
In a bleak motel
Overnight in a small town

Boredom, my mind’s countin‘ time
Trucks go rollin‘ by
Past the pumps and highway signs …

 

Auf das Adjektiv „bleak“ statt „cheap“ muss man erst kommen. Hut ab. Hier aber – oder bei Dylans elegischem „Simple Twist of Fate“, in dem zwei Liebende ein „fremdes“ Hotel – „strange“, auch ein tolles Adjektiv – aufsuchen, wo das Neonlicht die ganze Nacht vor dem Fenster brennt – bilden die Hotels und Motels nur den Hintergrund, das Lokalkolorit. Ähnlich ist es beim „Roadhouse Blues“ der Doors auf dem Album „Morrison Hotel“. Das Roadhouse ist eigentlich ein Motel mit Bungalows, wo man „langsam untergehen“ kann: „Well I woke up this morning and I got myself a beer …“

Bei „Rocky Racoon“ von The Beatles spielt sich die gesamte Handlung in einem namenlosen billigen Hotel ab, wo Rocky einem Mann „die Beine abschießen“ will, der Rockys Mädchen geklaut hat. Es geht natürlich schief. Am Ende liegt Rocky schwer verwundet auf dem Boden, der besoffene Arzt auf dem Tisch. McCartneys Song ist einerseits eine Hommage an den damals gerade aufkommenden Italo-Western, in dem billige Hotels mit knarrenden Treppen und billigen Mädchen eine zentrale Rolle spielen. Andererseits parodiert er – nicht ganz gelungen, finde ich – das Genre der Gunfighter-Ballade, allen voran Marty Robbins‘ „El Paso“. Dort geht es um „Rosa’s Cantina“, ein Stundenhotel mit Tanzbar, wo die mexikanische Verführerin Felina einem texanischen Cowboy die Sinne verwirrt und letztlich den Tod bringt.

Es gibt aber Songs, wo das Hotel sozusagen ein metaphorischer Ort ist. Allen voran „Heartbreak Hotel“, der Song, mit dem Elvis zum Ereignis wurde und den der junge Halbstarke John Lennon zu Recht als Epiphanie erlebte. Am Ende der Straße der Einsamkeit versammeln sich in diesem Hotel, wo der Portier immer weint und der Mann am Empfang schwarz gekleidet ist, die Liebhaber mit gebrochenen Herzen. Dann gibt es „Hotel California“ von The Eagles. Dort landen die Junkies, allen voran die arme Janis Joplin mit ihrem Mercedes Benz und ihren hübschen Knaben, die sie mit Freunden verwechselt. Auschecken kann man zwar, aber nie das selbstgewählte Gefängnis verlassen. (Es gibt eine schöne Cover-Version des Songs von den Gypsy Kings, die in einer der Bowling-Szenen vom Coen-Brothers-Film „The Big Lebowski“ eine tragende Rolle spielt.)

Und dann gibt es jenes „billige Hotel“, in dem Bertolt Brechts Seeräuber-Jenny die Gläser abwäscht und mit den Gästen ins Bett gehen muss und von dem finalen Weltgericht träumt:

Und es werden kommen hundert gen Mittag an Land
Und werden in den Schatten treten
Und fangen einen jeglichen aus jeglicher Tür
Und legen ihn in Ketten und bringen vor mir
Und fragen: Welchen sollen wir töten?
Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen
Wenn man fragt, wer wohl sterben muß.
Und dann werden Sie mich sagen hören: Alle!
Und wenn dann der Kopf fällt, sag ich: Hoppla!

Ähnlich übrigens geht es zu in dem von Gram Parsons mit Chris Hillman geschriebenen Song „Sin City“, den Emmylou Harris so herzzerreißend schön auf ihrem Album „Elite Hotel“ (und ihr dachtet schon, ich hätte den Faden verloren) singt:

On the thirty-first floor a gold plated door
Won’t keep out the Lord’s burning rain

Hier ist es nicht, wie bei Brecht, ein Schiff mit acht Segeln und mit fünfzig Kanonen, sondern der Herr selbst, der mit einem Erdbeben und Feuer vom Himmel der Stadt – vermutlich ist Los Angeles gemeint, die Stadt der Engel – zerstören wird, wie weiland Sodom und Gomorrha.

Hotels sind halt auch deshalb für Poeten und Möchtegern-Poeten verführerische Orte, weil sie sich als Metapher für das Leben eignen, in dem wir alle nur vorübergehend Gäste sind, die Einen in einer Suite im 31. Stock, die Anderen in heruntergekommen Abstiegen mit Klo am Ende des Ganges, und aus dem man leider allzu früh herauskomplimentiert wird, ob man ausgecheckt hat oder nicht.

Irgendwo zwischen diesen Genres liegt „Memory Motel“ von den Rolling Stones. Der Song findet sich auf dem Album „Black and Blue“. Einerseits ist er Erinnerung an eine Affäre mit „Hannah“ im Memory Motel, einen Spaziergang am nächtlichen Strand, einen Abschied am Morgen an ihrem Pickup-Truck, mit dem sie nach Boston zurückfährt, wo sie in einem Nachtclub singt. Der Sänger muss mit dem Flugzeug nach Baton Rouge in Louisiana, wo eine aufreibende Tournee beginnt: Sieben Tage, 10.000 Meilen, fünfzehn Bundesstaaten. Danach steht ihm der Sinn nicht nach Frauen, er will nur noch trinken und schlafen. Aber schon klopfen die Freunde an die Tür, wahrscheinlich die gleichen stets schrecklich gut gelaunten Anhänger-Typen, die in „Miss You“ mit einem Karton voller Weinflaschen und ein paar Mädchen aus Puerto Rico auftauchen, um den Sänger aus der Trauer um Bianca herauszureißen: „Wir machen rum, weißt du, wie früher.“

Und (das schreibe ich hier, weil sonst irgendein Wikipedia-User mir Unkenntnis vorwirft) das Memory Motel gibt es wirklich, und Jagger kennt es. Es befindet sich in Montauk auf Long Island, Hannah konnte also problemlos, selbst in ihrem alten Pickup mit den abgefahrenen Reifen und den zu vielen Kilometern auf dem Tacho, von dort Boston erreichen, während man für den Trip nach Baton Rouge – wo bekanntlich Kris Kristofferson seine Bobbie McGee kennen lernte, auch sie, wie Hannah, eine Frau „with a mind of her own“, die schön singen konnte – am besten das Flugzeug nimmt, jedenfalls wenn man Rockstar ist und nicht mehr versuchen muss, auf einen Frachtzug zu springen oder einen Lastwagenfahrer zu finden, der auf einer regnerischen Fahrt etwas Ablenkung sucht.

Andererseits geht es hier um ein Mädchen, das zu genau beschrieben wird, als dass sie erfunden sein könnte. Sie hat „haselnussbraune“ Augen. Dabei fällt mir ein, dass ein bekannter Produzent mich einmal überreden wollte, einen Song, den ich mit Klaus Kluge geschrieben hatte, auf Deutsch aufzunehmen. Bei mir hieß der Refrain; „The war is over / For this rolling stone …“; der Plattenproduzent übersetzte: „Sie hatte rehbraune Augen / Und ein Herz aus Stein“. Ich lehnte ab. Schade. Vielleicht wäre das ein Hit geworden. Andere Geschichte. Also rehbraune, nein: haselnussbraune Augen und eine leicht gebogene Nase. Hannah ist also, wie der Name andeutet, wohl Jüdin. (Bei einem Auftritt in Deutschland 1998 ließ Jagger die „gekrümmte Nase“ weg…) Hannah spielt Gitarre und singt einen Song, in dem sie dem Sänger mitteilt, er sei jetzt schon bloß eine Erinnerung.

Fast unmöglich, in diesem Song von 1976, übrigens hörte ich das Album „Black and Blue“ bei einer Fete in der Wohnung eines Ex-Genossen, als ich noch in der KPD war, und es war auch ein Grund, aus der Partei auszutreten, lange Geschichte,  fast unmöglich also, in diesem Song nicht eine Retourkutsche auf Carly Simons „You’re So Vain“ zu hören, wo die jüdische Sängerin den unsterblichen Vers singt, den alle auf Jagger münzen:

You’re so vain / You probably think this song is about you.

Du bist so eingebildet / Wahrscheinlich denkst du, in diesem Song geht’s um dich.

So was nennt man einen non sequitur. Darauf gibt es keine Antwort. Außer eben, selbst einen Song zu schreiben, wo man singt, machen wir uns nichts vor, es geht doch um mich, wir hatten ja diese Nacht im Motel, als du noch ein Niemand warst und ich schon ein Star. Und übrigens: Ich krieg dich auch nicht aus dem Sinn, ich weiß, dass du deinen eigenen Kopf hast und ihn verdammt gut zu gebrauchen weißt. Du bist schon einmalig, das weiß ich schon.

Und schließlich ist auch Memory Motel denn doch, wie Brechts Stundenhotel und Jim Morrisons Roadhouse, ein metaphorischer Ort: „I think you know it well“. Es ist der einsame Ort, in den man sich verirren kann, wenn man sich zu intensiv der Erinnerung hingibt. Nicht allzuweit weit entfernt vom Heartbreak Hotel. Und, wenn alle Stricke reißen, vom Hotel California.

 

Hannah honey was a peachy kind of girl
Her eyes were hazel
And her nose was slightly curved
We spent a lonely night at the Memory Motel
It’s on the ocean, I guess you know it well


It took a starry to steal my breath away
Down on the water front
Her hair all drenched in spray


Hannah baby was a honey of a girl
Her eyes were hazel
And her teeth were slightly curved
She took my guitar and she began to play
She sang a song to me
Stuck right in my brain:
„You’re just a memory of a love
That used to be
You’re just a memory of a love
That used to mean so much to me“


She got a mind of her own
And she use it well
Well she’s one of a kind
She got a mind
She got a mind of her own
And she use it mighty fine
She drove a pick-up truck


Painted green and blue
The tires were wearing thin
She‘d turned a mile or two
When I asked her where she was headed for:
„Back up to Boston I’m singing in a bar“


I got to fly today on down to Baton Rouge
My nerves are shot already
The road ain’t all that smooth
Across in Texas is the rose of San Antone
I keep on a feeling that’s gnawing in my bones:
You’re just a memory of a love
That used to mean so much to me
You’re just a memory girl
You’re just a sweet memory
And it used to mean so much to me

 

She got a mind of her own
And she use it well
Mighty fine, she’s one of a kind


On the seventh day my eyes were all aglaze
We’d been ten thousand miles
Been in fifteen states
Every woman seemed to fade out of my mind
I hit the bottle and hit the sack and cried
What’s all this laughter on the 22nd floor
It’s just some friends of mine
And they’re busting down the door
Been a lonely night at the Memory Motel

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3 Gedanken zu “Das Jagger-Richards-Songbuch (15): Memory Motel;”

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