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Das Jagger-Richards-Songbuch (11) Sittin‘ On A Fence

Unter den frühen Kompositionen von Mick Jagger und Keith Richards befinden sich auffallend viele melodisch sehr starke Nummern, man denke an „Tell Me“, „As Tears Go By“, „Lady Jane“, „Back Street Girl“, „Out Of Time“ und viele andere. Sicher spielt Richards‘ Verehrung für die Everly Brothers und die Country-Musik (und natürlich die Beatles) hier eine Rolle. „Sittin‘ On A Fence“ ist auch so ein Song, der es schon deshalb verdient hätte, nicht auf dem Kompilationsalbum „Flowers“ versteckt zu werden.

Since I was young I’ve been very hard to please
And I don’t know wrong from right
But there is one thing I could never understand
Some of the sick things that a girl does to a man, so

I’m just sittin‘ on a fence
You can say I got no sense
Trying to make up my mind
Really is too horrifying
So I’m sittin on a fence

All of my friends at school grew up and settled down
And they mortgaged up their lives
One things not said too much, but I think it’s true
They just get married ‚cause there’s nothing else to do, so

I’m just sittin‘ on a fence …

The day can come when you get old and sick and tired of life
You just never realize
Maybe the choice you made wasn’t really right
But you go out and you don’t come back at night, so

I’m just sittin‘ on a fence …

 

Textlich handelt es sich bei „Sittin‘ On A Fence“ um einen der vielen Songs aus dieser Ära der Popmusik, in der sich männliche Rocksänger gegen den Anspruch wehren, erwachsen zu werden, eine Familie zu gründen, die Konsumgesellschaft zu genießen, die ihre Eltern aus den Ruinen des Weltkriegs erbaut hatten. Man denke an „Semi-Detached Suburban Mr. James“ von Manfred Mann, „It Ain’t Me Babe“ von Bob Dylan, aber auch an „Father And Son“ von Cat Stevens und viele andere. Zu diesem Genre gehört auch „When I’m Sixty-Four“ von den Beatles, aber die Persiflierung des Rentner-Traums geschieht bei Pau McCartney so liebevoll, dass daraus beinahe eine Kritik der Kritik des bürgerlichen Lebensentwurfs wird. Warum nicht mit 64 ein Häuschen für den Sommer mieten, sich am Garten und an den Enkeln – Vera, Chuck and Dave – erfreuen? Gut, das sage ich jetzt. Damals fand ich die Vorstellung auch bestenfalls lustig, eher abschreckend.

Für dieses Leben im Falschen – in der Konsumgesellschaft, im Reihenhäuschen, in der Ehe – haben Jagger und Richards nur Verachtung übrig: Alle meine Schulfreunde wurden erwachsen und behäbig, und die Hypotheken verschlangen ihr Leben. Niemand sagt es laut, aber es stimmt doch: Sie haben nur geheiratet, weil es sonst nichts zu tun gab. Langeweile als Ausweg aus der Langeweile. Ein Leben, das John Lennon – auf dem gleichen Album wie „When I’m Sixty-Four“ – in dem bösen Song „Good Morning Good Morning“ attackiert:

Nothing to do to save his life call his wife in
Nothing to say but what a day how’s your boy been

Und wie wird es ausgehen? Bei Lennon wandert der Mann durch eine heruntergekommene Stadt und schaut auf die Mädchen:

Watching the skirts you start to flirt now you’re in gear

Und bei Jagger und Richards ist es ähnlich: Vielleicht war das doch nicht die richtige Wahl, also gehst du aus und kommst nachts nicht nach Hause.

Dann ist es vielleicht besser, sich gar nicht zu entscheiden: „So I’m sitting on a fence … trying to make up my mind really is so horrifying …“

Eines bleibt noch anzumerken. Das ist der misogyne Zug dieses Songs. Die Frau erscheint hier als Agentin der Bürgerlichkeit: „the sick things that a girl does to a man“. Wir haben das bei der Besprechung von „Mother’s Little Helper“ diskutiert. Interessanterweise war man in Deutschland da schon weiter. Jedenfalls war Gitte Haenning weiter. In „Ich will ‚nen Cowboy als Mann“ beschreibt sie 1963, wie ihre Eltern für sie ein bürgerliches Leben entwerfen:

Mama sagt: „Nun wird es Zeit, Du brauchst ’nen Mann und zwar noch heut
Nimm gleich den von nebenan, denn der ist bei der Bundesbahn.“
Da rief ich: „No no no no no“
Mit dem würd ich des Lebens nicht mehr froh!“

„Aber warum denn nicht, Kind
Da hast du doch deine Sicherheit
Denk doch mal an die schöne Pension bei der Bundesbahn
Was willst du eigentlich?“

Sie will einen Cowboy. Weil er gut küssen kann. Satisfaction und action statt Semi-detached suburban Mister Schmidt. Später wollte sie alles. Und zwar sofort. Auch gut.

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Ein Gedanke zu “Das Jagger-Richards-Songbuch (11) Sittin‘ On A Fence

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    APo; … Für dieses Leben im Falschen – in der Konsumgesellschaft, im Reihenhäuschen, in der Ehe – haben Jagger und Richards nur Verachtung übrig: Alle meine Schulfreunde wurden erwachsen und behäbig, … Niemand sagt es laut, aber es stimmt doch: Sie haben nur geheiratet, weil es sonst nichts zu tun gab. Langeweile als Ausweg aus der Langeweile.‘ …

    … mhm, ist es möglich, dass weniger Verachtung, dafür aaaber mehr Frust bleibt, wer nicht findet/bekommt was er sucht/will? (Ich meine nicht das ‚Reihenhäuschen‘.)

    free :hamster:

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