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Das Jagger-Richards-Songbuch (6): Sympathy For The Devil

Diesen Song würde ich lieben, egal wie der Text wäre, allein wegen Mick Jaggers „Pleeztomeechoo“ und Keith Richards‘ Solo. Wir spielen ihn mit unserer Band, und es ist immer eine Herausforderung – viel Text, den man mit gleichbleibendem Hochdruck rüberbringen muss – und eine Freude. Doch ich liebe „Sympathy For The Devil“ auch, weil der Song ein ganzes Konzeptalbum ist und an seinem eigenen hohen Anspruch scheitert. Und heroisches Scheitern ist auch etwas wert.

Beginnen wir mit dem Titel. Im „Rolling Stones Songbook“, erschienen 1977 beim Verlag 2001, übersetzt ihn Carl Weissner mit „Verständnis für den Teufel“; die Alternativübersetzung von Helmut Salzinger bringt das deutsche Missverständnis des Songs auf den Begriff: „Zuneigung für den Teufel“. Nein! Weder Verständnis noch gar Zuneigung. Sympathy bedeutet nicht „Sympathie“ wie in Connie Froboess‘ Lied „Du bist mir so sympathisch“. Jedenfalls nicht in erster Linie. Sondern Mitgefühl, ja Mitleid, wie in diesem Zitat aus Fowler‘s Modern English Usage (1968): „The Queen Mother has long had a compassionate sympathy with sufferers from this disease.“ Fowler moniert die Präposition „with“, die richtig wäre, ginge es um die Teilung einer Emotion; bei der Bedeutung „compassion“ – Mitleid, Mitgefühl – sei jedoch „for“ die richtige Präposition.

Warum also Mitgefühl, Mitleid? Vielleicht, weil der Mann – er ist ein Mann mit Reichtum und Geschmack – so hart arbeiten muss. Bei Jesus, Lenin, Hitler, im Hundertjährigen Krieg und bei den Morden an Jack und Robert Kennedy war er dabei, er lauert den Hippies auf dem drogenverseuchten Weg nach Indien auf und hat sich offenkundig nicht im Griff: wer ihm nicht mit Politesse und Mitgefühl begegnet, kann schnell seine Seele verlieren. Wie sagt Frank N. Furter in der „Rocky Horror Picture Show“: It‘s not easy having a good time.

Vielleicht aber auch, weil die Menschen selbst ganz ohne den Teufel teuflisch zugange sind; da kommt man gar nicht mit: Jeder Cop ein Krimineller. Die wahren Heiligen sind die Sündhaften, die wissen wenigstens, dass sie schlecht sind. Eure Könige führen hundert Jahre Krieg um Götter, die sie nach ihrem Bilde erschaffen haben, da konnte ich nur zusehen. Lenin schickte mich los, um den Zaren zu töten, übrigens nicht in Sankt Petersburg, sondern Jekaterinburg; Minister hatte er auch keine mehr, es war bloß die Familie. Aber bitte, wer war der Oberteufel? Ich doch nicht. Und was den Zweiten Weltkrieg angeht: Ich habe bloß Befehle ausgeführt, saß im Panzer – OK als General, aber nicht im Führerbunker.  Und wer hat zum Teufel die Kennedys umgebracht? Ihr wart doch auch dabei.

Und schließlich auch deshalb, weil alle teuflische Mühe umsonst ist: Lucifer sorgt dafür, dass Pilatus seine Hände in Unschuld wäscht und das Schicksal des Mannes aus Nazareth besiegelt – nur, damit dessen Kreuzesopfer die Menschen erlöse! Was dem Anglikaner Michael Jagger sicher so bewusst war und ist wie dem Anglikaner Alan Posener. Denn was am Kreuz geschah, war ja Gottes Wille, wie Jesus in seinem moment of doubt and pain erfuhr. Wie es denn Markus 14:32 heißt:

Und sie kamen zu einem Hofe mit Namen Gethsemane. Und er sprach zu seinen Jüngern: Setzet euch hier, bis ich hingehe und bete. Und nahm Petrus und Jakobus und Johannes und fing an, zu zittern und zu zagen. Und sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibet hier und wachet! Und ging ein wenig weiter, fiel auf die Erde und betete, dass, wenn es möglich wäre, die Stunde vorüberginge, und sprach: Abba, mein Vater, es ist dir alles möglich; überhebe mich dieses Kelchs; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!

Das von Abraham geforderte Opfer des Sohns vollzieht Gott an seinem eigenen Sohn. Eine der schrecklichsten Szenen in der gesamten Bibel.

Jagger sagte irgendwo, er habe eine Art „Dylan-Song“ schreiben wollen. Aber Dylan ist beim Teufel vorsichtig. In seinem schönen Song aus dem Garten Eden, „Man Gave Names To All the Animals“ endet jede Strophe damit, dass Adam das Tier nennt, das ihm gerade über den Weg läuft, wie in einem Kinderbuch. Aber dann:

He saw an animal as smooth as glass
Slithering his way through the grass
Saw him disappear by a tree near a lake …

Jetzt müsste kommen: „Hm, think I’ll call it a snake“; aber nein. Das Böse bleibt namenlos und stellt sich nicht vor: „Pleeztomeechoo! Hope you guess my name!“ Adam kann weder den Namen erraten noch „the nature of my game“. Über jenen anderen Garten heißt es dann in Dylans „In The Garden“:

When they came for Him in the garden, did they know?
When they came for Him in the garden, did they know?
Did they know He was the Son of God, did they know that He was Lord?
Did they hear when He told Peter, „Peter, put up your sword“?
When they came for Him in the garden, did they know?
When they came for Him in the garden, did they know?

Nein, sie wussten nicht, wen sie holten. Das sagte Jesus dann auch: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Und anscheinend wusste der Teufel auch nicht, was er tat, als er, wie Jagger behauptet, dafür sorgte, dass ihn die Römer ans Kreuz nagelten: Nämlich seine eigene Arbeit zunichtemachen, all die Mühe seit jenem Nachmittag am Anfang der Geschichte, als er Eva unter jenem Baum am Ufer eines Sees überredete, von der verbotenen Frucht der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen.

Das Problem mit dem Song der Stones ist: Er kann sich nicht entscheiden, ob man Mitleid mit dem Teufel haben soll oder doch nicht; und wenn ja, warum. Denn der Teufel ist ohne uns nichts; und schon gar nichts ohne seinen großen Gegenspieler, ob beim Buch Hiob oder bei Goethes Faust. Das Lied will zu viel und zu wenig, hängt sich ständig an sich selbst auf. Was wäre allein aus der Zeile zu holen: „All the cops are criminals, and all the sinners saints!“

Aber wie gesagt: Besser heroisch scheitern als gar nichts Großes versuchen. Und: Das Solo von Keith ist teuflisch gut.

Please allow me to introduce myself
I’m a man of wealth and taste
I’ve been around for a long, long year
Stole many a man’s soul and faith

I was ‚round when Jesus Christ
Had his moment of doubt and pain
Made damn sure that Pilate
Washed his hands, sealed his fate

Pleased to meet you
Hope you guess my name
But what’s puzzling you
Is the nature of my game

Stuck around St. Petersburg
When I saw it was a time for a change
Killed the Tsar and his ministers
Anastasia screamed in vain

I rode a tank
Held a general’s rank
When the blitzkrieg raged
And the bodies stank

Pleased to meet you …

I watched with glee
While your kings and queens
Fought for ten decades
For the gods they made

I shouted out
Who killed the Kennedys?
When after all
It was you and me

Let me please introduce myself
I’m a man of wealth and taste
And I lay traps for troubadours
Who get killed before they reach Bombay

Pleased to meet you …

Just as every cop is a criminal
And all the sinners saints
As heads is tails
Just call me Lucifer
‚Cause I’m in need of some restraint

So if you meet me
Have some courtesy
Have some sympathy, and some taste
Use all your well-learned politnesse
Or I’ll lay your soul to waste

Pleased to meet you …

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10 Gedanken zu “Das Jagger-Richards-Songbuch (6): Sympathy For The Devil;”

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    Beim Mitgefühl für den Teufel geht übrigens die Frage, ob bzw. wieso wir für den Teufel Mitgefühl haben sollten, am Text bzw. Song vorbei. Der Song handelt ja nicht direkt von uns, sondern vom Teufel, bzw., weil niemand an den Teufel glauben kann, von dem Teuflischen in uns. Und es ist der Teufel, der Mitgefühl fordert („So if you meet me Have some courtesy Have some sympathy…“). Das ist zum einen ironisch, weil ausgerechnet der Teufel auf Anstand und Mitgefühl pocht, der beides nötiger hätte als jeder andere, und weil es die Welt wie in den Textzeilen zuvor auf den Kopf stellt (Mitgefühl brauchen die Opfer des Teufels, nicht der Teufel, der braucht Zurückweisung). Zum anderen ist Mitgefühl das einzige, was ein Teufel freiwillig von uns bzw. unserer Seele bekommen kann, die er ja so begehrt, denn anders als z.B. Liebe oder auch nur Aufmerksamkeit kann jeder Mensch, auch ein böser Mensch, unser Mitgefühl beanspruchen – und es handelt sich ja um einen Teufel in vornehmer Menschengestalt). Und schließlich ist es tatsächlich so, dass böse Menschen oft, wenn sie ihre Machtmittel verloren haben, anfangen zu jammern und Mitgefühl einfordern, für sich selber natürlich nur, nicht für ihre Opfer (Erich Mielke: „Ich liebe doch alle, alle Menschen!“ u.ä.)

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      Offb 13,15-17; Es wurde ihm Macht gegeben, …, dass alle getötet wurden, die das Standbild des Tieres nicht anbeteten. Die Kleinen und die Großen, die Reichen und die Armen, die Freien und die Sklaven, alle zwang es, auf ihrer rechten Hand oder ihrer Stirn ein Kennzeichen anzubringen. Kaufen oder verkaufen konnte nur, wer das Kennzeichen trug: den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens.

      … Satan scheixt auf Sympathie, er verlangt Anbetung. Ein Schelm wer dabei an sozialistische Ideologie denkt? … nö!

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    …Diese kleine Korrektur kann ich mir auch nicht verkneifen: Man soll ihm nicht mit Politesse, sondern mit Politnesse begegnen. Wobei eine Politesse wahrscheinlich besser wäre.

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      Doch, man soll mit Politesse antworten, lieber Roland Ziegler. Das bedeutet im Deutschen wie im Englischen (altmodisch zwar, aber so ist der Herr, wie Sie sehr richtig ausführen) Höflichkeit, Artigkeit.

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        Tatsächlich, Sie haben recht. Ist mir neu, ich kannte nur die Hilfspolizistin.

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    …besonders bemerkenswert scheint mir die brutale Drohung hinter all dem vornehmen Getue: „Have some courtesy
    Have some sympathy, and some taste
    Use all your well-learned politnesse
    Or I’ll lay your soul to waste

    Hier spricht jemand, der überaus gut gekleidet ist und entsprechend viel Macht hat und diese Macht bei Insubordination auch gewissenlos ausüben wird.

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    …das könnte den Soundtrack zu einer Walpurgisnacht-Orgie abgeben, wo man ja neben Hexen und Dämonen aller Art auch gutgekleidete Gentlemen-Teufel sehen kann. Und insofern scheint mir durchaus nicht nur Mitleid, sondern auch Symphatie vorhanden zu sein.

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    Dieses berühmte Lied der Stones gefällt sogar mir ganz gut, weil sein Sound so wild, roh, monoton und animalisch ist und so sehr zu dem distinguierten Text kontrastiert: „Please allow me to introduce myself I’m a man of wealth and taste“. Da sieht man förmlich den abgespreizten kleinen Finger. Einem Gentleman so alter Schule würde man Wolfsgeheul und kreischende Gitarrensoli nicht zutrauen. Aber wenn man sich Charlie Watts vor Augen führt, passt das scheinbar Unpassende dann irgendwie doch bzw. macht den Reiz dieses Lieds gerade aus. Also nicht nur immanent steht die Welt auf dem Kopf (Every cop is a criminal usw.), sondern auch im Verhältnis Text-Musik.

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