Selten gehe ich mit der Meinung konform, die Jakob Augstein in seiner Kolumne „Im Zweifel links“ auf SPIEGEL-online äußert. Mit seinem letzten Kommentar „Witz, komm raus!“ (18. 04. 2016) bin ich allerdings voll und ganz einverstanden. Die Botschaft ist so einfach wie treffend: Bei Jan Böhmermanns Machwerk handele es sich weder um Kunst noch um Satire, sondern um eine Beleidigung. Und eine Beleidigung sei nach unserer Rechtsordnung strafbar – Kanzlerin-Ermächtigung hin oder her.
Mich hat in der öffentlichen Debatte gewundert, wie sehr die feinsinnigen Feuilletonisten der liberalen Blätter bemüht waren, das beleidigende Potential des anstößigen „Gedichts“ hinter dem Pathos der Verteidigung von Meinungsfreiheit und Kunstprivileg zu verstecken. Man stelle sich einmal folgendes vor: Ein Pegida-Anhänger hätte ein solches Schmähgedicht gegen die Ausländerbeauftrage der Bundesregierung (eine Deutsche mit türkischem Hintergrund) oder gegen Cem Özdemir von den Grünen oder – noch schlimmer – gegen einen homosexuellen Politiker verfasst. Dann wären die Wogen der Empörung hochgeschlagen und die wackeren Verteidiger der Meinungsfreiheit hätten nach dem Kadi gerufen.
Auch die Grünen haben das Schmähgedicht Böhmermanns vehement als künstlerische Äußerung verteidigt. Wenn „Satire“ allerdings eine(n) der ihren trifft, ist es mit der Toleranz vorbei. Von Meinungsäußerung ist dann plötzlich nicht mehr die Rede. Im Jahre 2010 hat Claudia Roth den Publizisten Felix Menzel angezeigt. Er hatte in einem satirischen Beitrag eine gewisse „Claudia R.“ als „fette Qualle“ bezeichnet. Wegen Beleidigung wurde Menzel dafür zu 1.350 Euro Strafe verurteilt. Wenn ein eher rechtsgestimmter Zeitgenosse einen der Schutzbefohlenen der Grünen „literarisch“ oder „satirisch“ beleidigt (Ausländer, Flüchtlinge, Umweltaktivisten, Feministinnen, Schwule usw.), sind sie sofort mit einer Strafanzeige zur Stelle. Bei Böhmermanns „Gedicht“ rufen sie „Schützt die Kunst!“. Was lernen wir daraus? Beleidigung ist eine Sache des Standpunkts und der ideologischen Orientierung. Geht´s gegen den Feind (Erdogan), ist jedes Mittel erlaubt. Geht´s gegen den Freund, soll´s das Strafgesetzbuch richten.
„Ihr seid mir schöne Demokraten!“ könnte man dazu mit den Worten des sächsischen Königs Friedrich August III. sagen. Die Grundrechte und das Strafgesetzbuch müssen für alle gelten, unabhängig von ideologischen Vorlieben und politischen Opportunitäten. Es ist gerade die Politik von autoritären Staatschefs von Schlage eines Putin oder Erdogan, dass sie das Recht nach einem politischen Freund-Feind-Schema beugen. In dieses Fahrwasser sollten wir uns nicht begeben. Rechtlich ist die Sache eindeutig. Meinungs- und Kunstfreiheit finden ihre Grenzen dort, wo die Würde des Menschen tangiert ist. Die Maxime „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (Art 1, GG) ist bei uns unmittelbar geltendes Recht. Der Schutz der Würde gilt für jedermann, auch für diejenigen, die man hasst und die man zur Hölle wünscht. Sie gilt auch für Massenmörder wie Anders Behring Breivik, dem ein norwegisches Gericht erst vor kurzem eine Hafterleichterung zugesprochen hat – ein Sieg des Rechtstaats über die Rachegelüste des Volkes. Hätte Adolf Hitler nicht Selbstmord begangen, sondern wäre von den Alliierten lebend gefasst worden, hätte er vor dem Nürnberger Tribunal vor Gericht gestanden und hätte dieselben Verteidigungsrechte wie die anderen Angeklagten bekommen, auch wenn das für die Angehörigen der Opfer nur schwer erträglich gewesen wäre.
In den letzten Jahren meines aktiven Lehrerlebens musste ich mich mehrfach mit Cyber-Mobbing auseinandersetzen. Ein Fall war besonders krass. Eine Schülerin wurde in gefälschten Mails und mit anonymen Einträgen in Facebook auf gemeinste Art beleidigt. Dabei zielten die Täter (es waren Mitschülerinnen) stets auf körperliche Merkmale des Mädchens ab. Sie sei „fett wie ein Schwein“, habe keinen Busen und stinke „wie eine Güllegrube“. Das Mädchen weigerte sich, weiterhin in die Schule zu gehen. Die Schule schaltete die Kriminalpolizei ein und ließ die Täterinnen ermitteln. Im anschließenden Disziplinarverfahren mussten sie schmerzvoll lernen, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit verlaufen und die Beleidigung beginnt.
Hier spannt sich der Bogen zum „Gedicht“ von Jan Böhmermann. Auch Böhmermann operiert mit körperlichen Merkmalen, vornehmlich mit den männlichen Genitalien. Beleidigungen, die auf körperlichen Attributen gründen, sind deshalb so schwer zu ertragen, weil diese unabänderlich sind. Sie sind angeboren und gehören zum lebenslangen „Gepäck“ eines Menschen. Schüler ahnen dies instinktiv und landen damit ihre gemeinsten Treffer.
Ob die toleranten Verfechter der Meinungsfreiheit bedacht haben, aus welchem trüben Traditionsbestand Beleidigungen, die vermeintliche körperliche Defizite aufs Korn nehmen, stammen? Das Buch „Neidgeschrei – Antisemitismus und Sexualität“ von Gerhard Henschel gibt darüber Auskunft. Aus den zahlreichen Fallschilderungen greife ich eine heraus:
Ein Zürcher Pfarrer zählte 1768 »die Delicta carnis, die verbottene unzüchtige strafbahre Verbrechen, Hurey, Ehebruch und andere Leichtfertigkeiten« auf und behauptete: »Die Erfahrung aller Zeiten hat gezeiget, daß die Jüdische Nation diesem Laster auf eine besondere Weise ergeben gewesen, und solches eigentlich ihre Favorit-Sünde ausgemachet« habe.
Auch die Kolonialgeschichte ist voll von „Untersuchungen“, die aus körperlichen Dispositionen der Eingeborenen ein bestimmtes – negatives – Verhalten ableiten. Oft konzentrieren sich die „Forschungen“ auf die Untersuchung der Genitalien. Ein britischer Arzt schreibt:
Die Beobachtungen über die verschiedene Form und die verschiedene Ausdehnung der Genitalien bei den verschiedenen Rassen sind noch sehr spärlich; bekannt aber ist bereits, dass das männliche Glied bei den Negern im allgemeinen viel größer ist als bei den anderen Völkern, und während der Jahre, in denen ich in Südamerika als Arzt praktizierte, habe ich diese Thatsache mit meinen eigenen Augen gesehen.
Überraschend ist, dass ein Mann, der sich eigentlich der materialistischen Wissenschaft verpflichtet fühlt, Friedrich Engels, in den Chor solcher Stimmen einstimmt. Ohne seine „Erkenntnisse“ mit einer Quellenangabe zu versehen, schreibt er über afrikanische Eingeborenenstämme:
Nicht nur waren Bruder und Schwester ursprünglich Mann und Frau, auch der Geschlechtsverkehr zwischen Eltern und Kindern ist noch heute bei vielen Völkern gestattet.
Antisemitismus und Rassismus speisen sich, wie man seit langem weiß, aus sexuellem Neid. Die Phantasmagorien, die daraus entstehen, steigern sich dann zu einem Feindbild, das letztlich im Vernichtungswunsch kulminiert: Was abartig und pervers ist, kann ruhig ausgelöscht werden. Künstler, Satiriker, Schriftsteller und ähnliche Kulturschaffende, die diesen Kontext bei ihrer „Kunstproduktion“ nicht mit bedenken, handeln fahrlässig und geschichtsvergessen.
Peinlich fand ich, dass sich viele Kommentatoren in ihrer Verteidigung Böhmermanns auf das berühmte Zitat von Kurt Tucholsky beriefen: „Was darf Satire? Alles.“ Tucholsky, der Meister des geschliffenen Wortes und der geistreichen satirischen Attacke, hätte sich verbeten, auch nur im Entferntesten mit dem Schmähstück von Böhmermann in Verbindung gebracht zu werden. Kreisliga sollte man von Champions-League unterscheiden können. Und der Jude Tucholsky wusste, wozu antisemitische Hetze, die unter die Gürtellinie zielt, fähig ist.
Ein Letztes: Wenn die Staatsanwaltschaft einen Prozess gegen Böhmermann eröffnet, wäre dies für Erdogan ein starkes Signal. In der Demokratie befindet über den Tatbestand der Beleidigung die unabhängige Justiz und niemand sonst.
Bei wikpedia findet sich ein ganz guter Satz: „Während Ehre und Ruhm einen äußeren, etwa durch eine Gesellschaft vermittelten Wert darstellen, liegt der Wert der Würde im Inneren eines jeden Menschen selbst.“ Würde erwirbt man nicht, man hat sie. Sie ist unabhängig vom Verhalten. Sie hat etwas mit dem Recht auf persönliche Unversehrheit zu tun und mit dem Verhaltensspielraum.
Das Gedicht hat Herrn Erdogan in diesem Sinne kein Härchen gekrümmt und ihn auch nicht in seinen erheblichen Entfaltungsmöglichkeiten behindert. Insofern verstehe ich nicht, was ihm da für ein Unrecht gegen seine Würde widerfahren sein soll.
Aber vielleicht irre ich mich da und eine solche Verbalinjurie ist wirklich etwas sehr Schlimmes und Schmerzhaftes und ich bin da nur etwas unempfindlich. Der Punkt ist doch, dass dieses extra dämlich formulierte Gedicht gar nicht als Beleidigung gemeint war, sondern als „komplexer Witz“, als Kunst. So hat Herr Böhmermann im Nachhinein seine Intentionen erklärt und das passt auch zur unabhängigen Kontext/Textanalyse.
…wobei ich meine lezte Bemerkung auf Männer einschränken möchte. Falls Sie nicht auf Anhieb verstehen, warum, liefere ich eine Begründung gerne nach.
Der Begriff der Ehre ist mir suspekt, ja. Ich finde, es finden höchst unehrenvolle Dinge im Namen der Ehre statt.
Bis vor kurzem hätte ich Ihre Frage verneint und auf das Grundgesetz verwiesen, wo ja zumindest von „Würde“ die Rede ist. Man müsste überlegen, wo der Unterschied zwischen Würde und Ehre liegt. Die Würde ist eingeschränkbar, z.B. wenn die Lebensumstände zu schlecht sind und de Mensch unwürdig leben muss; ich weiß nicht, ob das auch für die Ehre gilt.
Sehr fragwürdig finde ich, als ich das gelesen habe, dass Herr Davutoglu sagt, seine Familienehre sei die Familenehre von Herrn Erdogan. Sowas erinnert mich an „den Paten“ und, etwas prosaischer, an das „Ehrenwort“ von Herrn Kohl. Ehrenvoll mag das sein, aber ich wills nicht haben. Ich hoffe, dass sowas baldmöglichst abgewählt wird. Leider fürchte ich das Gegenteil.
Wo Sie aber definitiv irren ist bei der Sexualität des Menschen. Die ist kein Tabu für Dritte. Warum? Es geschehen am laufenden Band Katastrophen, wenn sie ein Tabu ist. Die Leute sollen sich etwas entspannen und nicht gleich wütend werden, wenn sie sexualisiert verspottet werden. Sie müssen das nicht witzig finden. Aber sie müssen auch nicht gleich losschlagen.
Lieber Herr Ziegler, mir scheint, Sie beißen sich allzusehr an dem Begriff der Ehre fest. Kommt er Ihnen zu „orientalisch“ daher?
Mir liegt es fern, hier einen Diskurs über die kunstgeschichtliche Bedeutung der Beleidigung zu führen, dafür bin ich viel zu sehr Kunstbanause.
Ich bin allerdings der felsenfesten Überzeugung, dass die Sexualität eines Menschen einen ganz wesentlichen Teil seiner Würde ausmacht und deswegen auch schlicht und ergreifend für Dritte tabu ist.
Und gerade weil sich der Staat tunlichst aus der Frage heraus halten sollte, was denn letztlich Kunst ist, ist es von Bedeutung, Grenzen zu definieren, die auch von der Kunst nicht straffrei überschritten werden dürfen.
Boehme-Neßler wägt übrigens in einem argumentativen Progress Pro und Contra gegeneinander ab. Sie sollten seine Ausführungen also aufmerksam und vor allem zusammenhängend lesen.
@DBH
Jawoll, die Reflexe funktionieren noch! Weiter so!
Stefan Trute: Den für mich besten Beitrag zur Causa Bõhmermann las ich jetzt in “konkret” 5/2016, S.33. …
Wiki: … konkret ist eine 1957 gegründete deutsche Zeitschrift, die – mit einer Unterbrechung von November 1973 bis Oktober 1974 – bis heute erscheint. Die monatlich erscheinende ‚Zeitschrift für Politik und Kultur‘ vertritt weit links stehende Positionen; während sie selbst sich als ‚einzige linke Publikumszeitschrift Deutschlands‘ versteht, wird sie vom Verfassungsschutz dem ‚undogmatischen Linksextremismus‘ zugeordnet.
… nun ja, lirum-larum Löffelstiel, werter S.T.:
1. Gedenkorden zum 70. Geburtstag Kim Il-sungs
2. Orden der Arbeit
3. Militärverdienstorden 1.Klasse
4. Gedenkmedaille zum 60.Staatsgründungstag Nordkoreas
5. Gedenkmedaille zum 60.Gründungstag der Armee
6. Orden der Arbeit
7. Orden der Nationalfahne 1.Klasse
8. Orden der Nationalfahne 2.Klasse
9. Gedenkmedaille zum 60.Gründungstag der Armee
10. Gedenkmedaille zum 60.Staatsgründungstag Nordkoreas
11. Orden der Soldatenehre
12. Militärverdienstorden 2.Klasse
13. Gedenkmedaille zum 30.Jahrestag der Befreiung 14. Gedenkmedaille zum Jahrestag der Armee, ohne Datum
15. Militärverdienstorden 3.Klasse
16. Orden der Nationalfahne 2.Klasse
17. Verdienstmedaillen der Volksarmee
18. Orden der Nationalfahne 3.Klasse 19. Orden der Drei Revolutionen
Den für mich besten Beitrag zur Causa Bõhmermann las ich jetzt in „konkret“ 5/2016, S.33. Böhmerwahn“ von Svenna Triebler. Auch das dem Text vorangestellte Tucholski-Zitat hat es in sich. „Satire darf alles.“ Nein, das ist es nicht. „Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier.“
…sorry für die Tippfehler; ich muss nun mit der Diskussion aufhören, hoffe aber noch, ein Wort von Ihnen zu lesen. Ich glaube, wir sind einig, dass es ganz gut ist, wenn die Gerichte den „Fall Böhmermann“ beurteilen und wir dann anschließend sehen können, was geltendes Recht ist, wie es begründet wird und ob man das ggf. ändern sollte oder auch nicht.
Nachtrag: Die langen Ausführungen des Herrn Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler sind ja auffallend ambivalent, man könnte auch von Irrlichtern reden, wen man nicht befürchten müsste, dass das beleidigend wäre.
Z.B. ist mir folgender Satz aufgefallen:
„Unterfiele er [der Text oder eigentlich: die gesamte die Aktion von Herrn Böhmermann] der Meinungsfreiheit oder – als Satire –der Kunstfreiheit, dann gäbe es keine Beleidigung und damit keine Strafbarkeit nach § 103 StGB.
Er unterfiele nicht nur, er unterfällt sogar. Im Zweifelsfall ziehe man einen Kunsgtexperten zu Rate. Deshalb gibt es auch nach Herrn Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler keine Beleidigung nach Paragraf…
Ich danke Ihnen für Ihre lange Antwort, Herr Özgönül. Dann hoffen wir mal, dass es dabei bleibt, dass Herr Erdogan nicht auch noch gegen die Zitate von Herrn Posener klagt.
Ich habe den Eindruck, dass Sie es sich zu einfach machen, wenn Sie den Text jenes Gedichts betrachten und danach die Betrachtung beenden (den „Rest“ drumherum sehen Sie als irrelevant an). Es gibt andere Möglichkeiten des Verständnisses, und jeder Text ist in einer konkreten Situation eingebettet, aus der heraus er verstanden und beurteilt werden muss. Dazu gehören die vorherigen Gewschehniss eund die Folgen, die Absichten und die konkrete Situation. Ohne solche Aspekte gibt es gar nichts. Auch Sie bzw. das Gericht beurteilen diese Kontexte, nur implizit.
Ich bin ziemlich sicher, dass das Gericht auf diese besondere Situation – extra3, überzogene Beleidigungsprozesse, Autoritarismus usw. – eingehen wird. Vielleicht kommt es aber trotzdem zu dem Schluss, zu dem auch Sie bereits – ohne Ansehung der Kontextsituation – gekommen sind.
Sollte das so sein und sollten Sie also Recht haben, hätten wir ein enges Beleidigungsrecht und eine große Bedeutung der persönlichen Ehre. Mir wäre mit einem solch engen Beleidigungsrecht, bei dem wir nicht einmal Beleidigungen zitieren dürfen, ohne befürchten zu müssen, verklagt zu werden, weil sich jemand in seiner Ehre gestört fühlt, schlecht.
Wenn dieses Recht reformiert werden müsste, um lockerer zu werden – wovon ich eigentlich nicht ausgehe – , dann sollten wir es reformieren. So wie die Regierung den Paragrafen 103 reformieren will.
Immerhin hat es die Kunstfreiheit bis ins Grundgesetz geschafft, das ist echter Fortschritt. In der Kunst gibt es eine lange Tradition von Beleidigen und Belangtwerden. Obszönitäten, Majestäts- und Gotteslästerlichkeiten u.ä. sind Klassiker in der Kunstgeschichte. Ohne pralle Beleidigungen wäre unsere Kunst viel ärmer. Bereits Dante Alighieri hat damit unangenehme Erfahrungen gemacht, wie es scheint; in seiner Göttlichen Komödie landen etliche Zeitgenossen in der Hölle. Wir sollten solches Prozessieren der Ehre halber lassen. Nicht zuletzt als Steuerzahler habe ich keine Lust, sowas zu finanzieren.
Nachtrag Herr Ziegler: so absolut habe nicht ich diese Grenze gezogen, sondern besagtes Urteil, das ich oben nur paraphrasiert habe.
Lieber Herr Ziegler, solange es Staaten gibt, wird es auch ein Völkerrecht geben. Und so lange es ein Völkerrecht gibt, gibt es auch ein Rechtssubjekt Staat; nennen Sie es „Ehre“, Reputation, Ansehen, Würde, wie auch immer Sie wollen: es ist gerade in einem bürgerlichen Rechtsverständnis elementar, dass vertrags- und geschäftsfähige (juristische) Personen in der Integrität dieses Ansehens, der Reputation, der Vertrauenswürdigkeit und Ehre geschützt werden. Staaten, die auf vielfältige Art und Weise miteinander interagieren, tuen gut daran, sich in ihren Einflussbereichen gegenseitig in dieser Frage gesonderten Schutz zu gewähren. Ein allgemeiner Beleidigungsstraftatbestand reicht da aus oben genannten Gründen in der Regel nicht aus. Es ist höchst ungewöhnlich und widerspricht dem Geist des Völkergewohnheitsrechts, dass ein ausländisches Staatsoberhaupt – wie es Erdogan ja (leider) getan hat – sich quasi als Privatperson der Jurisdiktion eines fremden Staates unterwirft, sei es auch nur als Kläger.
Dass dieser Paragraph nun abgeschafft werden soll, habe ich vernommen. Merkel scheint sich da dem Druck der SPD zu beugen, die sich unter Gabriel leider immer mehr zu einer höchst oberflächlichen Partei von Populisten entwickelt hat.
Und es dürfte tatsächlich so sein: theoretisch könnte ein so Beleidigter es sich wohl verbitten, dass das „Gedicht“ zitiert wird, egal in welchem Kontext. Hier heißt es: wo kein Kläger, da kein Richter. Unser ganzes Leben ist tagtäglich von Verletzungen dieses Kernbereiches durchzogen, die allerdings durch aktive oder passive Einvernehmlichkeit oder durch die Ermangelung zumindest dessen, was man billigende Inkaufnahme nennt – also die Ermangelung des Eventualvorsatzes – straffrei bleiben. Davon darf man auch getrost ausgehen, wenn wir hier im Rahmen unserer Diskussion aus dem Gedicht zitieren.
Und nebenbei bemerkt: auch bei den Strauß-Karikaturen wollte der Karikaturist ja nicht tatsächlich behaupten, dass es FJS mit Schweinen treibt. Der Karikaturist wollte damit Kritik an dem fragwürdigen Verhältnis üben, das Strauß und die (bayrische) Justiz zueinander pflegten. So gesehen war dessen Botschaft um einiges sachbezogener als das, was Böhmermann sich da geleistet hat.
Hier übrigens zur Lektüre der Verfassungs- und Medienrechtler Volker Boehme-Neßler zu dem Thema in der Legal Tribune Online (vor der Entscheidung der Bundesregierung):
„Ziegenficken“und Kunst: Böhmermann zwischen Strafrecht, Außenpolitik und Verfassung
von Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler 11.04.2016
Die Türkei fordert, Böhmermann für sein Erdogan-Gedicht zu belangen. Ob die Bundesregierung die Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung ermächtigt, ist eine politische Frage. Juristisch gesehen ist der Fall klar, meint Volker Boehme-Neßler.
Meinung oder Beleidigung?
Jan Böhmermann hat in einer Fernsehsendung ein Schmähgedicht auf den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan vorgetragen. Das hatte Folgen: Der Sender nahm den Beitrag aus der Mediathek, die Bundeskanzlerin telefonierte mit dem türkischen Ministerpräsidenten und die Staatsanwaltschaft Mainz ermittelt gegen Böhmermann. Das Auswärtige Amt soll in einem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen sein, dass der Satiriker und Comedian sich strafbar gemacht haben soll.
Er soll ein ausländisches Staatsoberhaupt beleidigt und damit gegen § 103 Strafgesetzbuch (StGB) verstoßen haben Das Video des Auftritts kursiert im Netz, es wird zehntausendfach in den sozialen Netzwerken kommentiert und verbreitet. Dass Erdogan satirische Beiträge erst durch seine Reaktionen bekannt mache, besingt mittlerweile auch Dieter Hallervorden, der mit seinem Song „Erdogan, zeig mich an“, den er bei Twitter selbst als satirisch bezeichnet, dem ZDF-Neo-Verantwortlichen Schützenhilfe leistet.
Es geht um die alte Frage: Was darf Satire? Alles, hat Tucholsky noch 1919 kurz und bündig geantwortet. Ganz so einfach ist die Rechtslage allerdings nicht. Schon gar nicht, wenn die Außenpolitik mit ins Spiel kommt.
§ 103 StGB – terra incognita des Strafrechts
Böhmermann selbst hat seinen Text als Schmähgedicht bezeichnet. Das ist – darüber wird kaum gestritten – sicherlich eine treffende Einordnung. Schon die Wortwahl ist der Gossensprache entnommen, obszön und beleidigend. Der Inhalt ist rassistisch und bedient indiskutable anti-türkische Ressentiments. Hat sich Böhmermann also wegen der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts nach § 103 StGB strafbar gemacht?
§ 103 StGB ist eine weithin unbekannte Norm des Strafrechts. Verurteilungen auf ihrer Grundlage sind selten. Etwa zwei Täter werden im Durchschnitt pro Jahr zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Staatsanwaltschaft in Mainz, die gegen Böhmermann ermittelt, betritt Neuland.
Die Vorschriftschützt die Ehre ausländischer Staaten. Deshalb ist es verboten, ausländische Staatsoberhäupter zu beleidigen. Sie sind die wichtigsten Repräsentanten ihres Landes. Wer Erdogan beleidigt, beleidigt die Türkei – das ist die Logik von § 103 StGB.
Ganz neu ist dieser Gedanke nicht. Schon im Reichsstrafgesetzbuch gab es Normen mit ähnlichen Regelungen. Sie greifen Grundgedanken des Völkergewohnheitsrechts auf und sollen die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu anderen Staaten schützen.
Vorrang der Diplomatie – das Verfahren von § 104a StGB
Der außenpolitische Hintergrund erklärt auch die ungewöhnliche Regelung von § 104 a StGB. Eine Strafverfolgung setzt grundsätzlich voraus, dass Deutschland zum verletzten Staat diplomatische Beziehungen unterhält. Dieser Staat muss darüber hinaus ähnliche Schutzvorschriften für das deutsche Staatsoberhaupt haben. Gegenseitigkeit ist ein alter Grundsatz der Diplomatie.
Zudem muss die ausländische Regierung ein formelles Strafverlangen gestellt haben. Auch diese Voraussetzung ist im Fall von Jan Böhmermann wohl erfüllt, am Sonntag wurde bekannt, dass die Türkei das von der Bundesregierung verlangt.
Jetzt kommt es auf die vierte und letzte Anforderung des selten zur Anwendung kommenden Straftatbestands an: Das Auswärtige Amt muss eine formelle Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen, d.h. die Erklärung abgeben, dass sie sich der Strafverfolgung nicht widersetzen wird. Darüber wird zurzeit in der Bundesregierung nachgedacht. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat schon angekündigt, sich in dieser Frage eng mit dem Justizminister und der Kanzlerin abzustimmen. Es ist eine heikle Frage, es geht um außenpolitische Rücksichtnahme im Konflikt mit innenpolitischer Meinungs- und Kunstfreiheit.
Die Meinungsfreiheit schützt auch dumme Äußerungen
Böhmermann hat sich strafbar gemacht, wenn er Erdogan – und damit die Türkei – beleidigt hat. Ist sein Schmähgedicht also eine strafbare Beleidigung?
Die inhaltlich entscheidende Frage ist, ob dieser unsägliche Text trotz allem von der Verfassung geschützt wird. Unterfiele er der Meinungsfreiheit oder – als Satire –der Kunstfreiheit, dann gäbe es keine Beleidigung und damit keine Strafbarkeit nach § 103 StGB.
Ohne Meinungsfreiheit gibt es keine freiheitliche und demokratische Gesellschaft. Sie wird deshalb vom Grundgesetz ebenso geschützt wie von der europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechte-Charta. Der Schutz durch die Verfassung hängt nicht von der Qualität der Meinung ab. Die Meinungsfreiheit schützt auch pubertäre, dumme, rassistische oder fremdenfeindliche Äußerungen – wie etwa das Gedicht von Böhmermann.
Aber Schmähung schützt auch die Meinungsfreiheit nicht
Allerdings hat auch die Meinungsfreiheit Grenzen. Eine in der Praxis besonders wichtige Schranke der Meinungsfreiheit ist das Persönlichkeitsrecht anderer. Das Bundesverfassungsgericht vertritt dazu eine klare Linie. Der Meinungskampf in der Öffentlichkeit muss nicht mit Samthandschuhen geführt werden.
Auch äußerst kritische, scharfe und polemische Äußerungen sind zulässig, gerade, wenn es um wichtige oder kontroverse Themen geht, die in der Öffentlichkeit viel Staub aufwirbeln. In dubio pro libertate – im Zweifel steht Karlsruhe auf Seiten der Meinungsfreiheit.
Und dennoch wird Jan Böhmermann sich auf die Meinungsfreiheit nicht berufen können. Wenn Meinungsäußerungen vor allem einen anderen Menschen herabsetzen sollen, dann geht es um Schmähkritik, die nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit fällt. Zur Erinnerung: Im Böhmermann-Text wird Erdogan – nur unter anderem – als „Ziegenficker“ bezeichnet, der „Fellatio mit 100 Schafen“betreibt. Im Ernst: Was ist das, wenn nicht eine Schmähung?
Ist „Ziegenficker“ Kunst?
2/2: „Ziegenficker“als Satire?
Vielleicht ist der Text aber eine kunstvolle Satire. Dann stünde er unter dem Schutz der Kunstfreiheit.
Was ist eine Satire? Über diese Frage gibt es ganze literaturwissenschaftliche Bibliotheken. Die Rechtswissenschaft ist pragmatisch und vertieft sich nicht in literarische Details. Scharfe Kritik durch künstlerische Verfremdung und polemische Überspitzung – das ist im Kern eine Satire. Sie ist hässlich, drastisch, aggressiv und obszön. Sie bricht Tabus und verletzt Konventionen und ignoriert Moralvorstellungen. Das ist ihr Wesen – und das Geheimnis ihrer Wirkung.
Wenn man von diesem Begriff ausgeht, ist das Böhmermann-Gedicht sicher eine Satire. Sein satirischer Sinn erschließt sich aus seinem Kontext. Selbstverständlich geht es dem Comedian nicht darum, Erdogan ernsthaft der Sodomie zu beschuldigen. Das Gedicht ist Teil einer größeren Performance.
Böhmermann und ein zweiter Akteur betonen immer wieder zwischendurch, dass sein Schmähgedicht ein Beispiel dafür ist, was in Deutschland gerade nicht erlaubt ist. Indem er Erdogan in ganz drastischer Form schmäht, will er wohl kritisieren, dass kritische Journalisten und Satiriker in der Türkei von der Justiz verfolgt werden. Er führt Erdogan quasi vor, was eine wirklich verbotene Satire ist – als Kontrast zu vergleichsweise harmlosen Satiren, die Erdogan in der Türkei verbieten lässt.
Ziegenficker als Kunst?
Allerdings ist nicht jede Satire auch Kunst. Kunst setzt in den Worten des Verfassungsgerichts „eine freie schöpferische Gestaltung“voraus. Eine bloße Verzerrung, Übertreibung oder sonstige satirische Bearbeitung ist keine Kunst, die von Art. 5 Abs. 3 GG geschützt wird. Qualitätsmaßstäbe enthält das Recht allerdings nicht. Auch schlechte Kunst ist Kunst.
Der Böhmermann-Text ist ein Gedicht im klassischen Sinn. Es reimt sich. Seine Wortwahl ist obszön, aber ausgesucht und durchdacht. Das Schmähgedicht wird in einem Rahmen vorgetragen, der den Kontext verändert. Böhmermann selbst und ein anderer Darsteller weisen mehrmals darauf hin, dass das Schmähgedicht so nicht zulässig ist. Dennoch tragen sie es vor.
Darüber kann man unter qualitativen Aspekten streiten. Dennoch ist das ein Kunstgriff. Es ist eine Gesamtkomposition, die auf einer schöpferischen Gestaltungsleistung basiert. Das Böhmermann-Schmähgedicht ist deshalb – gute oder schlechte – Kunst im Sinne der Verfassung. Es wird vom Grundgesetz geschützt. Ist dann verfassungsrechtlich alles gut für Jan Böhmermann?
Menschenwürde – Grenzen der Satire
Die Kunstfreiheit ist ein wichtiges Grundrecht. Aus guten Gründen legt das Verfassungsgericht den Schutzbereich sehr weit aus. Es gibt im Grundgesetz aber auch andere Werte, die genauso bedeutsam sind.
Schon deshalb darf Satire nicht alles. Sie hat Grenzen, die im konkreten Einzelfall ausgelotet und gezogen werden müssen. Ihre wichtigste verfassungsrechtliche Grenze ist die Menschenwürde. Die Menschenwürde ist der höchste Wert der Verfassung – und des gesamten Rechts. Die Verfassung schützt deshalb keine Satire, die die Würde eines anderen Menschen verletzt.
Ist das Schmähgedicht nur drastisch, obszön und unappetitlich? Dann ist es als Kunst geschützt und Böhmermann muss den Staatsanwalt nicht fürchten. Oder verletzt es die Menschenwürde von Erdogan? Dann führen die Ermittlungen der Justiz wohl zu einer Verurteilung.
Kunst ohne Verantwortung?
Der Aussagekern des Schmähgedichts verletzt die Menschenwürde sicher nicht. Denn inhaltlich geht es dem Text und der Inszenierung, die dazu gehört, darum, Erdogan und seine Presse-und Medienpolitik in der Türkei zu kritisieren. Das hält sich zweifelsohne im Rahmen der Kunstfreiheit.
Die satirische Einkleidung dieser Botschaft überschreitet deren Grenzen allerdings massiv. Die Wortwahl des Gedichts ist der aggressiven und sexualisierten Fäkalsprache entnommen. Der Text befasst sich ausführlich mit dem angeblichen Sexualleben von Erdogan. Dabei benutzt Jan Böhmermann sexuelle Schimpfworte, die besonders ehrverletzend sind. Mit der kritischen Botschaft, um die es geht, hat der Text letztlich nichts zu tun. Sein einziger Sinn liegt darin, Erdogan zu erniedrigen und herabzuwürdigen. Das ist eine Verletzung der Menschenwürde.
Die Verfassung schützt die Kunst sehr weitgehend. Sie gibt den Künstlern einen großen Freiraum. Eines aber tut die Verfassung nicht: Sie entbindet den Künstler nicht von der Verantwortung für die Folgen seiner Kunst.
Auf die Politik kommt es an
Juristisch ist der Fall Böhmermann deshalb klar. Würde die Staatsanwaltschaft Anklage erheben und käme auch ein Gericht zu dem Ergebnis, dass Böhmermann sich nach § 103 StGB strafbar gemacht hat, würde ihm eine Strafe von bis zu fünf Jahren Haft drohen. Unterstellt, dass der Comedian nicht vorbestraft ist, dürfte es dazu allerdings nicht kommen, er würde vermutlich nur zu einer Geldstrafe verurteilt.
Jetzt hängt alles an der Politik. Erdogan hat das formelle Strafverlangen nach § 104a StGB gestellt. Erteilt das Außenministerium jetzt die Ermächtigung zur Strafverfolgung, die nach § 104a StGB ebenfalls notwendig ist? Nur dann kann die Justiz weiter ermitteln.
Der Autor Prof. Dr. jur. habil. Dr. rer. pol. Volker Boehme-Neßler lehrt unter anderem Verfassungs- und Medienrecht an der an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg.
Herr Özgönül, so absolut, wie Sie diesen „Kernbereich menschlicher Ehre“ darstellen, müsste jegliches Aufsagen oder Zitieren des Schmähgedichts unabhängig vom Kontext verboten sein. Also auch ein Zitieren, wie es z.B. Herr Posener gemacht hat, damit sich seine Leserschaft ein eigenes Bild machen kann. Sollte oder kann auch Herr Posener belangt werden?
Wenn das eine erlaubt sein soll, das andere aber nicht, dann muss es schon auf die Absicht bzw. den Kontext ankommen, und den müsste man dann schon etwas genauer analysieren, als Sie es getan haben. Dabei würden sich deutliche Untershciede zu den Strauß-Karikaturen herausstellen. Wir werden sehen, wie das Gericht das beurteilt
Zum $103: Die Regierung will diesen Paragrafen ja abschaffen! Sie hat ihn geprüft und für osolet befunden. Auch wenn Sie und Herr Posener das falsch finden: die Regierung schafft diesen Paragrafen ab, aber eröffnet trotzdem, ohne dazu gezwungen zu sein, das Verfahren! Ein letztes Mal. Denn anschließend gibt es den Paragrafen nicht mehr. (Und nebenbei: die „Ehre des Staates“ ist schon etwas sehr, sehr Fragwürdiges…)
Lieber Cem Özgönül, das ist die beste Analyse zum Fall, die ich bisher gelesen habe. Danke.
Hier der link zum Fall in der Schweiz:
https://www.bluewin.ch/de/news/inland/2016/4/14/ehemalige-schweizer-bundespraesidentin-uebel-beschimpft.html
Frau Frommel,
kennen Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den Strauß-Karikaturen 1987?
Das Bundesverfassungsgericht differenziert dort zwischen allgemeinen Persönlichkeitsrechten, die bspw. verletzt werden, wenn jemand „Du Arschloch“ zu Ihnen sagt und zwischen einem Kernbereich „menschlicher Ehre“, den es als „unmittelbaren Ausfluss der Menschenwürde“ bezeichnet und jeglichem Eingriff, jeglicher Rechtfertigung sowie auch jeglicher Abwägung entzieht und als absolute Grenze definiert.
Anlass waren Karikaturen, die Strauß beim Geschlechtsakt mit Schweinen illustrierten, die in Richterroben gekleidet waren.
Es dürfte unstrittig sein, dass die begrifflichen Illustrationen, derer sich Böhmermann bedient hat, ebenfalls in die Kategorie des oben paraphrasierten Kernbereichs fallen. Da hat auch die Kunstfreiheit ihre Grenzen; man braucht also nicht einmal darüber zu streiten, ob es sich tatsächlich um Kunst handele, was er da von sich gegeben hat.
Dabei spielt es übrigens auch keine Rolle, ob es nun sein primäres Ziel war, Erdogan zu beleidigen oder aber er sich einfach nur eine „edukative“ Rolle in der „didaktischen Erdogan- und Erwachsenenweiterbildung“ angemaßt hat. Auch der instrumentalisierende Eingriff zu Demonstrationszwecken ist ein solcher verbotener Eingriff, mit dem zumindest die Beleidigung im Sinne des Eventualvorsatzes billigend in Kauf genommen wird.
Und zuguterletzt: erst recht keine Rolle spielen die zahlreichen Rechtfertigungsorgien, die man in diesem Zusammenhang selbst von Juristen zu lesen bekommt, wie etwa den Umstand, dass Erdogan ja kein Kind von Traurigkeit und es ihm folglich auch zuzumuten sei, dass er so was gefälligst wegsteckt. Nein, muss er nicht. Auch das Argument wurde damals im Rahmen des Strauß-Urteils erörtert und trocken abgebügelt. Auch Strauß war eine sehr kontrovers beleumundete Persönlichkeit des öffentlichen Interesses.
@ Herr Posener: Sie haben natürlich vollkommen Recht, was Ihre Anmerkungen zu §103 StGB anbelangt. Die Stimmung hat etwas hysterisches, jakobinisch-vulgäregalitaristisches. Dass der Paragraph aus „Kaisers Zeiten“ stamme, was suggerieren soll, dass er antiquiert sei, ist das einzige, was da als „Argument“ angereicht wird.
Was genau daran antiquiert ist? Keine Ahnung. Dass Beleidigung bestraft werden soll? Oder dass Staatsoberhäupter nicht beleidigt werden dürfen oder nur ausländische Staatsoberhäupter oder nur inländische Staatsoberhäupter oder oder nur Ausländer …. oder…oder…oder….
Dabei wird nicht einmal das Schutzgut dieses Paragraphen korrekt erfasst. Dieser dient nämlich keineswegs dem Schutze der „persönlichen Ehre“. Schutzgut der §§ 102 – 104a StGB ist die Ehre ausländischer Staaten, die mittels Beleidigung oder Verunglimpfung ihrer tragenden Institutionen, Verfassungsorgane, Ämter und Symbole angegriffen wird. Hier geht es um das Rechtssubjekt Staat, nicht um die Ehre tatsächlicher Personen. Das wird auch deutlich, wenn man sich in § 104a StGB ansieht, unter welchen Voraussetzungen überhaupt ermittelt werden kann: u.a. wird vorausgesetzt ein Strafverlangen der ausländischen Regierung.
Keine einzige jener tatsächlichen Personen, die man in der Aufzählung des §103 StGB beleidigen kann, ist dazu berechtigt, eigenmächtig Ermittlungen nach diesem Paragraphen zu verlangen. Rein hypothetisch könnte der § 103 StGB also sogar gegen den erklärten Willen eines mutmaßlich Beleidigten Anwendung finden; dann nämlich, wenn sich ein beleidigtes Staatsoberhaupt zwar persönlich gegen eine strafrechtliche Verfolgung einer Beleidigung, die zum Einreichen eines Strafverlangens aber berechtigte Regierung diese Stellungnahme ignoriert.
Umgekehrt: selbst wenn ein Rechtssubjekt Staat unter Umständen theoretisch als juristische Person den Weg des Ehrschutzes nach §185 StGB beschreiten könnte (was wohl ohnedies recht zweifelhaft wäre), widerspräche dies fundamental dem völkergewohheitsrechtlichen Grundsatz „par in parem non habet iudicium“ – ein Gleicher hat unter Gleichen keine Gerichtsbarkeit; Kleine aber feine Nuance: nach § 103 StGB findet ja keine Anzeige im juristischen Sinne statt, wie es im Falle des § 185 StGB erforderlich ist, sondern erklärt die ausländische Regierung im Rahmen eines diplomatisch-politischen Kommunikationsaktes ein Strafverlangen. Und bleibt im weiteren hinsichtlich des nationalen juristischen Prozederes vollkommen außen vor. Alleine schon deswegen kann der § 185 StGB kein adäquater Ersatz für jene Normen sein, mit denen der Ehrschutz ausländischer Staaten als Rechtssubjekte gewährleistet wird. Wer also glaubt, dass §103 StGB obsolet sei, muss erklären, warum zwar alle anderen juristischen und tatsächlichen Personen einen Ehrschutz im Strafrecht erfahren, das Rechtssubjekt ausländischer Staat hingegen nicht. Und zwar nur der ausländische Staat nicht, da ich nicht vernommen habe, dass man bspw. dem § 90 StGB (Beleidigung des Bundespräsidenten) ebenfalls ans Leder wollte.
Ob nun so beabsichtigt oder nicht: tatsächlich gelingt es den Normen unter der Überschrift „Straftaten gegen ausländische Staaten“ (§§ 102 – 104a StGB) auf elegante Weise unterschiedlichste politische und juristische Ebenen miteinander zu verknüpfen, Rechtssubjekte des Völkerrechts in Interaktion mit tatsächlichen und juristischen Personen im Kontext des nationalen Strafrechts treten zu lassen und dabei völkergewohnheitsrechtliche Grundsätze zu wahren.
Und es ist übrigens auch keineswegs so, als sei dieser Paragraph in der jüngeren Geschichte nie zur Anwendung gekommen, bis er nun von „fiesen orientalischen Erdogan-Beratern“ ausgebuddelt wurde. Tatsächlich hat die bekannte „dauerbeleidigte orientalische Despotin“ und frühere schweizerische Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey im Jahre 2007 ein Strafverfahren gegen einen in Bayern lebenden schweizerischen Staatsbürger angestrengt und gewonnen. Auf Grundlage des § 103 StGB. Ganz ohne Aufsehen, ganz ohne Theater, ganz ohne „Türken vor Wien“.