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Martin Schulz und der technologische Totalitarismus

Das Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hat sich unter der Leitung Frank Schirrmachers zu einem monothematisch bestimmten Propaganda-Organ gegen einen angeblich drohenden „Technologischen Totalitarismus“ entwickelt. Was darunter zu verstehen ist, hat neulich Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlament und Kandidat für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission, in einem Gastbeitrag dargelegt:

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/technologischer-totalitarismus-warum-wir-jetzt-kaempfen-muessen-12786805-p3.html?printPagedArticle=true

 

Hier sind die entscheidenden Sätze aus dem – insgesamt recht drögen und nicht sehr konkreten – Manifest:

„Wenn wir Menschen durch diese Vernetzung nur noch die Summe unserer Daten sind, in unseren Gewohnheiten und Vorlieben komplett abgebildet und ausgerechnet, dann ist der gläserne Konsumbürger der neue Archetyp des Menschen.“

„Wenn die Messung unseres Augenzwinkerns oder die Beschleunigung unsere Pulses beim Ansehen bestimmter Produkte in Echtzeit in die Datenbank von multinationalen Konzernen fließen, ist der neue Mensch nur noch die Summe seiner Reflexe, und er wird biologistisch komplett determiniert.“

„Noch haben wir es nur mit einer alles durchdringenden Technologie, aber noch nicht mit einem totalitären politischen Willen zu tun. Doch die Verbindung von „big data“, also der gewaltigen Sammelleidenschaft für Daten durch Private und den Staat, und „big government“, also der hysterischen Überhöhung von Sicherheit, könnte in die antiliberale, anti-soziale und antidemokratische Gesellschaft münden. Wenn der Bürger nur zum Wirtschaftsobjekt degradiert wird und der Staat ihn unter Generalverdacht stellt, kommt es zu einer gefährlichen Verbindung von neoliberaler und autoritärer Ideologie.“

„ Wie am Ende des 19. Jahrhunderts wird eine Bewegung gebraucht, die die Unverletzlichkeit der menschlichen Würde ins Zentrum ihrer Überlegungen stellt und die nicht zulässt, dass der Mensch zum bloßen Objekt degeneriert. Diese Bewegung muss ein liberales, ein demokratisches und ein soziales Staatsverständnis haben. Sie muss im Bereich der Datensammlung, -speicherung und -weitergabe rechtliche Pflöcke einschlagen, die klarstellen, dass die Privatheit eines jeden ein unveräußerliches Grundrecht ist, und einen etwaigen Missbrauch eindeutig sanktionieren. Sie muss überdies durch eine kluge Wirtschaftspolitik sicherstellen, dass wir in Europa technologischen Anschluss halten, damit wir aus der Abhängigkeit und Kontrolle der heutigen digitalen Großmächte befreit werden, unabhängig davon, ob es sich dabei um Nationalstaaten oder globale Konzerne handelt.“

„Ein freies Netz, ein an Grundrechten orientierter regulierter Datenmarkt und die Erinnerung daran, dass die Autonomie des Individuums unser Mensch-Sein begründet, kann eine bessere, eine neue Welt schaffen. In dieser Welt könnten die Chancen einer neuen Technologie zum Wohle aller genutzt und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche verhindert werden. Es geht um nichts weniger als um die Verteidigung unserer Grundwerte im 21. Jahrhundert. Es geht darum, die Verdinglichung des Menschen nicht zuzulassen.“

 

Das klingt ja zunächst alles sehr richtig, was soll man dagegen haben? Allenfalls könnte man, wie FDP-Chef Christian Lindner, ebenfalls in der „FAZ“, Martin Schulz wegen der „Distanz zwischen seinen Entscheidungen als Parlamentarier und seiner wachen Problemsensibilität“ kritisieren – zu Deutsch also, dass Europa praktisch zu wenig tut.

Doch halt.

Erstens wird mir immer ein wenig mulmig, wenn ein Politiker schreibt, er wolle  „eine bessere, eine neue Welt schaffen“. Insbesondere, wenn dieses Versprechen begleitet wird  von einer Kritik unserer heutigen Wirklichkeit, die maßlos is.

Denn was bedeutet die Aussage, dass „der gläserne Konsumbürger der neue Archetyp des Menschen“ wird? Nun, gar nichts. (Was war denn „der alte Archetyp des Menschen“? Eben.) Oder was bedeutet es, wenn Schulz meint, „der neue Mensch (sei) nur noch die Summe seiner Reflexe, und er wird biologistisch komplett determiniert.“ Auch nichts. (Wie kann man „biologistisch determiniert“ werden? Der Biologismus ist doch eine Ideologie. Wie sollte ein Mensch reduziert werden können auf „die Summe seiner Reflexe“? Eben.)

Zweitens finde ich die von Schulz gezogene Parallele zwischen der industriellen Revolution und der digitalen Revolution problematisch. Schulz schreibt: „Dass (die industrielle Revolution) letztlich auf unserem Kontinent zu einem gesellschaftlichen Fortschritt führte, der Wohlstand und Freiheit für viele brachte, war das Ergebnis eines langen politischen Kampfes. Dieser Fortschritt kam nicht automatisch, war nicht das Ergebnis einer unsichtbaren Hand. So wie die sozialen Bewegungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die entstehende Industriegesellschaft und den neuen radikalen Kapitalismus zähmen und humanisieren mussten, stellt sich heute wieder eine vergleichbare Aufgabe.“

Nun ja. Dass es zu Wohlstand und Freiheit in Europa gekommen ist, das ist eben nicht zuallererst Ergebnis des Kampfs „der sozialen Bewegungen“, sondern eben doch zuallererst Ergebnis des Siegeszugs des Kapitalismus und der Demokratie. Wo etwa der Sozialismus siegte, wie etwa in Russland, sah es weniger gut aus; vom nationalen Sozialismus wollen wir erst gar nicht reden. Und auch wenn ich große Sympathien für die Gewerkschaften und der Sozialdemokratie hege und ihre Leistungen nicht in Frage stellen will, so hat es doch gut hundert Jahre gedauert – konkret: bis zum Godesberger Programm – bis die SPD die elementare Wahrheit anerkannt hat, dass der Kapitalismus und die Marktwirtschaft erst jene Werte und jenen Wohlstand schaffen, um deren halbwegs gerechte Verteilung sich die „sozialen Bewegungen“ kümmern. 

Ich habe zwar selbst in einem anderen Zusammenhang geschrieben, dass man keine Lehren aus der Geschichte ziehen kann; aus falsch verstandener Geschichte jedoch muss man notwendig falsche Lehren ziehen. Erkennt man nicht die Bedeutung des Markts und des Unternehmertums für den Wohlstand gestern und heute, wird man deren Bedeutung vermutlich für den Wohlstand morgen unterschätzen.

Schulz meint, „die Verbindung von ‚big data’, also der gewaltigen Sammelleidenschaft für Daten durch Private und den Staat, und ‚big government’, also der hysterischen Überhöhung von Sicherheit“ könne in eine „antiliberale, anti-soziale und antidemokratische Gesellschaft münden. Wenn der Bürger nur zum Wirtschaftsobjekt degradiert wird und der Staat ihn unter Generalverdacht stellt, kommt es zu einer gefährlichen Verbindung von neoliberaler und autoritärer Ideologie.“

Das klingt gut, ist aber auf bezeichnende Art falsch.

Die „neoliberale Ideologie“ will den Bürger nicht „zum Wirtschaftsobjekt zu degradieren“. Im Gegenteil. Der Liberalismus („Neoliberalismus“ ist bloß ein überflüssiger Neologismus) will den Bürger zum Wirtschaftssubjekt machen. Zu einem Menschen, der sich mit der Arbeit seiner eigenen Hände und seines eigenen Kopfs sich und seine eigene Familie ernähren kann; will ihm ermöglichen, Eigentum zu bilden, die Grundlage für Unabhängigkeit; fördert das unternehmerische Denken und das Auftreten neuer Akteure; bekämpft Monopole aller Art, staatliche wie private; fördert Vielfalt und neues Denken. Wer den Liberalismus als Gefahr hinstellt, kann unmöglich die Freiheit  verteidigen.

Und was „Big Government“ angeht, so ist mit diesem Begriff – den Schulz dem Arsenal des „Neoliberalismus“ entwendet hat – eben nicht der Sicherheitsstaat gemeint. Sondern vielmehr der Fürsorgestaat, der den Bürger „von der Wiege bis zur Bahre“, wie es der Architekt des Sozialstaats, Sir William Beveridge ausdrückte, umhegen und umsorgen, regulieren und kontrollieren will, selbstverständlich im Interesse der Regulierten und Kontrollierten, im Interesse des Kampfs gegen ihre „Verdinglichung“ und die „Ökonomisierung aller Lebensbereiche“, der die Verstaatlichung aller Lebensbereiche entgegengesetzt wird. Mit diesem Rezept wurde Großbritannien in nur dreißig Jahren – von 1945 bis 1975 – in den Ruin getrieben. Die Verstaatlichung von Kohle und Stahl, Auto- und Flugzeugindustrie, Energie, Eisenbahnen und Wohnungsbau  führte dazu, dass Industrie und Infrastruktur verkamen, so dass am Ende das Land zur De-Industrialisierung gezwungen wurde. 

Liberale meinen, dass sich der Staat auf seine Kernkompetenzen beschränken soll: auf die Dinge, die er besser machen kann als andere Akteure, oder für die man die Autorität und Legitimität der Staatsgewalt braucht. Dazu gehört vor allem die Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit. Ob und wie die Regierung dabei die Kommunikation ihrer eigenen oder fremder Bürger heimlich oder offen überwachen darf, darüber kann man streiten.  Aber die Vorratsdatenspeicherung etwa als Ausdruck von „Hysterie“ darzustellen, halte ich für unverantwortlich.

Ich bin der Letzte, der das wahllose Sammeln von Daten gutheißen würde, auch unter Effektivitätsgesichtspunkten; aber man kann nicht oft genug darauf hinweisen, dass die Geschichte der westlichen Geheimdienste und speziell jener der USA in diesem Jahrhundert (und in dem davor) nicht die der totalen Überwachung und Kontrolle, sondern in erster Linie die einer gefährlichen Ahnungslosigkeit ist: Von 9/11 bis zum Anschlag auf den Bostoner Marathonlauf; von den Fehlinformationen über Saddam Husseins angebliche Massenvernichtungswaffen bis zur völligen Überraschung durch Wladimir Putins Überfall auf die Krim. Aber natürlich haben auch andere Dienste versagt; man denke an die Anschläge Serhane Ben Abdelmajids und seiner Mittäter auf  Madrider Vorortszüge 2004, Mohammed Sidique Khans und seiner Komplizen auf Londoner U-Bahnzüge und einen Bus 2005, Dschihad Hamads und seiner Leute auf den Kölner Hauptbahnhof 2006, der nur zufällig fehlschlug, Anders Breiviks in Oslo und auf Utoya 2011. Wenn zwei Menschen mit Pässen, die als gestohlen gemeldet wurden, an Bord eines Flugzeugs gelangen können, sind wir sehr weit vom „gläsernen Bürger“ entfernt. Vom Totalversagen von Verfassungsschutz und BKA in Sachen NSU-Mordserie ganz zu schweigen.  Herr Schulz sollte vielleicht mit den Angehörigen der Opfer dieser deutschen Islamhasser reden und sie fragen, ob sie das Gefühl haben, in einem Staat zu leben, in dem es eine „hysterische Überhöhung der Sicherheit“ gibt.

 

Wenn Schulz „im Bereich der Datensammlung, -speicherung und -weitergabe rechtliche Pflöcke einschlagen“ will, „die klarstellen, dass die Privatheit eines jeden ein unveräußerliches Grundrecht ist, und einen etwaigen Missbrauch eindeutig sanktionieren“, so ist dagegen nichts zu sagen. Hier hat Lindner natürlich Recht, wenn er fragt, warum das nicht längst geschehen ist. So mancher „Steuersünder“, dessen Selbstanzeige an die Medien durchgestochen, oder zu dessen Verhaftung die Staatsanwälte gleich die Medien mitbrachte, könnte außerdem fragen, wieso man ausgerechnet diesem Staat den Schutz des Grundrechts auf  Privatheit anvertrauen sollte. Von Sebastian Edathy ganz zu schweigen.

Wenn Schulz schließlich „durch eine kluge Wirtschaftspolitik sicherstellen“ will, „dass wir in Europa technologischen Anschluss halten, damit wir aus der Abhängigkeit und Kontrolle der heutigen digitalen Großmächte befreit werden, unabhängig davon, ob es sich dabei um Nationalstaaten oder globale Konzerne handelt“, so muss man erstens fragen: Was ist aus dem staatlich mit Unsummen geförderten „französischen Internet“ Minitel geworden? Aus der italienischen Computerfirma Olivetti? Aus der finnischen Handy-Firma Nokia? Aus den Computer- und Handyträumen von Siemens?

Und zweitens: Warum sitzen die meisten digitalen Großmächte in den USA? Microsoft, Google, Facebook, Amazon, Apple und Co. sind ja nicht durch „eine kluge Wirtschaftspolitik“ der US-Regierung entstanden. (Und SAP nicht durch eine „kluge Wirtschaftspolitik“ der Bundesregierung.) Solche Firmen entstehen und gedeihen in einem Umfeld, das Innovation und Unternehmertum fördert und bewundert, Scheitern nicht als Schande stigmatisiert, ausreichend Venture Capital generiert, lieber weniger als mehr reguliert – und nicht zurückblickt ins 19. Jahrhundert, wenn es um Handlungsanweisungen für die Gegenwart geht, wie es Martin Schulz tut.

 

Mit einem Wort: Die USA sind eine digitale Großmacht, weil sie eine kapitalistische Großmacht sind. Und sie sind eine kapitalistische Großmacht, weil die Amerikaner auf den Markt setzen und auf technische Neuerungen nicht mit Horrorvisionen ihrer Pervertierung reagieren. (Das überlassen sie Hollywood, wo auch daraus dann Geld gemacht wird.) Weil sie nicht vor allem Gefahren und Regulierungsbedarf sondern Chancen und Freiheitsoptionen sehen.

Kurzum, weil sie ganz anders ticken als der Sozialdemokrat Martin Schulz und das kulturpessimistisch grundierte Feuilleton der FAZ.

 

 

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107 Gedanken zu “Martin Schulz und der technologische Totalitarismus;”

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    Lieber Klaus Nick,

    wenn Alan Posener schreibt:

    @ Klaus J. Nick: So isses.

    So isses leider nicht.

    Mal ehrlich finden Sie es gut, das Sie in London permanent rund um die Uhr von Kameras überwacht werden?

    Finden Sie es gut, dass die Datenspeicherung in Ihrem Auto von 2013 sämtliche Wege aufzeichnet..

    so z.B. den Besuch einer Spielbank in Baden-Baden oder den Besuch eines Bordells 🙂

    Sie haben sicherlich damit recht, dass Sie manchmal “ entmündigt “ werden (mit Ihrer Zustimmung) aber haben Sie auch Ihre Zustimmung gegeben, dass Ihre Daten eines Smart-Meters (sofern Sie ein Gerät haben) genauso analysieren wann Sie z. B. Ihr TV nutzen?

    Ich weiß Sie haben nichts zu verbergen, man findet Sie auch im Web (falls Sie kein Alias haben)

    Wenn ich Ihren Wohnort und Ihre Straße im Netz finden sollten könnte ich auch feststellen, welchen scoring Sie bei der Schufa haben und danach Rückschlüsse daraufziehen, dass Sie u.U. 2% mehr Kreditzinsen zahlen müßten, als wenn Sie z.B. in Köln-Rodenkirchen oder in Bad Homburg wohnen.

    Die Computerlinguistik hat sich schon sehr weit entwickelt:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Sentiment_Detection

    Daher: So isses!!

  2. avatar

    Lieber Herr Posener,

    was das “ Sicherheitsrisiko “ betrifft sehe ich das Problem ein wenig differenzierter als Sie.

    Daher habe ich auch die Veröffentlichung der ETH hier veröffentlicht.

    http://www.soms.ethz.ch/nature12047

    Was den gläsernen Menschen, den Sie hier und auch Herr Nick in Abrede stellen, betrifft.. die Methoden via Web und externer Datenbank das Konsumverhalten des Menschen zu steuern ist in der Realität des Alltags leider weiter als bei einer oberflächlichen Betrachtung. Mein Beispiel von i-beacon und auch der Einsatz von “ sensoren “ in unserer Gesellschaft weist auf die “ Gefahren “ , die uns zukündtig erwarten.

    Wenn Fernseher (wir beide habe bereits einmal dieses Thema diskutiert) mittlerweile mit Sensoren ausgestattet sind, die automatisch auf eine Webplattform Ihren TV Konsum verfolgen, und daraus Auswertungen vornehmen.

    Das Internet der Dinge :

    http://de.wikipedia.org/wiki/Internet_der_Dinge

    führt letztlich dazu, dass unsere Privatsphäre zunehmend öffentlich wird.

    Siehe auch:

    https://www.boell.de/sites/default/files/2011-04-public_life.pdf

    Ihre Veröffentlichung von:

    „Ich besuche die Website von “Holz Connection”, weil ich mit dem Gedanken spiele, den Laden mit dem Bau eines Regals in meinem Arbeitszimmer zu beauftragen, und prompt ploppt hier auf SM (oder war es Facebook?) eine Anzeige von Holz Connection auf. Eher verlorene Liebesmühe: Holz Connection wollte 750 Euro plus 150 für Lieferung und Montage; bei Ikea bekam ich eine passende “Billy”-Kombination samt Lieferung und Montage für unter 300 Euro. So “gläsern” bin ich also auch nicht…“

    wird zukünftig auch in Ihr “ Kundenprofil “ eingegeben.

    Sie werden zunehmend gläsern!!!

    Wenn ich es noch in Eriunnerung habe, verfügen Sie über ein altes Auto (> 10 Jahre)

    Was ist wohl wenn Sie heute ein Auto kaufen???

    Sämtliche anfallende Daten können (oder werden bereits) gespeichert werden!!!

    Und wemm gehören diese Daten, dem Hersteller oder Ihnen??

    Ich versuche hier keine Panik zu machen, aber wenn es uns nicht gelingt, hier “ Rahmenbedingungen “ aufzustellen was mit Informationen geschieht, dann geraten wir zukünftig in Bereiche, die wir nicht mehr mit den herkömmlichen Mitteln meistern können.

    Nehmen Sie das Beispiel der bitcoins hier ist ein Finanzmarkt entstanden, der sich der Aufsicht der Zentralbanken komplett entzieht.

    Ihrer, in meinen Augen, etwas “ naive Zuversicht “ dass wir mit der herkömmlichen Werkzeuge unsere
    “ ökonomischen Entwicklungen “ steuern können,kann ich leider nicht folgen.

    Eine Lösung habe ich auch nicht auf dem Schreibtisch liegen.

    Daher nur zur Wiederholung das Interview mit
    Berners-Lee

    http://www.theguardian.com/com…..cat-videos

  3. avatar

    @KJN: In ein Restaurant werde ich nicht hineingetragen, sondern gehe da freiwillig hin. Dann kommt der Kellner und fragt mich – was nicht abwegig ist, weil ich in seinem Restaurant sitze – was ich wohl haben will. Dann bestelle ich mir mein Steak. Das ist ein Unterschied.

    Im Internet werde ich mit Werbung geradezu überschüttet, ohne dass ich die geringste Nachfrage signalisiert habe. Es werden Bedürfnisse geweckt, die nie vorhanden waren und die ich auch gar nicht geweckt haben will, damit ich irgendjemanden mein Geld gebe. Da wird der letzte Cent herausgewrungen, das ist fast schon Fracking. Wenn ich in Google „Babysachen“ eingebe, erscheinen automatisch die dazu passenden Anzeigen; wenn ich Ihnen dann eine Email schicke, erhalten auch Sie diese Anzeigen. Das ist ein Unterschied.

    Meinen Sie, dass der Ausdruck „gläserner Konsumbürger“ übertrieben oder unpassend ist? Was würden Sie denn an seine Stelle setzen? Den mündigen Bürger? Das wäre sehr schön, aber in der digitalen Welt sind wir nicht mündig. Auch ein Kind glaubt, mündig zu sein. In der digitalen Welt sind wir „gläsern“, ohne je gefragt worden zu sein. Die NSA (Sie können auch andere „Macher“ nehmen, wenn Ihnen das zu antiamerikanisch ist) ist dagegen überhaupt nicht gläsern. Aber auch in der NSA sitzen Bürger wie wir. Ein krasses Missverhältnis. Snowden hat die Tür einen Spalt breit aufgemacht, damit wir einen Blick werfen; Herr Posener findet es furchtbar, dass nun alle gucken können; er hätte lieber nicht hingesehen. Aber an den Einsichten, die man früher als Paranoia abtun konnte, kommt man jetzt nicht mehr vorbei. Sie sind im digitalen Gedächtnis abgespeichert.

    Der „gläserne Konsumbürger“ ist nicht das, was ich mir unter einem mündigen, in seinen Entscheidungen freien, unberechenbaren, selbstbestimmten Menschen vorstelle. Wenn es ihn nicht gäbe, das wäre toll! Aber ich teile diesen Optimismus nicht. Wenn ich mir die Leute auf der Straße und das dazugehörige Fernsehprogramm angucke, dann denke ich schon, dass es ihn gibt, diesen „gläsernen Konsumbürger“.

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    @Lucas: kurz nur zu „sozial“: Sie haben formal nicht unrecht: „Das Adjektiv sozial, von französisch social und lateinisch socialis ist ein Synonym zu „gesellschaftlich“ und im erweiterten Sinn zu „gemeinnützig, hilfsbereit, barmherzig“.“

    http://de.wikipedia.org/wiki/Sozial

    Ich meine „sozial“ in diesem erweiterten Sinn. In Ihrem Sinn ist auch die Mafia sozial, denn sie ist ein gesellschaftliches Phänomen. Wenn aber alles sozial ist, was in der Gesellschaft tätig ist, hat es keinen Sinn mehr, von sozialer Bewegung zu sprechen.

    @Stevanovic/Alan Posener: Ich meine keine Verschwörung. Zunächst einmal glaube ich, dass die Statements der Google- und Facebookchefs in erster Linie Marketing sind. Sie wollen verlorenes Kundenvertrauen wiederherstellen. Aber selbt wenn sie die ernsthafte Absicht haben würden, die Arbeit der Geheimdienste ihres Staates wirkungsvoll zu blockieren, dann wird ihnen dies nicht gelingen. Auch diese Erkenntnis haben wir Snowden zu verdanken.

    Nochmal zur digitalen Freiheit: Wir haben nicht die Möglichkeit, ungespeichert und unvernetzt, d.h. gesichert-privat im Internet herumzusurfen. Das ist keine Frage des Wollens von irgendjemanden, sondern eine Konsequenz der Technik. Es ist vergleichbar mit der Tatsache, dass es keine Möglichkeit gibt, aus dem Haus zu treten, ohne gesehen werden zu können. Selbst in der hintersten Wildnis könnte jemand hinter dem Baum stehen und gucken. Das ist ein Prinzip. Wir können nicht sicher sein, dass niemand da ist. Eine Freiheit, die uns vor Blicken schützt, wäre eine Tarnkappe, aber die gibt es nicht. Im Internet ist es genauo: auch hier gibt es keine Tarnkappe. Auch die beste Verschlüsselung lässt sich mithilfe eines passenden Schlüssels entschlüsseln.

    Obwohl das so ist, empfinden wir uns nicht als unfrei, wenn wir die Straße betreten. Oft sogar im Gegenteil. Und genau dieses Empfinden und die dazugehörigen Strategien müssen wir auf das Internet übertragen, um sozusagen digital frei sein zu können. Auf die Straße gehen wir nicht nackt, um die Blicke nicht auf uns zu ziehen. Wir geben uns mehr oder weniger unauffällig. Genauso können wir es auch im Internet machen. Aber wenn wir auffällig sein wollen – wie die Punks auf der Straße – so steht uns auch diese Möglichkeit offen. In diesen unterschiedlichen Möglichkeiten, uns in der digitalen Welt zu bewegen, liegt unsere Freiheit. Mehr ist nicht drin.

    Die Einrichtung abgeschotteter, nationaler Netze bieten ebenfalls keine sichere Privatsphäre, sondern legen die Hürden für die NSA nur höher, ihre Einrichtung wäre sehr teuer, sie würden den globalen Informationsaustausch, d.h. den zentralen Zweck des Internet, behindern und sie erzeugen die Bedrohung der Manipulation „von innen“, was gegenüber der Überwachung „von außen“ nicht besser ist. Derzeit scheint es vor allem die NSA zu sein, die auswertet, aber wenn man die aussperrt, rückt ein anderer Dienst an seine Stelle. Dieses Argument halte ich für sehr stark, weshalb ich gegen die Einrichtung nationaler Netze bin.

  5. avatar

    @ Klaus J. Nick: So isses.
    Ich besuche die Website von „Holz Connection“, weil ich mit dem Gedanken spiele, den Laden mit dem Bau eines Regals in meinem Arbeitszimmer zu beauftragen, und prompt ploppt hier auf SM (oder war es Facebook?) eine Anzeige von Holz Connection auf. Eher verlorene Liebesmühe: Holz Connection wollte 750 Euro plus 150 für Lieferung und Montage; bei Ikea bekam ich eine passende „Billy“-Kombination samt Lieferung und Montage für unter 300 Euro. So „gläsern“ bin ich also auch nicht…
    @ Moritz Berger:
    Das mit dem Sicherheitsrisiko sehe ich ähnlich und habe es vor Monaten in der „Welt“ geschrieben, weshalb ich mich über manche Unterstellungen hier auf „SM“ wundere:
    http://www.welt.de/debatte/kom.....assen.html
    Die „größeren Gefahren“ sehe ich nach wie vor in Staaten, die keine „checks & balances“ kennen, die Medien zensieren, offensichtlich auch zum Abhören von Telefonaten in der Lage sind, und keine Scheu vor der Anwendung von Gewalt zur durchsetzung ihrer Ziele haben; in quasi-totalitären Terror-Gruppen islamischer Prägung; und in jenen Gruppen und Personen, die hierzulande den ideologischen Backlash gegen den Islam, Europa und den Kosmopolitismus repräsentieren.

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    Ich darf das mal herausgreifen..

    „“der gläserne Konsumbürger”: dieser Ausdruck meint die Entmündigung des Menschen. Wenn es einen “Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit” gibt, dann gibt es auch einen Eingang des Menschen in seine selbstverschuldete Unmündigkeit. Aufklärung ist keine Einbahnstraße.“

    ..lieber Roland Ziegler: Wenn ein in einem besseren Restauraunt auf Beflissenheit getrimmter Kellner versucht, meine Bedürfnisse zu ‚durchleuchten‘ in dem er danach fragt, ob ich das Steak ‚blutig‘, ‚englisch‘, ‚medium‘, oder ‚durch‘ mag (wobei mir zum Schrecken der Küche nur ‚doppel-durch-Schuhsohle-ich-kaue-auch-gerne‘ einfällt, weil ich kein Blut sehen kann), bin ich schlimmstenfalls genervt, aber nicht entmündigt, sondern das Gegenteil – ich darf, bzw. werde geradezu genötigt – zu entscheiden. Nichts anderes versucht die Google-Werbeindustrie, mit der Absicht, die Werbekosten der Abonnenten zu minimieren, nichts sonst. (Da ich manchmal entmündigt werden möchte , weil ich nicht entscheiden möchte und erwarte etwas genormtes vorgesetzt zu bekommen, gehe ich schon mal zu McDonald’s oder Burger King oder bleibe an einer roten Fußgängerampel, die ich in dem Moment als staatliche Serviceleistung akzeptiere, stehen.)
    Google ist KEINE Behörde! Ich kann verstehen, daß wir Deutsche uns vor dem Datensammeln fürchten. Aber wieso gibt es dann keine Initiative z.B. gegen die Meldepflicht. Verzeihen Sie mir meinen Sarkasmus, aber ich sehe Martin Schulzes Einlassungen als typische Angstmache zur Rechtfertigung der idiotischen Initiativen (Existenzberechtigung) der (jetzigen) Sozialdemokratie, denn ein Wirtschaftszweig, der was von mir wissen will, ist eine ganz andere Instanz, als eine staatliche Institution mit Gewaltmonopol (.. und eine NSA kann schlimmstenfalls meine Einreise in die USA verhindern).

    Hier werden Dinge (bewusst?) durcheinander geworfen.

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    Lieber Herr Posener,

    ob S I E den totalen Konsum wollen oder nicht, spielt doch bei der Fokussierung der Unternehmen auf Wachstumsraten letztlich keine Rolle.

    Tatsache ist, dass die Menge an Informationen, die mittlerweile in den Datenbanken über Kunden lagern, bzw. die in real-time erhoben werden (Einbau von Sensoren in den Einkaufzentrum zur Erfassung des Kundenverhaltens:

    http://en.wikipedia.org/wiki/IBeacon

    http://www.heise.de/mac-and-i/.....40610.html

    Steilvorlagen für einen zielgenauen totalen Konsum liefern.

    Was die “ Fortschritte “ in der IT Technologie betrifft, da sind wir wahrscheinlich nur die Hasen, analog der Fabel vom Igel und dem Hasen.

    Während die industrielle Revolution eine mehr oder weniger Jahrhundert lange Entwicklungszeit gehabt hat, ist die digitale Revolution (aus meiner Sicht beginnend mit der Massenberbreitung von PC´s und der Einführung des Netzes) bislang ein Prozess von gerade einmal knapp 20 Jahren gewesen.

    Das i-phone ist gerade einmal 6,5 Jahre alt.

    Ob wir tatsächlich noch in der Lage sind die Auswirkungen der Digitalisierung unserer Welt realistisch einzuschätzen, mag ich bezweifeln. Die Risiken der “ zentalisierten Digitalisierung “ steigen “ exponential.

    Ich habe es bei meinem Besuch in Berlin vor zwei Wochen erlebt, dass die Kassen von Supermärkten für 2 Stunden kenne Kreditkarten mehr angenommen hatten. Das Netz war zusammengebrochen.

    Wir sind mittlerweile so abhängig von den täglichen Digitalisierungsprozessen,dass die Gefahr eine Informationsgaus besteht.

    Ob dere von Ihnen soviel gerühmte Liberalismus hier via supply and demand Abhilfe schaffen kann, mag ich bezweifeln.

    Auch staatliche Eingriffe á la Martin Schulz sind m.E. nicht mehr möglich.

    Pragmatische Ansätze einer Veränderung und einer Bewältigung der aufkommenden Probleme unserer digitalen Gesellschaft finden sich im bereits erwähnten Artikel von Berners-Lee

    http://www.theguardian.com/com…..cat-videos

    Am Donnerstag mehr praktische Erkenntmisse von der Cebit

  8. avatar

    Lieber Herr Posener,

    „Dass ein Edward Snowden in den Besitz so vieler Geheimnisse gelangen konnte, ist eine Katastrophe. “

    Dies aus meiner Sicht eine Katastrophe, dass ein Unternehmen wie die NSA, deren Fovus auf Sicherheit ausgerichtet ist, eine Institution ist, die noch nicht einmal intern die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen einhält die in einem
    “ dörflichen Rechenzentrum “ in Hintertupfing zum Standard gehören.

    Und wo sehen Sie die größeren Gefahren??

    „Aber die größeren Gefahren sehe ich woanders“

  9. avatar

    Lieber EJ

    nicht aus der Bütt sondern kurz von der Cebit:

    „Neoliberalismus ist die Bezeichnung für eine breite und heterogene Strömung, zu der die Freiburger Schule (Ordoliberalismus) und die Chicagoer Schule, aber auch Vertreter der Österreichischen Schule wie Friedrich von Hayek gerechnet werden, obwohl die Abgrenzung der einzelnen Schulen und die Zuordnung einzelner Personen strittig ist.“

    „In den 1970er Jahren wurde der Ausdruck Neoliberalismus wieder aufgegriffen und erfuhr einen Bedeutungswandel. Oppositionelle Wissenschaftler in Chile benutzten ihn mit negativer Konnotation und kritisierten damit die von den Ideen der Chicagoer Schule sowie Friedrich August von Hayek beeinflussten radikalen Reformen durch die Chicago Boys. Von hier aus verbreitete sich die neue Wortbedeutung in die angelsächsische Welt.[11] Heute wird das Wort Neoliberalismus von Wissenschaftlern vorwiegend als negative Fremdbezeichnung von „Marktfundamentalismus“ verwendet,[12] nicht selten im Zusammenhang mit der New Right und der damit verbundenen Wirtschaftspolitik Ronald Reagans und Margaret Thatchers.[13]“

    Das der Ordoliberalismus à la Freiburger Schule etwas anderes ist als der Boeloberalisnus von Milton friedman und von Hayek dürfte unserem Blogherrn doch sicherlich bekannt sein.

    Und Reagan und Thatcher etwas andere Neoliberale sind als der Ordoliberale Ludwig Erhard, dürfte ihm auch bekannt sein… wie auch der Begriff soziale Marktwirtschaft.

    Und was die Chicaho boy in Chile angerichtet haben, lüßte er uns doch sicherlich aus seiner Studentenzeit hier als Zeitzeugen berichten können.

    Und lieber Herr Posener,

    hier etwas über die Zukunft des Internet von ihrem Briten:

    http://www.huffingtonpost.de/2.....echnologie

    und hier der O-Ton aus dem Guardian:

    http://www.theguardian.com/com.....cat-videos

    Alaaf, Helau

    🙂

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    @Stevanovic
    die Gefahr eines Hugenbergs geht aber nicht von den Netzgiganten, sondern eher von Spiegel, der ein Leistungsschutzrecht fordert, statt wie Springer in Zusammenarbeit mit Google (ich glaube da war mal was, vielleicht irre ich mich auch) neue Geschäftsmodelle zu entwickeln oder Leuten wie Martin Schulz aus, der mehr Staat will und damit ganz ausversehen Blogger verbietet (ok, das ist vielleicht übertrieben).
    Zudem ist es einfacher denn je neue Unternehmen zu gründen, die es besser machen als die alten.
    Aber falls doch mal ein Unternehmen seine Macht über alle Maßen nutzen sollte, gibt es wie sie sagen Kartellrecht, etc..

    @Alan Posener
    ich lese gerade, sie schreiben es selbst 🙂 Martin Schulz‘ ist kein Marxist. Er will jeglichen Handel staatlich regulieren („Datenmarkt regulieren“) und damit dem Staat unterwerfen um sie vor einem Wandel in eine „anti-soziale […] Gesellschaft“ zu schützen, sieht dabei aber nicht, dass Menschen, wenn die von Stevanovic genannten Bedingungen erfüllt sind, sehr gut ohne weiteren Staat handeln können.

  11. avatar

    Habe gerade Lindner gelesen.

    Zwei Dinge fallen mir auf:
    Das Erste: Unsere Daten sind unser Eigentum. Das ist philosophisch vielleicht richtig, aber doch vollkommen utopisch. Es geht ja nicht mehr um eine Schulakte, meine Daten sind mittlerweile eine Art Schatten, den ich werfe. Der ist von mir aus mein Eigentum – aber Eigentum passt hier nicht so richtig. Nicht die Daten gehören geschützt, es ist der Bürger. Deswegen wäre es nicht schlecht, sich vom Denkmodel Daten=Eigentum zu lösen.

    Oh, habe gerade die Welt gelesen. Posener: Daten sind nicht Privateigentum.

    Lindner: Ein erster Meilenstein wäre diesbezüglich die europäische Datenschutzgrundverordnung.

    Zweitens: Naja, eigentlich nicht. Nicht der Schutz der Daten sollte im Vordergrund stehen. Denn (Lindner):
    Denn im Informationszeitalter, dessen Beginn wir gerade erleben, überschreitet das technisch Mögliche schnell das politisch und moralisch Gebotene.

    Mit der Datenschutzgrundverordnung…passiert genau das.

    Ich habe noch keine Richtige Idee, mein Ansatz wäre den Bürger und nicht seine Daten zu schützen (weil das schlicht nicht geht). Eher Persönlichkeits als Eigentumsschutz.Ein Ansatz wäre Menschenwürde. Vorschläge?

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    @Roland Ziegler
    – zu Rechten gehören auch Pflichten. Der Arbeitsplatz mit dem guten Gehalt ist meistens mit der Pflicht zur Nutzung neuer Technologien verbunden. Das ist aber ein „Problem“ des Kapitalismus. Ich sehe es nicht als Problem. Es ermöglicht im Gegenteil mehr Freiheit, denn wenn ich mal einen Brief schreiben will, kann ich das trotzdem. Wenn mir jetzt von staatlichem Bürokratismus vorgeschrieben würde Briefe zu nutzen, müsste ich dies immer, auch wenn Absender und Empfänger auf Briefe verzichten wollten und könnten. Privater wie staatlicher Bürokratismus zwingt mich dazu auf sein Niveau abzusinken. In einem freien Markt habe ich aber die Wahl, ich kann amazon statt Tante Emma wählen, wenn mir Tante Emma zu bürokratisch ist, oder ich bleibe bei Tante Emma weil die Atmossphäre alles überwiegt.
    Einschränkung kann darin bestehen, dass Tante Emmas Laden zu wenige genutzt haben und sie nun bankrott ist, weil sie ihren Laden nicht entsprechend verkleinert hat, hier Skaleneffekte eine Rolle spielen (Tante Emma braucht einen Mindestumsatz um ihren Laden profitabel betreiben zu können. Skaleneffekte sinken durch die technologische Entwicklung, als Teil der allgemeinen Entwicklung; Tante Emma kann ihre besondere Marmelade im Internet vertreiben und gewinnt so vielleicht mehr Kunden als zuvor) oder einfach niemand mehr bei ihr einkaufen wollte.
    – Warum nivelliere ich jeden gesellschaftlichen Unterschied wenn ich sozial=gesellschaftlich setze? Sozial ist ein Synonym zu gesellschaftlich.
    – Wenn jemand – mit 150 Millionen meinen sie wohl Hoeneß – Geld investiert, also spekuliert, kann er das tun, er ist Eigentümer oder hat den Auftrag dazu. Zudem ist das Kapital bei einem Verlust nicht weg, es hat nur jemand anderes. Dieser jemand zahlt für Dienstleistungen des Staates Steuern auf seinen Gewinn.
    Spekulation ist zudem volkswirtschaftlich sinnvoll, von Marktteilnehmern werden unternehmerische Risiken übernommen, sie bieten quasi eine Versicherung, dafür werden sie je nach Ausgang entweder bestraft oder belohnt. Auch hier führt Verantwortung, also Pflicht zu Recht.
    – Wir alle profitieren von Entwicklung, auch wenn dabei Einzelne sehr reich werden. Durch Entwicklung und Entfaltung der Produktivkräfte und nicht durch Bürokratismus sind Informationen, Wasser, Transport, Strom, Essen, Gesundheitsversorgung (bei den letzten vier werden wir vermutlich in den nächsten Jahren wieder durch Entwicklung einen enormen Schub erleben) so günstig wie nie zuvor. Wobei es stimmt, dass dies der Markt teilweise noch nicht selbst konnte oder kann, weil z.B. Bewertungsportale nicht günstig vorhanden waren, weil es das Internet noch garnicht gab. Heute ist es aber so, dass der Markt in vielen Fällen bessere Lösungen hervorbringt und der Bürokratismus den Kapitalismus gefährdet und ihn negativ aufzuheben droht. Denn ich brauche keinen Papi-Staat der Google vorschreibt mir auch wirklich jedes auch noch so überhaupt nicht zu mir passende Ergebnis anzuzeigen. Ich habe die Freiheit duckduckgo oder Google ohne Cookies, per VPN, über eine verschlüsselte Verbindung zu nutzen, damit sie auch wirklich nichtmehr wissen, dass ich es bin, der gerade bei ihnen sucht. Dies erfordert kritisches Denken, aber gerade das verhindert Martin Schulz eher, sonst würde er nicht fordern den Verantwortungsbereich des Staates zu erweitern und damit die Verantwortungslosigkeit zu fördern und Selbstverantwortung zu verhindern.
    Trotzdem oder gerade weil in China Reichtum erlaubt wurde, sind dort in den letzten 40 Jahren hunderte Millionen Menschen aus bitterster Armut aufgestiegen (Milton Friedman, DER Vertreter des Neoliberalismus hat dies schon in den 1970ern erkannt und deshalb die Öffnung Chinas begrüßt). Deshalb der Hinweis auf die verlinkte Studie.

    @Stevanovic
    Diese Freiheit haben sie. Sie müssen nur eine einsame Hütte im Wald kaufen 🙂 Mit ein bisschen Kreativität kriegen sie es dann auch hin Pornos mit gesprengten Kindern zu verbreiten. Dies haben wie Alan Posener im Artikel schrieb, trotz Überwachung viele hingekriegt. Wenn sie wollen, können sie auch ein relativ stark anonymisiertes (TOR) Pseudonym (ausdenken, Telefonbuch aufschlagen) verwenden, um hier zu schreiben. Wenn das viele machten, würden sie im Rauschen untergehen. Sorgen über Speicherung müssten sie sich dann weniger machen. 🙂

    So neu ist das übrigens alles auch nicht, die Technologie Mundpropaganda gab es früher schon.

    Das mit dem WLAN zur Innenraumüberwachung lässt sich lösen indem man Häuser mit Draht in der Wand und in den Fenstern baut, dann kann keiner mehr „reingucken“ 🙂

    Aber das ist ja nur wieder alles doofer Solutionismus. Und was ist Bürokratismus oder mehr Staat?!

    @Alan Posener
    Manche Kommentare haben vielleicht nicht direkt etwas mit dem Thema zu tun, da aber Technologie alle Lebensbereiche betrifft, kann man darüber nur so diskutieren, sonst landet man wie Martin Schulz bei einer verkürzten Kritik des Kapitalismus, der Technologie, des Staates und der Bürokratie (letzten beiden werden eigentlich garnicht von ihm kritisiert). Denn er will das unmögliche schaffen: weniger mit mehr Bürokratismus.

    China und Russland sind in der Lage digitale Großmächte hervorzubringen: Baidu, Yandex, Alibaba, Tencent, Renren, Youku, Sina mit Weibo, RBC Informations Systems.
    Unabhängig davon oder vielleicht gerade deshalb betreiben sie einen digitalen Protektionismus.

    Was ist der totale Konsum?

    Zu ihrem neuen Artikel auf welt.de: veröffentlichen sie ihre Einkommenssteuererklärung? :))

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    @Posener

    Wäre ohne Snowden und die linken Spinner so nicht passiert. Persönliche Daten basieren auf Vertrauen. Die Zusammenarbeit hat das Geschäftsmodel gestört. Bin mir nicht sicher, aber nennenswerter Wiederstand als die Sache noch nicht publik war, kam nur von Yahoo. Solange die Unternehmen auf unser Vertrauen angewiesen sind, mache ich mir um Facebook & Co weniger Sorgen. Nur, Snowden war ein Fehler im System, was das Vertrauen in das System nicht gesteigert hat. Letztlich hat das amerikanische Parlament auch geschlafen. Die holen mächtig auf – nur wer will schon auf Verräter in den eigenen Reihen setzen?

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    @Ziegler

    Was sie beschreiben, ist wenn Staat und Unternehmer sich gegen die Bürger verschwören. Dafür sollte es ja die parlamentarische Kontrolle geben. Die ist von der NSA unterlaufen worden. Zumindest in den USA versucht man, diese Entwicklung wieder einzufangen. Ich hatte den Eindruck, dass Herr Posener diese Entwicklung vollkommen unterschätzt. In einem Punkt hat er aber Recht: die NSA ist Staat. Unser Verfassungsschutz ist Staat. Damit bleiben wir bei der parlamentarischen Kontrolle hängen. Ohne die funktioniert das nicht. Haben sie das Gefühl, der Bundestag wird dieser Aufgabe gerecht? NSU? Ich nicht – deswegen spreche ich lieber von einer Krise des Parlamentarismus und weniger von Facebook.

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    „Und zwar unabhängig von der Verfasstheit der Wirtschaft und des Staates.“

    Ein undigitalisiertes Leben ist nun genauso unmöglich, wie ein Leben vor dem Buchdruck. Oder vor der Eisenverhüttung. Da sind wir uns (hoffe ich) alle einig. Gegen Digitalisierung sein, ist in etwa wie der Kampf gegen Ebbe und Flut.

    Digital bedeutet elektronische Daten-Verarbeitung. Elektronik braucht Energie, Elektrizität wird von jemand hergestellt – irgendjemand muss also dafür bezahlen. Damit ist jeder Kontakt mit der Digitalisierung auch ein ökonomischer zu diesem jemand. Ohne Ökonomie keine Digitalisierung, wo Digitalisierung, da Ökonomie. Die Ökonomisierung ist die gleiche Flut, wie die Digitalisierung. So viel bilde ich mir ein, verstanden zu haben.

    Damit fallen Modelle, sich nur auf das Gewissen der Unternehmer zu verlassen, flach. Wir haben ja Erfahrungen mit Hugenberg, Flick, Vögler und Krupp gemacht. Nicht jeder ist Soros, Gates oder Zuckerberg. Ohne Staat, wird der Unternehmer zum Dieb, deswegen ja zB Kartellrecht.

    Ein staatliches Netz ist keine Alternative – Iran lässt grüßen. Wer Angst vor einem neuem Hugenberg hat, sollte Göbels nicht vergessen.

    Nehmt den Burgenbau in Europa. Der war nicht nur zum Schutz, der hat auch die Bauern ausgebeutet, aber auch zu einer Gesellschaft organisiert.Wollen wir größtmögliche Freiheit, werden wir den wischi-waschi Konsensweg der Zivilgesellschaft weitergehen müssen. Was ich als gekränkter Bürger gerne hätte, wäre wenigstens gefragt zu werden (Mittelschicht ADS). Aber das haben sie den Bauern 1158 auch nicht. Und so richtig schlecht lief die Sache ab da nun wirklich nicht.

    Keep you doped with religion and sex and TV

    And you think you’re so clever and classless and free

    But you’re still fucking peasants as far as I can see

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    „welche Elemente dazu notwendig gehören“

    Checks and Balances!

    Unternehmer, die für den Spaß sorgen indem sie überlegen, was sie uns andrehen können

    Staat für den Rahmen, damit nicht nur Unternehmer daran Spaß haben

    Verbraucherschutz durch NGO, die idealistischen Klugscheißer die dauernd Ärger machen

    Polizei/Geheimdienst für die Sicherheit, parlamentarische Kontrolle der Kontrolleure

    Bürger, die niemandem von den genannten blind vertrauen.

    Das ist doch ein alter Hut.

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    @Alan Posener: Sie haben mehrmals betont, dass Google, Facebook u. Co. die NSA angreifen würden. Was meinen Sie damit? Diese Firmen sind und bleiben Zulieferer der NSA; ob sie das selber sein wollen oder nicht, spielt keine Rolle. Man darf nicht die technlogische Kompetenz der NSA-Programmierer, aber auch der vergleichbaren russischen oder chinesischen Programmierer unterschätzen.

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    Der Punkt, den – so weit ich es sehe – nur Stevanovic bisher thematisiert hat („mein Nachbar hat W-LAN“), ist folgender: Die technologische Entwicklung bringt bestimmte Möglichkeiten – auch invasiver Art – mit sich. Und zwar unabhängig von der Verfasstheit der Wirtschaft und des Staates.
    (Das ist eine Verkürzung, das weiß ich, denn es ist eben kein Zufall, dass ein Brite, der an einer europäischen Einrichtung arbeitete, das Internet erfand, und dass es hauptsächlich amerikanische Privateunternehmen warne, die begriffen, wie diese Erfindung konsumentenfreundlich zu vermarkten war. Tun wir aber „for the sake of argument“ so, als wären Russland oder China fähig, Firmen wie Apple oder Microsft oder Google oder Facebook hervorzubringen.)
    Die Frage ist, und die hat sich Martin Schulz gestellt, wie gehen wir mit der stattfindenden digitalen Revolution um? Und da muss ich vor zu viel Staat warnen. Da ist einerseits die NSA, die – und das muss man betonen – inzwischen entschieden von Eric Schmitt, Zuckerberg und Co. angegriffen wird; da sind aber eben auch die Versuche Russlands, Chinas, des Iran usw., „nationale Netze“ zu schaffen und damit einen digitalen Protektionismus zu betreiben. Und zwar mit Verweis auf die NSA.
    Hierzu verliert Schulz leider kein Wort, weil er fixiert ist auf die angebliche Verbindung von Neoliberalismus und Sicherheitshysterie. Noch mal: Weder will ich den totalen Konsum, noch glaube ich an die totale Sicherheit. Dass ein Edward Snowden in den Besitz so vieler Geheimnisse gelangen konnte, ist eine Katastrophe. Aber die größeren Gefahren sehe ich woanders.
    Mehr dazu, wenn ich mich mit Christian Lindners Antwort auf Schulz befasse.

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    Zur Frage, ob es ein „Außerhalb des Kapitalismus“ gibt: Da gibt es jede Menge Dinge. Der Moment des Konsumierens befindet sich außerhalb des Kapitalismus. Auch die Lust am Geldvermehren befindet sich außerhalb des Kapitalismus. Sie werden zwar vom Kapitalismus systematisch genutzt, aber sind eine Lust, nichts weiter.

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    Wie könnte ein freies Leben in der digitalen Moderne aussehen, fragen Sie. Dazu muss man sich erstmal klarmachen, was die digitale Moderne überhaupt ist. Nach meiner Einschätzung handelt es sich um eine technologische Verbindung aus vielfach gespiegelter Speicherung und Vernetzung. Digitalisierte Daten werden gespeichert und vernetzt; dies passiert in jeder Hinsicht und auf allen Ebenen (von der Email über diesen Blog hier bis hin zur Einspeisung von Daten). Hier Mechanismen einzubauen, die z.B. dafür sorgen könnten, dass regelmäßige Löschungen der Bestände stattfinden, halte ich für aussichtslos, im Grunde sogar für ein technologisches Missverständnis. Stattdessen glaube ich, dass jeder Mensch einen Fußabdruck in der digitalen Welt hinterlässt, den er mit der Zeit verändern, aber nicht löschen kann. Dies muss man erstmal verstanden haben, um danach zu beurteilen, wo und wie hier Freiheit trotzdem möglich sein kann. Diese Eigenschaft der Technologie macht uns noch nicht unfrei. Auch die Gavitationskraft ist ähnlich unhintergehbar, macht uns aber ebenfalls nicht unfrei. Es kommt darauf an, was man damit anstellt. Transparenz ist hier äußerst wichtig, solange die Grundfunktionen der neuen Technologie noch nicht für jeden absehbar sind.

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    „Es ist sehr viel schwieriger, konkret zu sagen, wie ein freies, selbstbestimmtes Leben in der digitalen Moderne aussehen könnte, und welche Elemente dazu notwendig gehören.“

    Selbstbestimmtes Leben bedeutet für mich, einen unbeobachteten und nicht abgehörten Raum zu haben. Weder von NSA, SPD noch Facebook. Ja, so einen, in dem ich, wenn ich will, auch Kinder missbrauchen und Bomben bauen kann. Freiheit in der Digitalisierung ist ein Raum ohne Digitalisierung. Da meine Nachbarn W-Lan haben, nützen mir auch die Enzensberger-Tipps nichts. Mein erster Wunsch ist schon utopisch, weil er technisch nicht möglich ist. Das ist mit technologischem Totalitarismus gemeint.

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    @EJ/Alan Posener: Die Formel „Kapitalismus oder Freiheit“ markiert ja ein Extrem; es sagt nicht etwas Grundsätzliches, Notwendiges über alle Formen des Kapitalismus aus. Denn in den real existierenden Formen des Kapitalismus werden offenbar sehr unterschiedliche Grade individueller Freiheit erreicht, was ebenso offenbar mit der jeweiligen Geldverteilung zu tun hat.
    Das durch die Formel markierte Extrem wird erreicht bei der vollständigen Durchökonomisierung des Menschen, die übrigens nie wirklich stattfindet, da wir Menschen uns ständig und automatisch entziehen. Man muss überlegen, an welcher Stelle die „soziale Martkwirtschaft“, die nicht Unfreiheit bedeutet, umschlägt in den Neoliberalismus (der nach Herrn Posener ein Popanz ist; für ihn bedeutet Neoliberalismus eben gerade soziale Martkwirtschaft – ein begriffliches Problem).

    Die Stelle, an der die Unfreiheit erscheint, hat eine systematische Ursache, d.h. es muss eine Eigenschaft des Regelwerks geben, die für den Umschlag de rFreiheit in die Unfreiheit sorgt. Diese Stelle müsste man ausfindig machen und korrigieren, um die Freiheit zu behalten oder wenigstens zu ermöglichen. Ich fürchte, das geht nur über eine Korrektur der Geldverteilung (z.B. über einen Schulden- und Vermögenschnitt).

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    Lieber EJ. lieber RZ, es ist sehr leicht, in abstrakten Kastegorien zu schwadronieren: „Kapitalismus oder Freiheit“. Es ist sehr viel schwieriger, konkret zu sagen, wie ein freies, selbstbestimmtes Leben in der digitalen Moderne aussehen könnte, und welche Elemente dazu notwendig gehören. Vielleicht versuchen Sie das mal, dann werden Sie sehen, dass die Diskussion sofort weniger steril und sehr viel interesanter wird.

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    @ Roland Ziegler: China und Russland bieten wieder andere Spielarten des Kapitalismus.

    Mit Verlaub, lieber Roland, Sie verharmlosen. Und denken damit selbst schon in neoliberalen Kategorien.

    Es geht nicht um Spielarten des Kapitalismus, sondern um die Frage, ob es ein Außerhalb des Kapitalismus gibt. Ob und wie weit gibt es etwas, „Lebensbereiche“, neben oder sogar über dem Kapitalismus, die (legitimer- und/ oder sogar notwendigerweise) nach nicht-kapitalistischen Regeln organisiert oder zu organisieren sind. Sehr unterschiedliche „Bereiche“ kommen da in Frage. Religion z.B., aber auch Demokratie und Politik.

    Wenn z.B. Putin, aber auch etwa China oder der Iran usw., den Kapitalismus für ihre Politik problemlos instrumentalisieren können, sie wahrscheinlich nur deshalb Kapitalisten sind, weil sie so ihre politische Macht steigern können, uns aber der Kapitalismus handlungsunfähig macht (weil nach neoliberalem Glaubensbekenntnis politisch verursachte Kosten nicht im Entferntesten als Investition, sondern schlicht als Todsünde gelten), dann geht es nicht mehr um Spielarten des Kapitalismus, sondern (im Extrem) um unsere Freiheit.

    Der Neoliberalismus, und damit meine ich keineswegs nur „die bösen Kapitalisten“, sondern unser Denken (nahezu) ausschließlich in ökonomischen Kategorien, bedeutet unsere politische Selbst-Kastration und damit (im Extrem) unser Marsch in die Unfreiheit. – Darum und um nichts weniger geht es, lieber Roland, wenn wir über Neoliberalismus reden: (im Extrem) um Kapitalismus oder Freiheit.

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    Viele Reiche sagen, sie hätten ihre Güter wie kleine Götter autonom erwirtschaftet, und sähen gar nicht die Notwendigkeit, anders als gottähnlich, d.h. nach Gutdünken, davon abzugeben. Vielleicht sollte man ihnen stärker vor Augen führen, wie umfassend und tiefgreifend die gesellschaftlichen Bedingungen sind, die ihnen ihren Reichtum ermöglicht haben und ermöglichen.

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    @Lucas:
    – blinder Aktionismus ist Mist, klar. Nichts tun ist nach meiner Einschätzung in sehr vielen Fällen sowieso das beste. Unendlich viel Arbeit entsteht dadurch, dass man die Folgen der übertstürzten Arbeit anderer wieder ausbügeln muss. Aber es gibt trotzdem Fälle, in denen man was tun sollte.

    – Ich werde zu einer Nutzung der Technologie dann gezwungen, wenn ich am gesellschaflichen Leben teilhaben will. Oder muss, z.B. weil ich Kinder habe. Sie können in keiner Firma arbeiten, wenn Sie z.B. Einwände gegen einen Email-Account haben. Es gibt hier keine Wahlfreiheit; die Alternative besteht im Fundamentalausstieg.

    – nicht jede gesellschaftliche Bewegung ist eine soziale Bewegung. Der KuKluxKlan ist bezogen auf die Sozialität der Schwarzen nicht sozial, sondern ausgrenzend. Es sei denn, Sie setzen gesellschaftlich = sozial, aber dann nivellieren Sie jeden gesellschaftlichen Unterschied.

    – alles Mögliche muss nicht reguliert werden, aber alles Nötige. Was dazu gehört, darüber wird ja täglich debattiert. Die Höhe der Steuern muss z.B. reguliert werden. Die Frage, was Wirtschaftskriminalität ist. Oder wie und von wem der Libor festgesetzt wird.

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    Der Mensch ist ein soziales Wesen (zoon politicon), hat Aristoteles gesagt, und auf diesen Satz könnte man im Grunde die Idee der Sozialdemokratie aufbauen. Kein Baby kann sich zum Kind und weiter zum ausgebildeten Erwachsenen entwickeln, ohne durch ein enormes Maß an Kooperation, Hilfeleistungen usw. gestützt zu werden. Der Satz von Aristoteles ist, kurz gesagt, zutreffend.

    Nun kommt der Liberalismus und sagt: Wir Menschen würden unsere kleinteilig-egoistischen Interessen verfolgen, wie kleine unternehmerische Götter, und wir benötigten daher ein System, das diese egoistische Orientierung optimal und zum Wohle aller ausbeutet. Natürlich kann man auch das Aufwachsen eines Kindes und die Betreuungsleistungen der Eltern und des Staates irgendwie in dieses System einordnen: jeder tut sich selber den Gefallen, und wenn mir das Lächeln meines Kindes gefällt, dann helfe ich ihm eben. Rein egoistisch. Um meine Freude zu nähren.

    Ich halte diese Sicht für Quark, aber seis drum. Im Endeffekt führt der Wirtschaftsliberalismus dazu, dass jemand ein Spielgeldkonto von über 150 Millionen eröffnen kann, um damit nach Belieben zu spielen. Das ist sehr schön für ihn, ein netter Luxus, macht bestimmt Spaß, aber das Geld fehlt anderswo an allen Ecken und Enden, wo es Früchte tragen könnte, und es gibt anscheinend immer mehr dieser Jemands. Irgendwann wird man die Frage neu beantworten müssen, ob dieses Geldspiel nur ein unvermeidbarer Effekt, sozusagen ein Kollateralschaden eines ansonsten super funktionierenden Systems ist oder ob man das System mit ein paar Regeln ergänzen (bzw. vorhandene Regeln modifizieren) sollte, bevor es zusammenbricht. Denn die Aufrechterhaltung des Systems liegt auch im Interesse dieser Jemands (nicht nur der vielen Habenichtse und Niemands).

    In diesem Zusammenhang finde ich bemerkenswert, das es in Thailand offenbar schon Demonstrationen gibt, um den Habenichtsen das Wahlrecht zu entziehen. Weil die Habenichtse die Frechheit besitzen, immer nur die Regierungen zu wählen, von denen sie sich einen Nutzen versprechen. Zu egoistisch, finden die anderen auf ihren Demonstrationen: „Der Mensch ist ein soziasles Wesen!“, weshalb die Niemands ihrer Ansicht nach besser gar nicht wählen sollten, weil ihnen die Wahlfreiheit nicht bekommt.

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    Ob Schirrmacher auf der richtigen Fährte ist, weiß ich nicht. Vieles kann ich sehr gut nachvollziehen. Ob die Amerikaner schneller und begeisterter Technologie akzeptieren, weiß ich auch nicht. Vielleicht werden sie weniger gefragt, vielleicht problematisiert Europa zu viel – das sieht ja jeder anders. Was keine Frage ist, ist das:

    Mit einem Wort: Die USA sind eine digitale Großmacht, weil sie eine kapitalistische Großmacht sind. Und sie sind eine kapitalistische Großmacht, weil die Amerikaner auf den Markt setzen und auf technische Neuerungen nicht mit Horrorvisionen ihrer Pervertierung reagieren. (Das überlassen sie Hollywood, wo auch daraus dann Geld gemacht wird.) Weil sie nicht vor allem Gefahren und Regulierungsbedarf sondern Chancen und Freiheitsoptionen sehen.

    Wenn ich alle Verschwörungstheorien mal außen vor lasse, dann kann ich das wirklich nicht leugnen. Das Internet ist ein perfekter Ort, um die amerikanischen Stärken auszuspielen. Deutschland mit seinem Maschinenbau, China mit der Massenproduktion – irgendwie hat jeder seine Stärken. Wenn Schulz schlecht über die amerikanischen spricht, dann ist es das gleiche, wie die Kritik am deutschen Export. Oder die Kritik an chinesischen Umweltstandards. Stimmt mal mehr, mal weniger, ein wahrer Kern ist bestimmt immer dabei.

    Was ich nicht verstehe ist dies: Wo ist das Problem? Niemand hindert uns in Bielefeld ein Unternehmen zu gründen. Innerhalb eines Vormittages haben wir es angemeldet, es gibt überall billigen Büroraum – in Ballungsräumen sogar richtig schnelles Internet. Wer Unternehmer sein will, hat in Deutschland fantastische Möglichkeiten- in sämtlichen Rankings rangiert Deutschland mit den USA auf Augenhöhe. Die Geschichte vom unternehmerfeindlichen Michel ist ein Märchen. Privates Venture-Kapital gibt es zu wenig, nicht wegen sozialer Bewegungen, sondern weil die deutsche Elite ihr Geld lieber in der Schweiz parkt.Durch die Bankfilialen und die KfW haben wir dennoch ein funktionierendes Finanzierungssystem. Bevor wir über ein sozialistisches Europa und ein kapitalistisches Amerika bullshiten, lasst uns mal die Fakten anschauen.
    Deutschland ist Exportweltmeister mit einer mittelständischen Struktur, dh das Land ist voll von Unternehmern, die sogar weltweit sehr erfolgreich sind. Nur nicht in allen Sparten – was ja durchaus der Logik einer globalen Arbeitsteilung folgt. Wer ein deutsches Facebook will, kann heute anfangen und morgen reich sein – ich drücke die Daumen.

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    hoffentlich kommt dieser Artikel in die welt!

    Mich zwingt niemand Google(duckduckgo), Facebook (diaspora), twitter (http://twister.net.co/), was auch immer zu benutzen. (in klammern Alternativen, die sichereren Umgang mit Daten ermöglichen) Einwohnermeldeämter zwingen mich dagegen mich bei ihnen zu melden. Und die verkaufen meine Daten auch, obwohl ich dem nicht zugestimmt habe.

    @Alexander Gutzmer
    stimmt. aber aus Interesse, inwiefern Adorno?

    @DonGeraldo
    der ist Spitzenkandidat der SPE zur Wahl des EU-Kommisionspräsidenten…

    @Roland Ziegler
    1. blinder Aktionismus führt aber nicht zur Weltverbesserung. Manchmal ist es besser, bestehendes zu wahren. Unternehmer sind im richtigen Weltverbessern häufig geeigneter.
    2. wobei und wie soll mir da der Staat helfen? Er muss mir meine Freiheit lassen, dann kann ich wirklich mündig sein und selbst entscheiden ob ich die „digitalen Großmächte“ nutzen will. Wie gesagt, ich werde zu einer Nutzung nicht gezwungen.

    4. doch es handelte sich um gesellschaftliche, eben soziale Bewegungen. Die aber, wie sie sagen, in den Totalitarismus geführt haben, was nicht heißt dass alle gesellschaftlichen Bewegungen in den Totalitarismus führen.
    5. der Neoliberalismus hat die bürgerlichen Freiheiten, Menschenrechte und Demokratie nicht abgeschafft, sondern „will“ sie im Gegenteil weltweit verbreiten.

    8. Warum sollte alles mögliche reguliert werden? Es gibt Menschenrechte, die müssen nur durchgesetzt werden. Wie gesagt, niemand zwingt mich facebook und co. zu nutzen.

    @Stefan Buchenau
    Liberaler Kapitalismus hat im Westen zu allgemeiner Verfügbarkeit von Strom, Wasser, Essen, Dach überm Kopf, Informationen etc. etc. geführt. Denn er hat die Entwicklung der Produktivkräfte am meisten befördert. Und dies und nicht staatliche Regulierung macht diese Dinge hier so verfügbar.

    „Nun ja, fragen Sie, beispielsweise in Afrika, was die, die früher mal Landwirtschaft betrieben haben, heute von der “Bedeutung des Markts und des Unternehmertums” halten.“
    Schlechtes Beispiel, Neoliberale sind für Freihandel und gegen Subventionierung!
    Die Zentralisierung ist ein Ergebnis des Kapitalismus. Dieser Prozess geht mit höherer Effizienz und Effektivität einher, die es mehr Menschen ermöglicht etwas anderes als Kleinbauer zu sein.

    Und es gibt trickle-down: http://www.nber.org/papers/w15.....indow=1#54 Seite 54

    @Stevanovic
    „Das war der Ausgangspunkt einer Linie, die heute bis zu den faulen Griechen und Sarrazin`s zitierfähiger Erbsenzählerei geht.“
    Da verwechseln sie aber etwas. Vertreter des Liberalismus lehnen Rassismus ab, Außnahmen bestätigen wie immer die Regel.
    „Das wird heute am energischsten bei den rechten Kulturpessimisten vertreten. Dort treffen sich die Stränge Staatlich=Schmarotzer und Globalisierung=Untergang.“
    Liberale lehnen zuviele Eingriffe des Staates ab, hierbei wird aber im Gegensatz zu den von ihnen genannten rechten Kulturpessimisten, keine verkürzte Kritik geübt.

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    @Alan Posener: Also Neoliberalismus erzählt keine Märchen, sondern ist selber das Märchen? OK. Stattdessen also Ordoliberalismus: Freiheit durch Regeln, soziale Marktwirtschaft? Einverstanden. Den prinzipiellen Unterschied zur Sozialdemokratie kann ich leider nicht erkennen. Was macht den Ordoliberalismus aus? Der Ordoliberalismus setzt Regeln ungern, die Sozialdemokratie gern? Es sollte doch auf die Regeln ankommen. Wo braucht man welche Regeln, wo kann man auf sie verzichten?

    Man sollte nicht vergessen, dass überall auf der Welt Kapitalismus praktiziert wird (außer in Nordkorea), aber in verschiedenen Formen. Die südamerikanische Spielart ist beispielsweise ganz anders als die nordamerikanische. China und Russland bieten wieder andere Spielarten. Diese Unterschiede in der Wirklichkeit sollte man analysieren, statt sich den Kopf zu zerbrechen über den Unterschied zwischen der Staatsgläubigkeit der Sozialdemokratie auf der einen und dem Regelbegriff der Ordoliberalen auf der anderen Seite. Das sind vermutlich einfach nur zwei unterschiedliche Theorie-Ansätze, die auf dasselbe hinauslaufen: mehr oder weniger soziale Martwirtschaft.

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    @ Alan Posener: Sie können geistreicher kritisieren, das weiß ich.

    OK. War gemein von mir, Sie so runter zu ziehen. Natürlich war das nicht Karneval. Das war Ihr britischer Humor – à la Thatcher: „There is no such thing as society.“

    @ Stevanovic: Womit wir beim gerade wieder populären „dritten Weg“ wären, der sich jetzt hauptsächlich in Russland-Sympathien äußert.

    Sie meinen wahrscheinlich die im Westen erkennbare Tendenz, der Demokratie überdrüssig zu sein und die Putin’sche (oder auch chinesische) Effektivität zu bewundern. Ich muss zu dem Schwachsinn dieser Tendenz hier jetzt nichts sagen. Insofern darin allerdings auch eine Kritik an unserer neoliberal beförderten Staatsschwäche und Politikunfähigkeit enthalten ist, sollte man ihr doch schon einen kleinen Seitenblick widmen. Wenn ich mir Eiertanz anschaue, den unsere Politik in in Sachen „Ukraine“ liefert – jeder kleine Arsch, der sich traut, auf den Tisch zu hauen, und dabei auf eine verrostete Armee verweisen kann, ist uns haushoch überlegen – weil wir selbst nur noch in der Lage sind, in neoliberalen Kategorien zu denken.

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    Lieber Stefan Buchenau, komisch, dass Sie „das Jüngelchen Lindner“ nennen; ich habe vor, Lindners Antwort auf Schulz demnächst hier auf „SM“ zu kritisieren, weil auch Lindner zu sehr auf den Staat setzt und zu wenig auf die Unternehmer.
    Ansonsten sprechen Sie meine marxistische Vergangenheit an, und da bekenne ich mich schuldig: Marx war ein entschiedener Gegner der Staatseinmischung in die Wirtschaft und nur aus dem Grund für den Sozialismus – „die freie Assoziation freier Produzenten“ – weil er glaubte, in einer Welt ohne Klassengegensätze würde der Staat „absterben“. Ein folgenreicher Irrtum.
    Es waren die Lassalleaner, die in der Staatseinmischung das Heil erblickten und darum mit Bismarck und dem von ihm vertretenen Junkertum konspirierten, um das Bürgertum auszumanövrieren – ein von Marx heftig kritisierter Schachzug mit fatalen Folgen für Deutschland und noch mehr für die Sozialdemokratie.
    Es stimmt also, dass meine Kritik an Schulz zwar liberal begründet ist, aber auch noch den Einfluss meiner marxistischen Schulung verrät.
    Wenn nicht einmal Sie das wissen, nehme ich an, dass Schulz das erst recht nicht weiß.

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    Anfang der 90er bin ich in die SPD eingestiegen. Es stimmt, Neoliberalismus war ein Kampfbegriff. Der wurde so richtig populär in der Auseinandersetzung mit der „Neuen Sozialen Marktwirtschaft“. Als Befürworter der Agenda 2010 hatte ich den Eindruck, dass so ziemlich alles jenseits von Essensmarken schon Neoliberal war, zumindest war das alles, was man doof fand. „Jünger des Neoliberalismus“ war eine Zeit lang die schlimmste Beleidigung, die man einem Sozialdemokraten sagen konnte. Der Begriff hatte sich vollkommen verselbstständigt.
    Das war aber auch die Zeit, in der „staatlich“ in der Mittelschicht zu einem Synonym für Schmarotzertum wurde und Globalisierung das Schachmatt-Argument schlechthin. Das war der Ausgangspunkt einer Linie, die heute bis zu den faulen Griechen und Sarrazin`s zitierfähiger Erbsenzählerei geht.
    An die späten 80er kann ich mich im Detail nicht erinnern (Antifa – da kam es nicht auf den Millimeter an). Aber ich kann mich erinnern, dass ich Ende 90er einen tiefen Riss bemerkte, zwischen denen, die Globalisierung (und damit Liberalisierung) zumindest als Tatsache akzeptierten und denen, für die es ein tragischer Irrtum war. Das wird heute am energischsten bei den rechten Kulturpessimisten vertreten. Dort treffen sich die Stränge Staatlich=Schmarotzer und Globalisierung=Untergang. Schirrmacher klingt manchmal wie die Synthese dieser Richtungen. Womit wir beim gerade wieder populären „dritten Weg“ wären, der sich jetzt hauptsächlich in Russland-Sympathien äußert.

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    @Apo
    „Nun ja. Dass es zu Wohlstand und Freiheit in Europa gekommen ist, das ist eben nicht zuallererst Ergebnis des Kampfs „der sozialen Bewegungen“, sondern eben doch zuallererst Ergebnis des Siegeszugs des Kapitalismus und der Demokratie.“
    Nun ja, da hätte ich schon ein paar Einwände: Könnte es sein, dass ohne die „sozialen Bewegungen“ Wohlstand Und Freiheit in Europa vielleicht doch nicht so verbreitet wären? Und überhaupt „Europa“, da sind Wohlstand und Freiheit doch zumindest sehr unterschiedlich verteilt, oder? Und daran, dass dies möglichst lange so bleibt, arbeiten doch die Vertreter von Wirtschaftsliberalismus mit allen Legalen und auch mit ein paar illegalen Mitteln.
    Und „dass der Kapitalismus und die Marktwirtschaft erst jene Werte und jenen Wohlstand schaffen, um deren halbwegs gerechte Verteilung sich die „sozialen Bewegungen“ kümmern.“ ?
    Nun ja, die einen sagen so, die andern sagen so. Sie müssten doch aus früheren, wilderen Jahren noch ein bisschen Marx parat haben, da stand mal was von der „Arbeiteraristrokatie“. Gemeint war, dass manche besonders benötigte Arbeiter besser bezahlt (und ausgebildet) werden, um sie im Rahmen der Arbeitshierarchie besser als Antreiber und Aufseher über die „einfachen Proleten“ einsetzen zu können. Könnte es sein, dass sich an diesen Verhältnissen nicht viel geändert hat, dass sie lediglich internationalisiert wurden? Die armen Schlucker leben jetzt in Rumänien, Bulgarien oder sonstwo in der Welt (vielleicht, wenn das EU Kalkül aufgeht bald auch in der Ukraine) und machen genau das, was früher einheimische, rechtlose und arme Proleten gemacht haben: Für wenig Geld (und meist auch wenig Demokratie) den Wohlstand der anderen zu mehren. Und in hiesigen Betrieben erledigen das Praktikanten, Leiharbeiter und die Sklaven der diversen Subunternehmer.
    „Erkennt man nicht die Bedeutung des Markts und des Unternehmertums für den Wohlstand gestern und heute, wird man deren Bedeutung vermutlich für den Wohlstand morgen unterschätzen.“
    Nun ja, fragen Sie, beispielsweise in Afrika, was die, die früher mal Landwirtschaft betrieben haben, heute von der „Bedeutung des Markts und des Unternehmertums“ halten. Sie werden Ihnen erzählen, dass unsere „freie Marktwirtschaft“ sehr erfolgreich jeglichen Ansatz zur Selbstversorgung unmöglich gemacht hat. Und dass neuerdings die Industrieländer aus West und Ost gleich das ganze Land aufkaufen um, oft mit importierten Arbeitskräften, Lebensmittel für Teller oder Tank zu produzieren- aber nicht für Afrika.
    Diese Art von „freier Marktwirtschaft“ verlagert alle politischen und wirtschaftlichen Probleme erst in einheimische Slums, dann (wenn es erfolgreiche „soziale Bewegungen“ gibt) in die der Nachbarländer, dann irgendwo anders hin, wo der Staat und seine Autoritäten eben gerade nicht daran arbeiten, „den Bürger zum Wirtschaftssubjekt (zu) machen. Zu einem Menschen, der sich mit der Arbeit seiner eigenen Hände und seines eigenen Kopfs sich und seine eigene Familie ernähren kann;“ Wenn das „der Bürger“ nicht nur bei uns in der Kapitalistischen Idylle, sondern auch in den Randgebieten Europas oder gar in Afrika und Lateinamerika und Asien tatsächlich könnte….? Dann wäre es ziemlich schnell vorbei mit unserer Exportherrlichkeit, dann würden die Wirtschaftsliberalen der Welt sehr schnell fordern, dass „der Staat“ sich eben nicht raushält, sondern er im Gegenteil die „legitimen Interessen, auch der Wirtschaft“ weltweit zu schützen habe.
    Komisch, hab ich nicht kürzlich einiges in dieser Richtung von deutschen Spitzenpolitikern gehört? Oder trapste da die Nachtigall?
    Das alles ist keine Verteidigung von Martin Schulz, zu dem fällt mir wenig ein. Warum? Weil, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aus der Sozialdemokratie schon seit Jahrzehnten viele schöne Worte, aber sehr wenige „gute“ Taten kommen.
    Zu guter letzt: Wenn ich mir vorstelle, das all die lieben Kapitalisten, die nur unser bestes wollen, angeführt vom Jüngelchen Lindner, all die Daten bekommen, nach denen sie gieren… dann bin ich froh über mein Alter, weil ich das nicht mehr sehr lange mitmachen muss.

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    @ Alan Posener: Die Behauptung, “der Neoliberalismus” wolle jeden Aspekt des menschlichen Lebens “dem Markt unterwerfen”, ist Unsinn und soll nur die entgegengesetzte Tendenz verschleiern, alles zu regeln und staatlicher Kontrolle zu unterwerfen.

    In Berlin ist noch Karneval! APO in der Bütt!

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    Lieber Roland Ziegler,
    der „Neoliberalismus“ ist eben nicht Staatsfeindlichkeit, wie Sie unterstellen. Er ist ein Kampfbegriff, der wie die meisten Kampfbegriffe eine Popanz bekämpft. Der real exitierende Neoliberalismus ist in Deutschland das, was man „Ordoliberalimsus“ nennt, in der Fachliteratur schlicht und einfach Liberalismus, in den USA – leider – „small government conservatism“.
    Die Behauptung, „der Neoliberalismus“ wolle jeden Aspekt des menschlichen Lebens „dem Markt unterwerfen“, ist Unsinn und soll nur die entgegengesetzte Tendenz verschleiern, alles zu regeln und staatlicher Kontrolle zu unterwerfen.
    Es waren ja vor allem die von Schulz kritisierten Silicon-Valley-Unternehmen wie Google, die von der NSA mehr Transparenz gefordert haben.

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    Hollywood:
    In „The Dark Knight“ (2008, Heath Ledger bekam den Oskar für seinen Joker) führt Morgen Freeman die, nach seiner Meinung, schlimmste Erfindung von Wayne Enterprises vor. Er geht so gar so weit zu sagen, dass solange dieses Gerät funktioniert, er nicht für Wayne arbeiten möchte. Es ist eine Art Sonar, mit dem über Handy, W-Lan, eigentlich allem, was Wellen empfangen und senden kann, ein Echtzeitbild der Umgebung dargestellt werden kann. Solange ein Handy neben uns liegt, ein W-Lan arbeitet, kann man recht genau darstellen, wie wir in der Nase popeln. Oder sonst wo. Eingeführt wird dieses System über ein gar nützlich Ding, die Gestensteuerung. Dasselbe System, dass die Fernbedienung überflüssig macht, kann natürlich sagen, was wir sonst so machen. Wir stehen kurz vor Marktreife – wir können ruhig davon ausgehen, dass das von Freeman vor 5 Jahren gezeigte System wirklich funktioniert.

    Es ist zwar nicht die reine Lehre vom Totalitarismus, aber komisch ist es mir schon, dass ein Snowden jederzeit wissen kann, ob ich mir nach dem Pinkeln die Hände wasche. Wenn das meine Krankenversicherung wüsste, würde sie sich vielleicht in mein Handy einwählen und mich daran erinnern. Hat also auch sein gutes – Optimist bleiben!!!

    Gefährliche Ahnungslosigkeit der Geheimdienste:
    Im Gegensatz dazu, haben die Amerikaner, die vor 50 Jahren Raketenstellungen auf Kuba entdeckt haben, nicht mitbekommen, dass hunderte, vielleicht tausende von Fahrzeugen der russischen Armee seit Wochen in Richtung Krim unterwegs sind. Sie haben Satelliten, die Bilder in Echtzeit senden, Karten, genauer als Google-Maps, und eine Totalüberwachung des Internets und Mobilfunks. Trotzdem haben sie eine der größten Truppenbewegungen in Europa seit dem 2. Weltkrieg verschlafen. Was mich zum Kulturpessimisten macht ist die Wahl zwischen zwei möglichen Erklärungen: Wie wir dank der NSA-Affäre wissen, gibt es eine Welt dahinter, die wir als Bürger nicht kennen. Die offiziellen Verlautbarungen sind Popanz, im Hintergrund laufen ganz andere Dinge und wir werden mobilisiert und schäumen über Sachverhalte, von denen wir keine Ahnung haben und (in unserem Interesse) nicht haben sollen. Oder bei der NSA ist niemand, der eine Gebrauchsanweisung lesen kann.

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    Hier sind so viele Themen versammelt, dass ich zu einem Resümee nicht in der Lage bin. Ich kann nur sagen, dass sich bei mir an vielen Stellen der Geist des Widerspruchs regt, ohne beurteilen zu können, ob das nur Detaileinwände sind. Ich fange mal von vorne an:

    1.) Ihnen wird dabei mulmig, meiner Meinung nach sollten Politiker Weltverbesserer sein. Ich wähle sie dazu. Wenn sie nur die vorhandenen Verhältnisser so konservieren wollten, wie sie sind, würde ich keinen Sinn darin sehen, sie zu wählen. Ein radikal Konservativer mag das vielleicht anders sehen.

    2.) „der gläserne Konsumbürger“: dieser Ausdruck meint die Entmündigung des Menschen. Wenn es einen „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ gibt, dann gibt es auch einen Eingang des Menschen in seine selbstverschuldete Unmündigkeit. Aufklärung ist keine Einbahnstraße.

    3.) Biologismus: Dieser Ausdruck kennzeichnet in der Tat eine Ideologie, denn es ist schlicht unmöglich, den Menschen in der Weise vorauszuberechnen, wie das – nach Martin Schulz – die Apologeten der neuen Technik zu tun glauben. Wenn man sich die Schwierigkeit vor Augen hält, eine vergleichsweise simple Wetterprognose über 3 Tage hinaus zu erstellen (vom Klima will ich gar nicht sprechen), wird man schnell einsehen, dass das Verhalten eines einzigen Menschen innerhalb eines Tages vorauszusehen sehr komplex und schwierig wird, geschweige denn seine längerfristigen Strategien, von dem Zusammenschluss vieler Menschen zu einem Massenverhalten ganz zu schweigen. Das ist zwar die dunkle Hoffung einiger und eine ebenso dunkle Befürchtung vieler anderer, aber völlig abwegig. Was dagegen möglich und verfeinerbar ist, sind statistische Verfahren. Das sind aber alter Hüte.

    4.) Ich weiß nicht, ob der Sozialismus in Russland bzw. Nazideutschland gute Beispiele für soziale Bewegungen sind. Nur weil irgendwo der Begriff „Sozial“ auftaucht, muss es sich nicht um eine soziale Bewegung handeln. Da sind doch revolutionäre Bewegungen, die sind nicht sozial. Die DDR hieß in diesem Sinne „demokratische Republik“, was aber das Gegenteil. Eigentlich sind diese Beispiele eher ein Beleg für die Richtigkeit der These von Martin Schulz: denn genau da, wo echte soziale Bewegungen gefehlt haben bzw. pervertiert wurden, kam es zu Totalitarismus. Und Totalitatismus ist das Gegenteil einer Bewegung, die sich das Attribut „sozial“ verdient.

    5.) Neoliberalismus: darunter versteht man die Deregulierung, d.h. die Abschaffung von Regeln. Genau diese Regeln werden aber benötigt, um dem Menschen zu ermöglichem, „mit der Arbeit seiner eigenen Hände“ usw. sich zu ernähren. Das Märchen des Neoliberalismus lautet, dass staatliche bzw. wirrtschaftliche Regeln der Freiheit grundsätzlich entgegenstünden. In Wirklichkeit ist es aber so, dass Regeln Freiheit erst ermöglichen (sofern mit „Freiheit“ nicht die Freiheit des Stärkeren gemeint ist). Welche Regeln jeweils eingesetzt, welche modifiziert und welche abgeschafft werden sollen, ist historischen Schwankungen unterworfen und Gegenstand der tagespolitischen Auseinandersetzung.

    6.) Dass Großbritannien in die Deindustrialisierung gezwungen worden wäre, halte ich für sehr erklärungsbedürftig. Gab es wirklich keine Alternative? Dass man – meinetwegen in Großbritannien – ein Rezept falsch umgesetzt hat, spricht jedenfalls nicht gegen Rezepte. Der Neoliberalismus versucht aber, gegen Rezepte im Allgemeinen anzugehen (das ist sein einziges Rezept).

    7.) Kernkompetenzen des Staates: Dies sind Gesetze. Die kann man schlecht oder gut machen, aber sie abzuschaffen gehört mit Sicherheit nicht zu den Kernkompetenzen des Staates.

    8.) Rechtliche Pflöcke: Der Herr Lindner, den man kürzlich aus dem Bundestag herausgewählt hat, weiß also, welche Pflöcke man längst hätte eingraben sollen. Das ist nicht sehr glaubwürdig. Das Problem ist, dass die Technologie nicht diskutiert. Sie ist da, in dem Moment, indem ein findiger Forscher sie entwickelt hat. Daraus kann holterdipolter schnell eine andere Welt entstehen, der man nicht in derselben Geschwindigkeit ein passendes Gesetzeswerk schneidern kann. Warum nicht? Weil wir in einer liberalen Demokratie leben, gottseidank. Da gibt es Fürsprecher und Kritiker, da wird diskutiert und abermals überlegt, und am Ende kommt ein Kompromiss heraus, der sogleich kritisiert und wieder abgeschafft wird. Das ist notwendig so; man kann nicht alles haben. Wenn man irgendwann einmal soweit ist, gibt es bereits eine andere Technologie.

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    Der entscheidende Unterschied zwischen den USA und Deutschland bzw. Europa ist, daß dort ein Typ wie Schulz niemals politischen Einfluß erhalten würde.
    Und das ist auch gut so !

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    Was ich bedenklich finde, ist, dass das düstere, antiliberale Geraune im FAZ-Feuilleton offenbar in der deutschen Bürgerlichkeit mehrheitsfähig ist. Schirrmachers Feuilleton scheint eine reale Sehnsucht nach anti-amerikanischen Argumentationen und dem permanenten Betonen deutscher Besonderheit/Überlegenheit zu bedienen. In der Tradition von Botho Strauß, Adorno und Oswald Spengler.

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