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Neulich in Kreuzberg

Wie die meisten Großstadtbewohner kenne ich meine Stadt nicht wirklich. Mein alltägliches Leben spielt sich ab zwischen meinem Wohnquartier im gutbürgerlichen Südwesten der Stadt, meinem Arbeitsplatz an der Grenze Kreuzberg und Mitte, der Wohnung meiner Tochter in der Nähe des Kottbusser Tors in Kreuzberg, und den diversen Kinos, Museen, Galerien, Cafés und Restaurants, hauptsächlich in Charlottenburg, Mitte und Kreuzberg, in denen ich einen Teil meiner Freizeit verbringe. (Und natürlich dem Gartencenter um die Ecke.)

Selten verirre ich mich in Neubau-Bezirke wie Marzahn oder Hellersdorf im Osten; in die Gropiusstadt oder das Märkische Viertel im Westen. Andere Bezirke, wie etwa Spandau und Reinickendorf, kenne ich von früher, weil ich dort zur Schule ging oder als Lehrer in die Schule; aber ich bin nur noch selten dort. Und dann gibt’s den Prenzlauer Berg und Friedrichshain, wo ich mich wie ein Tourist in einer fremden Stadt – nein in einer fremden Welt – bewege.

Neulich überkam mich allerdings dieses Gefühl der Fremdheit mitten in Kreuzberg, einem Bezirk, das ich seit Jahrzehnten kenne und liebe.

Hier – im Studio Naunynstraße – habe ich als Schüler anno 1968 einen Möchtegern-Avantgardefilm gedreht. Hier – in überfüllten und verrauchten Hinterhofkinos – habe ich die Filme von Andy Warhol gesehen. Hier – in der Katzbachstraße – habe ich als Student anno 1970 mit Freunden eine Wohngemeinschaft gegründet. Hier habe ich als Kommunist Kampagnen geführt – 1975 etwa für eine Kinderklinik im stillgelegten Bethanien-Krankenhaus, zu dessen Besetzung wir aufriefen, und das heute ein Künstlerhaus ist. Bei einer dieser Demonstrationen bekam ich – in der Adalbertstraße – einen Polizeiknüppel über den Kopf, die Wunde wurde hier – im Urbankrankenhaus – genäht, ohne Betäubung, weil der Arzt Sympathisant der SEW war und uns „Anuller“ für Konterrevolutionäre hielt. Hier wurden Anfang der 1980er Jahre die ersten Häuser besetzt.

Das Anliegen der Besetzer – Stopp der Entmietung und des Abrisses – habe ich als Lehrer finanziell unterstützt; mit Hart-Walter Hämer und seinem Konzept der „behutsamen Stadterneuerung“ wurde es nach einiger Zeit, vielen Räumungen und einem Todesopfer zur offiziellen Politik des Bezirks und der Stadt. Mit Hämer und meinem Vater habe ich die damals neuen Vorzeigehäuser des Ehepaars Hinrich und Inken Baller am Urban-Hafen besucht. Auf dem Kreuzberg haben Maria und ich noch jedes Jahr Silvester gefeiert, als wir längst in Zehlendorf wohnten, und das Volksfest auf dem Kreuzberg besuche ich noch heute gern.  Hier – in der Köpenicker Straße – hatte Mitte der 1980er Jahren die „Berlin Blues Band“, deren Sänger ich war, ihren Übungsraum, zusammen mit einer NDW-Gruppe namens „Ideal“. Hier – im „Golgatha“, im Haus am Böcklerpark, in der „Villa Kreuzberg“ und auf Kiezfesten in der Graefestraße – bin ich mit der Blues Band und anderen Formationen aufgetreten. Hierher bin ich seit Jahrzehnten immer wieder gekommen, um englischsprachige Filme im „Babylon“-Kino zu gucken, die „Gorillas“ im Ratibor-Theater oder das Kabarett „Zwei Drittel“ im Mehringhof zu sehen, wo auch „Pillepalle und die Ötterpötter“ spielten, mit meinem Ex-Genossen und Freund Jochen Staadt am  Schlagzeug; oder um an lauen Sommerabenden Fußball in den Kneipengärten am Schlesischen Tor zu gucken.

Dort trauerte ich anno 2006 mit dem ganzen Bezirk, als Zinedine Zidane im Endspiel gegen Italien nach seinem Kopfstoß gegen den nichtswürdigen Matterazzi vom Platz gewiesen wurde. In Kreuzberg haben Freunde von mir als Lehrer gearbeitet und gegen alle Widrigkeiten das Konzept multikultureller und toleranter  Erziehung verteidigt. Hier ging ich mit dem  Grünen-Politiker Özcan Mutlu auf den Spuren des angeblich aus dem Bezirk verjagten Thilo Sarrazin spazieren und traf nur freundliche Menschen, vom türkischen Gemüsehändler bis zum Gemeindevorsteher der Alewiten. Hier hat sich der Sohn israelischer Freunde eine Wohnung gekauft, die er an Touristen vermietet, hier gibt es ein Café, wo sich Israelis gern treffen und wohl fühlen. Hier wohnen alte Freunde, hier wohnt, wie gesagt, meine Tochter mit Mann und Kind.

Kreuzberg ist eigentlich mein Berlin. Mein Ideal von Berlin.

Und doch geschah es gerade im Bergmann-Kiez, wo meine Tochter vor zwei Jahren ihre erste Fotoausstellung hatte, dass mich plötzlich ein Gefühl der Fremdheit ankam, wie ich es sonst nur vom Prenzlauer Berg oder von Friedrichshain kenne, und aus den gleichen Gründen. Ich war unterwegs, um ein paar Filme aus dem „Videodrom“ zu holen, wo die Videos nach Genre (nicht bloß „Krimi“, sondern z.B. „Good Cop – Bad Cop“; nicht bloß „Historiendrama“, sondern „italienische Sandalenfilme“ usw.) und dann wieder nach Regisseur sortiert sind, und wo man sicher sein kann, nicht nur einen seltenen und von der Kritik verrissenen Film wie – sagen wir – „Villain“ mit Richard Burton zu bekommen, sondern dazu den Kommentar des sachkundigen Personals: „Burtons Frisur ist echt zum Schreien. Und dazu der Cockney-Akzent: Großartig. Na denn, viel Spaß.“

Draußen auf der Straße fiel mir auf, dass ich nirgends ein türkisches oder arabisches Gesicht sehen konnte. Die Läden waren alle – wie das „Videodrom“ – für Leute wie mich gemacht: exklusive Schuhe, individuell gebaute Möbel, Öko-Eis und Fairtrade-Kaffee, ein Edelgrieche, spanische Weine, Schaukelpferde, Kochkurse, Kriminalromane. Blonde Kinder hatten den Bürgersteig in Beschlag genommen, und man sprach auf der Straße größtenteils Englisch. Aus dem Kiez war unversehens Prenzlauer Berg geworden, wo es so blond und kinderfreundlich zugeht wie bei Astrid Lindgren in ihren schlechteren Büchern.

Für kurze Zeit habe ich mich gefragt, ob die Gegner der Gentrifzierung nicht Recht haben. Ob man das Kippen eines ehedem Bezirks vom Abenteuerspielplatz ins Puppenhäusliche nicht gesetzlich aufhalten sollte.

Und doch weiß ich, dass man eine Stadt, einen Stadtteil, einen Kiez, einen Zustand nicht einfrieren kann.  Schon der Bezirk, der uns als Schüler und Studenten in den 1960er Jahren anzog, war nicht der Bezirk, den ein kommunistischer Schriftsteller wie Walter Schönstedt in seinem Roman „Kämpfende Jugend“ eher glorifizierte denn beschrieb, und in dem mein Nazi-Schwiegervater als Sozialbeamter arbeitete. Krieg und Mauerbau, der Wegzug der Arbeiter in die neuen Siedlungen am Stadtrand, die planmäßige Entmietung im Hinblick auf den vom Senat anvisierten Abriss und die Planierung für den Autobahnbau, der Zuzug von „Gastarbeitern“ und Studenten hatten aus dem ehedem proletarischen Bezirk einen Deklassierten-Stadtteil gemacht und zugleich die Grundlage gelegt für die spätere Gentrifizierung. Gerade die antibürgerlichen Besetzer haben mit dem Erhalt der alten Häuser und der Verhinderung der autogerechten Stadtplanung dafür gesorgt, dass der Bezirk heute so anziehend wirkt auf Bildungs- und andere Bürger aus aller Welt. 

Ich verspüre auch keine Sentimentalität nach den Braunkohleöfen mit ihrem Schwefelgeruch, den kalten Klos auf halber Treppe, den bröckelnden grauen Fassaden und undichten Dächern der Zeit, als ich in Kreuzberg wohnte; nach dem aggressiven Gegröle der verbliebenen und verbitterten Proleten von ihren Balkonen herunter, wenn wir dort demonstrierten; nach der rückwärtsgewandten Revolutionsromantik der Zeit, als eine Band mit einem Namen wie „Lokomotive Kreuzberg“ reüssieren konnte; und auch nicht nach dem verkommenen Charme der besetzten Häuser mit ihren aggressiven Funktionären und ihrer ach so bürgerlichen, zur Schau getragenen antibürgerlichen Attitüde; für die Hoch-Zeit des Punk im SO 36 war ich schon zu alt; und was die Romantik des Aussteigens angeht, so geht es mir wie meinem alten Freund K., der schon immer in Kreuzberg wohnt, als pensionierter Lehrer in einer Buchhandlung aushilft und sich über die Gentrifizierung freut, nicht nur, weil das von ihm und einigen Freunden vor 30 Jahren gekaufte HausHoch-Zeit  nun ungefähr zehnmal so viel wert ist wie damals: „Erstens kaufen die Leute Bücher, und zweitens ist es ganz angenehm, wenn man morgens Brötchen holen geht, nicht über Junkie-Leichen steigen zu müssen.“

Und schließlich: Es ist ja nicht so, dass ganz Kreuzberg so geworden wäre wie die Touristenmeile rund um den Bergmannkiez. Wer die berühmte „Kreuzberger Mischung“ genießen will, das Türkisch-Deutsche, Proletarisch-Bürgerliche Punkig-Sentimentale, der findet es ja noch auf der Oranienstraße und im Kiez rund um den Kotti. Und diese Mischung dehnt sich ja aus in dem Maße, wie Nordneukölln („Kreuzkölln“) und der Wedding entdeckt werden von Leuten, die sich die Mieten im hippen Kreuzberg nicht leisten können oder wollen.

Deshalb, und obwohl es mir ein wenig weh ums Herz ist: Nostalgie ist kein Grund, die Gentrifizierung aufzuhalten. Für die Kinder, die auf der Fidicinstraße unbeschwert spielen, wo Untergangspropheten noch vor zehn Jahren wegen der Herrschaft arabischer Jugendgangs und des Wegzugs der Weißen nach Prenzelberg das Abkippen des Stadtteils an die Wand malten, wird Kreuzberg der Stadtteil sonniger Erinnerungen bleiben. Wer wirklich die soziale Durchmischung der Stadt will, wer die Entstehung von Ghettos verhindern möchte, der kann nicht versuchen, den Status Quo einzufrieren, wie es die SPD und die Grünen versuchen.

Die SPD, indem sie zum Beispiel bei Neuvermietungen eine Mietsteigerungsgrenze von zehn Prozent gesetzlich festlegen und die Verwendung von Wohnraum als Ferienwohnungen verbieten will; die Grünen, indem sie „Luxussanierungen“ genehmigungspflichtig machen (und das heißt in der Regel: verbieten) will. Man sagt, solche Maßnahmen sollen die Verdrängung der alteingesessenen und ärmeren Bewohner aufhalten. Aber in Wirklichkeit geht es vor allem darum, den Neuzuzug anderer und wohlhabender Bürger zu verhindern. Es geht um den Klassenkampf nach oben, und zwar zum Erhalt der Privilegien derjenigen, die vom problematischen Ruf und vom subproletarischen Charakter eins Bezirks profitieren: Mittelschichtleute, die billige Mieten und ein multikulturelles Wohnfeld genießen, während sie ihre Kinder in Privatschulen außerhalb des Bezirks schicken; Sozialarbeiter, die sich im Elend gut eingerichtet haben und die heimlichen Hauptnutznießer der Sozialeinrichtungen und Sonderhilfsmittel sind. Und um die Parteien, die diesem Elend und diesem Klientel ihre Macht verdanken.

Ein Heinz Buschkowksky macht eine Medien-Karriere aus seinem „Problembezirk“ Neukölln, der angeblich „überall“ sei, und seine Parteifreunde wollen verhindern, dass Studenten, Künstler, Bohemiens, Kneipiers usw., gefolgt von Investoren, Bildungsbürgern und Touristen, aus dem Problem- ein Vorzeigebezirk machen, in dem ein Buschkowsky seinen Ruf als mutigen Wahr-Sager verlieren würde.

Berlin sei dazu verdammt, ewig zu werden und niemals zu sein, schrieb Karl Scheffler 1910.  Das ist heute so wahr wie damals. Und das ist – trotz Bergmannkiez und Prenzelberg – gut so.

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89 Gedanken zu “Neulich in Kreuzberg;”

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    @Parisien: Ja, so ist es. Gut dass Sie die klassische Musik nachgetragen haben. Wenn es jetzt noch so eine in den Schulen und bei den Jugendlichen verwurzelte Orchesterkultur (und nicht nur seltene Ausnahmen) gäbe…

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    …ich muss noch was nachtragen: Das eben Gesagte bezieht sich nur auf die Eigenschöpfung Berlins, die Innovation. Darüber hinaus muss man noch auf die Integration der Stadt hinweisen. Sie haben keine Probleme, jedes Wochenende in einem großen, proppenvollen Club mit guter (!) Salsamusik und in zentraler Lage (z.B. Sodaclub in der Kulturbrauerei) tanzen zu gehen. Ich kenne viele aus Südamerika, die sind alle sehr von der „südamerikanischen Szene“ hier angetan. Daneben natürlich türkische/arabische Musik, die aus jedem zweiten Auto in Wedding herausschallt, afrikanische Musik (es gibt viele afrikanische Kulturzentren) usw. usf.

    Natürlich ist das alles nichts gegen London, aber dort wohnen eben auch viel viel mehr Leute aus einem großen Kolonialreich. Und Paris – was soll man dazu sagen? Das ist eine der bedeutensten touristischen Attraktionen der ganzen Welt; wer Paris nie gesehen hat, hat die Welt nicht gesehen.

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    @ Parisien: Unser Haus vermiete ich nicht, ich wohne viel zu gern da draußen. Und der Garten tut einem alten Mann doch gut. Außerdem: Wer weiß, ob Tochter, Mann und Kind nicht dermaleinst der Stadt müde werden und lieber das Vorstadtleben genießen wollen? So viel dazu.
    @ Stefan Buchenau: Du beschreibst genau, was abgeht. Also nehme ich den Vorwurf zurück, Du würdest den eigenen Anteil an der Gentrifizierung nicht erkennen. Aber bloß, weil man was gegen Bionade-Trinker hat, die Marktwirtschaft aufheben wollen („So lange Wohnen Ware ist…“): Das ist absurd. In der DDR war Wohnen nicht Ware, und nirgends waren die Innenstädte so verfallen wie dort. In West-Berlin in den 1960er Jahren war ein Großteil der Wohnungen in städtischer bzw, gemeinnütziger Hand, und das Ergebnis war der Versuch, Kreuzberg plattzumachen. Gemessen an allen Alternativen ist der jetzige Zustand noch der menschlichste. Den gilt es, im Sinne Hart-Walter Hämers, „behutsam“ zu erneuern, nicht durch eine Apartheid-Politik gegen Wohlhabende und Unternehmungslustige zu konservieren.

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    @ Jan Z. Volens
    Who cares about tourists, really?
    Dafür ist Berlin eine der Hauptstädte, die noch ihren Bewohnern mit gehört und von ihren Bewohnern bestimmt wird. Das kann man weder von London noch von Paris behaupten, allerdings sind das eher Metropolen.
    Berlin ärgert mich jedes Mal, wenn ich dort bin. Bin ich wieder weg, bleibt ein vages Gefühl der Sehnsucht, wieder hinzufahren, weil mir bewusst wird, dass ich gar nicht alles kenne. Berlin ist hässlich verbaut. Sein ganzer Charme kommt von seinen Bewohnern, die alle verschieden sind und kein Blatt vor den Mund nehmen. Trifft man sie außerhalb von Berlin, als Touristen, kommt man sofort mit ihnen in Kontakt, wenn man will. Berliner sind aufgeschlossen, Pariser nicht. Londoner, wirkliche, gibt es kaum noch.
    Berliner ärgern sich gern. Das war schon immer so, glaube ich. Nicht umsonst kommt einer der größten Literaturkritiker des vergangenen Jahrhunderts, Alfred Kerr, aus Berlin. Der andere wirkte in Frankfurt, später. Sie ärgern sich aber nur über Berlin. Außerhalb von Berlin sind sie wie ausgewechselt, sehr zugänglich. Sie benehmen sich wie Eltern von Berlin. Über ihre Stadt motzen sie, wenn aber ein anderer motzt, springen sie sofort in eine Verteidigungshaltung.
    Ihre persönliche Musikwahrnehmung ist ausgesprochen selektiv. Berlin hat das weltbeste Orchester neben Wien, und die großen Dirigenten zieren mit ihrem Namen diese Stadt. Abgesehen davon hat es die leidvollste Geschichte neben Dresden, leidvoll vor allem, weil selbst eingebrockt.
    Nun machen Sie mal schön Ihren Tango in Lateinamerika weiter, aber machen Sie sich nicht damit lächerlich, dass Sie offenbaren, dass Sie Berlin, diese liebenswerte Chaosstadt, gar nicht kennen. Und übrigens: Die Touristen, die dort waren, mögen Berlin und kommen manchmal wieder.
    Der momentane Status von diesem etwas chaotischen Ort ist vielleicht ein guter Gegensatz zu seiner früheren Größe vor dem Fall.
    Dann gibt es noch die einmalige, unverwechselbare Berliner Sprache. Lesen Sie mal den Text von „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“. Uralt, aber Berlin gut wiedergegeben inklusive Keilerei.

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    @Jan Z. Volens: Berlin ist nicht die Traumstadt für Touristen – gracias a dios! Sonst würden hier noch mehr Touristenbusse voller Asiaten, Amis und anderer Touristen um die Ecken biegen, um die Berliner beim Biertrinken zu fotografieren.

    Dass aber Berlin charakterlos sei und keine Musik habe, das stimmt nicht. Ich bin der Stadt inzwischen reichlich überdrüssig, aber hier will ich widersprechen. Nur ist der Charakter und der Sound nicht besonders schön. Bis zu den 80ern war das teils traurig-düstere, teils aggressiv-krachige Musik (von Ton Steine Scherben bis Einstürzende Neubauten), danach dann Techno insb. der härteren Sorte, aber auch sanftere Goa-Parties wurden hier – insbesondere hier – gefeiert.

    Das muss einem nicht gefallen, und man kann auch eine Verbindung zwischen Marschmusik und Techno herstellen. Vielleicht findet man den Charakter also schlecht. Aber auch ein schlechter Charakter ist ein Charakter, und der musikalische Charakter Berlins hat – zusammen mit dem dazugehörigen Lebensgefühl – schon immer Musikinteressierte und Künstler der dunkleren Lebensart angezogen (z.B. David Bowie).

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    Berlin ist nicht die Traumstadt fuer intelligente auslaendische Ferienturisten. Auf die Frage an den Nordamerikaner, Lateinamerikaner oder Asiate (auch Afrikaner): „Which cities would you like to visit in Europe ?“ – wird kaum jemals einer sagen: „I want to visit Berlin!“ (Wenn sie wissen dass sie von BRD sind – werden sie aus Hoeflichkeit eine charmante Luege sagen: „I also want to see Berlin! (Hoechstens zum „Mauergrusel“!). Berlin hat keinen charmanten, gemuetlichen Ruf – eine charakterlose Gross-Stadt – wie Seoul, Helsinki, Toronto, Sao Paulo, Johannesburg. Keiner traeumt und hoert eine Melodie wenn er ueber Berlin denkt, hoechstenst generische Parademarschmusik. Zumindest das vulgaere New Yaaark toent im Gedanken mit „Broadway musicals“, Paris erklingt mit den typischen Akkordeon-Melodien, sogar das ekelhafte London mit den Beatles, – aber Wien, Madrid, Buenos Aires, Lissabon, Moskau, Beijing, Dublin, Budapest und viele grosse Staedte werden von intelligenten Menschen durch „ihre“ Musik erkannt und indentifiziert – ohne dass man ihnen vorher den Namen sagt. Ein Tango der in Argentinien komponiert wurde – EL ULTIMO CAFE – steht in youtube in fast 100 Seiten mit hunderten Videos – von Musikern und Choeren, sogar in Japan, Niederland, Kanada, Tuerkei (die Tuerken gewannen mit „El Ultimo Café“ den Weltchorwettbewerb in Graz/Oestreich!)

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    @ Stevanovic
    Kannste haben, seit 1936. Danke für die erfrischende Ironie. Grüße vom Urberliner in der Wahlprovinz.

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    @Berlin

    „Bionadespießer und ihre Lebensentwürfe“

    Entschuldigt uns zarte Seelen aus der Provinz, aber kann es sein, dass Berliner denn größten Spaß haben, wenn Sie sich gegenseitig auf den Sack gehen? Bei uns ist es mal ein Assi-Familie neben der man nicht wohnen will….bei euch toben ja Weltanschauungskriege. Bei uns hat noch niemand Punks auf der Strasse gezählt oder sich gegenseitig die Biographie wegen Stadtplanung um die Ohren gehauen. Auch mußte niemand nachweisen, wirklich authentisch irgendwas zu sein (Ok, „Major“ darf sich bei uns auch keiner einfach so nennen). Das ist also Häuserkampf. Ujujuj.

    Für eure Unterhaltung brauche ich Stadtpläne (aus jedem Jahrzehnt seit 68). Ich passe.

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    @ Alan Posener
    Werter Genosse, was hab ich nur getan, warum diese Verbalkeule? Übrigens: Woher weißt Du, wie wie 4 in der kreuzberger WG unser Geld verdient haben? Zur Info: Zwei waren „Arbeitsmänner“-(Elektriker, Reichsbahnschlosser). Einer Student und ich Angestellter. Ganz gute Mischung, oder? Und solche Leute sollten, nach meiner bescheidenen und bis heute bestehenden Auffassung im Kiez, in bezahlbarer Wohnung, wohnen dürfen. Konnten wir damals nicht, könnten wir heute vermutlich auch nicht mehr. Und „Gentrifizierung“ haben wir eben gerade nicht betrieben, sondern mit unseren bescheidenen Mitteln versucht, bezahlbaren Wohnraum in Kreuzberg zu erhalten. Und wir haben auch nicht, wie die späteren Super-Kreuzberger aus dem Schwabenland mit schwarzen Lederjacken versucht, anderen vorzuschreiben, wie Kiez geht. Und wir haben auch nichts gegen gute Restaurants gehabt, ihnen nicht wie manche anderen Buttersäure in den Eingang gespritzt. Noch mal ganz in Ruhe: Natürlich wandeln sich Wohnquartiere. Aber wie in dem „unsäglichen“ Text vielleicht nicht schön, aber treffend dargestellt: So lange Wohnen eine Ware ist, so lange geht es eben nicht um „die, die darin wohnen“ sondern um Rendite. Und dann passiert das, was im Prenzlauer Berg so schön zu beobachten ist: Erst kommen junge Leute in halb verfallene Kieze, weil es dort so schön lebendig zugeht. Dann, nach dem Studium, verdienen sie ordentlich, können also auch sanierte Wohnungen bezahlen, und verklagen genau die Clubs und Straßencafés wg. Ruhestörung, die sie früher selbst so gerne besucht haben. Ja, so ist der Lauf der Welt. Aber, werter Genosse, gestatte mir, dass mit diese Bionadespießer und ihre Lebensentwürfe bis heute suspekt geblieben sind. Ist das „selbstgerecht“ und „Stellvertreter Proletkult“? Na gut, wenn Du das sagst.

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    „…bekennende (philosophische) Egoisten sich darüber beschweren, wenn man egoistisch…“

    🙂

    Das macht die Überdosis Altruisten, die sich als die größten Egoisten herausstellen. Das ist mein Problem mit der SPD. Eine gewisse Empfindlichkeit kann ich da sehr gut nachvollziehen. Manchmal erwische ich mich beim Schattenboxen gegen eine Delegiertenkonferenz und stehe dann fragenden Gesichtern meiner eigentlichen Gesprächspartner gegenüber.

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    @Parisien: Zieglers Töchter werden wahrscheinlich keine berühmten Musikerinnen, da sie es meistens (nicht immer) vorziehen zu spielen statt zu üben, aber voll ungeahntem Stolz darf ich sagen, dass die Ältere über ein großes Talent für die Geige und – was das beste ist – für das musikalische Empfinden verfügt (über die Jüngere, die noch in der Kita ist, lässt sich noch nicht viel berichten; wir führen sie gerade an das Klavier heran; ich glaube, sie wird das sehr gut spielen lernen) – und wie toll ist es, in einem Orchester zu spielen! Das ist noch besser als im Chor zu singen. Wieder einmal muss ich sagen, dass es doch seine Vorteile hart, in einer so großen Stadt zu wohnen, die so vieles bietet. Der Sound eines kleinen Orchesters, selbst wenn es noch krumm & schief klingt, ist unvergleichlich, packend. – Zieglers Vermieter akzeptiert übrigens auch Katzen.

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    Lieber Herr Posener,

    auch wenn Sie ältere werden, haben Sie scxhon vergessen, dass die Berliner Regierung um 2003 ??? etwa 70.000 Wohnungen für einen Appel und n´Ei an den Cerberus Fond verkauft hat.

    qm2 Preis ca. 400 bis 500 Euro

    Aber dies geschah alles im Sinne der Deregulierung und dem Schulden Abbbau.

    In wien gehören hingegen noch über 60% der Wohnungen Genossenschaften bzw. der Kommune.

    Warum sind Sie damals nicht aufgestanden und haben eine Initiative entfacht ?

    Wo ist damals Ihr KPD /Mdl oder Kpd AO Spirit geblieben.

    Jetzt rufen Sie nach Genossenschaften während Sie zur Zeit der Verschleuderung des Tafelsilbers einer Stadt die Flagge des Thatcheritmus geschwungen haben.

    Die nostalgischen Revoluzzer Geschichten, wie auch Ihre Kritik an dem “ Genossen “ Stefan Buchenau erinnern mich immer wieder an die Bargespräche in Frankfurt und auch Berlin, wenn ich mit ehemaligen Genossen zusammentreffen….

    Dann fällt mir nur das Lied von Ernst Busch ein, dass ich auf dem Flohmarkt in Berlin erstanden habe:

    http://www.youtube.com/watch?v=1XpUGyVq9jE

    Wie heißt es in der Bibel:

    Der Herr wandte sein Antlitz ab und weinte bitterlich

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    @Stevanovic: Stimmt, und ich würde für mich auch nicht in Anspruch nehmen, kein Egoist zu sein. Ich will das Beste für mich, meine Familie, mein Umfeld. Deswegen wähle ich die Politik, die zu meinen Wünschen am besten passt. Wenn die Wahlentscheidung falsch sein sollte, weil eine andere besser passt, höre ich gern zu. Was mich aber wundert, ist, wenn bekennende (philosophische) Egoisten sich darüber beschweren, wenn man egoistisch – zum eigenen Nutzen, d.h. in diesem Fall: gegen die Investoren – wählt.

    Aber nun muss ich zum Zahnarzt.

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    Mir fiel noch etwas dazu ein, Alan Posener:
    Sie laufen doch so gern in Mitte und angrenzenden Bezirken herum. Ihre Tochter lebt in Kreuzberg. Außerdem sind Sie nur noch zu zweit. Und eine Veränderung tut einem gut, es fällt einem plötzlich wieder mehr zum Schreiben ein als immer dasselbe.
    Sie könnten doch theoretisch in Zieglers Wohnung ziehen und Zieglers Ihr Haus vermieten.
    Ich versuche, Ihnen das noch schmackhafter zu machen: Zieglers Vermieter nimmt offenbar Haustiere. Sie müssen gar keine Gartenarbeit mehr machen. Sie sparen die langen Wege nach Mitte und Benzin-/Taxi-/U-Bahnkosten. Außerdem dürfte Ihr Haus etwas teurer sein, so dass sie etwas zur Seite legen könnten.
    Und dann noch etwas Inspirierenderes: Stellen Sie sich einfach vor, eine von Zieglers Töchtern würde berühmt, berühmte Musikerin z.B. Dann wären Sie eines Tages einer der Sponsoren quasi dieser berühmten Musikerin und könnten ein Buch über sie schreiben. Ich gebe zu, das bewegt sich sehr im Spekulativen, und wir wissen noch nicht, ob Zieglers Vermieter auch Katzen akzeptiert, aber der ganze Immobilienbereich bewegt sich grundsätzlich im Spekulativen. Sie könnten ein glücklicherer Mensch werden, neue Impulse bekommen und neue Ideen. Nichts zu danken. 😉

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    Apropos Kreuzberg:
    Ich bin eindeutig dafür, dass man den Platz vor dem Jüdischen Museum „Moses-Mendelssohn-Platz“ nennt. Was sich da abspielt, erinnert an Schildbürgerstreiche.

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    @Ziegler

    „Aber von uns auch noch zu verlangen, das gut und richtig zu finden und die Cleveren freiwillig zu wählen, das geht zu weit.“

    Ja, dass tut es. There is no such thing blabla…. Moralisch ist das ok, aber halt natürlich Egoismus Die Frage ist, ob die, die man deswegen wählt, wirklich cleverer als die Cleveren sind. Werden Lösungen auf kosten Anderer oder anderer Probleme angeboten, werden Probleme nicht nur aufgeschoben, damit die Folgekosten teurer? Die SPD hat bei Thema Wohnungsbau und Mieten manchmal seltsame Ideen (gehört zur Folklore wie das Bekenntnis zur Nation der Konservativen), die im ersten Moment sogar einleuchten, in 10 Jahren die Situation manchmal schlimmer machen. Und dann kommt Panik und dann wird Großprojektet (Beobachtungen aus der Provinz).

    Aber sie machen Druck auf Investoren, nicht nur für sich clever zu sein – das an sich muss nicht schlecht sein.

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    @Alan Posener: Ja, ich finde auch, dass ein Verbot der Aufwertung von Wohnungen nicht gut ist, weniger weil mir die Wehmut angesichts unrechtmäßig zurückgedrängter Investor-Wähler und ihrer städtebaulichen Nivellierungen zu denken gibt; mehr, weil das Verbot nicht zu dem führt, was „wir“ uns wünschen: gemischtes Wohnen, erträgliche Mietpreise, normal sanierte Häuser, Sonderwohnrecht für alteingesessene Rentner. Mieterrechte gibt es schon, aber irgendwie – ziehen die nicht.

    Ich bin nur noch selten am Helmholtzplatz (eigenltich nur noch wegen der Kneipe Al Hamra, neben der ein weitere Wege scheuender Freund wohnt, und unserer Kinderärztin); da gibt es wieder Penner und Punks? Eine zeitlang waren die weg.

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    Lieber Alan Posener,
    „Die Hufeisensiedlung in Britz (zum Beispiel) ist immer noch eine schöne Wohnadresse. Und die Gropiusstadt ist viel besser als ihr Ruf. Im Hansaviertel und in der Zehlendorfer Taut-Siedlung würde ich sehr gern leben.“

    Sie wohnen dort aber nicht. Also los: Sie machen jetzt, wovon Sie träumen, ziehen dorthin und vermieten Ziegler mit seinem Hund und seinen zwei Gören Ihr Haus. Das kriegen Sie hin. Äh, nebenbei bemerkt: Katzen im dritten/vierten Stock? Überhaupt, Vermieter und Tiere. Ich würde an Hundehalter vermieten, an Katzenhalter niemals. Katzen machen alles kaputt, das fängt bei Teppichen an und hört bei Vögeln auf.

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    …um den Punkt zu machen: Ich, Frau Schlemm-Heise und viele anderen Mieter sind nicht clever. In Sachen Cleverness werden wir die Investoren/Eigentümer nie überbieten. Das wollen wir auch gar nicht; wir verschlafen unsere Chancen lieber und wohnen in Ruhe in unserer Mietwohung. Dann muss man eben für die Kosnequenzen gerade stehen, sagen dann viele. Gut, wir stehen ja gerade; wir sind es, die umziehen. Aber von uns auch noch zu verlangen, das gut und richtig zu finden und die Cleveren freiwillig zu wählen, das geht zu weit.

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    @Stevanovic: Die Lösung müsste in einer Art Interessensausgleich (Kompromiss) gesucht werden. Dazu bedarf es einer dazwischengeschalteten Instanz, z.B. einer Hausverwaltung. Diese Instanz sollte beide Seiten berücksichtigen; in der Realität berücksichtigt sie meist nur die Seite des Eigentümers. (Es scheint auch positive Gegenbeispiele zu geben, die man sich genauer ansehen müsste.)

    Die Fundamtentalopposition gegen Investoren ist falsch; irgendwie müssen die Häuser ja saniert werden. Gegen ein verantwortungsbewusstes Gewinninteresse, das berücksichtigt, mit WAS (bzw. wem) der Gewinn erzielt werden soll, ist auch nichts einzuwenden. Gegen ein nacktes Gewinninteresse allerdings schon. Der Mieterschutz und die Zuschüsse vom Staat funktionieren oft nur vordergründig; die neuen Eigentümer präsentieren sich leutselig und betont kooperativ. Dann wird die Sanierung begonnen, während die Mieter noch wohnen, und so lange verzögert und verschlampt, bis es keiner mehr aushält. Am Ende sind die Wohungen leer und werden mit einem Hänge- statt Standklo und einem Handtuchwärmer ausgestattet (-> Luxusstandard) und teuer vermietet oder leer gelassen, damit das Haus besser weiterverkauft werden kann.

    @KJN: Als Student hätte ich mir gern einen sog. Dachgeschossrohling in der Dunckerstraße (inzwischen absolute Toplage) gekauft; das kostete damals 90 000 DM (!). Nach einem Ausbau hätte man den heute ca. für das 10fache verkaufen können. Leider wollte meine Verwandtschaft das nicht finanzieren – zu unsicher, und warum auch? 🙂

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    Lieber Genosse Stefan Buchenau, dein Beitrag strotzt vor Selbstgerechtigkeit. Du bis offensichtlich unfähig, deinen eigenen Anteil am Prozess der Gentrifizierung überhaupt zu erkennen. Stattdessen glorifizierst du dich als Opfer. Dazu passt der unsägliche Lied-Text, den du zitierst:

    „Auf Kreuzbergs grauen Straßen, erinnert Euch immer daran. Schon über hundert Jahre, wohnt hier der Arbeitsmann. Schon über hundert Jahre ist unser Kreuzberg alt. Und die die darin wohnen, ha’ms hundert mal bezahlt.“

    Ihr wart ja keine „Arbeitsmänner“. (Und was ist übrigens mit den Frauen?) Und aus „unserem Kreuzberg“ stammtet ihr auch nicht, und ihr habt es auch nicht „bezahlt“. Gegen solche Stellvertreter-Proletkult-Romantik hat die KPD/AO – jedenfalls in ihrer ersten Zeit entschieden angekämpft. So heißt es sinngemäß in der immer noch nachlesenswerten „Programmatischen Erklärung“ der AO: Wir wollen nicht als Möchtegern-Arbeiter im Blaumann herumlaufen. Du scheinst das in Gedanken immer noch zu tun.
    Wobei der „Arbeitsmann“ schon vor unserem Zuzug längst aus Kreuzberg raus war. Und zwar freiwillig, weil er gern eine Zentralheizung und einen Parkplatz hatte und seine Frau gern niedrige, leicht zu putzende Decken und eine moderne Küche, hell, ruhig, schön mit Fahrstuhl, im Grünen, wegen der Kinder. Weshalb sie sich – kurz und gut – in der Gropiusstadt und dem Märkischen Viertel ganz wohl gefühlt haben, während wir vor den bröckelnden Kulissen des alten Arbeiterviertels demonstriert haben.
    Übrigens war es in Prenzelberg ähnlich. Der Bezirk war lange vor 1989 weitgehend entmietet, weil die proletarischen Bewohner in die Plattenbauten von Marzahn gezogen waren.
    An alle:
    Viele Kommentatoren beklagen die Verdrängung von sozial Schwachen aus den Gentrifizierungskiezen. Und ich habe ja – dachte ich jedenfalls – in meiner wehmütigen Eingangssequenz die – wenn man so will – Nivellierung nach oben mit dem einhergehenden Verlust von Differenz beklagt. Die Frage bleibt, wie man dem begegnet. Mit einer Zuzugssperre für Wohlhabende, wie es die SPD und die Grünen wollen, indem sie die Aufwertung von Wohnungen verbieten? Das halte ich für genau den falschen Weg: Es ist das legale Äquivalent des Anzündens von Luxusautos: Reiche raus! Es mag ja der einen oder anderen alten Oma nutzen, nutzt aber, wie alle flächendeckenden Sozialmaßnahmen (ich denke etwa an kostenlose Gymnasien und Unis, angeblich, um den Aufsteigern aus der Unterschicht zu helfen), hauptsächlich der Mittelschicht.
    Die soziale Konservierungspolitik ist, wie jede Form des Konservativismus,denn auch rein negativ gedacht. Veränderung? Nein, Danke1 In den 1920er und 1930er Jahren, und dann noch einmal in den Aufbaujahren bis Mitte der 1960er Jahre hat der Staat, hat vor allem die SPD hingegen positiv gedacht: mit der Förderung des sozialen Wohnungsbaus, mit dem Bau von Großsiedlungen und Sozialwohnungen. Darüber rümpfen postmoderne Städtebauer die Nase. Zu Unrecht. Die Hufeisensiedlung in Britz (zum Beispiel) ist immer noch eine schöne Wohnadresse. Und die Gropiusstadt ist viel besser als ihr Ruf. Im Hansaviertel und in der Zehlendorfer Taut-Siedlung würde ich sehr gern leben. Es gibt viele weitere Siedlungen aus den 1920er bis 1960er Jahren, die mit etwas städtebaulicher Fantasie verdichtet, urbanisiert und für junge Mieter – und Wohnungserwerber – attraktiv gemacht werden können. Wie so etwas geht, hat mein Freund Michael Wolffsohn in der „Gartenstadt Atlantic“ vorgemacht:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Gartenstadt_Atlantic

    Statt mit Verboten zu versuchen, einen flüchtigen Zustand zu zementieren, sollten Politiker und Stadtplaner sich an das kreative Erbe der großen Stadtreformer, von Hoffmann bis Hämer, anknüpfen; Bauherrenmodelle und Genossenchaften fördern, Wettbewerbe zur Regenerierung vergessener und verkommener Stadtviertel ausschreiben usw. usf. Das hieße freilich, statt Klientelpolitik mal auch Zukunftspolitik machen.
    Ach, und lieber Roland Ziegler: Ich war vor einer Woche am Helmholtzplatz. Die Penner und Punks sind immer noch da.

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    (Entschuldigung fuer das inkorrekte Buchstabieren des Namens „Posener“ – ich lese manchmal verschieden buchstabierte Versionen und im Moment fand ich nicht die in diesen Fall korrekte.)

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    …ich glaube man nennt das Entpolitisierung durch Kulturalisierung eines sozialen Problems. Es endet dann eben in der Beliebigkeit, alles Dramatische, echte Menschen betreffende wird abgeschliffen, weggewischt, und übrig bleibt ein amüsiert-feuilletonistischer Blick aus dem Lehnsessel, der über den eigen Bauchnabel auch nicht hinauskommt.

    Und, selbst Immobilienbesitzer geworden?

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    Berlin war „wo man durch faehrt“ durch den „Vorhang“ – und diese 15 Minuten waren – fuer mich jeweils – vor einem halben Jahrhundert – nur – gracias a dios ! – nur jedesmal eine Kurz-Szene – in meinen dumm-tollkuehnen kamikazihaften Abenteuerstreunen – zwischen zwei, drei Kontinenten. Das „Durchfahren“ war damals auch ein aufregendes Abenteuer, und fuer mich aus meinem „Ambience“ kommend „exotisch“ fast wie die Kaschba in Tangier: Fahrt durch den „Vorhang“ (BEIDE Seiten fragten sich immer „Warum“ ?!!! „Kann Der nuetzlich sein? Nee – der ist uns zu unheimlich!“). Das erste Mal wollte ein Uniformierter nicht erlauben dass ich Schallplatten „mit brachte“. Das zweite Mal wurde nur „durch gewinkt“ – (offene Muender von Zuschauern). Auf dem „Rueckweg“ nach der ersten „Durchfahrt“ durch Berlin – luden mich einige interessante Mitreisende (mit Erfahrung in Dhien Bien Phu und Sidi Bel Abbes) ein – mit ihnen nach Muenchen zum „All Afrika Bureau“ zu kommen: Moises Tschombe brauchte Leute fuer die ‚Katanga Gendarmes‘. Aber ich hatte Jahre vorher schon „die Schnauze voll“ bekommen in einem „Pflicht-Kurzdienst“ vom Militaerischkommandiert werden ( angeschnautzt werden , und in 38 Grad Hitze im Sand liegen under einem Stahlhelm…)- und das Waffengewerbe mit der Knallerei und dem Schwefelgestank ist mir immer ein Greul gewesen.(I like to dance Bolero, not shoot an iron!) Ich war in 42 Laendern, nur einmal als Turist – da erlebt man so manches – na, ja, vielleicht doch nicht so ein grosses Abenteuer wie das Berlin von Mr. PozEner…

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    @Ziegler
    „Außer für die Betroffenen.“

    Ich klang vielleicht zu zynisch. Diese Effekte gibt es überall in der Welt, in jeder Stadt, in jedem Land, in jeder Nation. Das geht doch schon in den Unternehmen los: Bleibt der Laden wie er ist, geht er pleite – wird er saniert, verlieren viele den Arbeitsplatz. Immer stehen Gewinner eines Wandels den Verlierern gegenüber. Ich habe den Königsweg zur Auflösung noch nicht gefunden, es beruhigt mich nicht, dass ihr Berliner nicht weiter seid. Am Ende des Tages hat nach meiner Beobachtung der Wiederstand gegen einen Wandel mehr Schaden angerichtet als seine konstruktive Akzeptanz. Klingt fundiert wie die Weisheiten von Yoda, aber mehr ist in dem Format hier nicht drin. Mir tut jede 80 Jährige die umziehen muss sehr leid, es ist aber nicht die Flucht vor den Russen. Ich würde eher der Dame beim Umzug helfen, als gegen die Sanierung demonstrieren. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da war Platte im Ostblock der reine Luxus, meine Wohnung ist heute nicht viel besser. Entscheidend ist eine gute Nachbarschaft und die macht man sich selber. Egal wo. Niemand muss anonym in der Platte wohnen – beim Nachbarn klingeln hilft. Ein Menschenrecht auf das Leben an einer bestimmten Stelle, in einem bestimmten Viertel, mit bestimmten Nachbarn gibt es seit der Völkerwanderung nicht mehr. Ich freue mich neidfrei für jeden der es schafft. Auch noch gesetzlich festschreiben, wer die Nachbarn sind… da kippt es schnell ins Geschmacklose, wenn es nicht gegen böse (?) Investoren, sondern gegen andere Kulturen geht.

    Also ja, es gibt die von Ihnen beschriebenen Probleme, nur nein, die Schneekugel ist nicht die Lösung.

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    Ich würde erstens sagen, auch nach Lektüre von Stefan Blumenau, dass die Viertel am besten sind, wenn dort noch Künstler und Studenten wohnen.
    Werden sie zu bürgerlich als Folge steigender Preise und Mieten, veröden sie auf eine ureigene Art, werden langweilig und verlieren ihren Charme, obwohl die Häuser schöner und sauberer sind. Aber das Vitale ist dann dahin, und das ist wohl das, was zu Recht beklagt wird. Die Künstler und Studenten haben keinerlei Scheu, z.B. in die Nähe von Migranten zu ziehen, während die etablierteren Bürger erst den Künstlern nachreisen. Im Endeffekt verdrängen sie die Künstler, dann geht das Spiel woanders von vorn los. Das Ganze kann man ohne weiteres auf Orte wie Ahrenshoop übertragen, die heute unbezahlbar sind.
    Zweitens muss ich die Tendenz beklagen, drastisch zu sanieren, d.h. alles auf einmal. Man kann ebensogut laufend sanieren und die Mieterhöhungen dabei auf einem für einige erträglichen Niveau lassen.
    Drittens sehe ich gelegentlich, was bei Sanierungen auf dem Bürgersteig landet. Da sind auch erhaltenswerte Dinge dabei. Wir haben hier in Deutschland inzwischen so eine Ausverkaufsmentalität auf dem Sektor erreicht: Alles muss ‚raus. Finde ich unappetitlich und oft bar jeder Kenntnisnahme von Werten bzw. krass im Sinne von Wertevernichtung. Der Bürger hat auch seine eigene Mentalität, vor allem im Bad. Die Badewanne kann toll sein, muss aber mit ‚raus, damit sie zur neuen Dusche passt. Die Fliesen können schön sein, müssen aber weichen, weil man zur Zeit eher die Wände malt usw. Alles etwas schnell, etwas viel, etwas atemlos. Bei Wohneigentum kommt gelegentlich nach fünf Jahren der Nächste und haut alles wieder ‚raus. Nun ja, gut für die Wirtschaft, aber etwas sinnentleert.
    Völlig klar, wenn die Mixtur allochthon/Student/Künstler/mittlerer Bürger, die nicht schlecht ist, ersetzt wird, kommt Nostalgie auf. Traurig wäre, wenn man eines Tages so Ringe von Hochhäusern hätte wie in Paris oder anderen südlicheren Städten. Im Grunde sind das alles jeweils zwei Städte.

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    Nun sind ja Investoren/Vermieter auch keine Obrigkeit, sondern Dienstleister. Die Kosten für so ein Objekt laufen nämlich weiter, auch wenn keine Miete kommt, so daß man sich mit einer „Luxussanierung“ auch gut verspekulieren kann. Angebot Nachfrage halt. Was den Kiez angeht: Interessante gemischte Nachbarschaft, wächst und vergeht wieder (leider!!), die kann man weder planen noch konservieren.
    Und was Sozialpolitik betrifft: Ich kenne beide Seiten. Ich war noch an der Uni, als das Kind geboren wurde und wir zogen mit einem befreundeten Paar in ein Haus, die dann aber schon nach einem halben Jahr aus berufl. Gründen wegzogen. Allein konnten wir die Miete nicht tragen, aber wir konnten in eine freiwerdende Sozialwohnung. Mein Vater sagte: Kauf doch das Haus, ich unterstütze dich. das wäre gegangen, aber ich wollte nicht, bzw. nur aus eigener Kraft usw..bla.. Das Haus wäre nach 10 Jahren abbezahlt gewesen und ist heute mindestens doppelt soviel wert. Ich habe dann 3 Jahre später etwas anderes gekauft und wesentlich länger abbezahlt. @R.Z.: Wäre ich Berliner und würde eine Wohnung für 100 T€ angeboten bekommen, säße ich heute Abend noch bei einer Bank..

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    Lieber Alan Posener, was ich nicht verstehe ist warum Sie glauben, dass die Durchmischung ausgerechnet von den Investoren vorangetrieben wird. Im Prenzlauer Berg kann man jedenfalls sehen, wie gerade auf Kosten der Durchmischung – nur für die Zielgruppe des zahlungskräftigen Neubürgers – der Stadtteil „entmischt“ wird. Aufgemischt. Aufgeräumt, könnte man auch sagen. Die Penner und Punks, die es sich jahrelang auf dem Helmholtzplatz gemütlich gemacht haben, sind jedenfalls weg. Frau Schlemm-Heise auch. Ist das der Fortschritt? Ich finde nicht.
    Gerade komme ich aus dem Bötzowviertel (Orchesterprobe der Tochter), da ist alles sehr schick. Arbeiter, Arbeitslose, Rentner und alle anderen mit geringen Einkommen sind nicht mehr zu sehen. Selbst Ihnen ist es da zu shcick, zu steril. Aber Durchmischung – wie in Kreuzberg – ist nicht schick oder steril.

    @Stevanovic: Das ist alles nicht tragisch oder wenigstens ungewöhnlich. Außer für die Betroffenen.

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    @ Alan Posener
    Moin Herr Posener (oder soll ich, als ex Kreuzberger A Nuller „Genosse“ sagen?)
    Also seinerzeit in Kreuzberg, Skalitzer Str., an der Hochbahn. Der Bezirk war bunt und bezahlbar. Ich war dort in einer WG gelandet, weil ich schon zweimal raussaniert wurde (Wilmersdorf, Friedenau, jeweils Außenklo). In Kreuzberg hatten wir sogar eine Badewanne- dann kam eine Modernisierung (Zentralheizung, Warmwasser) Die Heizung wollten wir nicht (Öfen waren intakt), Warmwasser brauchten wir nicht, da Gas- Durchlauferhitzer. Wir haben Mieterversammlungen, Hoffeste usw. organisiert. Die ersten, die auszogen, war die Familie über uns mit 11 Kindern (wir lebten in ehemaligen Offizierswohnungen der ehemaligen Wrangelkaserne). Für uns hieß das 4 Zimmer, ca 110 m², 400 DM. Oben waren die Wohnungen, da nicht geteilt, doppelt so groß. Übern Hof wohnte Gerhard Seyfried (der mit den Wimmelbildern) Unsere Band hieß übrigens erst „Kontaktbereichsorchester“, dann „Hörsturz“ und die Konzerte im Kuckuk waren der taz eine halbe Seite wert. Letztlich war unsere WG die einzige, die sich noch wehrte. Eines Tages wurden die Schornsteine zugemauert, das Gas abgestellt- das wars dann. Danach kostete die Wohnung das doppelte. Ein Lehrer, der Hauptmieter, konnte sich das leisten- die anderen verschwanden irgendwohin. Jenseits der persönlichen Betroffenheit ist diese Art der „gentrifizierung“ ein Akt der sozialen Apartheit, oder Volkstümlicher: Die Guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Oder wie Patty Smith in einem Film sagte: Als ich hier wohnte, war das ein Slum. Meine Freunde und ich haben diese Gegend lebenswert gemacht- heute könnte sich keiner von uns mehr ein Atelier hier leisten. Oder der gute alte Heinrich Zille: Man kann einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen, wie mit einber Axt.
    Es geht nicht um die Bewahrung von Reservaten. Es geht darum, wie eine Kreuzberger Band seinerzeit sang:
    Auf Kreuzbergs grauen Straßen, erinnert Euch immer daran. Schon über hundert Jahre, wohnt hier der Arbeitsmann. Schon über hundert Jahre ist unser Kreuzberg alt. Und die die darin wohnen, ha’ms hundert mal bezahlt.
    Das hat offenbar nicht gereicht, weil Wohnen eine Ware ist. Ist das gut oder schlecht? Kommt immer drauf an, wen man fragt.

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    … lieber Herr Gesangsverein, nicht der Staatsbürger muss sich für Zuzug anderer rechtfertigen, sondern die, die den Zuzug anderer fordern, müssen sich rechtfertigen, den Zuzug begründen.

    Darüber hinaus ist die Ethnie beim Zuzug ohne belang. Aber der Zuzug von Ideologien sehr wohl.

    Möge mir doch jemand eine Begründung für den millionenfachen Zuzug einer Ideologie geben, die mich als Staatsbürger dieses Landes zum Menschen zweiter Klasse herabstuft und alle 5 Minuten die Ermordung eines Christen verantwortet. Das im 21.Jahrhundert. [sic!]

    Jetzt. Sofort.

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    „Ich finde den Versuch, eine bestimmte Schicht aus einem Stadtteil herauszuhalten, verwerflich.“

    „da hat die SPD eine Zuzugsperre für Ausländer in bestimmten Bezirken verhängt. Das war ja auch “im Interesse der Wähler”.“

    OK, jetzt verstehe ich. Der Schrei der gequälten Seele eines aufrechten Liberalen. Wenn das so ist, wie sie es darstellen (was ich der SPD aus eigener Erfahrung zutraue), haben sie natürlich Recht. Am Ende treffen sich dann Linke und Rechte und betrauern Werteverlust und Kommerzialisierung. Ich bin kein aufrechter Liberaler, aber mich nervt das beim Thema Integration. Die einen jammern über den Untergang der Nation durch Migration, die anderen versuchen alles, damit Migranten Migranten bleiben. Am Ende des Tages ist das Land in der Krise, weil kein Nationalbewusstsein oder keine Willkommenskultur. Rumgemäkel auf allen Seiten. Schuld sind wie immer die Amis. Hey, so provinziell sind wir gar nicht!

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    Lieber Parisien, es geht mir nicht um Buschkowskys Gürtellinie. Es geht mir um Folgendes: Die Rechten (ich simplifiziere) jammern vom „Abkippen ganzer Stadtteile“, von der Nachtübernahme der Muslimen, von Parallelgesellschaften usw. Dann kommt es dank Multikulti und Kapitalismus anders. Aus Problembezirken werden Szeneviertel und – peu à peu – sogar Vorzeigekiezen.und dabei jammert die Linke (ich simplifiziere) über Gentrifizierung, Verdrängung der Ureinwohner, Zerstörumg des Kiezcharakters usw. Halten wir fest, dass die Durchmischung gut ist. Sie funktioniert nicht, wenn man diejenigen abschreckt, die in solchen Kiezen investieren wollen. Das sind ja nicht Superreiche. Die wohnen nach wie vor lieber in Potsdam oder in Wannsee, und zu Recht. Es sind Leute, die z.B. gern zwei Klos in ihrer Wohnung haben, eins für Gäste: Geht nicht, „Luxussanierung“. Das sind Leute, die gern auch etwas mehr für eine schön gelegene Wohnung bieten: Geht nicht, Mietsteigerungssperre bei Neuvermietung. Ich finde den Versuch, eine bestimmte Schicht aus einem Stadtteil herauszuhalten, verwerflich. Übrigens ist es gar nicht so lange her – 30 jahre vielleicht -, da hat die SPD eine Zuzugsperre für Ausländer in bestimmten Bezirken verhängt. Das war ja auch „im Interesse der Wähler“.

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    Klingt alles irgendwie normal. So wie immer halt. Die einen dafür, die anderen dagegen. Beides hat Gründe. Wie überall. Als Landei bin ich etwas enttäuscht. Sogar die Beispiele klingen nach hessischer Provinz. Schon mal über Froschwanderwege im Marburger Hinterland diskutiert? Ich verlange ja keine Performance, vielleicht bin ich zu unpolitisch, vor allem kein Berliner – aber was soll die Aufregung?

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    …ein Problem stellen auch unfähige Hausverwaltungen dar. Bei uns war es so, dass die in vorauseilendem Gehorsam fieser als die Investoren selber waren. Neulich habe ich von einem Beispiel einer professioneller arbeitenden Hausverwaltung gehört, die die Interessen der Mieter und die Gewinnorientierung der Eigentümer (=Auftraggeber) vernünftig unter einen Hut bringen konnte. Das geht nämlich meistens, wenn man es will.

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    @Alan Posener: Die Frau Schlemm-Heise war „über“ 70 (vielleicht sogar 80, ich weiß es nicht) und bei weitem nicht mehr so rüstig wie Sie und ich. Sie wohnte schon seit einer Ewigkeit dort.

    Die Interessen der Wohnungseigentümer werden normalerweise im Parlament durch Parteien wie CDU oder FDP vertreten. Wenn die dann keine Mehrheit haben, sollte das zumindest etwas Pech für sie sein. De facto sind die Merhrheitsverhältnisse aber (relativ) egal.

    Ihre Freunde machen das Richtige mit ihrem Zusammenschluss. Solche genossenschaftlichen Bauprojekte sind tatsächlich ein Mittel. Ja, wir hätten das vielleicht auch machen können, allerdings haben wir geschlafen und irgendwann erfahren, dass das Haus von einer dänischen Investmentgesellschaft gekauft worden ist. Wir sind nicht gefragt worden, hatten anderes zu tun und von dem Verkauf keine Ahnung (hätten allerdings zugegebenermaßen es wahrscheinlich sowieso nicht gekauft).

    Im ersten PB-Haus (Rykestraße) kam ein Investor aus Frankfurt und baute zusätzlich zur Sanierung ein noch nicht vorhandenes Vorderhaus. Im Hinterhaus wohnte kein einziger zahlungskräftiger bzw. kreditwürdiger Mensch, so dass der Rauswurf damals alternativlos war, wie es so schön heißt.

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    …achnee, ich muss mich korrigieren: das mit Wedding stimmt (noch) nicht; da gibt es keinen „großen Zuzug“. Die Studenten ziehen i.d.R. noch immer nach Neukölln; es wird anscheinend auch noch etwas dauern, bevor Wedding ähnlich attraktiv wird.

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    Ist das nicht etwas unter der Gürtellinie?
    Buschkowsky wird 65. Bis das Viertel ein Vorzeigeviertel ist, ist er mindestens 80, wenn das überhaupt passiert. Zitat Posener:

    „Ein Heinz Buschkowksky macht eine Medien-Karriere aus seinem „Problembezirk“ Neukölln, der angeblich „überall“ sei, und seine Parteifreunde wollen verhindern, dass Studenten, Künstler, Bohemiens, Kneipiers usw., gefolgt von Investoren, Bildungsbürgern und Touristen, aus dem Problem- ein Vorzeigebezirk machen, in dem ein Buschkowsky seinen Ruf als mutigen Wahr-Sager verlieren würde.“

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    @ Roland Ziegler: Nun tun sie erstens nicht so, als ob es hierzulande keinen Mieterschutz gäbe, und zweitens als ob man mit 70 zu alt wäre zum Umziehen. Ich bin 63, und ich hoffe doch sehr, in sieben Jahren noch rüstig zu sein.
    Und außerdem: Gehören nicht die Wohnungseigentümer zu den Leuten, deren Interessen die Parteien vertreten sollen? Freunde von mir haben jetzt ein Wohnhaus in Pankow gekauft. Fünf Mietparteien. Das Haus kostete 500.000 Euro (geschenkt, ehrlich gesagt, den Kredit bekamen meine Freunde (keine reichen Leute) ohne Eigenkapital, die Mieteinnahmen decken die Zinsen. Die Mieter hätten sich ja zusammen tun und selbst das Haus kaufen können. 100.000 Euro für eine Eigentumswohnung ist heute in Berlin kein Geld. Sie wollten nicht. Sollen denn Entscheidungen gar keine Folgen haben?
    Das Gerede von „Investoren“ (per se böse) verkleistert den Blick auf die vielen gar nicht so reichen Leute, die mit ihrem Geld (und ja, mit den entsprechenden Steuernachlässen) aus dem verrotteten Bezirk Prenzlauer Berg den (ja, mir etwas zu schicken) heutigen Prenzlberg gemacht haben.

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    @Alan Posener: Was mich betriff: Ich möchte eigentlich nicht mehr so „dabei sein“, sondern mich lieber (wieder) „ins Abseits stellen“, wo ich herkomme und mich wohler fühle. Insofern ist die Falkensee-Pampa für mich interessanter als Wedding 🙂
    Wedding erlebt zur Zeit einen großen Zuzug von Studenten, die in Neukölln nicht mehr wohnen (können oder wollen). Sie haben recht, da entsteht gerade etwas.
    Der Prenzlauer Berg – das sollte man nicht vergessen – war „damals“ zum Drittel entvölkert. Ein heruntergekommenes, zerbröckeltes Stadtgebiet. Viele ehemalige Bewohner waren in den Westen ‚rübergemacht, viele Wohnungen standen leer. Es waren neben den Alten und Armen noch junge Ossis übrig, die die Karaware übrig gelassen hatte (bzw. die gar nicht mitwollten). Mit denen man wunderbare Feste feiern konnte, weil man sich viel zu sagen hatte; man entstammte zweier Welten und teilte doch erstaunlich ähnliche Erfahrungen.
    Im Zuge dessen kam es dann etliche Jahre später, zur Gentrifizierung. Die Bewohner haben sich dagegen gewehrt, was ihr gutes Recht ist. Sie hatten aber keinen Erfolg. Man sollte nicht im Nachhinein ihre Bemühungen auch noch für illegitim halten; sie waren erfolglos, das genügt. Sie waren dageblieben, weil sie nicht weg wollten oder konnten; sie blieben in leeren Häusern zurück und müssen nun weg, damit andere hereinkommen können.

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    Sehr schöne Kolumne, ich bin mit Ihnen durch Kreuzberg geschlendert. Auch sehr schön, wie Sie den Bogen kriegen, die Attraktivität des alten Kreuzberg zu schildern, ohne sich der Nistalgie zu überantworten. Einfach Klasse. Heute ist sowieso ein schöner Tag, Ihre Kolumne hat ihn noch schöner gemacht.

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    Die politischen Parteien eines Bezirksparlaments sind die Interessensvertreter der Menschen vorort. Die Investoren haben auch ihre Interessensvertreter; darüber hinaus haben sie auch noch Geld. Mieter haben normalerweise kein Geld, aber Interessensvertreter sollten sie dann wenigstens haben. Deshalb ist es richtig, wenn SPD/Grüne/Linke sich in Gebieten wie Prenzlauer Berg gegen die Luxussanierungen u.ä. richten. Sie sind den aktuell hier lebenden Mietern verpflichtet, nicht den Neuzugängen der Zukunft.

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    …es sind nicht alle „jung und dynamisch“ (und ich habe auch keine Lust, unter lauter Jungen & Dynamischen zu leben, aber das nur nebenbei). Der über 70Jährigen alleinstehenden Omi aus der Wohnung nebenan war es nicht zuzumuten, sich eine andere, bezahlbare Wohnung zu suchen. Es ist absolut nicht in Ordnung, wenn sie das tun muss.

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    Lieber Roland Ziegler,
    vielen Dank für den Bericht über einen konkreten Fall von Mieterverdrängung, den ich durchaus als typisch ansehen würde. Aber Sie und Ihre Freunde waren ja auch nicht die Ur-Bewohner des Hauses, nehme ich an. Das heißt, die Pioniere aus dem Westen aus den heroischen Tagen von Prenzlauer Berg, an die ich mich noch erinnere, und wo ich mich selbst dort nach wohnungen umgesehen habe, schufen erst das Umfeld, in dem es für andere interessant wurde, dort zu investieren. Ich erinnere mich – aus jenen Zeiten – an den Bericht eines Freundes, der nach Falkensee gezogen war. Er sagte, die Wessis würden sich bei Butter Lindner und dem Montessori-Kindergarten treffen. Anders als in dieser paprallelgesellschaft sei es auch gar nicht in der Pampa auszuhalten. Inzwischen ist auch Falkensee eine gute Adresse. Ich verstehe schon, und das habe ich geschrieben, dass Leute für ihre Interessen kämpfen und dass sich Parteien dieser Klientel annehmen. Nur sollte man nicht so tun, als wäre das etwas anderes als Klientelpolitik. Wer die Durchmischung der Stadtteile will, muss auf die Gentrifizierungskarawane setzen. Ich empfehle Ihnen nach dem Wedding zu gehen. Da dürfte es etwa 20 Jahre dauern, bis Kreuzberger Zustände erreicht sind. Und Sie können sagen, Sie sind dabei gewesen:
    http://www.welt.de/politik/deu.....allee.html

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    „Man sagt, solche Maßnahmen sollen die Verdrängung der alteingesessenen und ärmeren Bewohner aufhalten. Aber in Wirklichkeit geht es vor allem darum, den Neuzuzug anderer und wohlhabender Bürger zu verhindern.“

    Ich denke, das läßt sich leider nicht so sauber trennen, wie sich das der Autor vorstellt. Wohlhabene treiben den Mietspiegel nach oben und verklagen Kneipen wegen Lärmbelästigung. Die Mittelschicht mag von geringen Mieten profitieren, für die Unterschicht sind sie aber existentiell.

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    Ich bin ja Wahl-Prenzl.Berger wider Willen, was in diesem Fall bedeutet, dass ich direkt nach dem Mauerfall in den Prenzlauer Berg gezogen und dort wegen dem persönlichen Umfeld und der Bequemlichkeit sowie mangels überzeugender Alternativen wohnen geblieben bin. Damals war Kreuzberg proppenvoll und (für mich) uninteressant; die Kreuzberger Kneipen kannte ich zur Genüge und die „Wende“ spielte sich woanders ab, nämlich u.a. im Prenzlauer Berg.

    Inzwischen ist jener „Neuzuzug anderer und wohlhabenderer Bürger“ trotz des Wirkens von Grünen, SPD und Linken geschehen, mit dem Ergebnis, dass ich 5mal umgezogen bin und mich inzwischen an der Grenze zu Pankow befinde.

    Das Hauptproblem jener Gentrifizierung ist tatsächlich – d.h. nicht vorgeschoben – , dass die alteingesessenen Mieter abgedrängt werden. Das ist kein Märchen von Profiteuren, sondern eine Tatsache, unter der Rentner, Arbeiter und Arme (in letztere kann man ja durchaus auch Studenten einreihen) leiden. Klar kann man sagen, das ist der Lauf der Zeit. Man kann aber auch versuchen, eine Politik für die Wähler zu machen, die einen gewählt haben. Insb. die Linke, aber auch die von Ihnen erwähnten SPD und Grüne, werden im Prenzlauer Berg insb. deshalb gewählt, um den weiteren Anstieg der Mieten und die Luxussanierungen zu verhindern oder wenigstens zu begrenzen. Also versuchen sie das auch.

    Die Sanierungen und der Zuzug am Kollwitzplatz, am Helmholtzplatz und in der Kastanienallee ist den Einheimischen dort nicht gut bekommen. Vor meiner aktuellen Wohnung wohnte ich in der Paul-Robeson-Str. am Arnimplatz (davor Göhrener, davor Lychener, davor Ryke). Das war ein voll besetztes Haus, mit Mietern aller Couleur (Rentnern, Studenten, Asis im Erdgeschoss, Büroangestellte, Selbständige, Kranfahrer, Akademiker). Nach dem Verkauf und dem inoffiziell-halblegalen Verdrängungsprozess wohnen jetzt dort noch 3 Parteien (ursprünglich hieß es, alle sollten bleiben, denn ein vermietetes Haus sei ja für den Eigentümer besser als ein entmietetes – eine lächerliche Lüge). Alle anderen Wohnugen stehen seit einem Jahr leer und werden aktuell für die doppelte Miete angeboten. Die ehemalige Hausgemeinschaft ist über der Peripherie Berlins aufgesplittert. Das ist ein typischer Fall.

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    Alles richtig. Man kann die Zeit nicht festhalten und Städte und Quartiere wandeln sich. Aber bei diesem Wandlungsprozess muss darauf geachtet werden, das Menschen mit wenig Geld nicht in Hochhausquartiere am Stadtrand abgedrängt werden, wo sich viele Probleme noch verstärken. Eine Stadt muss attraktive Alternativen auch für Menschen mit wenig Geld anbieten – und wenn sie die nicht hat, muss sie sie schaffen. Dafür wurde irgendwann der soziale Wohnungsbau erfunden. Und der geht auch besser und humaner als in den 60er und 70er Jahren.

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    Das tolle an Berlin ist ja, dass es noch groß und arm genug ist, um Ausweichviertel zu bieten. Aber in 10-20 Jahren wird man dieselbe Entwicklung auch im Wedding und anderen Vierteln spüren, und die Verdrängung wird leider zunehmen.

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    Leider kann ich über Berlin wenig sagen. Aus der westdeutschen Provinz kommend, kannte ich Berlin aus den Erzählungen der älteren (revolutionäre 1.Mai Demo) und von der Klassenfahrt. Wenn bei uns ein neues Shopping Center aufmachte, veränderte das die halbe Stadt. Als unsere Stammkneipe oder das Jugendzentrum renoviert wurde, gab es keine Ausweichmöglichkeit, als die Kneipe wieder aufmachte, war sie nicht mehr uns. Die Zeiten änderten sich und wir mit ihnen. Wo die Jugend heute rumhängt, weiß ich nicht einmal. Warum erzähle ich das? Diesen verzweifelten Wunsch, den Status Quo zu erhalten, kenne ich mit der Vehemenz nur aus der Großstadt. „Berlin sei dazu verdammt, ewig zu werden und niemals zu sein“ – dem möchte ich nicht wiedersprechen, möchte nur hinzugeben: wo ist das denn nicht so? Den Verlust des Heimatgefühls kann ich verstehen und meines fehlt mir auch sehr. Alles ändert sich rasend schnell, wir sind Heimatlose. Vielleicht sind das alle ab einem gewissen Alter. Gentrifzierung erscheint mir wie ein Problem, das alle teilen, aus dem die Avantgarde der Großstadt aber wieder eine Philosophie macht. Wenn die Veränderung in Form von Investoren kommt, graben die Rothäute das Kriegsbeil aus und werden zu Konservativen. Dann klingen sie wie die German Defence League, nur auf Großstädtisch. Aber es sind nicht die Investoren, es ist das Leben. Auf dem Land suchen sich die Leute ja auch was anderes. Und das war noch nie so toll wie das damals, als die Gummistiefel noch aus Leder waren. Erzählten so die Alten und bald bin ich auch einer und werde es genauso erzählen. Nur für Großstädter ein Problem. Vielleicht ist es auch kein Problem, mehr ein Phänomen: The timest they are a changing. Damit möchte ich nicht für Fatalismus plädieren, aber für Augenmaß. Naja, Berlin fanden wir immer toll, weil es das dort anscheinend nicht gab. Also aus Landei-Sicht ist in Berlin alles beim alten.

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