In wenigen Stunden werden die Grünen in Saarlouis Geschichte schreiben. Entweder entscheiden sie sich für das erste rot-rot-grüne Bündnis in einem westdeutschen Flächenstaat oder für das erste schwarz-gelb-grüne. So oder so – es wird eine der wichtigsten landespolitischen Premieren der letzten Jahrzehnte sein.
Oskar Lafontaine hat mit seinem Verzicht auf den Co-Fraktionsvorsitz der Linken im Bundestag Ängte geschürt, er wolle im Saarland bei Rot-Rot-Grün als übermächtiger Schatten agieren. Deshalb sind die Chancen für Jamaika wieder deutlich gestiegen. Votieren die Grünen tatsächlich dafür, bleibt Peter Müller CDU-Ministerpräsident an der Saar. Schön für ihn, aber noch wichtiger ist das neue Bündnis für Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Für sie wäre es geradezu eine Traumkonstellation: Nach Schwarz-Grün im Stadtstaat Hamburg würde zum zweiten Mal diese neue Bündnisstruktur ausprobiert. Dabei ist wichtig, dass es in einem Flächenland, wenn auch in einem kleinen, passiert. Der Grund dafür ist, dass die Regierungsanforderungen ganz anders sind als in Städten. Deshalb muss auch Rot-Rot seine Feuertaufe erst noch in einem Flächenstaat haben, wahrscheinlich dann in Brandenburg. Das Berliner Bündnis reicht nicht aus, um die Tauglichkeit dieses Politik-Modells zu zeigen.
Merkel war schon Schwarz-Grün in Hamburg sehr wichtig, Jamaika an der Saar wäre es noch mehr. Denn die Kanzlerin ist außerordentlich an dieser Bündnisoption interessiert – und auch daran, die Grünen weiterhin am bürgerlichen Lager interessiert zu halten.
Die politischen Schichtungen innerhalb der Grünen sind sehr kompliziert, was Bündnisprognosen wahnsinnig schwierig macht. Bei den Wählern gibt es schwarz-grüne Allianzen in vielen bürgerlichen Familien und teilweise sogar bei einzelnen Wählern selbst, die ihre Erststimme der Union gegeben haben (weil sie sie nicht verschwenden wollten) und die Zweitstimme den Grünen. Bei den Funktionären der Grünen – und denen, die auf Parteitagen auftauchen – dürfte die Neigung zu Rot-Rot-Grün überwiegen. In Berlin bei den Spitzenkräften der Partei und in der Bundestagsfraktion ist allerdings klar, welche Sackgasse eine eindeutige Festlegung auf Rot-Rot-Grün bedeuten würde.
So steht den Grünen eine Zerreißprobe bevor. Es sei denn, sie beschließen irgendwann „anything goes“ und probieren auf Landesebene verschiedene Varianten aus. Dann würde sie die endgültige Endscheidung auf den Wahlkampf 2013 verlagern, wenn eine sich bis dahin weitgehend angenäherte Linke und die SPD versuchen würden, diese Entscheidung zu erzwingen. Die Grünen waren schon immer für Überraschungen gut. Außerordentlich spannend, wie sie sich diesmal entscheiden werden.
Nun ist sie gefallen – die erste Entscheidung für Jamaika auf Landesebene. Man kann diesem Experiment in allseitigem Interesse nur Erfolg wünschen: Für die CDU wird es eine (notwendige, aber schwierige) Herausforderung sein, sich mit den Zielen der Grünen auseinanderzusetzen und zu versuchen, deren mehr konservativ-bürgerlichen Teil dauerhaft zu binden. Für die Grünen eine Chance, sich als Mini-Partner einer übermächtigen, wiedervereinigten rot-roten Übermacht zu entziehen und mindestens Teile eigener Grundüberzeugungen in eine Jamaika-Koalition zu retten. Die von Margaret Heckel prophezeite Zerreißprobe wird sich deswegen wohl weniger an der realistisch denkenden Basis, als vielmehr in der fundi-geprägten Führungsetage abspielen. Das Abstimmungsergebnis in Saarlouis spricht eine beredte Sprache.
Für CDU/CSU und die Kanzlerin jetzt eine Entlastung und für 2013 schon eine mögliche Option ?