Volle Transparenz vorweg: ich war mal Greenpeace-Fördermitglied. Aber die Betonung liegt auf „war“. Denn die Organisation hat sich erstens radikalisiert und dabei zweitens einen ihrer wichtigsten Grundsätze aus den Augen verloren: Immer nur die eigenen Aktivisten in die Schusslinie bringen, nie andere gefährden.
Die Greenpeace-Aktion zum Auftakt des EM-Spiels Deutschland-Frankreich, bei dem ein Leichtflieger ins Stadion flog, um gegen den Sponsor Volkswagen zu protestieren, hätte leicht noch schlimmer daneben gehen und viele Menschen verletzen, vielleicht töten können. Auf Twitter meldete sich die Organisation mit einer Nicht-Entschuldigung zu Wort: „Dieser Protest hatte nie die Absicht das Spiel zu stören oder Menschen zu verletzten. Wir hoffen, dass es allen gut geht und niemand ernsthaft verletzt wurde. Greenpeace Aktionen sind immer friedlich und gewaltfrei. Leider ist bei dieser Aktion nicht alles nach Plan gelaufen.“ Zu Deutsch: shit happens.
Als das Greenpeace-Schiff „Rainbow Warrior“ ins französische Atomtestgebiet im Pazifik segelte, um die Zündung von Atombomben in der Atmosphäre zu verhindern; als sich Greenpeace-Aktivistinnen in Schlauchbooten schützend zwischen japanische Walfänger und ihre Beute stellten, da hatten sie das Gewissen der Welt auf ihrer Seite.
Dann hat Greenpeace 1995 mit der Entwicklung des ersten Dreiliter-Autos „SmILE“ die Autoindustrie vorgeführt und gezeigt, dass mit technischer Innovation der Spritverbrauch um die Hälfte gesenkt werden könnte. Die von Greenpeace entwickelte Technik wurde zur Norm in der Branche.
Doch war von vornherein ein Problem in die Organisation eingebaut. Die zahlenden Mitglieder entscheiden nicht über Aktionen. Das tun die hauptamtlichen Aktivisten und Funktionäre. Diese Selbstermächtigung ist zwar unter Geheimhaltungsaspekten nachvollziehbar und wird begründet damit, dass, wer Leib und Leben riskiert, selbst dafür die Verantwortung tragen müsse. Doch abgesehen davon, dass es ein Geschmäckle hat, wenn gut verdienende Bürgerliche eine Aktivistentruppe dafür – steuerlich absetzbar – bezahlen, sich in Gefahr zu bringen: das Modell bringt die Aktivisten in die Versuchung, sich selbst zu radikalisieren und immer neue und gewagtere Aktionen durchzuführen, um die eigene Existenz zu rechtfertigen.
Dass ausgerechnet VW – jener Konzern, der wie kein zweiter in Deutschland auf Elektrotechnik setzt – zum Ziel der Greenpeace-Aktionen wurde, ist ein Beispiel für die Selbstradikalisierung, die übrigens nicht bei der geforderten Abschaffung des Verbrennungsmotors aufhört. Als das SmILE vor fünf Jahren im Deutschen Museum neben anderen Pionieren der Technik Platz fand, erklärte Greenpeace, das eigene Auto sei überhaupt die falsche Antwort auf die Herausforderungen moderner Mobilität. Das mag sein, aber die Haltung von Greenpeace hat etwas von Hase und Igel. Auch wenn die Gesellschaft die Ziele von Greenpeace übernimmt, die Aktivisten sich schon wieder weiter. Weil das zum Geschäftsmodell gehört.
Und in der geschlossenen und selbstgerechten Gesellschaft einer tatenhungrigen Aktivisten-Truppe werden leicht Aktionen – wie das Klauen Hunderter Schlüssel von VW-Autos im Exporthafen von Emden, das Auskippen von Farbe auf die Straße an der Siegessäule in Berlin, auf der dann mehrere Fahrradfahrer ausrutschten, und eben die leichtsinnige Aktion bei der EM – beschlossen und durchgeführt, die eben nicht nur die Mächtigen ins Visier genommen und die eigenen Leute in Gefahr gebracht werden, sondern ganz normale Bürger. Das ist eine bedenkliche Entwicklung.
Greenpeace muss sich überlegen, ob es nach wie vor durch anerkannte Gemeinnützigkeit gut betuchte Spender anziehen oder die uneinsichtigen Bürger mit zuweilen gefährlichen Provokationen zur grünen Räson bringen will. Letzteres wäre zwar durchaus legitim, aber nicht gemeinnützig. Würde die Organisation ihrem gemeinnützigen Status verlieren, sähe man schnell, wie vielen Mitgliedern das Fördern von Greenpeace auch ohne Bescheinigung fürs Finanzamt eine Herzensangelegenheit wäre. Vermutlich wären das erheblich weniger als jetzt.
… eigentlich selbstverständlich, dass Organisationen, die sich über Rechtsstaatlichkeit dünken und denen ‚demokratisch legitimierte Prozesse‘ am Allerwertesten vorbeigehen, die Gemeinnützigkeit entzogen und gut betuchte Spender und sonstige Philanthropen, Bescheinigungen fürs Finanzamt verwehrt werden – das hat System.
Schließlich kommt die ‚BRD‘ ihren Verpflichtungen zur Korruptionsbekämpfung nur ungenügend nach – so der Europarat, zuletzt, 2020. Warum wohl?
… aaaber;
Do you wanna be a free man
Or do you wanna be a slave?
„Do you wanna be a free man?“ usw.: Ich dachte, dbh, Christen hielten es mit Paulus (Römer 13,1): „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet.“
@APo,
… ich zitiere mich 😉 aus 2017; … ‚es gibt diesen ‚christlichen Vorsatz‘, dass die Kirche Christi die gewählte Obrigkeit anzuerkennen habe, auch gar nicht. Jedenfalls nicht in den Evangelien.‘ … und ff im thread.
@APo, Nachtrag
… und für Paulus, himself in Römer 12,2; ‚Und macht euch dieser Welt nicht gleichförmig, sondern wandelt euch selbst um in Erneuerung eures Sinnes, so dass ihr prüft, was der Wille Gottes, was gut, wohlgefällig und vollkommen ist.‘
… ahem, ich habe mich entschieden.
Der Kampf in der Aufmerksamkeitsökonomie wird immer unerbittlicher geführt und dank Digitalisierung kann sich keiner mehr entziehen. Das Private ist politischer denn je. Überall tobt der Kampf der Weltanschauungen, Freunde zerstreiten sich wegen einer Impfung. Skandalarchäologie in reichlich dokumentierten Meinungen ohne Löschfunktion. Wer erfolgreich polarisiert, der gewinnt. Ja, auch Greenpeace hatte seinen Anteil an der Entwicklung, sie waren mit die ersten, die die Gesetze der Aufmerksamkeitsökonomie verstanden haben. So ist es konsequent, dass sie versuchen am Puls der Zeit zu bleiben und der sieht nun mal so aus. Solange Medien (mit weitem Abstand natürlich die online Publikationen) 24/7 über Attila Hildmann oder Greta Thunberg berichten, kann ich Greenpeace nicht böse sein. Der Bürger will geschreckt werden. Erinnert sich noch jemand an die „Draghi enteignet deutsche Rentner“ Kampagne? Wir haben die Zivilgesellschaft, die wir verdient haben. Die Debatte um die Gemeinnützigkeit verlagert die Auseinandersetzung in den fiskalischen Bereich. Was wird nach einer Aberkennung passieren? Greenpeace wird sich, wie die Online-Medien, im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie weiter radikalisieren.
PS: Das Regenbogenbändchen an Manuel Neuers Arm. Was daran ist so großartig anders als an der Greenpeace-Aktion? Wo eine Bühne steht, wird sie genutzt. Und da jeder im Sinne einer guten Sache unterwegs ist, fühlt sich auch keiner schlecht dabei. Wer bremst, verliert. Und die vielen Verlierer werden sich jemanden suchen, der für Ruhe sorgt. Wenn man manche Publikationen liest, kommt einem ein Putsch doch gar nicht mehr so schlimm vor.
“Das Regenbogenbändchen an Manuel Neuers Arm. Was daran ist so großartig anders als an der Greenpeace-Aktion?“
Die Gefährdung Unbeteiligter?
Ansonsten natürlich beides karrieretechnische Maßnahmen. Von Mut und Engagement könnte man sprechen, wenn der ‚Regenbogen‘ bei der nächsten Reise zu den Mullahs oder zu gewissen stärker pigmentierten Despoten in den südlichen Nachbarkontinent erstrahlen würde.
Oh, zufällig findet die WM 2022 in Qatar statt.
https://en.wikipedia.org/wiki/LGBT_rights_in_Qatar
Da könnte eine Kampagne so richtig teuer werden und nicht so billig ausfallen, wie jetzt gegen Ungarn.
Ja, die Gefährdung Unbeteiligter ist ein Punkt und das macht tatsächlich einen unterschied.
Da könnte eine Kampagne so richtig teuer werden und nicht so billig ausfallen, wie jetzt gegen Ungarn.
Ja, die Gefährdung unbeteiligter ist ein Punkt und das macht tatsächlich einen unterschied.
Ich gebe zu, wenn es um Greenpeace geht, bin ich ziemlich gespalten. wenn ich die ursprüngliche Greenpeace Strategie richtig verstanden habe, dann ging es darum, durch spektuläre Aktionen Umwelt-Skandale in das Bewustsein einer breiten Öffentlichkeit zu bringen. Ein Anliegen, das ich durchaus unterstützen kann. Irgendwie erinnert mich das an die Überlegung, die den Anfängen der 68er Studenbewegung zu Grunde lag. Solange wir völlig brav protestieren, nimmt niemand das zur Kenntnis, erst wenn wir Skandale produzieren, indem wir die Hausordnung brechen, haben wir eine Chance, die wirklichen Skandale in den Focus der öffentlichen Wahrnehmung zu rücken. Allerdings musste ich in den letzten Jahren feststellen, dass die von Greenpeace durchgeführten Aktionen immer öfter keinen wirklichen Sinn machen, Dritte gefährden und eigentlich zu mißglückten Selbst-Marketing Aktionen werden, die sebst den wohlmeinenden Beobachter verschrecken. Vielleicht liegt das auch daran, dass das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit für Umwelt-Skandale in den letzten Jahren und Jahrzehnten durchaus gewachsen ist. Wohl auch ein Erfolg, an dem Organisationen wie Greenpeace ihren Anteil haben. Allerdings ist es unbedingt nötig, dass diese veränderte Situation eine Selbst-Reflektion und ein Überdenken der eigenen Rolle bei Greenpeace auslöst. Ein sicherlich schwieriger Prozess ist notwendig. Die Antworten sind nicht einfach. Da ich kein Greenpeace Mitglied bin, kann ich die weitere Entwicklung nur kritisch von außen beobachten.
Es war einmal wichtig auf Ökologie und Tierschutz aufmerksam zu machen. Aber diese Organisation hat sich überlebt. Sie ist eine quasi-religiöse und völlig überzogene außerparlamentarische und sich auch noch über das Recht setzende Gruppe geworden – Gemeinnützigkeit: nein!
Volle Transparenz vorweg: Ich war auch mal Fördermitglied. Auch wegen der oberirdischen Kernwaffenversuche und wegen der Propagierung des 3-Liter-Autos. Nach der irrsinnigen Sache mit der ‚Brent Spa‘ (Shell) deren Versenken von Greenpeace – ökologisch und limnologisch völlig unsinnig – verhindert wurde, habe ich das beendet. Denn sie wissen nicht was sie tun..
Na, willkommen im Club.