Man kann nicht behaupten, dass sich die öffentlich-rechtlichen Medien in der Diskussion um Achille Mbembe mit Ruhm bekleckern. Besonders befremdlich ist die Rolle von Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur. Kritiker Mbembes werden dort unwidersprochen diffamiert; und zwar immer wieder. Zuletzt tat sich Stephan Detjen mit einem Kommentar hervor, den man nur als unverschämt bezeichnen kann.
Detjen ist ja nicht irgendwer: Wikipedia zufolge ist er Chefkorrespondent des Deutschlandradios im Hauptstadtstudio Stephan Detjen ist Mitglied im Vorstand der Bundespressekonferenz, im Stiftungsrat für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, im Kuratorium des Deutschen Studienpreises sowie in der Jury für den Medienpreis des Deutschen Bundestages. Sein Wort hat Gewicht. Umso schlimmer ist sein Kommentar, den ich im Wortlaut dokumentiere und Absatz für Absatz kommentiere.
Gibt es eine afrikanische Wissenschaft?
Seitdem der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, dem kamerunischen Historiker Achille Mbembe antisemitische Argumentationsmuster vorgeworfen hat, liegt das Werk Memebes und dazu eine ganze Forschungsrichtung, der Postkolonialismus, auf dem Seziertisch der Feuilletons. Es wird diskutiert, ob und wie afrikanische Wissenschaftler die Geschichte von Kolonialismus und Sklaverei in Beziehung zur Shoa setzen dürfen. Ein weites Feld.
Es wird eben nicht diskutiert, ob und wie afrikanische Wissenschaftler die Geschichte von Kolonialismus und Sklaverei in Beziehung zur Shoa setzen dürfen. Es geht überhaupt nicht um das, was „afrikanische“ Wissenschaftler dürfen oder nicht dürfen. Es wäre rassistisch anzunehmen, dass afrikanische Wissenschafter*innen etwas nicht dürfen, was europäische Wissenschaftler*innen dürfen. Und auch rassistisch umgekehrt anzunehmen, dass afrikanische Wissenschaftler*innen etwas dürfen, was europäische Wissenschaftler*innen nicht dürfen. Es gibt keine afrikanische, chinesische, amerikanische oder europäische Wissenschaft. Aussagen sind eben wissenschaftlich oder unwissenschaftlich, egal ob sie von Menschen mit weißer oder schwarzer, roter oder gelber Haut gemacht werden. In der Tat haben einige Theoretiker des „Postkolonialismus“ diesen Konsens aufgekündigt. Auch deshalb müssen sie kritisiert werden. Nicht wegen Relativierung der Shoa, sondern wegen Relativierung der Wissenschaft.
Gibt es eine „Grenze des Sagbaren“?
Seit Hannah Arendts „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ (1951) wird die Geschichte von Kolonialismus und Sklaverei in Beziehung zur Shoa gesetzt. Das war und ist weder tabu noch gar verboten. Die Frage ist immer, wie diese Beziehung gesehen wird; ob die Inbeziehungsetzung wissenschaftlichen Kriterien standhält. Das ist schon bei Hannah Arendt nicht der Fall, aber es würde zu weit führen, das hier nachzuweisen. Darüber mag man auch vershciedener Meinung sein. Jedenfalls steht fest, dass Detjen schon zu Beginn seines Kommentars eine falsche Fährte legt. Mit Bedacht. Detjen weiter:
Felix Klein hat es (das „weite Feld“, AP) mit regierungsamtlicher Autorität beackert. Seine Forderung, Mbembe als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale auszuladen, verbietet Mbembe nicht den Mund. Aber sie markiert eine Grenze des in Deutschland öffentlich Sagbaren. Öffentlich geförderte Musikfestivals, Kulturforen, Theater und Bildungseinrichtungen, also ein wesentlicher Teil der kulturellen und politischen Öffentlichkeit, sollen für Wissenschaftler, Künstler und Intellektuelle gesperrt werden, die Felix Klein mit dem Antisemitismus Vorwurf brandmarkt. Hier liegt das Problem.
Man kann diesen Absatz noch so oft lesen. Der Widerspruch bleibt: Seine Forderung, Mbembe als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale auszuladen, verbietet Mbembe nicht den Mund. Aber sie markiert eine Grenze des in Deutschland öffentlich Sagbaren. Eben nicht. Sagen darf man in Deutschland alles. Auf jeden Fall darf Mbembe, der Darling des akademischen und politischen Establishments, weiterhin alle möglichen und unmöglichen Vergleiche anstellen. Er darf weiterhin sagen, der Holocaust sei das größte Desaster des 20., die Besatzung Palästinas der größte Skandal des 21. Jahrhunderts, was ein – sagen wir – gewagter Vergleich ist. Er darf weiterhin behaupten, Israels Politik gegenüber den Palästinensern sei schlimmer als die Apartheid, die wiederum mit dem Holocaust vergleichbar sei, weil die Israelis die Palästinenser als Müll betrachteten, der zu beseitigen sei. Er darf weiterhin unterstellen, die Israelis hätten den Nihilismus der Nazis internalisiert und seien dadurch zu Tätern geworden. Er darf weiterhin den Selbstmordattentäter verherrlichen als jemanden, der in seinem freiwillig gewählten Tod die künftige Freiheit seines Volkes vorwegnimmt. Und so weiter. Er darf auch weiterhin die BDS-Bewegung materiell und ideell unterstützen und in Südafrika weiterhin dafür sorgen, dass israelische Wissenschaftler*innen nicht an Kongressen teilnehmen dürfen. Und er darf seine deutschen Fans darüber belügen. Das alles ist sein gutes Recht. Und es ist nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht des Antisemitismusbeauftragten zu fragen, ob die deutsche Steuerzahler*in das belohnen soll. Von einer Grenze des Sagbaren ist also nicht die Rede. Sondern von einer Grenze des Förderungswürdigen.
Kennt Herr Detjen das Werk Achille Mbembes?
Für sein Verdikt im Fall Mbembe genügte dem Antisemitismusbeauftragten eine fragwürdige Exegese weniger Zeilen eines tausende Seiten umfassenden Gesamtwerks. Um seinen folgenreichen Vorwurf zu begründen, blendete Klein Kontexte der inkriminierten Passsagen aus und bog sie sich zurecht, bis das eigentlich Gesagte hinter der interpretierenden Zuspitzung kaum noch erkennbar war.
Vor dem Hintergrund einer Exegese tausender Seiten des Mbembe-Oeuvres haben viele Menschen, die auf jeden Fall fleißiger sind als Herr Detjen – erinnert sei an den „Seziertisch des Feuilletons“ und an die Artikel von FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube, vom Historiker Thomas Weber, ebenfalls in der FAZ, vom Historiker Ingo Elbe in der taz und auch an einige Artikel von mir in der WELT und hier auf SM – festgestellt, dass die von Klein benannte Stelle keineswegs eine isolierte Äußerung sei und dass die Passagen keineswegs „zurecht geboten“ waren, sondern dass Mbembe ein Israel-Problem hat, um es gelinde auszudrücken. Überdies begründete Klein seine Infragestellung der Einladung als Eröffnungsredner eines der wichtigsten deutschen Kulturfestivals nicht nur mit Mbembes antizionistischen und antisemitischen Äußerungen, sondern mit seiner Tätigkeit für die BDS-Bewegung, darunter auch den Boykott israelischer Akademiker´*innen, über die Mbembe gelogen hat.
Vergleich oder Dämonisierung?
Der von Mbembe mit Blick auf die Besatzungspolitik Israels verwendete Begriff von einem „israelischen Projekt“ sollte als Beleg dafür dienen, dass der Autor dem Staat Israel schlechthin das Existenzrecht abspreche. Dass Mbembe – wie neben vielen anderen auch ein ehemaliger Bundesaußenminister – die südafrikanische Apartheidpolitik und das israelischen Besatzungsregime vergleichend – nicht gleichsetzend – in Verbindung brachte, wurde als antisemitische Dämonisierung Israels verurteilt.
Es stimmt, dass Mbembe die Apartheid und das israelische „Besatzungsregime“ nicht gleichgesetzt hat. Er sagte: „(D)ie Auswirkungen des israelischen Projekts auf den palästinensischen Körper sind viel einschneidender als die relativ primitiven Operationen des Apartheidregimes in Südafrika zwischen 1948 und den frühen 1980er Jahren. (…) Das zeigt sich in seiner fanatischen Politik der Zerstörung, die darauf abzielt, das Leben der Palästinenser in einen Ruinenhaufen zu verwandeln oder in einen Abfallhaufen, der gesäubert werden soll. In Südafrika erreichten die Schutthaufen nie solche Ausmaße.“
Man merke, dass Mbembe hier nicht sagt, das Leben in den 1967 von Israel besetzten Gebieten sei vergleichbar mit dem Leben unter der Apartheid, was zwar auch Unsinn wäre, aber sozusagen der gewöhnlich Unsinn, den in der Tat auch ein Außenminister Sigmar Gabriel bei Gelegenheit verzapfte. Mbembe behauptet, das „israelische Projekt“, was auch immer er darunter verstehen will, habe das Ziel, das Leben der Palästinenser in einen zu beseitigenden Abfallhaufen zu verwandeln, und zwar aufgrund einer fanatischen Politik der Zerstörung.
Wenn man gleichzeitig weiß, dass Mbembe die Apartheid und den Holocaust vergleicht – nicht gleichsetzt: beide seien nämlich Ausdruck des „kolonialen Trennungswahns“, wenngleich von verschiedener Größenordnung und in einem verschiedenen Kontext; dann ergibt sich eine Vergleichsskala jenes Trennungswahns, bei der das „israelische Projekt“ irgendwo zwischen Holocaust und Apartheid angesiedelt ist. Darf man das behaupten? Selbstverständlich. Sollte jemand, der solchen Unsinn verzapft, von offizieller Seite geehrt werden? Selbstverständlich nicht.
Nur Stephan Detjen versteht das nicht.
Der deutsche Diskursraum und die Israel-Lobby
In einem wissenschaftlichen oder feuilletonistischen Diskurs gibt es alle Freiheit, Mbembe und die geschichtsphilosophischen Analogien der Postkolonialismus-Forschung kritisch zu hinterfragen. Felix Klein sagt, er betrachte es als seine Aufgabe, Diskussionen darüber anzustoßen. Doch was er tat, war etwas anderes. Klein nutzte sein staatliches Mandat für den Versuch, einen international renommierten Wissenschaftler aus einem deutschen Diskursraum zu verbannen.
Den „deutschen Diskursraum“ gab es vorher nicht; das ist der eigentliche Skandal. Mbembe wurde von höchsten Regierungsstellen und Institutionen hofiert, mit Preisen und Ehrungen überhäuft. Offensichtlich hatte sich niemand die Mühe gemacht, sein Werk zu lesen. Oder man war heimlich mit den antisemitischen Passagen einverstanden und freute sich, dass ein „afrikanischer Wissenschaftler“ das sagte, weil man sich im Zweifelsfall darauf zurückziehen könne, es sei rassistisch, einem Schwarzen Antisemitismus vorzuwerfen. Detjen bedient sich, wie wir gleich sehen werden, genau dieser abgeschmackten Argumentation. Doch vorher muss natürlich der Vorwurf der „Israel-Lobby“ kommen:
Der Regierungsbeauftragte machte sich damit eine Strategie von Lobbygruppen zu eigen, die einen entgrenzten Antisemitismus-Begriff instrumentalisieren. Politisch oder wissenschaftlich begründete Kritik an der israelischen Besatzungspolitik soll auf diese Weise systematisch delegitimiert werden.
Mitnichten. Was an Mbembes Kritik politisch oder wissenschaftlich begründet ist, weiß allein Herr Detjen. Er weigert sich nämlich, selbst überhaupt dazu Stellung zu nehmen. Es ist bekannt, dass Detjen gegen den BDS-Beschluss des Bundestags opponierte, was sein gutes Recht ist. Aber immer nur andere vorschieben mit der bekannten Floskel „Man wird ja noch sagen dürfen …“, ist extrem feige.
Der Fall Mbembes illustriert, dass es dabei längst nicht mehr nur um evidenten Antisemitismus geht. Das Bundesinnenministerium, in dem Klein mit seinem Amt angesiedelt ist, vermied es in einer gewundenen Stellungnahme, den direkten Antisemitismus-Vorwurf gegen Mbembe zu wiederholen. Stattdessen erklärte der Sprecher des Ministeriums, es müsse – Zitat – : „als problematisch angesehen werden (…), wenn die Verbrechen des Holocaust in Zusammenhang gebracht werden mit anderen geschichtlichen Zusammenhängen“. Die Formulierungen Achille Mbembes könnten „im deutschen Diskurs (…) anders wahrgenommen werden als in anderen Ländern.“ Wohl wahr.
Ja. Es geht längst nicht mehr um „evidenten Antisemitismus“, der für manche Deutsche erst bei sechs Millionen beginnt, bei Gasöfen und Krematorien; oder bei den Karikaturen von gestern (und gelegentlich von heute in der „Süddeutschen Zeitung“), wo es um Hakennasen und Geldsäcke, Weltkontrolle und Gottesmord geht. Es geht darum, dass der Antisemitismus immer wieder seine Gestalt verändert, ohne seinen Kern zu ändern: Vorgestern religiös begründeter Antijudaismus, gestern „Rassenantisemitismus“, heute Antizionismus und Israelhass. Und dieser Antisemitismus ist nicht akzeptabler, wenn er aus schwarzen Mündern kommt.
Die sind schwarz, die dürfen das
Eine Geschichte ist der Wert eines Austauschs mit Teilen der Welt, die über Generationen nur als unterworfene Kolonien oder Adressaten von Entwicklungspolitik wahrgenommen wurden. In der Rechtsfertigungslogik des Bundesinnenministeriums aber werden schon der bloße Perspektivwechsel und die Konfrontation mit unterschiedlichen Wahrnehmungen zur gefährlichen Bedrohung eines deutschen Erinnerungskanons.
Die Bundesregierung macht damit eine intellektuelle Abschottung Deutschlands zum politischen Programm. Als diskursiver Schrankenwärter setzt sich der Antisemitismusbeauftragte ein und versucht, ein in Deutschland gewachsenes Geschichtsbild gegen Irritationen von außen zu immunisieren. Politische Staatsraison wird so zur Zivilreligion und der Antisemitismusbeauftragte ihr Hohepriester. Der geschichtswissenschaftlich begründete Satz von der Einmaligkeit des Holocausts wandelt sich zu einer doktrinären Glaubenslehre, die mit staatlicher Autorität gegen häretische Hinterfragung verteidigt wird, als handele es sich um ein geistiges Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Während die Regierung einerseits den akademischen und kulturellen Dialog mit der südlichen Welt propagiert, treibt sie im Namen des Kampfes gegen den Antisemitismus zugleich eine Selbst-Provinzialisierung voran.
Diese Passage ist interessant, weil sie die einzige halbwegs originelle Argumentation im ganzen Kommentar enthält. Bei näherem Hinsehen ist sie natürlich nicht stichhaltiger als der gesamte traurige Rest, aber die Behauptung, der in Deutschland erreichte Konsens hinsichtlich der Bewertung des Holocaust mache das Land „provinziell“, ist immerhin neu. Bislang waren die Deutschen geneigt, sich selbst wegen ihrer gelungenen „Vergangenheitsbewältigung“ und „Kultur des Gedenkens“ auf die Schulter zu klopfen. Nun erfahren wir: Wenn wir daraus Schlüsse ziehen und die Sicherheit des Jüdischen Staats zur deutschen Staatsräson erklären, die Hetze gegen Israel bekämpfen, unangemessene und beleidigende Vergleiche ablehnen – dann sind wir „provinziell“. Dass der wichtige akademische und kulturelle Dialog mit der südlichen Welt bedeutet, die in machen Teilen dieser „Welt“, von Kairo bis Kapstadt, Teheran bis Tanger herrschende Dämonisierung des Jüdischen Staates nicht nur – wie allzu oft geschehen – stillschweigend hinzunehmen, sondern zu honorieren: Das freilich soll die Grenze des Sagbaren permanent ver-rücken. Im Übrigen ist nichts dümmer als die Behauptung, der Postkolonialismus sei ein originäres Produkt „der südlichen Welt“. Er ist ein Produkt von Berkeley und Oxford, der Freien Universität Berlin und der Sorbonne: Er ist eine Ideologie, die nichts, aber auch gar nichts beigetragen hat zum wohlergehen der Menschen in jener „südlichen Welt“, deren Elite den Postkolonialismus benutzt, um von der eigenen Korruption, Brutalität, Unfähigkeit und Menschenfeindlichkeit abzulenken.
Felix Klein: Rassistischer Tugendwächter?
Felix Klein kommt in der vor zwei Jahren geschaffenen Funktion des Antisemitismusbeauftragten die Verantwortung zu, Profil und Wirkung des neuen Amtes zu prägen. Sein Vorgehen im Fall Mbembe könnte indes eine weit über das Thema Antisemitismus hinausgehende Wirkung haben. Andere Interessenverbände fordern die Regierung auf, weitere Beauftragte für den Kampf gegen andere Übel unserer Zeit wie Extremismus und Rassismus einzusetzen. Wenn das Beispiel Felix Kleins Schule machte, entstünde neben Verfassungsschutzbehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichten ein paralleles Tugendwächterwesen, das nach jeweiliger Opportunität definiert, wer heute Rassist, morgen Antisemit und übermorgen Extremist ist. Niemand bräuchte sich dann noch zu wundern, wenn der Antisemitismusbeauftragte als erster auf der Anklagebank des Rassismusbeauftragten einer solchen Regierung landen würde.
Die Klage über „Tugendwächter“ kam bisher eher von rechts und richtete sich gegen „Gutmenschen“, die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, gegen den „Genderwahn“, die „Schwulenlobby“, die „MeToo“-Bewegung und „Fridays for Future“, die natürlich in Detjens Aufzählung fehlen. Nun wandert der Begriff nach links, ohne irgendetwas von seiner vor Ressentiment triefenden Gemeinheit einzubüßen. Dass am Ende zumindest suggeriert wird, Klein sei Rassist, ist so unterirdisch, dass man geneigt ist zu glauben, Detjen meine es nicht so, dass er vielmehr weiß, Klein sei kein Rassist, dass aber Antisemiten dieses Argument gegen ihn wider besseres Wissen verwenden würden. Dass sie behaupten würden, er wolle afrikanischen Wissenschaftlern das Wort verbieten, die Perspektive der südlichen Welt nicht akzeptieren, den Menschen, die über Generationen nur als unterworfene Kolonien oder Adressaten von Entwicklungspolitik wahrgenommen wurden seine eurozentrische Sicht der Dinge aufzwingen. Und das alles nur im Interesse der Strategie bestimmter Lobbygruppen, die hinter den Kulissen die Strippen ziehen. Aber wer wäre in Deutschland so gemein?
Lieber Herr Posener,
ich möchte mich zunächst bedanken, für die Zeit, die Sie dem Gedankenaustausch mit mir gewidmet haben. Ich bin Rentner und konnte deswegen mehr Zeit investieren als Sie.
Mir ging es darum zu erkunden, wie weit ein Dialog führen kann über den breiten Graben hinweg, der uns trennt.
Wenn hier etwas „bewiesen“ wurde, dann vor allem, wie begrenzt die Verständigungsmöglichkeiten immer noch sind.
In der Demokratie gibt es aber keine Alternative zu dem Versuch die Verständigung zu suchen, gestützt auf der normativen Grundlage unserer Verfassung.
Freundliche Grüße
Helmut Suttor
Versuchen wir sachlich zu bleiben, Herr Posener!
1. Shalicar
Wenn man Indizien hat, weiß man mehr als nichts, hat aber keine Beweise. Es geht in dieser Angelegenheit aber nicht nur um Indizien, sondern um das was beweisbar klar ist: Dass Felix Klein mindestens die Unwahrheit sagte.
Journalisten recherchieren. Das tun sie, wenn sie sich vorerst nur auf Indizien, also Vermutungen stützen können. Journalisten insistieren, wenn die Beweislage klar ist und sich ein offensichtlicher Widerspruch ergibt zwischen den Fakten und dem Gesagten. Dann verlangen sie Aufklärung – öffentlich.
Sie sind der Meinung auch angesichts einer triftigen Indizienlage nicht recherchieren und angesichts einer beweisbar klaren Faktenlage keine Fragen stellen zu sollen.
Darin unterscheiden Sie sich von einem professionellen und unabhängigen Journalisten, wie ich das verstehe und wie Sie vermutlich auch selbst wahrgenommen werden möchten. Nach meiner Wahrnehmung sind Sie hier Partei, nicht unabhängig und nicht professionell.
Wenn man für starke Meinungen eintritt, sollte man sich anders verhalten – meine ich.
2. BDS-Beschlüsse:
Auch hier unterscheidet sich Ihre Haltung von dem, was von professionellem und unabhängigem Journalismus, wie ich dessen Rolle verstehe, zu erwarten ist.
Wenn bisher alle Gerichte die Verfassungswidrigkeit der BDS-Beschlüsse bzw. v.a. kommunalpolitischen Praxis, die sich auf diese stützt, feststellten, dann ist es doch nicht übertrieben zu sagen, dass deren Rechtmäßigkeit in hohem Maße fraglich ist. Dann sollte man von der Politik erwarten, dass sie dies thematisiert und ggf. korrigiert, bevor ihr die Gerichte die Entscheidung aus der Hand nehmen.
Von den Medien sollte man erwarten, dass sie diesen Prozess stimulieren und befördern. Dass ist nämlich ihre Aufgabe in der Demokratie. Sonst begünstigt man einen verfassungswidrigen Zustand und im Übrigen eine politische Kultur, die ohnehin dazu neigt, Entscheidungen bei der Justiz abzuladen, die von der Exekutive getroffen werden sollten.
Sie stimmten dem Grundsatz zu, Antisemitismusbekämpfung müsse sich auf Recht und Gesetz stützen. Ich sehe nicht, dass für Sie daraus etwas praktisch folgt. Das Problem ist doch, dass Sie (wenn auch nicht allein) in keiner Weise thematisiert haben, dass die Rechtmäßigkeit der BDS-Beschlüsse fraglich ist. Das ist doch kein befriedigender Zustand – oder?
Auch hier wären starke Meinungen gefragt.
3. „Würden Sie sagen, dass es zur ‚wissenschaftlichen Konfliktanalyse‘ gehört, im Hinblick auf den 2. WK ‚die Konfliktperspektiven der beteiligten Parteien gleichberechtigt zu thematisieren‘?“
Ja – würde ich sagen, würde auch jeder professionell arbeitende Historiker oder politische Analyst sagen. Um Missverständnisse auszuschließen: Mit gleichberechtigt meine ich, dass alle Aspekte Berücksichtigung finden sollten, die zum Verständnis von Motiven und Handeln der Konfliktparteien beitragen. Es geht also insoweit nicht um eine politische und moralische Bewertung, der am Konflikt beteiligten.
Der politische Knackpunkt in unserem Kontext ist doch Folgender: Wenn wir über BDS reden oder über die palästinensische Konfliktperspektive allgemein und in diesem Zusammenhang ethnische Diskriminierung thematisiert wird, muss auch von ethnischer Diskriminierung der Palästinenser die Rede sein. Daraus ergibt sich: Es sollte nicht nur eine IHRA-Arbeitsdefinition Antisemitismus geben, sondern auch ein entsprechendes Regelwerk zur Identifizierung von Rassismus aus palästinensischer Perspektive. Das erscheint mir zwingend und selbstverständlich, vorausgesetzt man lehnt doppelte Standards ab. Dass ich damit für das Überschreiten einer Grenze plädiere, die auch von den Kritikern der IHRA-Definition nicht überschritten wurde, ist mir klar.
Was Sie nicht einsehen wollen ist, dass dieses Thema durch die Anti-BDS-Kampagne selbst aufgeworfen wird. Sie haben dies Kampagne selbst befördert, schrecken aber davor zurück die politischen und logischen Konsequenzen anzuerkennen, die sich daraus ergeben. Die Kampagne ist politisch zu kurz gedacht, sie ist noch nicht einmal als PR-Aktion zu Ende gedacht, genauso wenig wie in rechtlicher Hinsicht die simpelsten Überlegungen angestellt wurden. Die Anti-BDS-Kampagne provoziert das Aufkommen der von mir gestellten Frage, weil sie das fehlende „multiperspektivische Element“ aus der Stellungnahme des Münchner Kulturreferats anmahnt. Dieses Element ergibt sich nicht erst aus der Wissenschaft, sondern schon aus der allgemeinen Lebenserfahrung, angefangen von frühen Kindheitserfahrungen mit Streitigkeiten im Sandkasten: In jedem Konflikt geht es immer um mindestens zwei Perspektiven.
Sie hören an dieser Stelle auf sachlich und politisch zu argumentieren, fangen an mit der Antisemitismuskeule herumzufuchteln und werden persönlich. Das wird nur wenige überzeugen.
Herr Suttor, ich springe nicht über jedes Stöckchen, das Sie mir hinhalten. Wenn Herr Klein die Unwahrheit gesagt und ich etwas Unwahres geschrieben hätte: Glauben Sie nicht, dass es zig Journalisten bei SZ, taz, FR gäbe, die das liebend gern aufgreifen würden? sie tun es nicht, weil nichts dran ist. Und nun reicht es mir auch. Ich habe ihnen sachlich geantwortet; ich habe nachgewiesen, dass es Ihnen um nichts anderes geht als um Ihren Hass auf Israel, über dessen Ursache ich mir keine weiteren Gedanken mache. Und damit soll es gut sein.
Zu 1. Shalicar:
Ich unterscheide Beweis- und Indizienlage: Dass die DIG sich Gelder erschlichen hat gehört zur Indizienlage, ebenso wie die Vermutung, das Büro Klein habe in stillschweigendem Einverständnis kooperiert. Auf dieser Ebene behaupte ich gar nichts.
Beweisbar klar ist, das Klein die Unwahrheit sagte bis vor kurzem. Ob er dabei bleibt wäre zu klären.
Ich war und bin ich der Meinung, dass Beweis- und Indizienlage weitere Recherchen nahelegen. Wenn man sich wie Sie in dieser Angelegenheit einseitig ins Zeug gelegt hat, gibt es vielleicht auch eine zusätzlich Verantwortung zur Aufklärung. Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie Ihre Rolle anders sehen.
Zu 2.
Ich gehe davon aus, dass es zwischen uns folgenden Konsens gibt: Die BDS-Beschlüsse sind in Verbindung mit der auf sie gestützten Verwaltungspraxis verfassungswidrig, mindestens ist ihre Rechtmäßigkeit in hohem Maße fraglich. Ich denke, das sieht ein blinder mit Krückstock, auch wenn er kein Jurist ist.
Wenn Sie der Aussage zustimmen, Bekämpfung des Antisemitismus darf nicht im rechtsfreien Raum stattfinden, dann – aber auch unabhängig davon – folgt etwas ganz Einfaches: Dass Sie in Ihrem Verantwortungsbereich dafür sorgen, dass dies thematisiert und geklärt wird. Oder wollen Sie warten, bis Ihnen das Bundesverwaltungsgericht diese Arbeit abnimmt?
Dazu sagen Sie nichts!
Ansonsten besteht das Problem weniger darin, dass ich mich wiederhole, sondern dass Sie immer wieder die Ebenen durcheinander bringen. Es gibt die Ebene der kontroversen Meinungskampfs und es gibt die Ebene, wo der Staat eingreifen muss, gestützt auf Art. 1 GG, weil es vulnerable Gruppen zu schützen gilt. Der Staat ist nicht dazu da, seinen Bürgern aus der Patsche zu helfen, wenn sie argumentativ auf dem Schlauch stehen. Das gilt auch für Mitglieder vulnerabler Gruppen.
Die beiden genannten Ebenen muss man auseinander halten. Man muss sich schon ein bisschen mit der Rechtsmaterie befassen. Mit kurzatmigen Rückgriffen auf Art. 1 GG kommt nicht weiter.
Zu 3.
Am Ende ihres Exkurses fragen Sie: Was meinen Sie? Ich meine, dass Sie wieder einmal ausweichen und über Dinge reden, die nicht zur Sache gehören.
Die Kernfrage war, ob wir uns auf ein simples Prinzip der wissenschaftlicher Konfliktanalyse einigen können, die sich in zwei Unterfragen aufgliedern lässt:
a) Wenn wir über den Nahostkonflikt reden, sind die Konfliktperspektiven der beteiligten Parteien gleichberechtigt zu thematisieren?
b) Insofern es im Rahmen dieser Analyse darum geht ethnische Diskriminierung zu thematisieren (Antisemitismus und Rassismus): Können wir uns darauf einigen, dass dann die Betroffenheit beider Parteien durch diese menschenrechtswidrigen Praktiken in den Blick genommen wird?
M.a.W. können wir uns darauf einigen, dass in Nahost, wie bei den „vielen Völkern“ auf unserem Planeten üblich, zur Anwendung kommen sollte, was in der Konfliktanalyse als „Beteiligtenanalyse“ bezeichnet wird.
Das ist eine simple Frage und mich würde einfach interessieren, wie Ihre Antwort lautet.
Die Frage zu Becker und Trump-Plan ist nur zur Exemplifizierung gedacht.
Es besteht keine Veranlassung hier mit einem ellenlangen Exkurs über die Völker der Welt zu antworten. Zur Ergänzung auf die Beantwortung meiner Frage könnte das noch angehen. Als Ersatz für eine Antwort ist es einfach ein bisschen wenig.
Sie wiederholen sich. Es wird immer abstruser.
1. Shalicar. „Dass die DIG sich Gelder erschlichen hat gehört zur Indizienlage, ebenso wie die Vermutung, das Büro Klein habe in stillschweigendem Einverständnis kooperiert. Auf dieser Ebene behaupte ich gar nichts.“ Obwohl Sie also zugeben, dass Sie nichts wissen und schon gar nichts beweise können, meinen Sie, ich müsste als Journalist Ihren Vermutungen und „Indizien“ nachgehen.
2. BDS-Beschluss: „Ich gehe davon aus, dass es zwischen uns folgenden Konsens gibt: Die BDS-Beschlüsse sind in Verbindung mit der auf sie gestützten Verwaltungspraxis verfassungswidrig, mindestens ist ihre Rechtmäßigkeit in hohem Maße fraglich. Ich denke, das sieht ein blinder mit Krückstock, auch wenn er kein Jurist ist.“ Keineswegs. Der Beschluss beruht zuletzt auf Art 1 GG. Aber es steht der BDS-Bewegung frei, das vor dem BVerfG klären zu lassen.
3. „Die Kernfrage war, ob wir uns auf ein simples Prinzip der wissenschaftlicher Konfliktanalyse einigen können“ . Dazu gehört Ihrer Meinung nach: „Wenn wir über den Nahostkonflikt reden, sind die Konfliktperspektiven der beteiligten Parteien gleichberechtigt zu thematisieren“. Würden Sie sagen, dass es zur „wissenschaftlichen Konfliktanalyse“ gehört, im Hinblick auf den 2. WK „die Konfliktperspektiven der beteiligten Parteien gleichberechtigt zu thematisieren“? Zurzeit greift eine terroristische und antisemitische Gruppe (Hamas)Israel an. Völlig zu Recht sagte heute früh Außenminister Heiko Maas: „Deutschland steht ohne Wenn und Aber zu unserer Freundschaft mit Israel, das sich gegen den Raketenterror der Hamas verteidigen muss.“ Sie sehen es anders. Aber hören Sie doch auf, Ihre antiisraelische Einstellung als „wissenschaftlich“ zu bezeichnen und so zu tun, als ginge es Ihnen um unsere Verfassung. Sie sind Gesinnungstäter.
Lieber Herr Posener,
beginnen wir mit
1. Zu Shalicar:
Wie Sie in dieser Angelegenheit angesichts der vorliegenden Beweis- und Indizienlage argumentieren, vermag ich mit der Haltung eines neutralen, an objektiven Erkenntnisinteresse orientierten Journalisten nicht in Einklang bringen.
Zu dem was beweisbar fest steht: Von den insgesamt 15 Veranstaltungen nach Förderantrag-DIG haben überhaupt nur zwei unter dem Titel der beantragten Veranstaltungsreihe stattgefunden. Beide wurden gleichzeitig vom Verlag als Buchlesung beworben. Bei den restlichen dreizehn taucht der Veranstaltungsreihe-Titel gar nicht erst auf, alle 15 sind aber beim Verlag als Buchlesung ausgewiesen. Fest steht auch: Fast 60 % der Fördergelder mussten wegen fehlender Nachweise zurückgezahlt werden.
Somit ist klar: Die Aussage Kleins weder Buch noch Lesereise gefördert zu haben ist wahrheitswidrig.
Ihr Vorhalt „Die Autor*innen des Aufrufs hätten Veranstaltungsreihe der DIG kritisieren müssen?“ ist haltlos. Die Autoren konnten von einer Veranstaltungsreihe der DIG nichts wissen. Reiner Bernstein wusste zunächst nur von EINER Veranstaltung der DIG in Verbindung mit der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, von der es hieß, sie werde von Herrn Klein „gefördert“. Dort wird das Buch Shalicars mit dicken Lettern beworben (https://www.facebook.com/events/679824082453291/).
Naheliegender wäre es gewesen, dass Sie ordentlich recherchieren, bevor Sie die Autoren angreifen.
Was besagt die Indizienlage?: Sie spricht dafür, dass sich die DIG öffentliche Fördergelder erschlichen hat, durch falsche Angaben im Förderantrag. Sie spricht weiterhin dafür, dass es hier ein klammheimliches Einverständnis des Büros Kleins gab. Das muss nämlich die rechtmäßige Verwendung der Mittel überprüfen. Was ich herausbekam, hätte vielleicht auch das Büro Klein herausbekommen können. DIG, Shalicar und der Verlag machten sich ja nicht die geringste Mühe irgendetwas zu verschleiern. Vom Büro Klein war offensichtlich nichts zu befürchten. Bei der DIG hält man es scheinbar für völlig normal, dass private Lesereisen aus öffentlichen Mitteln gefördert werden. Die warben in aller Unschuld dafür.
Angesichts der Tatsache, dass die DIG regelmäßig institutionelle und projektbezogene Förderung erhält, sollte man weitere Fragen stellen und nicht Widersprüche zukleistern, auch wenn es in diesem Fall nur um 14.000 € geht. So verstehe ich jedenfalls professionellen Journalismus.
2. BDS Beschluss
Ich bin etwas ausführlicher geworden, weil ich den Eindruck hatte, dass Sie sich bisher nicht der Mühe unterzogen haben sich mit der Rechtssprechung vertraut zu machen. Dieses Problem stelle ich nicht nur bei Ihnen fest, es zieht sich durch die ganze Debatte. Die Defizite fangen schon bei der Meinungsfreiheit. Vom Demokratiegebot, der demokratischen Willensbildung „von unten nach oben – und nicht umgekehrt“ haben die meisten Journalisten scheinbar sowieso noch nie etwas gehört. Also feiert das obrigkeitsstaatliche Denken, das bis 1945 die deutsche Staatsrechtstradition dominierte und mit dem das Grundgesetz radikal gebrochen hat, allenthalben fröhliche Urständ. Mit der größten Selbstverständlichkeit geht man in den deutschen Feuilletons davon aus, dass Amtsträger wie Klein sich am Meinungskampf beteiligen dürfen.
Auch wenn man in juristischen Angelegenheiten nicht beschlagen ist, eines sollte man inzwischen gemerkt haben: Die Bundestagsbeschlüsse und deren Umsetzung durch den Antisemitismusbeauftragten und die Kommunen können sich möglicherweise nicht auf eine belastbare Rechtsgrundlage stützen. Dafür gibt es eine triftige Indizienlage.
Dann hat man, denke ich, als Journalist die Aufgabe dem nachzugehen und für Klarheit zu sorgen. Wenn es nicht nur als ein unverbindliches Bekenntnis gemeint war, Antisemitismusbekämpfung nicht im rechtsfreien Raum zu veranstalten, sollte das eigentlich selbstverständlich sein. Bisher geschieht weder durch Sie noch andere etwas, um den unbefriedigenden Zustand zu überwinden, dass in den Kommunen verfassungswidrig Meinungsfreiheit eingeschränkt wird und der Antisemitismusbeauftragte sich auf unzulässige Weise in öffentliche Debatten einmischt. Es wäre aber Ihr Job, einen Beitrag dafür zu leisten, dass hier klare Verhältnisse geschaffen werden.
Dies hätte schon lange geschehen müssen. Ich frage mich, woran das liegt.
Stattdessen stochern Sie im Nebel herum und greifen nach der nächstgelegenen Plausibilitätsüberlegung – wie gehabt.
Nicht ich schlag den Sack und mein den Esel, sondern Sie halten die elementarsten Kategorien nicht auseinander. Der Bundestag gehört nicht zur Exekutive, hat nicht die Beschränkungen eines Amtsträgers der Exekutive, der nicht grundrechtsberechtig ist, also keine Meinungsfreiheit hat. Das rechtlich problematische Verhalten von Herrn Klein als weisungsgebundener, dem Innenministerium unterstellter Beamter resultiert zunächst daraus, dass er meint Meinungsfreiheit zu haben und in öffentlichen Debatten mitmischen zu können wie Hinz und Kunz. Verschärft wird das Problem dadurch, dass er sich dabei auf den Bundestagsbeschluss beruft, also eine Extraportion staatlicher Autorität reklamiert. Was Klein als Extra-Legitimation begreift ist in Wirklichkeit ein zusätzliches Legitimationsdefizit. Ein „Beschluss des Souveräns“ kann verfassungswidrig sein – ist schon vorgekommen – z. B. weil er dem Demokratiegebot und der Meinungsfreiheit widerspricht. Das wird im Moment im Rahmen einer Klage geklärt. Für den Antisemitismusbeauftragten verbindlich handeln würde der Souverän, wenn er ein Gesetz erließe. Das kann er aber nicht, weil dieses – wie schon ausgeführt – verfassungswidrig wäre. Selbst wenn der Bundestagsbeschluss für sich genommen nicht verfassungswidrig wäre, ergibt sich eine Verschärfung der verfassungswidrigen Praxis dadurch, dass sich die Exekutive mit ihren Eingriffen in die Meinungsfreiheit und die Verletzung des Demokratiegebots (beides ist für sich genommen verfassungswidrig auch ohne Bundestagsbeschluss) auf die Legitimation durch den Souverän beruft. Auch wenn der BDS-Beschluss in den Kommunen wie ein Gesetz behandelt wird, er hat keinerlei rechtliche Relevanz. Die Urteile sind da explizit und eindeutig.
3. Zur IHRA-Definition / lokalpolitische Auseinandersetzung in München:
Ihren Ausführungen zum „israelbezogenen Antisemitismus“ (ibA) kann ich überwiegend zustimmen (es geht an dieser Stelle nicht um Antisemitismus allgemein). Eine wissenschaftliche Definition gibt es nicht und kann es nicht geben, die Grauzone bleibt. „Sie können nur im Einzelfall eine begründete Meinung darüber abgeben“ – sehe ich auch so.
Auf mein eigentliches Arguments gehen Sie nicht ein, obwohl dieses doch nur eine simple Selbstverständlichkeit im Interesse einer objektiven Analyse ausdrückt.
Es besagt erstens, im Nahostkonflikt muss die Konfliktwahrnehmung beider Parteien gleichberechtigt berücksichtigt werden. Insofern ethnische Diskriminierung und Stigmatisierung dabei eine Rolle spielt (Antisemitismus wie Rassismus) ist dies ebenfalls beidseitig gleichberechtigt zu thematisieren.
Als konkretes Beispiel stelle ich die Frage, ob denn nach der Logik, nach der israelbezogener Antisemitismus identifiziert wird, wenn das Existenzrecht Israels direkt oder mittelbar in Frage gestellt wird, von palästinenserbezogenen Rassismus zu sprechen ist, wenn das Existenzrecht eines palästinensischen Staates verneint wird (Beispiel Becker / Trump-Plan).
Diesen Fragen weichen Sie aus und lassen ersatzweise eine ganze Batterie Nebelkerzen vom Stapel.
Mit der Frage wen BDS repräsentiert oder nicht haben meine Fragen nichts zu tun. Es geht hier auch nicht um Fragen, die nur von lokaler, auf München begrenzter Bedeutung sind. Gucken Sie sich mal die Debattenbeiträge in den Parlamenten an, ob Sie da auch nur in Ansätzen Überlegungen aus palästinensischer Perspektive finden.
So wie sie argumentieren ist niemand legitimiert für die Palästinenser zu sprechen. Golda Meir (There is no such thing as a Palestinian people) lässt grüßen. Frau Meir starb 1978, wir haben jetzt 2021. Würde ich dazu neigen mit stigmatisierenden Begriffen zu operieren, könnte es mir einfallen, hier von (mindestens) sekundären „palästinenserbezogenem Rassismus“ zu sprechen.
Abgesehen von alledem: Wenn BDS so irrelevant ist wie NPD und RAF für Deutschland sind oder waren: Wieso sprach dann Netanyahu 2015 von BDS als der größten Bedrohung für Israel, warum gibt das Ministerium für strategische Angelegenheiten jährlich Millionen für BDS-Bekämpfung aus, warum wird BDS von zahlreichen Kirchen v.a. in USA und England unterstützt? Mein Rat: Machen Sie sich vertraut mit Umfragen zur Unterstützung von BDS in England, Amerika und Palästina. Dann werden Sie realisieren, wie abwegig ihre von Wunschvorstellungen geleiteten Einschätzungen sind, dass Sie aus einer Blase heraus in der nahostpolitischen Provinz Deutschland urteilen (z.B. hier: https://www.brookings.edu/blog/order-from-chaos/2020/01/08/what-do-americans-think-of-the-bds-movement-aimed-at-israel/).
Nicht zuletzt: Man überlege auch, was dabei herauskäme, wenn man ihre Logik auf alle nicht ganz demokratisch legitimierten Völker und Staaten auf diesem Planeten anwenden würde. Wer wäre dann noch legitimiert für diese zu sprechen?
1. Shalicar: Wenn sich die DIG unrechtmäßig Gelder erschlichen haben sollte, dann ist die DIG zu kritisieren. Und wie Sie anmerken, musste ein großer Teil der Gelder für die Veranstaltungsreihe zurückgezahlt werden. Dass Klein oder sein „Büro“ wissentlich Shalicar sozusagen unter dem Deckmantel der DIG gefördert haben, wie Sie behaupten, haben Sie nicht nachweisen können. Je wortreicher sie werden, desto weniger sagen Sie aus.
2. Sie wiederholen sich, aber wir waren schon weiter. Wir haben festgestellt, dass die Überparteilichkeit des Staates sich zumindest in Deutschland (in den USA etwa mag es anders sein) nicht auf eine Neutralität in Bezug auf Rassismus und Antisemitismus erstreckt, die nicht als „Meinungen“, sondern als Bedrohungen nicht nur „vulnerabler Minderheiten“, sondern der Verfassungsordnung selbst erstrecken. Da laut GG Art. 1 der Schutz der Menschenwürde Verpflichtung ALLER staatlichen Gewalt ist, müssen Angriffe auf die Menschenwürde von Juden, Muslimen und Christen ebenso von ALLEN staatlichen Organen geahndet werden wie auf jene von Frauen, Kindern, Schwulen, Alten usw. Nicht ich kenne mich in der Rechtslage nicht aus. Sie missachten Artikel 1 unseres Grundgesetzes.
3. „Als konkretes Beispiel stelle ich die Frage, ob denn nach der Logik, nach der israelbezogener Antisemitismus identifiziert wird, wenn das Existenzrecht Israels direkt oder mittelbar in Frage gestellt wird, von palästinenserbezogenen Rassismus zu sprechen ist, wenn das Existenzrecht eines palästinensischen Staates verneint wird (Beispiel Becker / Trump-Plan).“
Es gibt viele Völker, Ethnien, Nationen, nennen Sie es, wie Sie wollen, denen ein eigener Staat verwehrt wird: Katalanen und Korsen, Schotten und Basken, Serben in Bosnien, russischsprechenden Ukrainern, Abchasen in Georgien, Türken auf Zypern, Kurden in der Türkei, im Irak und in Syrien, Berbern in der Westsahara, diversen ethnischen Minderheiten in Myanmar, Tibetanern, Uiguren … die Liste setze ich nur aus Zeitgründen nicht fort. In den USA wurde ein blutiger Bürgerkrieg gefochten, um den Einzelstaaten das Recht auf Sezession ein für alle Male zu verwehren.
Die Gründe, weshalb wir beispielsweise unseren Nato-Partner und EU-Mitgliedschafts-Aspiranten Türkei, zurzeit unter islamistischer Verwaltung, bei der Verwehrung kurdischer Staatlichkeit unterstützen, sind vielfältig, und ich habe mir viel Ärger unter den Kurden (die aktuell jedenfalls allesamt israelfreundlich sind) eingehandelt, als ich schrieb, diese Gründe seien nachvollziehbar. Das geschah nicht aus antikurdischem Rassismus meinerseits, sondern aus strategischen Überlegungen, und ich bin übrigens auch gegen einen schottischen und katalanischen, abchasischen und serbisch-bosnischen Staat, ohne etwas gegen Kelten, Katalanen usw. zu haben.
Wie ist das bei Ihnen?
Kurzum: Auch palästinensische Politikwissenschaftler*innen und Bürgerrechtler*innen, die nicht die müden Phrasen der PLO und Hamas nachbeten, überlegen längst, wie das Modell der geteilten Souveränität, das in der EU vorgemacht wird, etwa auf einen palästinensischen Staat dergestalt angewendet werden könnte, dass die äußeren Grenzen – zu Jordanien und Ägypten etwa – gemeinsam von Israel, Jordanien und Ägypten garantiert werden könnten, und dass die Armee – wie etwa in Deutschland nach dem 1. WK – so organisiert und bewaffnet werden könnte, dass sie Israel nicht bedrohen kann. Das ist als weniger als volle Staatlichkeit im Sinne des 19. Jahrhunderts, aber sehr viel besser als der jetzige Zustand, jedenfalls, wenn es verbunden wird mit Finanzhilfe und – alles entscheidend – demokratischen Strukturen.
Was meinen Sie?
4. BDS diskutiert das alles nicht, weil BDS als Frontorganisation der PLO nichts diskutiert außer wie man dem Jüdischen Staat schaden kann. Und genau deshalb ist BDS antisemitisch. Dass viele Leute das unterstützen, macht es nicht besser.
Zunächst zu Shalicar, Herr Posener:
Die Unterzeichner des Offenen Briefs an Merkel vom 24.7.2020 drücken ihre Sorge darüber aus, dass die Kritik an „israelischer Regierungspolitik“ mit „politischer und finanzieller Unterstützung des Antisemitismusbeauftragten gefördert wird.“ (https://www.tagesspiegel.de/downloads/26044046/1/offener-brief-an-angela-merkel.pdf)
Dem begegnete Klein vier Tage später (28.7.2020) mit der Feststellung: „Die Förderung bezog sich ausdrücklich nicht auf das Buch von Herrn Shalicar sowie eine persönliche Lesereise“ (https://m.tagesspiegel.de/politik/neue-vorwuerfe-gegen-den-regierungsbeauftragten-worum-es-im-streit-um-den-antisemitismus-begriff-geht/26045052.html).
Diese Aussage ist unwahr. Mit dieser Aussage war Klein schon seit Mai 2019 unterwegs, als Dr. Bernstein sich erstmals an Felix Klein und das Außenministerium wandte. Wenn Herr Klein seine Falsch-Aussage angesichts eines Briefes an die Bundeskanzlerin über ein Jahr später wiederholt, stellt sich die Frage, ob er wissentlich die Unwahrheit sagte. Wenn diese Frage verneint werden kann, stellen sich Fragen nach seiner amtlichen Eignung.
Es ging also nie eine bestimmte Form finanzieller Förderung (Druck-Zuschuss, Zuwendungen an den Verlag), es ging immer um die Frage, ob aus Bundesmitteln ein privates Buchprojekt unterstützt wurde. Mir ist bei meinen Recherchen durchaus aufgefallen, dass Shalicar und andere in diesem Zusammenhang eine Frage beantworten, die niemand gestellt hat. Es habe keinen Druck-Zuschuss gegeben der Verlag habe „keine Mittel erhalten“ (https://www.jsud.de/beitrag/offener-brief-gegen-jeden-antisemitismus) heißt es da. Das lenkt ab von der Frage, um die es geht.
In Ihrem ZEIT-Artikel ist von Druck-Zuschuss nicht die Rede. Sie beziehen auf die Behauptung aus dem Brief an Merkel „Shalicars Buch“ sei „gefördert“ worden. Sie werfen den Briefschreibern vor sich nicht beim Verlag Hentrich & Hentrich erkundigt zu haben. Das wäre gar nicht nötig gewesen. Der Beleg dafür, dass Kleins Aussagen nicht der Wahrheit entsprechen, erschließt sich weitgehend aus der Internetseite des Verlags und ansonsten aus dem Internet, wie Sie meiner Aufstellung entnehmen können. Es ist im Internet keine einzige Veranstaltung finden, die unabhängig von der Bewerbung des Buches Shalicars stattfand.
Sie treten in anderen Zusammenhängen durchaus offensiv auf gegen die Zweckentfremdung von Steuergeldern auf (Fall Mbembe „Kein Geld von Steuerzahlern mehr für antisemitisches Gedankengut“ DIE WELT 20.5.2020). Deswegen erscheint mir die Frage nicht unangemessen, was Sie zu tun gedenken, um die Causa Shalicar / Klein aufzuklären. Starke Meinungen sollten nicht von politischen Rücksichten abhängig sein.
Zu Ihren Punkten 1 + 2:
Was Sie zur Holocaustleugnung sagen habe ich so nicht erwartet. Ich bin da zwischen Kopf und Bauch gespalten. Mit dem Kopf bin ich für Meinungsfreiheit auch in dieser Frage (einschließlich dem Zeigen von Nazisymbolen). Mit dem Bauch bin ich froh, dass Nazis nicht mit der Hakenkreuzfahne durch das Brandenburger Tor marschieren können, vorbei am Holocaust-Denkmal.
Bei Punkt 2 habe ich den Eindruck, dass ein Missverständnis vorliegt. Dort wo Sie einen Widerspruch ausmachen, existiert dieser aus meiner Sicht nicht:
Gärditz, die Rechtsprechung zum Demokratiegebot (Dügida-Urteil) etc. habe ich wie folgt verstanden – ich stütze mich hier u.a. auch auf die Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zu BDS (WD-BDS), die Felix Klein anregte ( https://www.bundestag.de/resource/blob/814894/cf6a69d010a1cc9b4a18e5f859a9bd42/WD-3-288-20-pdf-data.pdf):
Es gibt zwei Ebenen:
Ebene 1: Zivilgesellschaftliche Debatten, die i.S. des Demokratieprinzip sich grundsätzlich „staatsfrei“ zu vollziehen haben.
Ebene 2: Meinungsäußerungen die staatliches Handeln i.S. der Schutzverantwortung gegenüber Verfassungsgrundsätzen, vulnerable Minderheiten usw. erforderlich machen: Diesseits der „Friedlichkeitsgrenze“ per verbaler Positionierung, jenseits derselben durch Verbote und Strafrecht.
Der von Ihnen ausgemachte Widerspruch resultiert aus dem Missverständnis, dass Sie meinen Felix Klein bewege sich, wenn er den BDS-Bundestagsbeschluss umsetzen möchte, auf Ebene 2. Auf der Ebene 2 geht es um Organisationen wie der NPD, bei der klar und gerichtsfest festgestellt wurde, dass sie antisemitisch usw. ist. Es geht nicht um Organisationen, wo dies Gegenstand einer kontroversen gesellschaftlichen Debatte ist.
Die Autoren der Studie WD-BDS verorten die BDS-Bundestagsresolution auf Ebene 1. Es handle sich um „eine politische Meinungsäußerung im Rahmen einer kontroversen Debatte“. Daraus folgt u.a. auch: Die WD-BDS-Studie wertet BDS nicht als antisemitisch. Ob BDS antisemitisch ist oder nicht, ist vielmehr Teil der „kontroversen Debatte“. Daraus ergibt sich auch, dass der Beschluss nicht in ein Gesetz transformierbar ist. Denn – so die Studie: Gesetze, die sich gegen eine bestimmte Meinung richten sind grundsätzlich verfassungswidrig.
Eine kontroverse Debatte wird von grundsätzlich Gleichen bestritten, die sich allenfalls durch die besseren Argumente voneinander unterscheiden, nicht aber dadurch, dass ein Debattenteilnehmer mit dem Gewicht eines Staatsamts und eines parlamentarischen Beschlusses im Rücken in die Debatte eingreift, meint eine Sonderrolle beanspruchen und andere Debattenteilnehmer maximal diskreditieren zu dürfen im Staatsauftrag.
Beauftragte können sich „namentlich nicht im Rahmen ihrer amtlichen Aufgaben am Meinungskampf beteiligen und sich auch nicht auf die Meinungsfreiheit berufen (…) Wer die Beauftragung durch die Regierung als Kampfauftrag für eine (vermeintlich) gute Sache missversteht, missbraucht die nur grundrechtlich eingehegt verliehene und rechtsstaatlich gebundene Macht.“ (Gärditz)
Die Studie WD-BDS geht aus gutem Grund auf das Problem mittelbar-faktischer Grundrechtseingriffe ein, die vorliegen, „wenn das staatliche Informationshandeln das grundrechtlich geschützte Verhalten hinreichend gewichtig oder final beeinträchtigt. Das kann etwa der Fall sein, wenn Bürger durch den Aufruf eines Hoheitsträgers von der Teilnahme an einer Versammlung abgeschreckt werden.“ In einer Studie zu BDS ist das klar genug.
Ein solcher Eingriff lag vor, als Felix Klein sich gegen Mbembe als Eröffnungsredner bei der Ruhrtriennale aussprach. Herr Klein scheint hingegen zu meinen, er greife in die Meinungsfreiheit erst dann an, wenn er solche Auftritte verböte, so er könnte. Die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ist nicht erst dann eingeschränkt, wenn Kulturfunktionäre über unmittelbare Eingriffsrechte verfügen.
Herr Klein ist Volljurist, hat aber kein angemessenes Amtsverständnis. Das hier relevante Grundrechtsverständnis ist aber auch in den Medien nicht hinreichend ausgeprägt. Die meisten Journalisten gehen mit großer Selbstverständlichkeit davon aus, dass Klein in gesellschaftlichen Debatten intervenieren darf, wie er es tut. Der obrigkeitsstaatliche Zug, offizielle Staatsdoktrin bis 1945, wird dadurch am Leben erhalten. Mit dem Grundgesetz wurde aber ein bewusster Bruch mit dieser Rechtstradition vollzogen.
Das Thema Fehlkonstruktion / Querschnittsaufgabe kann man hier vernachlässigen. Es ging mir nur darum zu sagen, dass Gärditz jenseits unerlaubter Meinungspflege Antisemitismusbekämpfung als eine staatliche Aufgabe anerkennt.
Zu Ihrem 3. Punkt:
„Israelbezogener Antisemitismus“ als Umwegkommunikation, ohne Rückgriff auf klassischen Antisemitismus.
Sie stimmen dem zu und erklären sich dazu bereit darüber auch ohne BDS-Bezug zu diskutieren. Es geht hier aber auch um das Stichwort „Grauzone“ im Anschluss an das vom Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus (UAE) ausgeführte. Sie stimmen der allgemeinen Definition zu. Das tut auch der UEA, wie die meisten halbwegs vernünftigen Menschen.
Der UEA hält Arbeitsdefinition Antisemitismus geeignet für praktische Zwecke, billigt aber dem Begriff israelbezogenen Antisemitismus keine wissenschaftliche Qualität zu bei praktischen Fragestellungen:
„Auch er Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus (UEA) unterstützt die ‚Arbeitsdefinition Antisemitismus‘ als wegweisendes Dokument für die praktische Arbeit (…) insbesondere der Polizei, aber auch bei der Erfassung von antisemitischen Vorfällen durch NGOs, möchte sie aber zugleich auch um eine wissenschaftliche Perspektive erweitern, da nur so die vielfältigen Facetten des Antisemitismus herausgearbeitet und analysiert werden können“
Die IHRA-Arbeitsdefinition Antisemitismus wurde ursprünglich für die Erfassung antisemitischer Vorfälle i.R. der Polizeiarbeit usw. konzipiert. Im Zuge ihrer Weiterentwicklung wurde sie für politische Zwecke instrumentalisiert. Darauf verweisst u.a. Kenneth Stern, der an für die ursprüngliche Konzeption federführend verantwortlich war. Kern führt aus, er habe die Definition von Antisemitismus entworfen, politisch rechts orientierte Juden instrumentalisieren sie als „Code für Hassreden“ (https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/dec/13/antisemitism-executive-order-trump-chilling-effect.)
Die IHRA-Definition funktioniere im Rahmen des ursprünglichen Zwecks, nämlich für die einheitliche Erfassung von antisemitischen Vorfällen durch die Polizei oder NGOs. Wenn der UEA die IHRA-Definition um „eine wissenschaftliche Perspektive“ erweitern möchte, dann vermutlich, weil sie diese Perspektive noch nicht hat. Der Versuch diese Erweiterung zu leisten ist aber offensichtlich misslungen. Der UEA konstatiert bei dem Versuch, das Konzept „israelbezogener Antisemitismus“ auf eine wissenschaftlich gesicherte Basis zu stellen über eine „Grauzone“ nicht hinausgekommen zu sein (UEA-Bericht S. 27 Exkurs: »Grauzonen«).
Es trägt also nicht sehr weit, wenn wir uns auf die allgemeine, theoretische Definition einigen. Vielmehr geht es um die Frage, ob wir eine gemeinsame Basis haben zur praktischen Verwendung dieses Begriffs in politischen Debatten. Ob wir uns darauf einigen können, dass dieser Begriff keine gesicherte wissenschaftliche Basis aufweist.
Dieselbe Frage stellt sich im Übrigen auch im Hinblick auf die IHRA-Definition aus noch anderen Gründen.
Was Sie dazu schreiben (JERUSALEMER ERKLÄRUNG, Was ist das, wenn nicht antisemitisch?) ist ungenau und entspricht nicht dem aktuellen Stand. Die Definition für Deutschland ist nicht die „zwischenstaatlich“ vereinbarte. Die Kerndefinition der internationalen Definition besteht aus zwei Sätzen. Die deutsche, auf die sich auch die Bundestagsresolution bezieht, besteht aus drei Sätzen. Eine „Arbeitsdefinition“ ist die internationale Definition nur noch auf dem Papier. De facto kann es keine Fortschreibung geben, denn „eine Revision würde voraussetzen, dass es einen Konsens aller 34 Mitgliedstaaten der IHRA darüber gäbe a) die Definition zu verändern und b) dieser Änderung zuzustimmen. Beides ist nicht vorhanden“ (Mitteilung von Michaela Küchler, Sonderbeauftragte für Beziehungen zu jüdischen Organisationen, Antisemitismusfragen etc. im Auswärtigen Amt vom 19.3.2021 / 6-zbv-s@auswaertiges-amt.de). Was sagt uns das über die wissenschaftliche Qualität der IHRA-Defintion? Seit wann werden Texte, die als wissenschaftlich belastbar ausgegeben werden (z.B. von Frau Schwarz-Friesel) in einem intransparenten diplomatischen Verhandlungsprozess ausbaldowert, mit dem Ergebnis, dass es eben nicht mehr weiter geht, wenn die Diplomaten sich nicht einigen können. Ist das ein in der Wissenschaft übliches Verfahren?
Die Konsequenz aus alledem wäre, dass man hier Transparenz schafft. Das tut aber weder Herr Klein noch das IHRA-Büro in Berlin. Beide beantworten keine Fragen zum Thema Fortschreibung der IHRA-Definition. Sie verkaufen weiter eine Mogelpackung: Eine Arbeitsdefinition ohne Perspektive auf Fortschreibung.
Mit dem was Sie zu dem Thema schreiben suggerieren Sie eine Legitimationsbasis, die nicht vorhanden ist. Ihre Aufgabe als Journalist sollte doch eher darin bestehen, hier die Differenz zwischen Schein und Wirklichkeit offen zu legen. Da muss ich gar nicht auf die immanente Kritik eingehen, wie sie in der Jerusalem Erklärung geübt wurde.
Zu Punkt 4.
Zunächst und etwas grundsätzlicher frei nach Alan Posener: Wir kämen weiter, wenn Sie es unterlassen würden per Ferndiagnose über meine Motive zu spekulieren. Wir unterhalten uns hier über einen relativ breiten Graben hinweg. Da ist es vielleicht besser, erst einmal zu fragen, bevor man vorschnell urteilt.
Ich möchte Ihnen erläutern was mich zur Formulierung mit der „seltsam autistische Fixierung auf die israelische Konfliktperspektive“ gebracht hat. Dies bezieht sich nicht auf die Frage wie fern in den Medien israelfreundliche bzw. israelkritische Positionen gewichtet sind. Mir ist bekannt, dass es dazu sehr unterschiedliche Wahrnehmungen gibt.
Auf diese Formulierung kam ich durch einen Text des Münchner Kulturreferats vom 26.10.2017, einer Stellungnahme im Beratungsprozess vor Beschlussfassung am 6.12.2017 (https://www.ris-muenchen.de/RII/RII/DOK/SITZUNGSVORLAGE/4717919.pdf). Dieser Text von einer guten DIN-A-Seite bezieht sich auf die Begründung des Münchner BDS-Beschluss, einem in einer Stabstelle Oberbürgermeisters (genannt Direktorium) verfassten Textes von 19 Seiten (https://www.ris-muenchen.de/RII/RII/DOK/SITZUNGSVORLAGE/4760943.pdf).
Die in dieser Stellungnahme vorgetragenen Argumente reichen aus, um der Begründung des Münchner BDS-Beschluss jegliche Legitimationsgrundlage zu entziehen. All diese Argumente wurden nicht beachtet, die Begründung ist Teil des Beschlusses, so wie sie vor dem 26.10. formuliert und begründet war.
Auf eines dieser Argumente aus der Stellungnahme bezieht sich die von Ihnen kritisierte Formulierung.
Es lautet:
„Die BDS-Kampagne findet zudem im Kontext eines größeren politischen Weltkonfliktes, dem Nahostkonflikt statt. Das multiperspektivische Element des Nahost-Konflikts sollte in der Beurteilung der BDS-Kampagne zumindest eine kurze Erwähnung finden.“
Daraus ergibt sich zweierlei:
Erstens, der Begründungstext entspricht schon im Ansatz nicht einer Analyse, der es um wissenschaftliche Standards, objektivem Erkenntnisinteresse usw. geht. Ich denke ich muss das nicht begründen. Eine Konfliktanalyse, in nur die Perspektive eines Konfliktbeteiligten zum Tragen kommt ist indiskutabel. Dazu muss man kein Nahostexperte sein. Es reicht die allgemeine Lebenserfahrung von frühen Streitigkeiten im Sandkasten angefangen.
Zweitens: Die Münchner Stadtpolitik hatte gar nicht die Absicht den BDS-Beschluss unter Berücksichtigung elementarster wissenschaftliche Standards zu begründen. Das Kulturreferat fordert schließlich nicht die zweite Konfliktperspektive materiell angemessen zu berücksichtigen. Dass es hinten in Nahost auch noch das Völkchen der Palästinenser gibt, mit einer möglicherweise eigenen Sicht auf die Dinge sollte nur erwähnt werden und das auch nur kurz. Der Begründungstext wurde von abhängigen Kommunalbeamten erstellt und nicht von unabhängigen Wissenschaftlern. In der Stellungnahme heißt es, sie soll dem Oberbürgermeister vorgelegt werden, für den Fall, dass nicht alle Einwände „vollumfänglich“ berücksichtigt werden. Herr Reiter hat alles abgebügelt.
Meine Bemerkung bezieht sich auf die Art und Weise, wie die BDS-Beschlüsse umgesetzt werden, wenn das Problem auf überforderte und opportunistische Kommunalpolitiker trifft, die Angst davor haben als Antisemiten in die Schusslinie zu geraten.
Ich denke, wir können uns darauf verständigen, dass die Bekämpfung des Antisemitismus auch auf der Ebene der Begründungen minimalste Standards wissenschaftlicher Wahrheitsfindung zu berücksichtigen hat. Das war hier offensichtlich nicht der Fall. Der Münchner Begründungstext ist ein aus dem Internet zusammengestümpertes Elaborat ohne ein einziges Buch in der Literaturliste, geschrieben von Autoren, denen es v.a. darum ging, ein politisch gewünschtes Ergebnis abzuliefern.
München ist kein Einzelfall. Die Münchner Politik hat nur den „Fehler“ gemacht einen längeren politischen Begründungstext zu schreiben. In Frankfurt wurde der BDS-Beschluss mit der Maßgabe (gerichtet an den zuständigen Dezernenten Uwe Becker) verabschiedet, eine Begründung für die Rechtmäßigkeit des Beschlusses abzuliefern. Diese Begründung steht seit 4 Jahren aus. In Frankfurt gibt es in dieser Frage eine Blockflöten-Koalition von der LINKEN bis zur AFD unter Einschluss der Regionalpresse, die diesen Zustand ignoriert. Einzige Ausnahme die FDP-Fraktion. Deren Anfrage am 2.12.2019 war die erste Initiative aus den Reihen des Stadtparlaments, Herrn Becker an seine aus dem BDS-Beschluss resultierende Verpflichtung zu erinnern eine rechtliche Begründung nachzuliefern.
Von den insgesamt acht Fragen bezogen sich vier (die Fragen 3-6) auf die verfassungsrechtliche Thematik, wie sie u.a. auch in den bis dahin bekannten Gerichtsurteilen zu BDS angesprochen wurde (https://www.stvv.frankfurt.de/download/A_602_2019.pdf). Die Antwort Beckers beschränkt sich auf allgemeine Floskeln und enthält keinerlei substanziellen Bezug auf die Argumente der Fragesteller zu den verfassungsrechtlichen Problembereichen:
Die Raumvergabe müsse immer „unter Beachtung des geltenden Rechtes und der Einbeziehung der aktuellen Rechtsprechung erfolgen (…) Der Magistrat muss Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes immer beachten und diese in der Verwaltungspraxis berücksichtigen bzw. umsetzen (…) Die Kommentierung einzelner Gerichtsentscheidungen ist nicht zielführend, da diese keine Frankfurter Einzelfälle betreffen.“
https://www.stvv.frankfurt.de/PARLISLINK/DDW?TEXT=BDS&TEXT_O=beinhaltet%20(und)&DATUM_2=31.03.2020&DATUM_BIS_O=kleiner+gleich&DATUM=05.05.2020&DATUM_O=gr%F6%DFer+gleich&DOKUMENTTYP=TAGO%27,%27NIED%27,%27FRAG%27,%27WORT%27,%27BESC%27,%27VORL&FORMFL_OB=DATUM&FORM_SO=Absteigend&?2?2?
Die Fragen 3-6 beziehen sich direkt oder mittelbar auf die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und begründen den Widerspruch des Frankfurter BDS-Beschluss mit dieser höchstrichterlichen Rechtssprechung.
Beckers „Antwort“ ist lächerlich und gleichzeitig eine Verhöhnung des parlamentarischen Fragerechts.
Das also ist der Kern der Angelegenheit, wenn ich von der autistischen Fixierung auf die israelischen Konfliktperspektive spreche.
Vorschlag einer Arbeitsdefintion zu palästinenserbezogenen Rassismus
Was ich zur notwendigen Berücksichtigung auch von palästinenserbezogenen Rassismus schreibe ist nur eine logische Konsequenz aus den Erfahrungen in München und Frankfurt.
Zunächst ganz grundsätzlich: Die Praxis sich wechselseitig stigmatisierende Begriffe um die Ohren zu hauen ohne angemessene Kontextualisierung dominiert dort, wo Leute am Werk sind, die in PR-Kategorien denken und zu einer politischen oder historischen Analyse nicht mehr in der Lage sind, bzw. dies vielleicht nie waren. Die BDS-Bundestagsresolution atmet leider diesen Geist.
Rassismus und Antisemitismus hat es im jüdisch-arabischen Verhältnis auch vor 1948 gegeben und ist deswegen auch zu thematisieren. Die Anti-BDS-Kampagne zeichnet sich dadurch aus, dass eine palästinensische Gruppe ohne legitime Begründung als Debattenteilnehmer maximal diskreditiert, delegitimiert und handfest behindert werden soll.
Ich plädiere an dieser Stelle dafür die schlichte Gegenfrage zu stellen: Wie fern und wodurch sind die Palästinenser von Diskriminierung nach ethnischen Kriterien betroffen. Überall auf diesem Planeten gilt dies als Rassismus.
Was ich dazu sage entspricht einer schlichten methodischen Selbstverständlichkeit, auf die man sich einigen sollte, bevor man einzelne Fragen erörtert, zum israelisch-palästinensischen Verhältnis nach 1948.
So wie es eine IHRA-Definition gibt, sollte es etwas Analoges aus palästinensischer Perspektive geben, in etwa dergestalt, dass grundsätzlich definiert wird, was Rassismus ist und dann an Einzelbeispielen aufgelistet wird, wie sich dieser gegenüber den Palästinensern manifestiert z.B. darin, dass jüdische Israelis die Möglichkeit sich das Eigentumsrecht an Häusern, die vor 1948 in ihrem Besitz waren, vor Gericht zu erstreiten, Palästinenser aber nicht. Das Nationalitätengesetz wäre ein weiteres Beispiel, ebenso wie das Baurecht in der Westbank. Auf diese Art und Weise käme eine Liste mit Aussagen zusammen, die ohne Umwegkommunikation Rückschlüsse auf Rassismus ermöglichen würde. Die IHRA-Definition steht ja unter einem prinzipiellen „per se“ (was nicht allen Kritikern der Jerusalem Deklaration bewusst gewesen zu sein scheint). Aussagen und Vorgänge sind jeweils im Gesamtzusammenhang zu interpretieren. „Per se“ antisemitisch ist nach IHRA-Definition gar nichts. So könnte man das auch bei einer Definition von palästinenserbezogenen Rassismus halten. Im Rahmen einer Kontextualisierung könnte man mindestens einen Teil der Fragen aufgreifen, die Sie im Hinblick auf die Zeit nach 1948 stellen.
Wenn es keine doppelten Standards geben soll – was spricht dagegen?
Die grundsätzliche Frage ist ja: Geht es um einen echten Gedankenaustausch oder geht es um einen Propaganda-Krieg. Für einen echten Gedankenaustausch würde mein Vorschlag nicht sehr viel bringen. Eine Debatte die Antisemitismus und Rassismus in den Vordergrund stellt entspricht eher einer Propagand-Logik und weniger einem Diskurs im Geiste von Herrn Professor Habermas, wo jeder in Ruhe ausreden kann, jede Meinungsäußerungen at his best interpretiert wird und nicht at his worst. Trotzdem halte ich meinen Vorschlag für zwingend geboten. Auch wenn wir uns auf die Habermas-Linie einigen sollten, wird dennoch auf absehbare Zeit die Propaganda-Logik dominieren. Mein Vorschlag zielt insofern darauf gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Palästinenser im Propaganda-Krieg zu gewährleisten. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die bloße Existenz einer Arbeitsdefinition zu palästinenserbezogenen Rassismus eine gewisse dämpfende Wirkung zeitigen würde.
Es geht um das multiperspektivische Element im Nahostkonflikt, dass im Münchner BDS-Beschluss übersehen wurde. Wenn wir uns darauf einigen können, dass der Antisemitismus nicht so bekämpft werden kann, wie das der Münchner Stadtrat und Uwe Becker in Frankfurt praktizieren, sollte es auch möglich sein die Frage zu Beckers Positionierung in Sachen Trump-Plan zu beantworten.
Lieber Herr Suttor, Ihr Kommentar ist zu lang, als dass ich darauf in gleicher Länge eingehen könnte.
1. Zu Shalicar: Der von Ihnen zitierte „Tagesspiegel“ stellt fest: „Tatsächlich hat die Bundesregierung aber nicht Shalicars Buch mitfinanziert, sondern 2019 eine Veranstaltungsreihe der Deutsch-Israelischen Gesellschaft über Antisemitismus in Deutschland mit etwa 14000 Euro unterstützt. Auf diesen Veranstaltungen trat Shalicar als Redner auf. „Die Förderung bezog sich ausdrücklich nicht auf das Buch von Herrn Shalicar sowie eine persönliche Lesereise“, heißt es dazu im Büro des Beauftragten.“
Genau. Das Buch wurde nicht gefördert, und auch eine persönliche Lesereise wurde nicht gefördert. Es wurde eine Veranstaltungsreise der DIG gefördert, bei der Shalicar auftrat. Dass diese Reise auch dem Verkauf seines Buches dienlich gewesen sein dürfte, steht auf einem anderen Blatt. Aber dann hätten die Autor*innen des Aufrufs die Veranstaltungsreihe der DIG kritisieren müssen. Das haben sie nicht getan.
2. zum BDS-Beschluss:
Wenn sich der Bundestag nicht zu BDS hätte positionieren dürfen, müssen Sie den Bundestag kritisieren. Man kann der Meinung sein, dass er das nicht darf. Allerdings wäre es merkwürdig, dass er beschließen kann, eine Partei zu verbieten, nicht aber eine Organisation bzw. ihre Methoden kritisieren darf. Die Logik erschließt sich mir nicht. Wenn aber der Bundestag diesen Beschluss gefasst hat, so hat auch Herr Klein als Beauftragter der Regierung, die ja an diesen Beschluss des Souveräns gebunden ist, entsprechend zu handeln. Es ist absurd, ihm einen Vorwurf daraus zu machen. Sie schlagen den Sack und meinen den Esel.
3. Zur IHRA-Definition:
Es gibt keine „wissenschaftliche“ Definition von Antisemitismus. Weder vom „klassischen“ noch vom islamischen noch vom linken noch vom israelbezogenen Antisemitismus. Das ist eine deutsche akademische Marotte, weil deutsche Akademiker*innen glauben, es gebe so etwas wie „Geisteswissenschaften“. Das Englische unterscheidet aber zwischen „science“ inklusive „social sciences“ und „humanities“. Die Kennzeichnung einer Ideologie gehört in den Bereich „humanities“, und dieser Bereich ist per se eine „Grauzone“. Geben Sie eine „wissenschaftliche“ Definition von Kunst oder Pornographie, Romantik oder Religiosität. Sie können es nicht. Sie können nur im Einzelfall eine begründete Meinung darüber abgeben, ob etwa das „Heideröslein“ von Goethe zur Romantik oder zum Sturm und Drang gehört, der „Playboy“ pornographisch, Josef Beuys Kunst produziert hat und das Mormonentum oder der Islam Religionen seien. In der Regel werden Sie Ihre Meinung mittels vergleichender Beispiele belegen, wie das die IHRA-Definition tut. Die Forderung nach einer „wissenschaftlichen“ Definition ist Augenwischerei und dient nur dazu, die IHRA-Definition zu entwerten. Dabei ist die „Jerusalemer“ Erklärung kein Deut „wissenschaftlicher“ und kann es nicht sein.
Zu München:
Ich sehe nicht, dass die lokalpolitische Auseinandersetzung von größerem Interesse sei.
Zu Ihren Motiven:
Sie sagen selbst, worum es Ihnen geht. Sie wollen „gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Palästinenser im Propaganda-Krieg gewährleisten“. Bitte sehr. Wer aber sind „die Palästinenser“? Wer repräsentiert sie? Wie sorgen Sie dafür, dass in „Palästina“ (der Westbank und Gaza) eine freie Meinungsbildung gewährleistet wird? Fatah und Hamas verbieten die Bildung anderer Parteien. Sie lassen keine freien Medien zu. Wahlen sowieso nicht. Wer versuchen sollte, Widerstand zu leisten, wird getötet. Viel schlimmer als der Antisemitismus der BDS-Leute ist die Tatsache, dass sie vorgeben, für „die Palästinenser“ zu sprechen, obwohl das eine reine Selbstermächtigung ist. BDS spricht genauso wenig für „die Palästinenser“ wie die RAF oder die NPD für „die Deutschen“ sprechen durfte und darf. Ich bin wirklich gespannt, wie Sie das ändern wollen. Da wäre ich nämlich ganz bei Ihnen.
Lieber Herr Posener,
zunächst etwas ganz Anderes in einer Sache, die Sie interessieren dürfte. Bei meiner Recherche bin ich auf Ihren ZEIT-Artikel „Der blinde Fleck der Linken“ gestoßen, in dem Sie mit den Unterzeichnern eines Briefes an Frau Merkel ins Gericht gehen. Da geht es auch um die Frage, ob Felix Klein Shalicars Buch gefördert hat. Ich habe dazu recherchiert und das Ergebnis dem Bundesrechnungshof vorgelegt, der eine Überprüfung durch das Bundesverwaltungsamt veranlasste, mit dem Ergebnis, dass die Deutsch Israelische Gesellschaft, die den Förderantrag beim Amt Kleins stellte, mehr als die Hälfte der Fördermittel wegen „fehlender Nachweise“ zurückzahlen musste. Diese Antwort lässt die wichtigen Fragen offen. Felix Klein ignoriert meine Nachfragen in dieser Angelegenheit. Sie haben seinerzeit „Kleins Anklägern“ vorgeworfen, es nicht für nötig befunden zu haben „selbst nachzufragen“ – beim Verlag usw. Deswegen wage ich anzuregen, bei Herrn Klein nachzufragen. Die Frage ist einfach: Bleibt er bei der Behauptung, das Buch des Herrn Shalicar nicht gefördert zu haben. Sie erhalten Unterlagen dazu unter: info@starke-meinungen.de
Nun zu Ihrer Replik:
Der Oberlehrer-Vorwurf resultierte aus meinem Ärger darüber, dass Sie sich nach meinem Eindruck kaum Mühe machen Argumente nachzuvollziehen, die ich gestützt auf die Aussagen von Fachjuristen und Urteilen des BVerfG anführte. Weiter kämen wir, wenn Sie sich nicht beschränkten auf die nächst-greifbare Plausibilitätsüberlegung (Ihr Argument zum Verfassungsschutz) oder auf Ihre Erfahrungen mit Verwaltungsgerichten bei Ihrer Einbürgerung.
Ein gewisser Respekt vor höchstrichterlichen Urteilen wäre vielleicht auch angebracht. Die Herrschaften bemühen sich schließlich der Rechtsprechung in diesem Lande eine gewisse logische Konsistenz zu verleihen, was sich dem gesunden Menschenverstand nicht immer auf Anhieb erschließt.
Bei der von Ihnen aufgegriffenen Gärditz-Passage geht es nicht darum irgendeine vulnerable Minderheit aus der staatlichen Schutzverantwortung auszugrenzen. Es geht vielmehr darum die Grenzlinie zu markieren, jenseits der sich die Wahrnehmung dieser Verantwortung nicht nur durch eine verbale öffentliche Positionierung des Staates zu manifestieren hat, sondern auch durch Verbote und strafrechtliche Verfolgung.
Für den Bayerischen Verfassungsgerichtshof ist diese „Friedlichkeitsgrenze“ überschritten „bei gezielter Stimmungsmache gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland oder gar ein Aufstacheln zum Hass gegen diese Personengruppe“ wäre ein Eingriff in die Meinungsfreiheit gerechtfertigt (Rn 59, https://www.vgh.bayern.de/media/bayvgh/presse/4_b_19-1358_bds.pdf).
Dies geht zurück auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Meinungsfreiheit, wie diese im sog. Fall Wetzlar zum Ausdruck kam (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2018/bvg18-026.html). Die NPD wollte die Stadthalle von Wetzlar für eine Wahlkampfveranstaltung mieten. Die Stadt weigerte sich, trotz gegenteiliger gerichtlicher Anordnung. Die Weigerung der Stadt wurde von allen Gerichten verworfen, zuletzt vom Bundesverfassungsgericht. Dasselbe BVerfG hat im letzten NPD-Verbotsverfahren dieser Partei auf insgesamt 40 Seiten „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ höchstrichterlich bescheinigt, darin enthalten ein Kapitel über deren „Antisemitische Grundhaltung“.
Wenn ich Sie richtig verstehe, möchten Sie die Grenze für das Eingreifen des Staates auch durch Verbote und strafrechtliche Verfolgung anders gezogen wissen, nämlich so, dass antisemitische Äußerungen in der Öffentlichkeit (und erst recht in staatlichen Räumlichkeiten) grundsätzlich verboten sind, nach Möglichkeit unterbunden und strafrechtlich verfolgt werden und dies nicht erst dann geschieht, wenn diese Äußerungen die „Friedlichkeitsgrenze“ überschreiten.
Ich kann Ihre Meinung gut verstehen. Bevor ich mich mit diesen Fragen ausführlicher beschäftigte, dachte ich ähnlich.
Die Rechtsprechung des BVerfG werden die meisten als Zumutung empfinden, Menschen mit jüdischem Hintergrund zumal. Sie dürfte aber im internationalen Vergleich nicht aus dem Rahmen fallen. Im Gegenteil, die deutsche Rechtsprechung schränkt die Meinungsfreiheit in Sachen Antisemitismus stärker ein als andere Demokratien (Holocaustleugnung, Nazisymbole). Die Zumutung bleibt trotzdem.
Zum Amt des Bundesbeauftragten im Lichte des Demokratieprinzips:
So wie ich Gärditz verstehe kritisiert er das Amt des Bundesbeauftragten in zweierlei Hinsicht:
als verfassungswidrig, insofern damit staatliche Meinungspflege im Widerspruch zum Demokratieprinzip beabsichtigt ist („Outsourcing von Meinungspflege“) bzw.
als eine zwar nicht rechtswidrige, aber politische Fehlkonstruktion, insofern damit eine staatliche, nicht nur erlaubte, sondern auch gebotene Positionierung im Interesse der Verteidigung von Verfassungsgrundsätzen bzw. zum Schutz vulnerabler Minderheiten beabsichtigt wird, diese Aufgabe aber besser als Querschnittsaufgabe auf breiter Basis in der Verwaltung verankert werden sollte.
Der zweite Punkt besagt: Es geht nicht darum, dass der Staat hier keine Aufgabe wahrzunehmen hat. Gärditz meint lediglich, dass die Wahrnehmung derselben in einem anderen organisatorischen Rahmen erfolgen sollte.
Das Problem ist das verfassungswidrige Outsourcing von Meinungspflege im Staatsauftrag. Selbst wenn 99 % der lebenden Juden für Klein und sein Amt in seiner jetzigen Form sein sollten, hilft das nicht sehr viel weiter. Rechtsfragen lassen sich nicht per Mehrheit entscheiden. 100 % der hier lebenden Juden werden von der mit dem Amt Kleins verbundenen rechtlichen Problematik in etwa so viel Ahnung haben, wie der Rest der Gesellschaft, nämlich null. 99 % Zustimmung zu was auch immer – das gab es im real existierenden Sozialismus, in Demokratien ist dies eher selten und in Communities mit jüdischer Mehrheit vermutlich noch eine Idee seltener.
Für Sie und die Mehrheit der jüdischen Minderheit in Deutschland mag beweisbar klar und in Stein gemeißelt sein: BDS ist per se antisemitisch. Wenn Felix Klein BDS bekämpft mit dem Bundestagsbeschluss im Rücken tut er nur was seines Amtes ist.
Die Sach- und Rechtslage besagt etwas anderes: BDS ist nicht per se antisemitisch. Es geht vielmehr um eine politische Auseinandersetzung, die im gesellschaftlichen Meinungskampf angesiedelt ist, wo der Staat nicht lenkend von oben einzugreifen hat. Die Auseinandersetzung mit BDS ist „im Rahmen staatsfreier Meinungsbildung der Bevölkerung auszutragen und darf nicht staatlich beeinflusst werden.“ (BVerwG Dügida Urteil Rn 31).
Israelbezogener Antisemitismus
Sie bringen diesen Begriff ins Spiel. Das Konstrukt des „israelbezogenen Antisemitismus“ ist lt. Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus (UAE) der Bundesregierung in einer „Grauzone“ wissenschaftlicher Unbestimmbarkeit angesiedelt, es sei denn, der Israelbezug wird verbunden mit Stereotypen aus dem Bereich des klassischen Antisemitismus (BT-Drucksache 18/11970, S. 27 Exkurs: »Grauzonen«). Das von Ihnen angeführte Beispiel ist nur ein Beleg für diese Einsicht: Wer Juden in Deutschland haftbar macht für Handlungen der israelischen Regierung bewegt sich im Rahmen des klassischen Antisemitismus. Welchen analytischen Gebrauchswert soll eine Kategorie haben, die Antisemitismus nur dann zuverlässig identifizieren kann, wenn gleichzeitig klassischer Antisemitismus im Spiel ist?
„Israelbezogener Antisemitismus“ als Umwegkommunikation, ohne Rückgriff auf klassischen Antisemitismus, ist dort gegeben, wo beispielsweise über das Rückkehrrecht oder die Ablehnung des jüdischen Staates die Existenz Israels in Frage gestellt wird.
Dazu zwei Feststellungen.
Erstens: Wenn eine Infragestellung des Existenzrechts Israels aus der BDS-Begründung zur Ablehnung der Zweistaatenlösung bzw. des Jüdischen Staates (z.B. durch Barghouti) abgeleitet wird sollte die dazugehörige palästinensische Begründung berücksichtigt werden: Dass nämlich diese politischen Lösungsvarianten eine demokratische Gleichberechtigung der Palästinenser nicht gewährleisten. Solange dazu der Gegenbeweis aussteht, hat Israel ein objektives Legitimationsproblem und nicht ein angedichtetes.
Zweitens: Selbst wenn BDS per se als Organisation antisemitisch wäre, bliebe immer noch ein grundsätzliches methodisches Problem in der BDS-Debatte. Im Nahostkonflikt ist zu reden von ethnischer Diskriminierung (verbal und durch Handlungen), wie sich diese für beiden Konfliktparteien in der Region darstellt. Was die bisherige Debatte auszeichnet ist eine seltsam autistische Fixierung auf die israelische Konfliktperspektive. Das manifestiert sich u.a. auch in den Debatten um IHRA-Antisemitismus-Definition und Jerusalem Deklaration Antisemitismus: Was die Kontrahenten vereint ist die Ausblendung der palästinensischen Konfliktperspektive. Es geht aber nicht nur darum, Antisemitismus bis zur dritten Stelle hinter dem Komma auszubuchstabieren. Es gibt auch eine ethnische Diskriminierung der Palästinenser durch die Israelis. Aus palästinensischer Perspektive wäre dann z.B. von „palästinenserbezogenen Rassismus“ zu reden, wenn Uwe Becker dem Trump-Plan zu stimmt, weil dieser das Existenzrecht des palästinensischen Staates verneint (https://www.deutsch-israelische-gesellschaft.de/pressemitteilung/trump-plan/?cli_action=1620645083.211). Das gilt jedenfalls wenn es keine doppelten Standards geben soll.
Ganz kurz zu Shalicar, Herr Suttor. Der Vorwurf lautete, dass der Verlag einen Druckzuschuss für Shalicars Buch erhalten habe. Das stimmte nicht. Von der Förderung einer Lesereise war nicht die Rede. Sie bringen wieder Dinge durcheinander. Das festzustellen, ist nicht „oberlehrerhaft“, es ist einfach nötig.
Und nun weiter:
1. „Wenn ich Sie richtig verstehe, möchten Sie die Grenze für das Eingreifen des Staates auch durch Verbote und strafrechtliche Verfolgung anders gezogen wissen, nämlich so, dass antisemitische Äußerungen in der Öffentlichkeit (und erst recht in staatlichen Räumlichkeiten) grundsätzlich verboten sind, nach Möglichkeit unterbunden und strafrechtlich verfolgt werden und dies nicht erst dann geschieht, wenn diese Äußerungen die „Friedlichkeitsgrenze“ überschreiten.“
Nein, Sie verstehen mich falsch. Ich halte Antisemitismus zwar nicht für eine Meinung, sondern für eine Haltung, aber wie dem auch sei: auch antisemitische Äußerungen müssen von der Meinungsfreiheit gedeckt werden. Bekanntlich – Ihnen scheint das nicht bekannt zu sein – habe ich wiederholt kritisiert, dass die Leugnung des Holocausts bei uns strafbar ist.
2. „So wie ich Gärditz verstehe kritisiert er das Amt des Bundesbeauftragten in zweierlei Hinsicht:
als verfassungswidrig, insofern damit staatliche Meinungspflege im Widerspruch zum Demokratieprinzip beabsichtigt ist (“Outsourcing von Meinungspflege”) bzw.
als eine zwar nicht rechtswidrige, aber politische Fehlkonstruktion, insofern damit eine staatliche, nicht nur erlaubte, sondern auch gebotene Positionierung im Interesse der Verteidigung von Verfassungsgrundsätzen bzw. zum Schutz vulnerabler Minderheiten beabsichtigt wird, diese Aufgabe aber besser als Querschnittsaufgabe auf breiter Basis in der Verwaltung verankert werden sollte.“
Offensichtlich widerspricht der zweite Punkt dem ersten. Wenn es „eine staatliche, nicht nur erlaubte, sondern auch gebotene Positionierung im Interesse der Verteidigung von Verfassungsgrundsätzen bzw. zum Schutz vulnerabler Minderheiten“ gibt, kann das „Outsourcing“ dieser gebotenen Aufgabe nicht verfassungswidrig sein. Tatsächlich aber wird die Aufgabe nicht allein an Herrn Klein delegiert. Sie wird tatsächlich als Querschnittsaufgabe empfunden. Im tagtäglichen Geschäft kann das aber leicht untergehen. Klein soll dafür sorgen, dass das nicht passiert. Gärding mag das für eine „politische Fehlkonstruktion“ halten, aber das ist eben keine juristische Wertung, sondern eine politische.
3. „„Israelbezogener Antisemitismus“ als Umwegkommunikation, ohne Rückgriff auf klassischen Antisemitismus, ist dort gegeben, wo beispielsweise über das Rückkehrrecht oder die Ablehnung des jüdischen Staates die Existenz Israels in Frage gestellt wird.“
Voll d’accord.
4. „Selbst wenn BDS per se als Organisation antisemitisch wäre, bliebe immer noch ein grundsätzliches methodisches Problem in der BDS-Debatte. Im Nahostkonflikt ist zu reden von ethnischer Diskriminierung (verbal und durch Handlungen), wie sich diese für beiden Konfliktparteien in der Region darstellt. Was die bisherige Debatte auszeichnet ist eine seltsam autistische Fixierung auf die israelische Konfliktperspektive.“
Jetzt kommen Sie zum Kern der Angelegenheit, nämlich zu dem, was SIE umtreibt. Nicht die Verfassung, nicht das Verwaltungsrecht, nicht einmal die Frage, ob BDS antisemitisch ist, sondern die angebliche Ausblendung der „palästinensischen Perspektive“: „Es gibt auch eine ethnische Diskriminierung der Palästinenser durch die Israelis.“
Jeder, der die deutsche Diskussion und Medienberichterstattung gerade in diesen Tagen verfolgt, wird feststellen, dass Ihre Aussage völlig falsch ist, es gebe eine „autistische Fixierung auf die israelische Konfliktperspektive“. Ich will nicht sagen, dass das Gegenteil richtig sei, aber es kann einem manchmal so vorkommen, und vielen meiner jüdischen Freunde (und nicht nur ihnen) kommt es so vor.
Die Besatzung des 1948 von den Vereinten Nationen als Gebiet eines arabischen Staates in Palästina vorgesehenen Territoriums durch Jordanien war zweifellos rechtswidrig und stellte eine Benachteiligung der dort lebenden Araber dar. (Der Juden sowieso, die massakriert oder verjagt wurden.) Der Wechsel der Besatzungsmacht nach dem 1967er Krieg hat ganz bestimmt den dort lebenden Arabern keine Nachteile gebracht. Weshalb diese Besatzung „rassistisch“ sein soll, die vorangehende jordanische aber nicht, müssten Sie mir erklären. Hätten sich die Palästinenser an die von ihnen selbst unterschriebenen Abkommen gehalten, sie hätten längst einen eigenen Staat, und wir würden vielleicht heute über die Wiederbelebung der von der UN intendierten Föderation mit der gemeinsamen Hauptstadt Jerusalem reden.
Gäbe es in dieser Stadt keine Rassenkonflikte? Bestimmt gäbe es sie. Fühlten sich Araber in Israel, Juden in „Palästina“ diskriminiert? Höchst wahrscheinlich. Käme es immer wieder zu Auseinandersetzungen größerer und kleinerer Art? Vermutlich. Aber all das wäre nicht der „Nahostkonfikt“. Nun fragen Sie sich: Cui bono? Wer hatte und hat ein Interesse an der Fortsetzung und immer neuen Belebung des Konflikts?
Wenn Sie aber grundsätzlich die 1948 von den Vereinten Nationen beschlossene Zweistaatenlösung ablehnen, so ist das Ihr gutes Recht, und Sie befinden sich im im Einklang mit Israels Staatspräsident Reuven Rivlin.
Darüber können wir ohne jeden Bezug zu BDS usw. diskutieren. Immer eingedenk Ihrer von mir (unter 3. oben) zustimmend zitierten Aussage.
Sehr geehrter Herr Posener,
dass Sie dem zustimmen, was ich als Minimalkonsens definierte, erfüllt mich mit einer gewissen Zuversicht. Sie müssten dann eigentlich gegen die BDS-Beschlüsse sein? Dass diese der Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit des Bundesverfassungsgerichts widersprechen ist evident. Am ausführlichsten wurde dies zuletzt vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im Münchner Verfahren zu Raumverboten begründet (17.11.2020 / Az: 4 B 19.1358).
Nun zu Herrn Klein: In den bisherigen gerichtlichen Auseinandersetzungen ging es im Wesentlichen um Art. 5 Meinungsfreiheit. Es ging nicht um die Rechtsprechung zum Demokratieprinzip. Auch im Münchner Berufungsverfahren beim Bundesverwaltungsgericht wird es nicht um das Demokratieprinzip gehen. Dieses wurde nach meiner Kenntnis bisher nur in dem Artikel von Prof. Gärditz berührt, der offensichtlich auf die Debatte um „Initiative 5.3 GG Weltoffenheit“ reagierte. Auch Detjens behandelt in seinem FAZ-Artikel nur das Thema Meinungsfreiheit. Die mit dem Demokratiegebot zusammenhängenden Fragen scheinen im allgemeinen Rechtsbewusstsein nicht präsent, mindestens aber unterbelichtet zu sein. Das ist auch insofern bemerkenswert, als für Art. 20 GG, der der Rechtssprechung zum Demokratiegebot zu Grunde liegt, neben Art. 1 von der sog. Ewigkeitsklausel umfasst wird, es sich also um einen in besonderer Weise herausgehobenen Verfassungsartikel handelt. Der Umstand, dass Sie mit größter Selbstverständlichkeit davon ausgehen, dass Herr Klein sich in gesellschaftlich Debatten um Antisemitismus usw. einmischen darf, ist nur einer von mehreren Belegen für defizitäres Verfassungsbewusstsein auch bei Journalisten.
Prof. Gärditz ist nicht nur Hochschul-Lehrer sondern auch Verwaltungs-Richter (OVG) und Mitglied des Verfassungsgerichtshofs in NRW. Wenn Sie meinen, ich brächte da etwas durcheinander, sollten Sie das mit Gärditz belegen bzw. mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Fall Dügida vs. Stadt Düsseldorf. Meine Weisheiten stammen schließlich aus diesen Quellen. In der Rolle oberlehrerhaft Ratschläge zu erteilen, sind Sie – bei allem Respekt – wie ich meine, bei dieser Thematik nicht.
Ich bin keineswegs für die Abschaffung des Verfassungsschutz. Dieser ist kein Amt zur Meinungspflege im Staatsauftrag. Dort wo er diese Grenze überschreitet, kommt es auch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Das Amt des Antisemitismusbeauftragten ist aber – und darin liegt, wie ich Gärditz verstehe, der Unterschied – konzeptionell auf „Outsourcing von Meinungspflege“ angelegt.
„Die Bundesregierung kann daher auch kein funktionales Outsourcing betreiben, indem sie Beauftragte zur Meinungspflege bestellt, die diejenigen Äußerungen tätigen, die der Regierung sowie sonstigen Bundesbehörden verwehrt bleiben (müssen).“
Im Fall Klein besteht das Grundproblem vermutlich darin, dass schon die BDS-Beschlüsse dem Demokratieprinzip widersprechen, weil diese in Form einer „lenkenden Einflussnahme des Staates“ (Dügida-Urteil) von oben in eine gesellschaftliche Debatte eingreifen. Das dürfte insofern ein glasklarer Fall zu sein. Ein weiteres Problem scheint darin zu bestehen, dass mit dem Amt des Antisemitismusbeauftragten die Meinungspflege i.S. einer „lenkenden Einflussnahme des Staates“ in einem gesellschaftlichen Debattenfeld institutionalisiert wurde. Klein agiert in diesem Rahmen ohne sich der damit rechtlichen Problematik bewusst zu sein. Wie soll man Vertrauen fassen, zu seinen kulturpolitischen Debattenbeiträgen, wenn er elementarste Sachkenntnis vermissen lässt im Bereich seiner Kernkompetenz, der Juristerei?
Gärditz verlangt ebenso wenig wie das Bundesverwaltungsgericht Werturteilabstinenz von staatlichen Amtsträgern. Im Fall von Dügida kritisiert das Gericht, nicht das sich der Düsseldorfer Oberbürgermeister politisch zu Gunsten der Gegendemonstranten positioniert hat. Das Gericht kritisiert, dass diese Positionierung nicht argumentativ unterlegt war und sich auf eine symbolische Aktion beschränkte (Abschaltung der Beleuchtung bei öffentlichen Gebäuden). Nach Gärditz muss der Staat eingreifen, wenn „vulnerable Minderheiten unsachlich angegriffen oder herabgewürdigt“ werden. Das gelte „unabhängig davon, ob eine solche Äußerung grundrechtlich geschützt ist“.
In der Debatte zu BDS geht es um einen gesellschaftlichen Meinungskampf, an dem auf beiden Seiten Menschen mit und ohne jüdischen Hintergrund beteiligt sind. Sie mögen die Meinung vertreten, die Bewegung sei antisemitisch – „per se“ oder wie auch immer. Das entspricht weder der deutschen Rechtsprechung, noch der Position der EU, noch der vieler Kirchen, die BDS unterstützen.
So lange dem so ist gilt für Herrn Klein und seine Kollegen die Devise von Prof. Gärditz: „Die Distanz zum gesellschaftlichen Meinungskampf ist in Duktus und Kommunikationsformat zu wahren.“
Es ist zu hoffen, dass diese Thematik in der gegenwärtig laufenden Klage gegen den BDS-Bundestagsbeschluss aufgegriffen wird (https://www.bt3p.org/). Im Moment sieht es so aus, als sei man auf die Gerichte angewiesen, damit verfassungskonformes Verhalten durchgesetzt wird. Ich denke es wäre besser Politik und Medien würden Impulse setzen, damit die Bekämpfung des Antisemitismus in diesem Land auf belastbarer Rechtsgrundlage stattfindet. Je länger man in eine Sackgasse reinläuft, desto länger ist der Weg zurück.
Freundliche Grüße
Helmut Suttor
Lieber Herr Suttor, wir kommen weiter, wenn Sie es unterlassen, mir „oberlehrerhaftes“ Verhalten vorzuwerfen, weil ich es wage, eine andere Meinung zu haben als Sie oder der von Ihnen zitierte Verwaltungsrichter. Auch Verwaltungsrichter können sich irren, was ich am eigenen Leib zweimal in gleicher Sache erlebte. Das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht Berlin verweigerten mir Ende der 1970er Jahre die deutsche Staatsbürgerschaft, die mir qua Geburt zusteht. Erst vor dem Bundesverwaltungsgericht bekam ich Recht. So etwas kommt vor.
Interessant finde ich folgende von Ihnen zitierte Passage: „Nach Gärditz muss der Staat eingreifen, wenn „vulnerable Minderheiten unsachlich angegriffen oder herabgewürdigt“ werden. Das gelte „unabhängig davon, ob eine solche Äußerung grundrechtlich geschützt ist“.“
Sie scheinen der Ansicht zu sein, dass jüdische Menschen in Deutschland keine „vulnerable Minderheit“ seien, deren Schutz der Regierung obliegt, weshalb ja das Amt geschaffen wurde, das Herr Klein gegenwärtig innehat. Das freilich würden 99% der hier lebenden Juden anders sehen. Sie sehen im Amt des Herrn Klein lediglich das „Outsourcing von Meinungsäußerungen“. Jedoch ist Antisemitismus keine Meinung, sondern Angriff und Herabwürdigung. Wenn etwa Juden hierzulande bestimmte Stadtteile nicht mehr betreten können, weil sie für Israels Verhalten verantwortlich gemacht werden, dann ist die Frage des israelbezogenen Antisemitismus im Sinne des Schutzes jener vulnerablen Minderheit von elementarer Bedeutung. Oder?
Sehr geehrter Herr Posener,
Sie schreiben u.a. Folgendes:
„Der Widerspruch bleibt: Seine Forderung, Mbembe als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale auszuladen, verbietet Mbembe nicht den Mund. Aber sie markiert eine Grenze des in Deutschland öffentlich Sagbaren. Eben nicht. Sagen darf man in Deutschland alles. Auf jeden Fall darf Mbembe, der Darling des akademischen und politischen Establishments, weiterhin alle möglichen und unmöglichen Vergleiche anstellen.“
Die Debatte um Mbembe, die BDS-Beschlüsse (Initiative 5.3 GG Welthoffenheit) hat deutlich gemacht: Wesentliche Normen unseres Grundgesetzes sind nicht bekannt. Mit der naiven Stammtischweisheit „Sagen darf man in Deutschland alles“ sind Sie leider nicht allein, was Sie nicht besonders trösten sollte.
Ich möchte die Empfehlung aussprechen, dass Sie sich der kleinen Mühe unterziehen und die Leitsätze sowie zwei Randnotizen (28 + 29) eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts durchlesen (Dügida vs. Stadt Düsseldorf – Amtliche Äußerung eines Oberbürgermeisters im politischen Meinungskampf, https://www.bverwg.de/130917U10C6.16.0, Az: 10 C 6.16). Dort wird ausgeführt, wie sich Amtsträger nicht in eine gesellschaftliche Debatte einmischen dürfen, in welcher Weise ihnen eine Intervention erlaubt ist und woran sie sich bei erlaubten Interventionen zu orientieren müssen. Die hier relevante Rechtssprechung zum Demokratieprinzip geht aus von Art. 20, Abs. 2 Grundgesetz (Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus) und manifestiert sich in dem Grundsatz, dass die Willensbildung in der Demokratie vom Volk zum Staat und nicht umgekehrt zu vollziehen hat.
Während sich der Bürger auf die Wahrnehmung seines Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) stützen kann, ist dem Staat die Berufung auf Art. 5 Abs. 1 GG gegenüber seinen Bürgern verwehrt. Art. 5 GG garantiert die freie Bildung der öffentlichen Meinung und will den Kommunikationsprozess im Interesse der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung sichern (…) Damit ist eine lenkende Einflussnahme des Staates unvereinbar. RN 28
In diesen Kontext gehört auch der Begriff des „mittelbar-faktischen Grundrechtseingriffs“. Dieser ist gegeben, „wenn das staatliche Informationshandeln das grundrechtlich geschützte Verhalten hinreichend gewichtig oder final beeinträchtigt. Das kann etwa der Fall sein, wenn Bürger durch den Aufruf eines Hoheitsträgers von der Teilnahme an einer Versammlung abgeschreckt werden“ (Politische Äußerungen von Hoheitsträgern, Wissenschaftlicher Dienst Deutscher Bundestag, WD 3 – 3000 – 074/18).
Der Aufsatz von Prof. Gärditz (Mandat zu Meinungspflege? Zur rechtlichen Stellung der „Beauftragten der Bundesregierung“, https://verfassungsblog.de/mandat-zu-meinungspflege/ ), thematisiert die Frage „ob eine Positionierung der Bundesregierung im Meinungskampf verfassungskonform sein können“.
Ein grundsätzliches Problem sehe ich darin, dass die rechtlichen Fragen zu den BDS-Beschlüssen und den Äußerungsbefugnissen der Antisemtismusbeauftragten in den öffentlichen Debatten kaum eine Rolle spielten. Ihr Freund Detjen war einer der wenigen, der in einem Aufsatz (FAZ) darauf einging. So erkläre ich mir auch – jedenfalls teilweise – das gering entwickelte Problembewusstsein bei journalistischen Kollegen.
Felix Klein hat eine Studie beim Wissenschaftlichen Dienst in Auftrag gegeben. Das Ergebnis hat er offensichtlich nicht verstanden. Er sagte nämlich danach „Aber ich habe auch Meinungsfreiheit“ (Interview Perlentaucher 20.12.2021). Klein ist Volljurist. Er sollte die Rechtsprechung zur Äußerungsbefugnis von Amtsträgern nach Jahrzehnten im öffentlichen Dienst kennen, auch ohne Hilfe des Wissenschaftlichen Dienstes. So weit ich sehe ist das niemand aufgefallen. Die Frage bei Herrn Klein scheint mir weniger zu sein ob er gut oder böse ist, sondern eher ob er hinreichend kompetent ist.
In der gerichtlichen Auseinandersetzung zu den BDS-Beschlüssen (die massiv gegen das Demokratieprinzip verstoßen) ging es bisher im Wesentlichen um das Thema Meinungsfreiheit, nicht um das Demokratieprinzip. Ausnahmslos alle Urteile haben die beklagten Kommunen verloren. Das wird sich auch nicht ändern durch das im Dezember 2021 zu erwartende Urteil des Bundesverwaltungsgericht (Revision im Münchner Verfahren), das nach aller Voraussicht (die Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit gilt seit dem Lüth-Urteil 1958 als geklärt) den BDS-Beschlüssen bundesweit die Legitimationsgrundlage entziehen wird.
Wer gegen Antisemitismus ist, sollte dem Minimalkonsens zustimmen können, dass die Bekämpfung desselben nur auf gesicherter Rechtsgrundlage erfolgen kann. Das Anliegen kann ohne diese Voraussetzung nicht nachhaltig und mehrheitsfähig werden.
Ich rege an, sich den Dezember 2021 schon einmal im Terminkalender vorzumerken und im Übrigen die Anstrengungen zu verstärken, dass in Ihrem Verantwortungsbereich die rechtlichen Fragen auf einem Niveau thematisiert werden, das unserem sehr guten Grundgesetz gerecht wird.
Mit freundlichen Grüßen
Helmut Suttor
Sehr geehrter Herr Suttor, Sie schreiben: „Wer gegen Antisemitismus ist, sollte dem Minimalkonsens zustimmen können, dass die Bekämpfung desselben nur auf gesicherter Rechtsgrundlage erfolgen kann.“ Ich stimme dem zu.
Sie bringen aber verschiedene Sachen durcheinander.
Beginnen sie bei Herrn Klein. Er ist Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches leben in Deutschland und den Kampf gegen den Antisemitismus.
https://de.wikipedia.org/wiki/Beauftragter_der_Bundesregierung_f%C3%BCr_j%C3%BCdisches_Leben_in_Deutschland_und_den_Kampf_gegen_Antisemitismus
Wie soll Klein sein Amt ausführen, wenn er Antisemitismus nicht beim Namen nennen darf?
Sie mögen nun der Ansicht sein, dass es, weil das unmöglich ist, keinen solchen Beauftragten geben darf.
Aber wenn der Verfassungsschutz – etwa – jährlich in seinen Berichten zu allen möglichen Organisationen und Bestrebungen Stellung beziehen darf, wieso darf das der Beauftragte der Bundesregierung nicht?
Sie mögen der Ansicht sein, dass es keinen Verfassungsschutz geben darf.
Wenn aber der Verfassungsschutz verfassungskonform ist, dann ist auch das Amt des Herrn Klein verfassungskonform. Oder?
Was die BDS-Resolution angeht, so mag es sein, dass Kommunen trotz diesem Beschluss verpflichtet sind, Veranstaltungsräume der BDS-Bewegung zur Verfügung zu stellen. Ich finde das schwer nachvollziehbar. Aber wenn das der Fall ist, dann hat Herr Detjen erst recht nicht die Wahrheit gesagt, als er schrieb, die Ausladung Mbembes als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale markiere eine Grenze des öffentlich Sagbaren in Deutschland. Übrigens wurde Mbembe nicht ausgeladen. Es wurde lediglich die Forderung erhoben, ihn auszuladen. Man kann das richtig oder falsch finden, aber man wird wohl doch noch fordern dürfen, dass solche Einladungen, Preisverleihungen, Ehrungen usw. noch einmal überdacht werden. Oder?
Das Buch Irrwege http://www.querverlag.de/irrwege/ ist das Buch zum Fall Mbembe und seiner Helfer. Vor ein paar Monaten erschienen ist es sehr aktuell und beinhaltet sechs Kapitel von fünf Autoren, welche sich mit PoCo, BDS, linkem Antisemitismus, Said, Butler und einigen Deutschen auseinandersetzen. Es ist von Insidern geschrieben, welche ihre Pappenheimer kennen. Ein Examplar steht in der jüdischen Bib in der Fasanenstrasse in Berlin.
Danke für diesen Beitrag, nicht nur über die Causa Mbembe zu dir nun alles wesentlich gesagt sein dürfte, sondern auch in Bezug zur Universalität von Wissenschaft und Menschenrechten. Diese Sichtweise gerät immer mehr unter Beschuss und am Ende werden es gerade Minderheiten sein, die unter der Preisgabe allgemeiner Rechte und Standards am meisten leiden werden.
Genau.
Eine kurze Vorbemerkung: Wenn Schwarze Menschen sind und das sind sie ohne Zweifel, dann sind sie auch zum Rassismus fähig, wie alle andere Menschen auch. Die Hautfarbe ist etwas Äußerliches, wer Menschen danach beurteilt, bewußt oder unbewußt, ist einfach dumm. —
„… Einmaligkeit des Holocausts wandelt sich zu einer doktrinären Glaubenslehre, die mit staatlicher Autorität gegen häretische Hinterfragung verteidigt wird, als handele es sich um ein geistiges Eigentum der Bundesrepublik Deutschland…“, tut mir leid, aber m.A. nach ist es tatsächlich ein geistiges Eigentum Ds, denn D war der Erfinder und der eigentliche Ausführer. Auch wenn es von anderen Nationen viel Hilfe bekam. Judenfeindlichkeit war ja in Europa weit verbreitet und man hat die Gelegenheit und Möglichkeit ausgenutzt. Aber die Absicht der Verwirklichung ist in D entstanden (Wannsee-Konferenz). Und es war Ds Regierung, die Regierung eines der fortgeschnittensten Länder der Welt, die Mitten des 20. Jh. sich entschloß, einer Menschengruppe, deren ein Teil in D lebte, von denen D überwiegen Nutzen hatte, das Menschsein abzusprechen und ihre Mitglieder vom Säugling bis zum Greis auszurotten. Nicht nur in D selbst, sondern überall dort, wo sie einmarschiert sind. Und nach dem „Endsieg“ auf der ganzen Welt. Das war der Plan. Und das ist einmalig, denn es gab bei keinem anderen Völkermord einen solchen Plan. Das war nie und nimmer zu erwarten von einer Nation, zu der die halbe Welt zu lernen ging. —
Das damit zu vergleichen, wie die israelis mit den Palästinenser umgehen, – wohlverstanden, ich habe weder gegen Vergleiche was, noch was dagegen, daß man Israel kritisiert – doch, das zeugt für mich von einer tiefgehenden Unkenntnis der Geschichte beider Völker, von einer tiefgehenden Unkenntnis ihrer heutigen Gesichte, (also seit 100 Jahren ca.), von einer totalen Unkenntnis der Gedankenwelt beider Völker.
lg
caruso
..was Sie, 68er, aber auch meinen könnten, ist dass sich das Denken selber natürlich um kulturell geprägte Vorstellungen und Emotionen arrangiert. Es gibt da ein sehr erhellendes Buch drüber (Luc Ciompi: Die emotionalen Grundlagen des Denkens). So entstehen (Hypo)Thesen, Theorien, aber auch Ideologien. Und es IST eben die Kernaufgabe richtiger Wissenschaft, diese stets überprägten Annahmen auf eine höhere Ebene möglichst allgemeingültig ‘objektive‘ Aussagen zu heben. Dazu gehört als einzige akzeptierbare Haltung Willen zum Diskurs und Ergebnisoffenheit. Alles andere ist wissenschaftlich unseriös. Ob nun diese ‚objektiven‘ Aussagen alle immer ihre uneingeschränkte Gültigkeit er- und behalten ist damit auch noch nicht gewährleistet. Aber genau das ist der „unteilbare“ Charakter und das Niveau dieser Tätigkeit.
Genau.
Der Antisemitismusbeauftragte, der Felix Klein, soll die von der Bevölkerung am meisten verachteste Person sein, der Judenführer fordert rotzfrech:
DEUTSCHLAND: Zentralratspräsident gegen BDS – Tachles 27.04.20
Schuster fordert Rauswurf der Direktorin der Ruhrtriennale.
Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, sieht keine Veranlassung, irgendwelche Zugeständnisse zu machen gegenüber Vertretern der anti-israelischen BDS-Bewegung. Die «Jerusalem Post» zitierte Schuster wie folgt: «Ich habe kein Verständnis für die Einladung von Achille Mbembe als Eröffnungsredner an der Ruhrtriennale – auch wenn der Anlass nun wegen des Coronavirus abgesagt worden ist». Schuster forderte ferner die Organisatoren der Ruhrtriennale auf, Stefanie Carp zu feuern, die Direktorin des Anlasses, die seit Jahren imme wieder BDS-Sprecher als Redner an das Festival eingeladen hatte, um Israel zu kritisieren. Der Zentralratspräsident sagte ferner, Mbembe vertrete die Ansicht, Israel benehme sich schlimmer als die frühere Apartheid-Regierung in Südafrika. Das sei, sagte Schuster, historisch falsch und inakzeptabel. Schuster kritisierte auch Mbembes Aufsätze und Artikel, in welchen er sich zur Behauptung versteigen würde, Israels Interaktion mit den Palästinensern im Rahmen des israelisch-palästinensischen Konflikts sei «schlimmer als der Holocaust». Damit würde der verhinderte Redner sich selber disqualifizieren. «Ich frage mich, was die Direktorin sich dachte, als sie ihn einlud. Offensichtlich hat ihre Haltung sich überhaupt nicht geändert». Er könne nicht länge verstehen, fasste der Zentralratspräsident zusammen, dass sie weiterhin Direktorin der Ruhrtriennale sei, und «ich appelliere an die Zuständigen, endlich die nötigen Schlussfolgerungen zu ziehen».
Jacques Ungar
https://www.tachles.ch/artikel/news/zentralratspraesident-gegen-bds
Haben Sie einen Beleg für ihre Behauptung, Felix Klein sei die am meisten verachtete Person in Deutschland?
Hallo Herr Posener,
ein interessantes Thema, da es nicht ganz so einfach ist, wie Sie es versuchen darzustellen.
Historisch gesehen ist die Wissenschaft der letzen 500 Jahre vor allem eine weisse Wissenschaft des Westens. Und wie ich Sie glaube verstanden habe, möchten Sie an dieser festhalten und möchten auch, dass die Menschen, die z. B. aus dem afrikanischen Kulturkreis kommen, diese „a priori“ anerkennen. Wenn das dann von der Gegenseite als postkoniale Attitüde empfunden wird, kann ich das durchaus nachvollziehen.
Unsere „rationale Wissenschaft“ hat in den letzten Jahrzehnten doch einige Erkenntisse zutage gefördert, die darauf hinweisen, dass die Möglichkeit besteht, dass von uns angeblich bewusst gefällte Entscheidungen gar nicht bewusst von uns getroffen wurden, sondern unterbewusst und nur nachträglich, um den Schein der Selbstbestimmung zu wahren?, nachtäglich rationalisiert werden.
Weil die „exakten Wissenschaften“ uns im Alltag so sehr helfen und unser tatsächliches Leben so viel einfacher machen, ist es bequem zu glauben, dass diese unser gesamtes Leben bestimmen und „a priori“ richtig sind. Aber nur wer bereit ist, den eigenen Wissensstand als vorläufig und hinterfragungsbedürftig anzuerkennen, bewahrt sich davor, in einer Sackgasse zu landen. Eine ausführliche – für mich nachvollziehbare – Begründung für diese These hat Paul Feyerabend in seinen Büchern „Aganist Method“ und „Sience in a Free Society“ geliefert. Wie gesagt, es ist oft einfacher, den eigenen „Wissensstand“ als alleinrichtig zu betrachten, da man dann schnell Schubladen und Etikette hat, mit denen man glaubt, sich die Welt handhabbar und erklärbar zu machen. Zu einem fairen und herrschaftsfreien Diskurs führt das aber selten.
Ich glaube, es gibt sowohl rationale als auch nicht rationale Gründe, mit denen man Mbembe wegen seiner Haltung zum Israel-Palestina-Konflikt kritisieren kann. Da ich mich mit seinen Thesen nicht näher beschäftigt habe, kann ich da keine persönliche Einschätzung geben, ob ich Ihrer oder der Auffassung von Herrn Detjen zuneige.
Bei der Frage, ob Menschen aus dem afrikanischen Kulturkreis Ihr Diskursverhalten nachvollziehbar als postkolonialistisch empfinden können, tendiere ich doch sehr dazu, dies zu bejahen.
Auch habe ich erhebliche Zweifel, dass Ihr Diskursverhalten selbst redlich und durchgängig rational ist, wenn ich mir die Bebilderung Ihres Beitrags ansehe. Zugegeben, das Bild ist thematisch passend, es zeigt aber nur die eine Seite des Konflikts. Es gibt auch Bilder von Opfern des Hebronmassakers aus dem Jahre 1994 oder – allerdings nur in schwarz-weiss – Bilder der Nakba oder des Irgun-Attentats auf das King David Hotel. Sie bedienen hier absichtlich und einseitig die emotionale, d.h. eher unterbewusste Entscheidungsebene. Das ist Ihr gutes Recht und führt wahrscheinlich bei den meisten Lesern auch zu dem gewollten zustimmenden Effekt. Redlich und diskursethisch korrekt ist es meiner Meinung nicht und beweist für mich vielmehr, dass der Vorwurf an den Gegenüber, er argumentiere „irrational“, weniger redlich aus funktional motiviert ist.
Nun denn, ich habe mich gefreut, dass Sie heute einen neuen Text in die Runde geworfen haben. Leider habe ich derzeit wenig Zeit, um mich mitMbembe zu beschäftigen, finde das Thema der kulturellen, wissenschftlichen und politischen Emanzipation der postkolonialen Kutluren und Gesellschaften aber äusserst spannend. Und wie ich Sie kenne, würden unsere Gedanken zu diesem Thema gar nicht so weit auseinanderliegen, wenn wir das Thema vom Israel-Palästina-Konflikt losgelöst diskutieren würden.
Beste Grüße
Lieber 68er, da Sie nicht auf Mbembe eingehen, was ich nachvollziehen kann, werde ich nicht auf Ihre Ausführungen zu Israel eingehen.
Wichtiger und alarmierender sind Ihre Ausführungen zum Relativismus. Ich merke an, dass Paul Feyerabend, der Philosoph des „Anything Goes“, den Sie zitieren, wie Sigmund Freud, der den Anteil des Un- und Vorbewussten an unserem scheinbar rationalen Verhalten offenlegte, beide Europäer waren in der Tradition der „westlichen“ Wissenschaft. Also DER Wissenschaft. Die Länder, die erfolgreich den Wohlstand ihrer Völker gehoben haben, ich denke an China, Taiwan, Hongkong, Japan, Singapur, Malaysia, sind auch die Länder, deren Führung begriffen hat, dass es nur eine Wissenschaft gibt, die zufällig (vielleicht nicht zufällig, aber das ist eine andere Geschichte) in Mesopotamien und Griechenland entstand, von den Arabern konserviert und weiterentwickelt und schließlich in Europa und Amerika zur Blüte gebracht wurde. Vielleicht wird in Zukunft ein anderer Erdteil Hüter dieser kostbaren Flamme sein.
Und auch die Philosophie der Aufklärung, die in der Konsequenz zur allgemeinen Erklärung der Menschenrechte führte, ist allgemeingültig, egal ob das ein Palästinenser, Kameruner oder Deutscher leugnet. Denn wir wollen nicht vergessen, dass es zuerst die Deutschen waren, die behaupteten, es gebe eine „arische“ Moral, die über dem „jüdischen“ Christentum und der „jüdischen Menschheitsduselei“ stünde. Die Wurzel liegt bei Friedrich Nietzsche. Und dass es heute die „Identitären“ sind, die ebenfalls behaupten, die Menschen seien nun einmal kulturell und moralisch so verschieden, dass ihnen ein Zusammenleben nicht zugemutet werden könne. Geben wir die Einheit von Wissenschaft, Philosophie und Moral auf, geben wir die gemeinsame Menschheit auf.
Ich würde da Alan Posener unbedingt zustimmen, was auch ein Grund dafür ist, weswegen ich jeglichen Aktivismus von Akteuren, die sich auf ‚Wissenschaft‘ berufen, (Scientists for Future, ‚Feministische Wissenschaft‘ usw.), also alles, was mit einer (per se) ‚Haltung‘ bzw. Prämisse überprägt ist, sehr kritisch sehe. Wissenschaft muss ergebnisoffen sein.
Interessant, wie Detjen beiläufig – genau wie Mbembe – den Antijudaismus einfließen lässt. Beide bedienen sich aus dem Arsenal, Mbembe (ua) mit der Mär vom rachsüchtigen Gott, Detjen jetzt mit der Behauptung, die „Einmaligkeit des Holocaust“ werde zur „doktrinären Glaubenslehre“, und die wiederum werde von – einem Papst? Ratsvorsitzenden? – „Hohepriester“ oktroyiert.
Was „Hohepriester“ meint, was mitschwingt in diesem Vergleich, lässt sich bei der nächsten Aufführung der Matthäuspassion nachhören, DLF-Kultur wird sie sicherlich bringen: Am Ende sind es „die Juden“, die Mbembe ans Kreuz nageln.
Vielen Dank, dass Sie sich die Mühe gemacht haben herauszuarbeiten, warum Herr Detjens Kommentar einfach eine Unverschämtheit ist.
Sehr geehrter Herr Posener, darf ich Ihnen meinen Offenen Brief an den Hörfunkrat von heute morgen mitteilen? Dankbar für Ihre Kritik. Freundlichst Halina Bendkowski
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel,
Sehr geehrte Damen und Herren im Hörfunkrat im Deutschlandradio,
sehr geehrter Herr Detjen, sehr geehrter Herr Klein,
sehr geehrte Mitlesende- to whom it may concern to forward…
Es ist der Chefkorrespondent des Deutschlandfunks in Berlin, Herr Stephan Detjen, früher Chefredakteur des Deutschlandfunks in Köln, der in seinem Kommentar vom 23.5.2020:
Streit um Historiker Mbembe – Antisemitismusbeauftragter als diskursiver Schrankenwärter
alle Richtlinien der Berichterstattung, die in den Programmgrundsätzen des Deutschlandradios festgelegt sind, bewusst missachtet hat.
In der laufenden Debatte zwischen Herren Felix Klein, dem Antisemitismusbeauftragten und Herrn Mbeme, geht es den Kritikern, nicht nur im Deutschlandradio darum, Herrn Klein in seiner Aufgabe, den Antisemitismus zu bekämpfen, zu schwächen oder gar, wie gefordert, seines Amtes zu entheben.
Dagegen hat die internationale Vereinigung SPME ( Scholars for the Peace in the Middle East) protestiert.
mena.watch.com/scholars-for-peace-in-the-middle-east-kritisieren-achille-mbme/
Aber es fällt auf, dass fast überall immer nur die Solidaritätsbekundungen für Herrn Mbeme zitiert werden, so auch von Herrn Detjen praktiziert.
Schon öfter habe ich mich an das Deutschlandradio gewandt, um z.B. die parteiliche Einseitigkeit der Israelberichterstattung zu kritisieren.
Das Gut der „Meinungsfreiheit“ braucht mir niemand zu erklären. Er oder sie möge sich bitte nur selber daran halten, vor allem was die Minima der fairen Berichterstattung zu Israel betrifft.
Man kann sich gut vorstellen, wie ein Chef, wie Herr Detjen auf die Meinungsbildung im Deutschlandradio einwirkt.
Entsprechend hörbar ist auch das Ergebnis.
Immer werden die gleichen KritikerInnen, wie Moshe Zimmermann/ Zuckermann, Eva Illouz und zuletzt Susan Neiman
(https://www.deutschlandfunk.de/susan-neiman-ueber-antisemitismus-man-muss-den-staat-israel.911.de.html?dram:article_id=477066)
angefragt, um den Fragenden immer wieder die gleichen erwünschten Antworten zu liefern.
Herr Detjen, der den Anti BDS Beschluss 2019 im Bundestag, scharf als falsch kommentiert hat, ist nicht überraschend, auch gegen den Antisemitismusbeauftragten, Herrn Klein aktiv. Es soll ihn sein Amt kosten.
Wir unerhörten KritikerInnen aber hoffen, dass Herr Klein seiner Aufgabe gerecht wird, den Kampf gegen den Antisemitismus in diesem Land so ernst zu nehmen, wie es sich gehört. Er möge sich bitte nicht, von schrankenlosen Kritikern, wie Herr Detjen einer ist, als „diskursive Schrankenwärter“ in eine falsche Zugrichtung, dem Sackbahnhof des deutschen Antisemitismus, abdrängen lassen.
Nicht Herr Klein sollte gehen, sondern Herr Detjen in seinem Amt als Chefkorrespondent vom Hörfunkrat hinterfragt werden.
Inhaltlich ist auffällig, dass alle, die sich generell postkolonial -zurecht- orientieren, im Antizionismus aber ihrem, wie auch immer ge-bildeten Antisemitismus, ohne Schranken und ohne Nachdenken frönen können. Trotz der erklärten deutschen Staatsräson, wird insbesondere in öffentlich-rechtlichen Institutionen, wie dem Deutschlandradio, der Bundeszentrale für Politische Bildung (!) und den Akademien das Missverständnis gepflegt, Antizionismus sei nicht antisemitisch begründet.
Diese Spur zu verfolgen wäre u.a.- zuvörderst die Aufgabe öffentlich-rechtlichen Nachdenkens.
Warum z.B. die empirische Antisemitismusforscherin in Berlin(!), Prof.Dr. Monika Schwarz-Friesel,TU-Berlin nicht angefragt wird oder zitiert wird, wenn es um Antisemitismus geht, bitte ich alle, die ihren Text lesen, sich durch Lektüre verständlich zu machen.
Wer so denkt, mordet wieder. Gedenkrede zum 75-Jahrestag der Befreiung des KZ Mauthausen. In: Die Presse.
http://www.gegendenantisemitismus.at/11052020.php
Ich bitte hiermit alle RepräsentantInnen im Hörfunkrat um Antwort und alle Mitlesenden um eine öffentlich-verantwortliche Debatte, die auch die zahlreichen KritikerInnen, von denen ich weiss, bewusst mit einbezieht.
Freundlichst
Halina Bendkowski
Sehr gut. Danke.
Tja.
Nachdem ich aus reiner Neugier (okay, und Freude am polemischen fetzen) zwei Jahre lang Protagonisten der Culture Wars in den USA gefolgt bin (pars pro toto rechts Milo Y und links Lindy W) bin ich schon lange zu dem von Ihnen gezogenen Schluss gekommen:
„… ohne irgendetwas von seiner vor Ressentiment triefenden Gemeinheit einzubüßen.“
So ist (und war das) bei politischem Aktivismus immer. Die einzig halbwegs stichhaltige Verteidigung von „Progressiven“ für ihre Seite dieser Unsäglichkeit ist „Aber sie/er/es meinen es doch nur gut“. Was die Sache für mich nur noch schlimmer macht – gut gemeint ist zu häufig das exakte Gegenteil von gut gemacht.
Jetzt hat einen der Säulenheiligen des linksliberalen, geisteswissenschaftlich – hmmm, geschulten? – akademischen Bildungsbürgertums mal beissende Kritik getroffen. Die Reaktionen darauf, u.a. von Ihnen publizistisch begleitet, sind exakt genauso erbärmlich wie die PEGIDA-Rentnerreaktion auf alles, was denen gegen den Strich geht. Der Unterschied? Zugunsten der PEGIDA-Rentner spricht, dass die meisten von ihnen weder über die Bildungs- noch Intelligenzvoraussetzungen progressiver Intellektueller verfügen. Was die Reaktionen nur noch erbärmlicher macht.
Aber das konnte man wissen. Popper hat völlig zu Recht jede Theorie, die sich gegen Kritik immunisiert, indem Kritikern automatisch und reflexhaft mangelnde Fähigkeit oder böse Absicht unterstellt wird, ins Reich der Metaphysik verwiesen, vulgo „Glauben“ genannt. Und sehr viele Vertreter jenes Hohlweltkonstrukts namens „postkoloiniale Studien“ haben jetzt bewiesen, dass sie nicht nur dahin gehören, sondern dahin gehören wollen.
Manchmal wünschte ich mir, ich wäre 20 Jahre jünger. Ich hätte nie einen leichter zu schlagenden Aktivismusgegner gefunden denn die heutige „Progressive Left“ :-).
Gruss,
Thorsten Haupts