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Wann wird man den Juden Auschwitz verzeihen?

Als der Umweltaktivist und Mitgründer von „Extinction Rebellion“ (XR) Roger Hallam im November letzten Jahres im Interview mit der „Zeit“ meinte, der Holocaust sei „just another fuckery“ in der langen Geschichte menschlicher Brutalität, erntete er mehr als nur einen Shitstorm: XR Germany erklärte, Hallam verstoße gegen die Prinzipien der Organisation, die „Antisemitismus nicht duldet“, und sei „nicht mehr willkommen“. Der Ullstein Verlag beschloss in einem Akt vorauseilender Zensur, die bereits gedruckte deutsche Ausgabe von Hallams Buch „Common Sense for the 21st Century“ nicht auszuliefern. Hallam wurde faktisch kaltgestellt. Dabei sagte er nichts anderes als das, was viele gefeierte Theoretiker*innen des „Postkolonialismus“, und der „multidirektionalen Erinnerung“ unter großem medialen Beifall sagen.

„Tatsache ist, dass in unserer Geschichte Millionen von Menschen unter schlimmen Umständen regelmäßig umgebracht worden sind“, so Hallam. Als Beispiel nennt er den Kongo: „Die Belgier kamen im späten 19. Jahrhundert in den Kongo und haben ihn dezimiert.“ Genozide habe es in den vergangenen 500 Jahren immer wieder gegeben. „Um ehrlich zu sein, könnte man sagen: Das ist ein fast normales Ereignis.“ Nun, das ist drastisch formuliert, aber ich würde annehmen, dass 90 Prozent der Briten das ähnlich sehen und formulieren würden. Antisemitisch ist das nicht. Die jüdische Identität hängt nicht an der Singularität des Holocausts, und schon gar nicht daran, dass jeder Klimaaktivist weiß, was darunter zu verstehen ist.

Was ja die Frage aufwirft, warum sich Hallam überhaupt genötigt sah, auf den Holocaust einzugehen. Nun, er hält die angebliche deutsche Fixierung auf den Holocaust für ein Hindernis beim Kampf gegen den Klimawandel, die seiner Meinung nach größte Gefahr für die Menschheit im 21. Jahrhundert darstellt: „Das Ausmaß dieses Traumas kann lähmen“, so Hallam. „Das verhindert, dass man daraus lernt.“  Es tue den Deutschen nicht gut, dass sie ihn fälschlicherweise für einzigartig hielten.

Rinks und lechts

Es mag manchen Deutschen rechts der Mitte verwundern, dass diese Kritik von links kommt. Gehört es doch lange schon zum Arsenal rechter Rhetorik, dass die Re-education-Politik der Westalliierten nach 1945 und das permanente Einreden eines schlechten Gewissens wegen Hitler und des Holocausts die Deutschen nicht nur unfähig gemacht hätten, ihre eigenen Interessen selbstbewusst wahrzunehmen, sondern sie zu Akten selbstmörderischer Überkompensation bewege, etwa zur Aufnahme von Migranten aus dem globalen Süden um den Preis des sozialen Friedens oder dem Versuch, auf Kosten der eigenen Industrie Klimaschutzweltmeister zu sein.

Jedoch gehört die Kritik am deutschen „Judenknax“ spätestens seit der Studentenbewegung auch zum Arsenal linker Rhetorik. Schon 1966 plädierte Rudi Dutschke im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) gegen eine Aktion zur Erinnerung an den Judenmord mit dem Argument, dies könne die Organisation emotional nicht verkraften, es gelte, nach vorn zu schauen. Dutschkes Freund Dieter Kunzelmann trieb die Sache auf die Spitze. Nachdem er 1969 seinen jungen Adepten Albert Fichter angewiesen hatte, am Jahrestag der Reichskristallnacht eine Bombe im Jüdischen Gemeindehaus in West-Berlin zu deponieren, schrieb er in einem „Brief aus Amman“, wo er von palästinensischen Terroristen an der Waffe ausgebildet wurde. „Palästina ist für die BRD und Europa das, was Vietnam für Amerika ist.“ Nämlich der Funke, der zum Aufstand führen könne. „Die Linken haben das noch nicht begriffen. Warum? Der Judenknax.“ Wegen des Holocaust würden die deutschen Linken nicht erkennen, dass der „Zionismus“ selbst eine „faschistische Ideologie“ sei. Gegen die Juden kämpfen heiße also, den Kampf gegen den Faschismus beginnen, umgekehrt hindere die Erinnerung an den Holocaust die Deutschen daran, Revolutionäre zu werden.

Ulrike Meinhof schrieb 1972: „Ohne dass wir das deutsche Volk vom Faschismus freisprechen – denn die Leute haben ja wirklich nicht gewusst, was in den Konzentrationslagern vorging –, können wir es nicht für unseren revolutionären Kampf mobilisieren.“ Und so weiter und so fort.

Sekundärer Antisemitismus

Es fällt natürlich sofort auf, dass all die Argumente rein instrumentell sind. Weder links noch rechts wird der Holocaust als solcher – außer bei einigen Spinnern – geleugnet. Aber er hindere angeblich die Deutschen eben daran selbstbewusste Kämpfer für die gute Sache zu sein, ob das ein starkes Vaterland oder die Weltrevolution, die deutsche Industrie oder ein stabiles Weltklima sei. Das nennt man „sekundären Antisemitismus“.

Es fällt zweitens auf, dass all die Argumente nicht stimmen. Der Holocaust hat die deutschen 68er nicht davon abgehalten, das Land erheblich mehr in Aufruhr zu versetzen, als das etwa in Großbritannien oder Skandinavien der Fall war; die Erinnerung daran behinderte weder Deutschlands Aufstieg zur führenden Macht in Europa nach der Wiedervereinigung, noch hindert er die Deutschen daran, Weltmeister im Kampf gegen den Klimawandel sein zu wollen. Auch deshalb muss man die Argumente als antisemitisch bezeichnen. Wem es primär um die Sache ginge, müsste nicht die deutsche Erinnerungskultur kritisieren. Um zurück zu Hallam zu kommen: Zu behaupten, der Holocaust sei nicht singulär, ist falsch, aber nicht an sich antisemitisch. Zu behaupten, die Beschäftigung mit diesem „Trauma“ sei für die Deutschen – und die gute Sache – schädlich, ist ein Beispiel für sekundären Antisemitismus.

Nehmen wir auch die chronisch überschätzte Aleida Assmann. In einer wirklich perfiden Antwort auf eine Kritik von Thomas Schmid, der ihr vorgeworfen hatte, „den lastenden Mühlstein der Singularität des Holocaust loszuwerden“ zu wollen, schreibt sie: Im „nationalen Gedächtnis der Deutschen hat durch Fixierung auf den Holocaust manches noch keinen Platz gefunden, was wirklich skandalös ist. Damit meine ich nicht die Kolonialgeschichte (…). Ich meine auch nicht den Gulag (…). Ich meine noch ein weiteres Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts, das bisher noch kaum im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen ist: die Erinnerung an die Millionen und aber Millionen Opfer der deutschen Besatzung und des rassistischen Vernichtungskrieges in ganz Europa.“

Gewiss ist es so, dass sich die Deutschen zu wenig etwa der slawischen Opfer des Krieges erinnern, die nach dem „Generalplan Ost“ als Arbeitssklaven im kolonisierten Osten den deutschen Herrenmenschen dienen sollten. Was diese Erinnerungslücke aber mit der „Fixierung auf den Holocaust“ zu tun haben soll, bleibt Assmanns Geheimnis. Waren die polnischen, weißrussischen, ukrainischen und russischen Opfer des Aggressionskrieges etwa in den 1950er und 1960er Jahren, als der Holocaust noch allüberall in Deutschland verdrängt wurde, präsenter? Natürlich nicht. Im Gegenteil. Und warum nicht? Nicht zuletzt wegen des Kalten Krieges. „Der Russe“ war noch der Feind, hatte die deutschen Ostgebiete völkerrechtswidrig „dem Polen“ zugeschanzt und besetzte „Mitteldeutschland“, die SBZ. Dort war mehr von den Heldentaten der „Brüdervölker“ die Rede als von ihren Leiden. Und nach der Wiedervereinigung avancierten die Polen zu Autodieben, während die Ukrainer mit ihrer Westbegeisterung uns peinlich sind, weil sie die Verständigung mit „dem Russen“ stören. Das alles hat so etwas von gar nichts mit dem Holocaust und der Erinnerung daran zu tun, dass man sich fragt, was eine renommierte Kulturwissenschaftlerin dazu treiben könnte, solchen Unsinn zu schreiben.

Der „globale Süden“ und seine Traumata

Oder hören wir – noch einmal, wir hatten das hier schon – Stephan Detjen, Chefkorrespondent des Deutschlandradios in dessen Hauptstadtstudio: 

„Die Bundesregierung macht (…) eine intellektuelle Abschottung Deutschlands zum politischen Programm. Als diskursiver Schrankenwärter setzt sich der Antisemitismusbeauftragte ein und versucht, ein in Deutschland gewachsenes Geschichtsbild gegen Irritationen von außen zu immunisieren. Politische Staatsraison wird so zur Zivilreligion und der Antisemitismusbeauftragte ihr Hohepriester. Der geschichtswissenschaftlich begründete Satz von der Einmaligkeit des Holocausts wandelt sich zu einer doktrinären Glaubenslehre, die mit staatlicher Autorität gegen häretische Hinterfragung verteidigt wird, als handele es sich um ein geistiges Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Während die Regierung einerseits den akademischen und kulturellen Dialog mit der südlichen Welt propagiert, treibt sie im Namen des Kampfes gegen den Antisemitismus zugleich eine Selbst-Provinzialisierung voran.“

Die gute Sache, die hier durch die deutsche Erinnerung an den Judenmord hintertrieben wird, ist also der „akademische und kulturelle Dialog mit der südlichen Welt“, sprich: Afrika, wo Kunzelmanns Satz vom Zionismus als Faschismus vielerorts noch Dogma ist, und wo korrupte und unfähige einheimische Eliten und ihre postkolonialen Apologeten bemüht sind, alle Übel der Gegenwart als Nachwirkungen des Kolonialismus zu erklären und Reform zuhause durch moralische Erpressung der angeblich auf ihre Kosten reich gewordenen Europäer zu ersetzen.

Das Schlagwort von der „Provinzialität“ der deutschen Erinnerungskultur wurde ausgerechnet von Felix Axster aufgegriffen, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter des Zentrums für Antisemitismusforschung (!) in Berlin: „Gerade aufgrund der deutschen Befindlichkeiten erweist sich die deutsche Erinnerungskultur zugleich als hochgradig provinziell. So ähnlich drückte das (…) auch Stephan Detjen im Deutschlandfunk aus. Übersehen wird, dass für viele Menschen vor allem im globalen Süden der Kolonialismus die zentrale traumatische Erfahrung darstellt. In der auf die Holocaust-Erinnerung bezogenen nationalen Erzählung finden Erinnerungen an andere Gewaltverbrechen kaum Platz. Und wenn sie diesen einfordern, steht ihnen die deutsche Identität beziehungsweise der Versuch ihrer Rekonfiguration im Zeichen von Auschwitz im Weg.“

Das ist natürlich hanebüchener Unsinn, wie schon die Kritik von Dutschke und Kunzelmann, Meinhof, Assmann und Hallam hanebüchener Unsinn war, von den rechten Befürwortern einer „selbstbewussten Nation“ ganz zu schweigen. Aber es wird immer wieder von immer mehr Leuten nachgeplappert.

Der Holocaust und der Kosovo-Krieg

Wie unsinnig diese Behauptung ist, wird etwa klar, wenn man sich erinnert, mit welchen Worten Außenminister Joschka Fischer den – völkerrechtswidrigen, aber humanitär gebotenen – Einsatz der Bundeswehr zur Rettung der albanisch-muslimischen Kosovaren vor ihren serbisch-christlichen Vertreibern auf dem Sonderparteitag der Grünen 1999 rechtfertigte: „Auschwitz ist unvergleichbar. Aber ich stehe auf zwei Grundsätzen, nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen.“

Man kann diese Instrumentalisierung von Auschwitz kritisieren, und das hat der linke Brigadegeneral – und Gegner des Kosovo-Einsatzes – Heinz Loquai auch getan. Aber der Punkt ist: Hier wurde „Auschwitz“ benutzt, um ein aktives Eingreifen gegen ein Gewaltverbrechen in Südeuropa zu rechtfertigen. Weit davon entfernt, Deutschland gegen andere „traumatische Erfahrungen“ provinziell abzuschotten, wurde und wird die Erinnerung an den Holocaust bemüht, um ebenjene Erfahrungen sichtbar zu machen. Nicht zufällig übernahm der Jüdische Weltkongress und ihr damaliger Vorsitzender Israel Singer die Federführung im Kampf um die Entschädigung von Zwangsarbeitern, die mehrheitlich nicht Juden waren. Die Opfer und die Beklagten – die deutschen Firmen, die Zwangsarbeiter ausgebeutet hatten – wussten, dass die Erinnerung an die versuchte Vernichtung der Juden durch Arbeit jedes kleinliche Argument der deutschen Seite neutralisieren würde. Nicht zufällig erinnerten Sinti und Roma sowie Schwule an das Holocaust-Mahnmal, als sie ihre eigenen Mahnmale – erfolgreich – einforderten.

Martin Walser, der Holocaust und die brennenden Asylantenheime

Nicht zufällig klagte Martin Walser am 11. Oktober 1989 in der Paulskirche unter dem Beifall der anwesenden Elite des Landes und dennoch „vor Kühnheit zitternd“ über die „Dauerpräsentation unserer Schande“. Gemeint war die angebliche Allgegenwart des Holocausts in den Medien und „die Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Albtraum“, dem Holocaustmahnmal. Warum störte Walser diese „Dauerpräsentation“? Weil angeblich irgendwelche  „Meinungssoldaten“ unter Hinweis auf die historische Verantwortung der Deutschen mit „vorgehaltener Moralpistole“ den Schriftsteller „in den Meinungsdienst nötigen“ wollten, etwa zum Protest gegen brennende Asylbewohnerheime. 

Das von Walser gewählte Bild sollte man genau betrachten. Es ist die Szenerie eines KZ oder Arbeitslagers, wo Menschen mit Gewalt zur Fron getrieben werden. Und die „Moralpistole“ jener KZ-Wächter ist die deutsche „Schande“. Wer sich dem „Meinungsdienst“ widersetzt, wird Opfer. Das heißt: Entweder – Assmann, Detjen, Axsten und Co. – die deutsche Erinnerungskultur hindert die Deutschen daran, mit anderen zu empathisieren, oder – Walser, Höcke, Gauland und Co. – sie zwingt die Deutschen gegen ihren Willen, mit anderen zu empathisieren. Kopf, ich gewinne, Zahl du verlierst. Kopf die deutsche Erinnerungskultur ist scheiße, Zahl die deutsche Erinnerungskultur ist scheiße.

Das ist sekundärer Antisemitismus.

Wie es im Bonmot heißt: Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen.

Die Deutschen und der Kolonialismus

Nun könnte man vielleicht mit einigem Recht sagen, dass die Deutschen weniger sensibilisiert sind für die Verbrechen des Kolonialismus als – sagen wir – Briten und Franzosen. Dazu habe ich keine empirischen Materialien, aber angenommen, dem wäre so: Dass ausgerechnet die Erinnerung an den Holocaust daran schuld sein sollte, ist eine abenteuerliche These. Wie wäre es mit folgenden Erklärungen: 1. Die Deutschen erwarben später und in geringerem Umfang als Großbritannien, Frankreich, Holland, Spanien und Portugal Kolonien. 2. Die Deutschen verloren früher als alle anderen Europäer 1918 sämtliche Kolonien. 3. Den Deutschen blieb daher die Demütigung der Entkolonisierung erspart: Traumata wie die verlorenen Kriege in Vietnam und Algerien für die Franzosen, Angola und Mosambik für die Portugiesen hatte das Land, das erfolgreich und mit beispielloser Brutalität den Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika und den Herero-Aufstand in Deutsch-Südwest niederschlug, nicht zu verarbeiten. 4. Dafür wurde nach dem Ersten und erst recht dem Zweiten Weltkrieg die apologetische Mär von der vorbildlichen deutschen Kolonialverwaltung verbreitet, die im Gegensatz gestanden habe zur brutalen britischen Herrschaft (Stichwort „KZ für die Buren in Afrika“) oder gar zur Völkermordpolitik der USA gegen die Ureinwohner. 5. Auch die Zuwanderung aus den ehemaligen Kolonien, die in Großbritannien und Frankreich schon in den frühen 1960er Jahren die Bevölkerung der „Mutterländer“ mit anderen Gesichtern, Kulturen und Erzählungen konfrontierte, blieb hier aus.

Kurz und gut: Für eine gewisse Blindheit gegenüber dem „globalen Süden“ gibt es jede Menge Gründe, die mit dem Holocaust nichts zu tun haben.

Fuckery oder Multidirektionale Erinnerung? Same difference

Warum werden sie nicht genannt? Warum beharrt man darauf, dass ausgerechnet der Holocaust uns unempfindlich dafür macht, dass „im globalen Süden der Kolonialismus die zentrale traumatische Erfahrung“ sei? (Was übrigens eine unbewiesene Behauptung ist.) Rational ist der Angriff auf die deutsche Erinnerungskultur nicht zu erklären. Da müsste man Roger Hallam fragen. Der bekommt freilich, anders als Assmann, Detjen, Mbembe e tutti quanti keine Bühne mehr. Vielleicht weil er das gute angelsächsische Wort „fuckery“ gesagt hat, statt ein modisches Fremdwort zu benutzen.

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64 Gedanken zu “Wann wird man den Juden Auschwitz verzeihen?;”

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    „Es fällt natürlich sofort auf, dass all die Argumente rein instrumentell sind. Weder links noch rechts wird der Holocaust als solcher – außer bei einigen Spinnern – geleugnet. Aber er hindere angeblich die Deutschen eben daran selbstbewusste Kämpfer für die gute Sache zu sein, ob das ein starkes Vaterland oder die Weltrevolution, die deutsche Industrie oder ein stabiles Weltklima sei. Das nennt man „sekundären Antisemitismus“.“
    Absolut richtig. Weder in der alten BRD, schon gar nicht in der DDR, noch in Deutschland heute gingen und gehen die Menschen gramgebeugt, da sie sich das Verbrechen an den Juden nicht verzeihen können.
    Die „Aufarbeitung“ des Holocaust über das Wie, Warum und Wer hat zu belastbaren Ergebnissen geführt. Sie hat mitnichten kaum erst begonnen, lieber Klaus J.Nick! Wer wissen will, kann sich mit den Ergebnissen der sozialwissenschaftlichen Forschung zum Thema beschäftigen und hat lange damit zu tun. Ganz ehrlich, was interessieren mich die Sorgen und Nöte einer Aleida Assmann oder das larmoyante Geschwätz eines Herrn Walser? Leider muss es mich aber interessieren, weil deren Äußerungen immer wieder als „befreiend“ empfunden werden. „Befreiend“ von was? Einer Buße, die Deutschland unterm Strich sowieso nichts gekostet hat? Ignatz Bubis sagte in der Kontroverse mit Walser, dass dieser von ihm seinen Seelenfrieden haben wolle, er, Bubis, ihm diesen aber nicht geben könne. Das war in der ganzen Kontrocerse für mich der traurigste, der anrührendste Satz.
    Heute wird von vielen die Shoa in einem Ausmaß instrumentalisiert, das Schaudern macht. Hier die „Kleine Kristallnacht von Stuttgart“, da Fischers unseliges Diktum von Jugoslawien und Auschwitz usw. usf.. Auf der örtlichen „Hygiendemo“ hat sich ein Redner nicht entblödet, die Demonstrierenden, also sich und seinesgleichen, mit den Auschwitzopfern gleichzusetzen. Das Perfide ist, dass die Emittenden solcher Instrumentalisierungen nicht einfach nur unterbelichtet sind, sondern es wahrscheinlich besser wissen.
    Ein Volk, dass sich, den Juden oder sonst wem Auschwitz nicht verzeihen kann? Dieses Volk gibt es nicht. Zumindest nicht in Deutschland.
    Wenn es nicht so bekloppt und gleichzeitig traurig wäre, müsste man herzhaft lachen!

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      Ok, lieber Stefan Trute, dann habe ich irgendwas verpasst und Sie können mir Nachhilfe geben: Warum denn gerade die Deutschen? Warum denn gerade die Juden? Nicht aus Wut, Hass, Abneigung, die gab es woanders stärker. Warum? Nur um einen Plan zu erfüllen? Ich frage das nicht zum ersten Mal. Oft bekam ich die Antwort, ich hätte in dieser Zeit nicht gelebt.

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        Lieber Klaus,

        Das ist ein Thema fürs historische Proseminar.

        Ich hatte einen ellenlangen Text dazu, den ich am Ende aber unlesbar fand. Hier eine Kurzversion:

        Warum die Deutschen?
        Weil sie es konnten. Sie hatten den Zugriff auf ihre Opfer, die nötigen Mittel, durch ihre verantwortliche Führung den Willen, verfügten über eine effektive Bürokratie und einen Apparat sowie genügend Helfer, die den Mord ins Werk setzten. Und sie schufen schließlich mit dem von Deutschland entfesselten Krieg die Gelegenheit. In einem insgesamt „eliminatorischen Klima“ in der Gesellschaft entwickelte sich nur so wenig Widerstand, dass die antijüdischen Maßnahmen nicht ernsthaft gestört wurden.
        Warum die Juden?
        Weil die Führung des „Dritten Reiches“ antisemitisch war und mit dem tradierten Antisemitismus in weiten Teilen der Bevölkerung eine „Auftreffstruktur“ vorfand, die ihr Vorhaben, die Juden erst zu entfernen und schließlich zu ermorden, begünstigte.
        Ich empfehle Ihnen
        P.Longerich, „Davon haben wir nichts gewusst.“ Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933-1945, München 2006.
        H.Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung. Berlin 1997
        S.Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden, München 2007.
        C.Browning, Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibatallion 101 und die „Endlösung“ in Polen, Reinbek 1999.

        Jonathan Littells Roman „Die Wohlgesinnten“ ist zwar Fiktion. Aber so könnte es gewesen sein.

        Vielleicht steckt in der folgenden kleinen Geschichte auch ein Teil der Antwort:

        In meiner Heimatstadt wohnten 1939 nur 38 Juden, d.h. Menschen mosaischen Glaubens. Wie viele Juden es nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1939 waren, weiß ich nicht. Heute erinnern Stolpersteine an sie, die von Zeit zu Zeit von Freiwilligen blitzblank geputzt werden.
        Meine Großmutter, eine großartige Frau, die ich sehr mochte, geboren 1907, sprach, soweit ich mich erinnern kann, immer wieder voller Begeisterung von ihrem ersten Urlaub überhaupt, den sie gemeinsam mit meinem Großvater mit „Kraft durch Freude“ in Berchtesgaden im Jahr 1938 verlebte. Sie redete sonst nicht viel von jener Zeit. Nur darüber, wie schwer die Zeit während der Weltwirtschaftskrise für das jungverheiratete Paar war. Großvater war Installateur und arbeitslos, Großmutter ging nähen. Erst ab ´33 ging es für die beiden wieder aufwärts. Einmal jedoch erwähnte sie eine Familie aus der Nachbarschaft in jener Zeit und meinte sinngemäß, das seien ganz anständige Menschen, obwohl es Juden gewesen seien. Was sie vom Judenmord wusste, kann ich nicht sagen. Als ich begann mich für dieses Thema zu interessieren, war sie schon gestorben.

      2. avatar

        S.T.: ‚Das ist ein Thema fürs historische Proseminar.

        Warum die Deutschen?
        Weil sie es konnten.

        ‚… ‚weil ich es kann‘, ‚weil sie es konnten‘ – nix für ungut werter S.T., das sind hohle Sprüche. Und in einem historischen Seminar, werden sie auch keine Antwort finden.

        Vornweg, ich habe auch keine Antwort, meine aber, Jean-Marie Kardinal Lustiger ist einer Antwort nahe gekommen. ‚Wir‘ hatten das 2011, ff im thread.

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        Danke für die ausführliche Antwort, Beschäftigung mit mir und die Literatur-Tipps, Stefan. (Wir können uns sowieso gerne mit Vornamen ansprechen, ich bin da unkompliziert, wenn auch diesbezüglich immer etwas unsicher.)
        Ich glaube nicht, dass das nur „ein Proseminar-Thema“ ist oder sein sollte und ich bezweifle auch, dass ich noch mal an die Uni muss, um zu verstehen, auch wenn die Sache sehr wahrscheinlich viele Ursachen hatte, was Sie ja formulieren: „..“Auftreffstruktur” vorfand, die ihr Vorhaben, die Juden erst zu entfernen und schließlich zu ermorden, begünstigte“.
        Genau darum geht es mir, die „Auftreffstruktur“ bzw. individuelle Kondition, die zu dieser Zeit die Katastrophe aufgrund der Versklavung des Denkens und Fühlens unter eine übergeordnete Idee ermöglichte. Hitler holte mit seiner keynesianischen Politik, seinen Sozialleistungen ein Volk ab, das sich am Boden wähnte und zum zum großen Teil auch da lag. Aus Sicht dieses ‚Kriegsunternehmers‘ Hitler konnten natürlich die Staatskonten nur durch Kriege wieder aufgefüllt werden und vielleicht standen dabei sogar Wallenstein und Tilly Pate.
        Was die Juden angeht: Der Antisemtismus war schon lange als ‚verwissenschaftliche‘ These virulent in Europa. Mein jüdischer Großvater hat ‚das‘ seit seiner Hochzeit 1922 verheimlicht, auf Initiative seiner Frau, meiner Großmutter. (Er wurde dennoch in der Nazizeit arbeitslos – eine andere Geschichte, die jetzt hier nicht wirklich weiterhilft.)
        Dazu passt auch Ihre Schilderung aus der Familie, auch dafür besonderen Dank, weiß ich doch selber, welche Unsicherheiten und gewiss auch bisweilen Scham man überwinden muss, Bebebenheiten aus der Familiengeschichte öffentlich zu machen. Immer mit der Befürchtung – es wird viel geeifert, gegeifert und geschrien in diesen Zeiten – irgendwelche Fremden gehen respektlos und übergriffig damit um.
        Dass auf einmal jüdische Nachbarn abtransportiert wurden, wird wohl nicht nur Ihre Großmutter trotz damals verbreiteten antisemitischer Ansichten mindestens irritiert haben, aber es war auch die Zeit der ersten elektronischen Massenmedien (-> Volksempfänger) und es war die Zeit von Bessermenschen, Besserwissern und Oberlehrern. Eine Zeit der Kleingeister, die ‚Elite‘ wurden und andere drangsalierten.
        Aber es ist eben nicht so, dass der Antisemitismus (alleine) zu den Vernichtungslagern geführt hat, sondern es musste m.E. auch noch einiges andere dazu kommen – vor allem Persönlichkeiten, wie ich sie weiter oben versucht habe, zu charakterisieren. Vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass es in Deutschland zu der Zeit eine frühe medial überformte Massengesellschaft gab, die an der Zivilisation gescheitert ist, was diese ganzen Faktoren beinhalten würde. Und es war.. wie soll man es nennen? Eine Verkettung ungünstiger Zustände, Befindlichkeiten? Shit happens? ‚Accidentiell‘?
        Ich glaube, man muss deswegen den Deutschen ihre Unwilligkeit bezüglich allem Militärischen und auch ihre bisweilen in anderen Ländern mit Verwunderung betrachteten Argwohn gegenüber staatlichen Eingriffen ins Privatleben nachsehen. Ich denke da immer an meinen Vater, der ‚damals‘ sehr junger Soldat war. Aber ich finde die Entwicklung derzeit, alles Historische, Denkmäler, Kunstwerke, Filme durch eine politisch korrekte Brille eines linken Globalismus zu sehen, ja aufzuoktroyieren, sehr bedenklich, weil dadurch viele Erkenntnisse verloren gehen, die uns alle weiterbringen könnten. Das meinte ich so in etwa mit („die wirkliche Aufarbeitung hat erst gerade begonnen“). Und ich kann nicht daran glauben, dass eine bestimmte, derzeit von so vielen Kunst- und Medienschaffenden eingeforderte ‚antirassistische Haltung‘ gegen neuerliche totalitäre Monströsitäten immunisieren würde. Aber das sind natürlich die Gedanken eines Fachfremden bzw. geistesgeschichtlichen Laien.

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        Lieber Klaus, auch ich danke für Ihre ausführliche Reaktion. Mit meiner Bemerkung, die Antwort auf Ihre Fragen sei ein Thema fürs historische Proseminar, meinte ich nicht die Sache selbst, sondern die Herausforderung, dazu einen kohärenten Text zu verfassen. Daran bin ich auch im ersten Anlauf gescheitert. Ellenlang-und von einer nachvollziehbaren Argumentation irgendwie weit entfernt.
        Sie haben wichtige Aspekte hinzugefügt, bzw meine Positionen abstrahiert. Ich stimme Ihnen da im wesentlichen zu. Zum aktuellen „Bildersturm“ sage ich als politisch links stehender Zeitgenosse (das dürfte Sie aufgrund meiner Einlassungen hier nicht überraschen), dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten darf. Hinterfragen ist richtig. Aber hier ist die Betrachtung des Einzelfalls nötig.

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        @Klaus: Ergänzung: Als Rekrut betrat ich 1992 die Luftwaffenkaserne in Goslar. Im Eingangsbereich stand eine Flak der Wehrmacht. Sie erinnerte an die Eroberung von Kreta im 2.Weltkrieg. Die Kaserne gibt es nicht mehr, und in einer Kaserne der Bundeswehr sollten solche Erinnerungsstücke nicht mehr stehen. Auch ist es richtig, dass es keine Rommel- und keine Dietl-Kaserne mehr gibt. Damit will ich sagen, dass die gesellschaftliche Verständigung über das historische Erbe notwendig ist, aber nicht pauschal geschehen kann. Für den Erlass, dass die Wehrmacht nicht traditionsbildend sein kann, gibt es eben gute Gründe. Das war vor, sagen wir fünfzig Jahren in der BRD nicht selbstverständlich.

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        S.T: ‚Zum aktuellen “Bildersturm” sage ich als politisch links stehender Zeitgenosse (das dürfte Sie aufgrund meiner Einlassungen hier nicht überraschen), dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten darf.‘

        … aber, aber Gen. Trute, wer will das Kind mit dem Bade ausschütten? Die ‚Antifa‘ (Antidemokratische Faschisten) und die Haltungslinken ganz bestimmt nicht. Die fühlen sich halt wohl in ihrer rotgrünbraunen Einzelfall-Jauchengrube.

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        Lieber Stefan, wenn mehr Leute, wie sie erkennen würden oder erkannt hätten, dass man ‚Bäder mit Kindern drin vorsichtig entleert‘, hätte zumindest ich mir viel beruflichen Ärger ersparen können, aber auch das ist gewiss kein Thema für ein Proseminar oder hier, sondern für einen langen Abend an einem Resopal-Küchentisch mit dem einen oder anderen Schnaps zwischendurch.
        Die Differenzierung und dadurch gegebene Möglichkeit zum Hinterfragen ist etwas, das mir derzeit verloren zu gehen scheint. Bei allen Themen.

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    @Caruso
    „So aber wird jeder Jude den sie sehen, an ihre Missetaten erinnern. Wir kann man unter solchen Umständen “verzeihen”? Umgekehrt geht es eher, wie ich es immer wieder höre /lese.
    Komisch. Oder?“

    Fällt mir auch immer wieder mal auf.
    Um den Juden den Holocaust „zu verzeihen“, müsste ‚das Tätervolk‘ sich wohl erst mal selber verzeihen. Das geht aber nur, wenn man sich von seinem grandiosen und perfektionistischen Anspruch, irgendwie die Welt retten zu müssen, verabschiedet und zu sich findet, zu sich steht. Natürlich kann derjenige anderen besser verzeihen, der sich selber nichts vorzuwerfen hat oder sich selber verzeiht. Dazu gehört aber eine Aufarbeitung, die noch gar nicht richtig begonnen hat. Und die mit Gedenktagen und scheinheiligen Bekenntnissen zum Existenzrecht Israels nichts zu tun hat. Vielleicht eher mit Namen auf Stolpersteinen und der praktischen Arbeit so vieler ‚boomer‘ in Kibbuzim. Jedenfalls nichts mit politischem Aktivismus.
    Nicht dass der Kolonialismus, insbesondere der belgische, nicht äußerst brutal vorgegangen wäre, aber er hat andere Ursachen und ist anders organisiert und umgesetzt worden. So lange das mit dem Holocaust nicht richtig verstanden ist (Warum die Deutschen? Warum die Juden?), wird auch nicht begriffen, wieso ‚Israelkritik‘ zum eigenen linken folkloristischen Genre werden konnte. So ‚perpetuiert‘, ‚transzendiert‘ und sublimiert linkes Bessermenschentum das Ressentiment gegen Juden wahrscheinlich auch noch ins nächste Jahrtausend. Das trübe Suppe der linken Schuldkultur aus Holocaust, Postkolonialismus und Verteufelung der Rasse des alten weißen Mannes ist das letzte, was das verhindern könnte. Weniger Eiferei bei dem Thema (und weniger Abfordern von öffentlichen Betroffenheitsbekundungen in der Politik) wäre erheblich mehr, aber das gilt ja wohl für alle Themen.

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      Das Verzeihen bezieht sich auf die Schwierigkeit der Deutschen gegenüber Juden ein normales Verhältnis zu finden. Mit Juden meine ich hier den ganzen psychologischen Komplex im Unterbewusstsein des deutschen Diskurses, der ohne Überschneidung zu jemals real existierenden Juden auskommt. Fun fact: Den Holocaust haben nicht deutsche Bessermenschen begangen, sondern die Deutschland-über-alles Truppe und die wollten keine besseren Menschen sein, sondern blonde Bestien. Gemeinsam mag ein gewisser überbordender Idealismus sein, aber den Teilen sie sich ja mit den Wut-Boomern, die Ohrstäbchen aus Plastik als höchste Form der Freiheit sehen. Zähle ich die Generationen durch, bleibt doch alles in der Familie. Neben dem Idealismus könnte man Nörgelei und Vorwürfe dazuzählen, was das durchschnittliche deutsche Weihnachtsessen zu so einem liebenswürdigen Ereignis macht. Das südosteuropäische kollektive Gejammer selbst nach Lottogewinnen ist nicht besser, aber dafür bauen die auch keine hübschen Autos. Wer weiß, wozu manches gut ist.
      Man kann manche Dinge nicht verzeihen, mit manchen Dingen muss man halt leben. Und man muss sie aushalten und am Aushalten hapert es nicht wenigen. Insofern wird der ganze aktuelle Bildersturz nichts helfen, so wenig wie Unangenehmes zum Fliegenschiss zu erklären oder wegen einer Maske hysterisch zu werden. Wenn man mit verzeihen anfangen will, dann vielleicht damit, dass in Deutschland ohne das Bewusstsein des Grundsätzlichen, grundsätzlich kein Diskurs möglich ist. Wenn man alles weiterdenkt, sind wir hier Volk ohne Raum, der Schoß ist noch fruchtbar, die Erde tot, fehlt dem Raum das Volk und wir sind Mitten in der DDR 2.0. Nix mit Aushalten.

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        Poetisch brillant, Stevanovic; aber nicht ganz leicht zu verstehen.

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        APo; ‚… Poetisch brillant, Stevanovic; aber nicht ganz leicht zu verstehen …‘ genau, werter APo, er wirft mit Watte-Bäuschchen. Konkretes? Fehlanzeige. Und wenn er von ‚blonden Bestien‘ schreibt, bekomm‘ ich immer einen Schreck.

        … oder aaaber, Stevanovic meint, wie die ‚EU‘ zu Stalinismus und Nationalsozialismus; ‚… , dass das nationalsozialistische und das kommunistische Regime Massenmorde, Völkermord und Deportationen durchführten und im 20. Jahrhundert einen in der Geschichte der Menschheit nie dagewesenen Verlust an Menschenleben und Freiheit verursachten, und gemahnt an das von den Nationalsozialisten verübte abscheuliche Verbrechen des Holocausts; verurteilt in aller Schärfe die Akte der Aggression, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die massenhaften Menschenrechtsverletzungen, die von Nationalsozialisten, Kommunisten und anderen totalitären Regimen begangen wurden; … ‚

        … werter Stevanovic, erklären Sie bitte, warum ‚… in Deutschland ohne das Bewusstsein des Grundsätzlichen, grundsätzlich kein Diskurs möglich ist.‘ Wären Sie Christ, stimmte ich Ihnen zu. 😉

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        … ooops? Formatierungsfehler, daher …

        APo; ‚… Poetisch brillant, Stevanovic; aber nicht ganz leicht zu verstehen …‘ genau, werter APo, er wirft mit Watte-Bäuschchen. Konkretes? Fehlanzeige. Und wenn er von ‚blonden Bestien‘ schreibt, bekomm‘ ich immer einen Schreck.

        … oder aaaber, Stevanovic meint, wie die ‚EU‘ zu Stalinismus und Nationalsozialismus; ‚… , dass das nationalsozialistische und das kommunistische Regime Massenmorde, Völkermord und Deportationen durchführten und im 20. Jahrhundert einen in der Geschichte der Menschheit nie dagewesenen Verlust an Menschenleben und Freiheit verursachten, und gemahnt an das von den Nationalsozialisten verübte abscheuliche Verbrechen des Holocausts; verurteilt in aller Schärfe die Akte der Aggression, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die massenhaften Menschenrechtsverletzungen, die von Nationalsozialisten, Kommunisten und anderen totalitären Regimen begangen wurden; … ‚

        … werter Stevanovic, erklären Sie bitte, warum ‚… in Deutschland ohne das Bewusstsein des Grundsätzlichen, grundsätzlich kein Diskurs möglich ist.‘ Wären Sie Christ, stimmte ich Ihnen zu. 😉

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        Lieber Stevanovic, ja. Das eine und andere muss man aushalten. Aber wenn wir verhindern wollen, dass wir wieder aufeinander losgehen, sollten wir alle zusammen von unseren Regierungen und Verwaltungen streng einfordern, dass sie einfach anfangen, nur ihre verdammte Arbeit machen und sich nicht zwecks Förderung eigener Karrieren irgendwelchen rechten, linken, grünen oder braunen Ideologien oder zeitgeistigen Philosophien verschreiben. Es reicht jetzt. Und das gilt auch für Historiker.

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        Lieber KJN, diese Reihung finde ich problematisch: „…rechten, linken, grünen oder braunen Ideologien oder zeitgeistigen Philosophien …“ Rot gleich braun war auch schon dubios, vor allem in der Anwendung, hatte aber doch einiges für sich. Aber das hier ist mir zu beliebig und suggeriert eine Äquivalenz, die es nicht gibt.

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        Lieber Herr Posener, das war das schönste Kompliment, was ich in letzter Zeit bekommen habe. Vielen Dank. Ich bewundere viele deutsche Autoren dafür, dass sie poetisch brillante Sachen schreiben, ohne dass irgendjemand den Sinn des Geschriebenen wirklich versteht. Dazu war ich Ende Januar noch einer der ersten, der aus Eigenantrieb Klopapier gehamstert hat (ehrlich, war mein erster Gedanke) und in Sremska Mitrovica bin ich der einzige, der an roten Ampeln immer stehen bleibt. Integration? Mission accomplished.
        Die Gründlichkeit der Gedankengänge im deutschen Diskurs, dass alles zu Ende gedacht und strukturiert wird, bewundere ich wirklich. Beruflich weiß ich das sehr zu schätzen, das sind auf konkrete Ziele ausgerichtete Prozesse. Die können kalkuliert und optimiert werden und wer das macht, kommt durch Abarbeiten zum Ziel. Denken in Lösungen, Tragödien gibt es nur bei alten Griechen. Überträgt man es auf andere Bereiche, wird es schon schwierig. Trauer ist nicht mehr ein Zustand, in dem man sich befindet, man macht Trauerarbeit. Oder Beziehungsarbeit. Das „dran arbeiten“ suggeriert, dass innere Zustände das Ergebnis von Fleiß und Mühe sind und ein innerer Einklang eine Frage des schieren Willens ist. Als Lösungen bleiben zwei Optionen, man erarbeitet sich eine Lehre und bereut oder man leugnet die ganze Problemstellung als Fliegenschiss und lässt es ganz sein. Der Versuchsaufbau an sich ist jedoch zum Scheitern verurteilt. Vergebung kann man sich nicht erarbeiten, man kann Taten nicht ungeschehen machen und vergessen wird man sie auch nicht. Im Einklang mit sich selbst sind nur Einfältige und Kinder. Deswegen gibt es auch keinen Prozess, an den man sich halten kann. Wann ist es denn mal gut? Eine saudumme Frage. Dann, wann es gut ist. Wer getrauert hat weiß, dass man Trauer nicht abarbeitet, man lernt mit ihr zu leben. Die Betroffenheitsrituale sind der Versuch, mit etwas, dass man nicht ändern kann, zu leben. Ich finde sie alles andere als hohl. Die Analysen, Reflektionen und Rationalisierungen, aber auch Relativierungen, sind Hilfsmittel, nicht das Ding an sich. Die Analyse ist nicht das Experiment. Das frustriert Menschen, die es gewohnt sind, in Lösungen zu denken und als einziges Hindernis nur den fehlenden Willen erkennen. So habe ich die Zitate der 68 verstanden, aber auch Walser in seiner Rede. Schuld ist der, der auf die eine oder andere Weise nicht mitmacht, keinen Willen zeigt, oder auch im Verdacht steht, nicht am Prozess ehrlich teilnehmen zu wollen – womit es bei Kopf oder Zahl immer beim gleichen Ergebnis bleibt. Die Vergangenheitsbewältigung ist eben keine wirkliche Bewältigung. Da hat sich ein Bild verselbstständigt und führt ein Eigenleben. Man lebt mit der Vergangenheit und man kann sie aushalten, aber nicht bewältigen. Nur etwas Aushalten, sei es eine Statue, demonstrierende Kinder oder auch der laute Nachbar, steht nicht hoch im Kurs und klingt dazu nicht attraktiv. Oder neu, wer die neueste Gender-Schreibregel nicht kennt oder beachtet, würde LBTQI (?) nicht akzeptieren. Schönschrift ersetzt keine Empathie.

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        Lieber Alan Posener – spontane Antwort: Stimmt. Braun bleibt braun aber AfD ungleich NSDAP. Wir haben nicht 1933.

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        Klaus; ‚Es reicht jetzt. Und das gilt auch für Historiker.‘

        … richtig, Klaus, it’s s time we stop, hey, what’s that sound, everybody look what’s going down … For What It’s Worth

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      @Klaus J. Nick – es freut mich, daß es jemanden gibt, dem die gleichen Dinge auffallen wie mir. Auch freut mich, daß Sie es auch wissen: die Aufarbeitung hat noch überhaupt nicht begonnen. Wo ich andere Meinung bin: die heute lebenden Deutsche müssen sich nichts verzeihen. Sie haben damals noch nicht gelebt oder waren noch Kinder. Was können Sie dafür, was ihre Ahnen – Eltern, Großeltern, Onkel usw. – verbrochen haben? Nichts. Was also sollen sie sich verzeihen? Wichtig wäre, daß die Deutschen begreifen: sie sind nicht schuldig, denn sie haben nichts verbrochen. Schuldig ist nur der, der was verbrochen hat, das Verbrechen nicht zu verhindern versuchte, wer gleichgültig war – was mir aufs Schnelle einfällt. Aber sie sind verantwortlich. Verantwortlich dafür, wie sie mit der Vergangenheit umgehen, inbegriffen was sie zulassen, daß die Politik damit umgeht und verantwortlich dafür. was sie tun, daß sich solches oder ähnliches nicht wiederholt. Egal, um welcher Menschengruppe es geht. Das ist nicht wenig, „nur“ ausreichend. Lassen Sie sich keine Schuldgefühle einreden, von wem auch immer. Sagt eine alte Jüdin (bald 90), die jene Zeiten dank den Zionisten samt Familie -in Ungarn, von wo ich komme- überlebte. — Ich konnte nicht früher antworten, mein Laptop war kaputt, ich mußte ihn in die Reparatur geben. Wegen Corona dauerte es lange, bis ich ihn zurückbekam. —
      lg
      caruso

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        Liebe Frau caruso, es stellt sich überdies die Frage, was so ein Schuldgefühl überhaupt wert ist. Wenn es doch eher dazu verführt, sich mehr mit dem Schuldgefühl und abstrusen Thesen zu beschäftigen, statt – wie Sie ja treffend schreiben – Verantwortung zu übernehmen. Z.B. für die Deutung der Vergangenheit. Und das, was an Verhaltensweisen vielleicht durchaus auch noch heute ‚in uns’ ist, was damals die Katastrophe mitverursacht hat. Ich lese seit längerem alle Beiträge von Ihnen hier, die mir meist in ihrer Klarheit sofort einleuchten.

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    „Dr. James Lindsay in his talk, “The Truth About Critical Methods,” makes very clear that Critical Social Justice is not the same thing as social justice. He argues that the branding of social justice, which is how Critical Social Justice promotes itself, misleads people about the nature of that movement.“
    https://www.youtube.com/watch?v=rSHL-rSMIro

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    Leute wie Roger Hallam,PoCo und immer mehr weisse Gutmenschewn sind Opfer der „critical theory“ sei es Critical Race theory, critical refugee studies etc.
    Eines der vielen Probleme der linken Akademie ist, das jeder Pup Instrumentalisiert bzw. weaponized wird. Sogar Mathematik ist „rassistisch“.
    Ich denke letztendlich geht es hier um den Umsturz des westlichen Systems. Dies wird dann in akademische Fremdwörter verpackt damit es nicht so arg marxistisch klingt. Wenn man sich die Charta der BLM anschaut so geht es hier nicht nur im PoC sondern um einen Paradigmenwechsel . Die Ko-Gründer von BLM sind Marxisten, wie die Black Panther auch. Dazu dieses Video https://www.youtube.com/watch?v=8J68p5l-gjQ
    Egal ob Klima, Migration, BLM, Israel etc es werden emotionale Themen, welche die „Wissenschaft“ weaponized hat, dem Bürgerskindern mundgerecht gereicht, damit diese dann anfangen Häuser nieder zu brennen. BLM ist auch pro BDS https://www.ngo-monitor.org/adalah-calls-for-bds-in-black-lives-matter-platform/

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    „… mit beispielloser Brutalität den Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika und den Herero-Aufstand in Deutsch-Südwest niederschlug …“

    Nach einigen Blicken in die Geschichte könnte man dankbar sein, wären diese – und nur diese – Taten Ausdruck „beispielloser“ Brutaltität gewesen. Leider lässt die Weltgeschichte diesen Ausweg nicht zu, es gibt zu viele Beispiele beispielloser Brutalität, um das „beispiellos“ noch unschuldig benutzen zu können. Angefangen bei den alten Asyyrern (noch ältere Beispiele hat nur das Fehlen der Schrift gnädig veschluckt) bis hin zu den osmanischen Galeerensklaven war Brutalität den Besiegtn, den schwächeren Aufmüpfigen, den unterlegenen Rebellischen nicht etwa eine Ausnahme, sondern der Goldstandard der Geschichte.

    Was gleichzeitig die Kernbehauptung der Postkolonialisten – der Kolonialismus sei etwas irgendwie neues, einzigartiges und einzigartiges Grausames gewesen – umso lächerlicher und absurder macht. Als hätte es die gesamte bekannte Geschichte erfolgreicher Eroberungen, erfolgloser Aufstände, von Unterdrückung, Sklaverei und massenhaftem Tod nicht schon vorher gegeben.

    Wer das will, kann an der Menschheitsgeschichte und – ja – dem Menschen selber verzweifeln. Dafür brauchts keine postkolonialen Studien, herkömmliche Geschichtsbücher tuns auch …

    Gruss,
    Thorsten Haupts

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      Könnten Sie diese steile These belegen: „die Kernbehauptung der Postkolonialisten – der Kolonialismus sei etwas irgendwie neues, einzigartiges und einzigartiges Grausames gewesen“ Da hier die Rede von „den Postkolonialisten“ ist, wären natürlich mehrere Zitate herausragender Vertreter des Postkolonialismus schön.

      Ich frage danach, weil ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen kann – es ist eine untergeschobene These. Man kann nicht einerseits kritisieren, dass „der Postkolonialismus“ in Gestalt von Herrn Mbembe den Holocaust als Vergleich nimmt und andererseits, dass er das Verbrechen, um das es ihm eigentlich geht, den Kolonialismus, als ein „irgendwie neues, einzigartiges und einzigartiges Grausames“ ansehen würde.

      Theoretisch kann nur eines von beiden zutreffen, und man sollte sich entscheiden, welchen Vorwurf man denn nun erheben will (aber ich fürchte sogar, beides ist falsch).

      Dem Postkolonialismus geht es um die Erforschung des Kolonialismus und insb. um die kolonialen Verbrechen. Was ist falsch daran? Und warum sollte das überflüssig oder sinnlos sein?

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        Wenn man den wikipedia-Artikel nimmt, scheint der Postkolonialismus tatsächlich viel grundsätzlichere und anspruchsvollere, ja geradezu philosophische Ziele zu verfolgen. Schade eigentlich. Wieso wird sich nicht – wenigstens erstmal – auf die Aufarbeitung, Darstellung und Bewusstmachung der Ausplünderungen, Versklavungen und (bei Gegenwehr) Genozide beschränkt. Wenn man immer gleich das falsche Denken korrigieren will, erweist man seiner Aufgabe einen Bärendienst und ermöglicht es den Kritikern, alle echten, alle falsch formulierten und alle scheinbaren Probleme, die der Kolonialismus erzeugt hat, in einen Topf zu werfen und abzulehnen.

      2. avatar

        Na ja.

        „This entry uses the term colonialism to describe the process of European settlement and political control over the rest of the world, including the Americas, Australia, and parts of Africa and Asia.“
        https://plato.stanford.edu/entries/colonialism/

        Und das obwohl die Enzyklopädie selber konstatiert:
        „Colonialism is not a modern phenomenon. World history is full of examples of one society gradually expanding by incorporating adjacent territory and settling its people on newly conquered territory.“

        Begründung für die Beschränkung auf Europa?
        „Nevertheless, in the sixteenth century, colonialism changed decisively because of technological developments in navigation that began to connect more remote parts of the world.“

        Und das ist einfach – sorry – Bullshit. Mord ändert nicht fundamental seinen Character, wenn er mit einer Pistole anstelle einer Armbrust begangen wird. Und europäischer Kolonialismus wird nicht anders als osmanischer oder mongolischer, nur weil Navigation und Waffentechnik seine Reichweite erhöhen.

        „Dem Postkolonialismus geht es um die Erforschung des Kolonialismus …“

        Im grossen und ganzen eben nicht, ansonsten wäre die Konzentration auf den europäischen Kolonialismus völlig unverständlich, wenn man auf eine Myriade vor-europäischer Beispiele zugreifen kann, es aber nicht tut. Mein nicht völlig ungehässiger Eindruck ist, dass postkoloniale Studien im Kern den Zweck erfüllen, einen Minderwertiskeitskompley abzuschütteln, nicht unähnlich der nationalistischen Geschichtsschreibung in Deutschland nach der erstmaligen Grpndung eines deutschen Nationalstaates 1871.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

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    APo: ‚Wie es im Bonmot heißt: Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen.‘

    … die Deutschen haben den Volkstrauertag. Gedacht wird der Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen.

    So sei es.

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    Lieber Alan Posener,

    mit der Relativierung des Holocaust ist das so eine Sache.

    Auch wenn die Opfer der britischen und belgischen Kolonialherrschaft das vielleicht anders sehen, aber wenn Sie der Meinung sind, die Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes in Deutsch-Ostafrika und des Herero-Aufstandes in Deutsch-Südwest erfolgte „mit beispielloser Brutalität“, dann verstehe nicht nur ich das Wort „beispiellos“ im Sinne von „einmalig“.
    Und das bedeutet letztlich „singulär“ also leugnen Sie letztlich die Singularität des Holocaust.

    Und zum Einfluß des Holocaust auf die heutige Politik:
    Vor vielen Jahren hörte ich mal in einer Talkshow – an den Urheber kann ich mich nicht mehr erinnern – folgenden Satz:

    „Eigentlich regiert Hitler immer noch in Deutschland. Bei jedem Problem fragen sich die deutschen Politiker, was wohl Hitler in diesem Fall gemacht hätte, um dann das genaue Gegenteil zu machen.“

    Vielleicht etwas überspitzt, aber immer noch zutreffend.

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      Lieber Gerald Wissler, wie ich in meinem Essay schreibe, ist die „Singularität“ des Holocausts kein Dogma, zumal jede darunter versteht, was sie will. Und es dann zu solchen – entschuldigen Sie – bescheuerten Wortklaubereien wie bei Ihnen. So weit ich weiß, hat aber – um wieder sachlich zu werden – niemand behauptet, der Holocaust sei „einmalig brutal“ gewesen. In meinem Fall bezog sich die „beispiellose Brutalität“ auf die Geschichte des Kolonialismus. Das kann man diskutieren, vielleicht irre ich mich auch.
      Was das Bonmot betrifft, von wem auch immer es stammt, so halte ich es leider nicht für zutreffend.

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        Lieber Alan Posener,
        wenn ich Sie falsch verstanden haben sollte, tut mir das leid.
        Da es aber in Ihrem Essay sowohl um den Holocaust als auch um Kolonialverbrechen ging, habe ich in meiner Wahrnehmung ihres Textes auch nicht zwischen den beiden Bereichen differenziert.
        Allerdings war das Vorgehen der deutschen Kolonialtruppen alles andere als beispiellos, sondern entsprach eher dem, was bei allen Kolonialmächten üblich war.
        Beispiellos waren eher die Massenmorde der Briten in Indien oder der Amerikaner auf den Philipinen, von den Kongo-Greuel der Belgier ganz zu schweigen.

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        Lieber Alan Posener,

        hier finden Sie eine lange Liste der Aufstände gegen die britische Fremdherrschaft in Indien:

        https://de.wikipedia.org/wiki/Aufst%C3%A4nde_und_Revolten_gegen_die_britische_Herrschaft_in_Indien

        Jeder einzelne dieser Aufstände gegen die kolonialistische Fremdherrschaft wurde blutig niedergeschlagen. In diesem relativ jungen Artikel erfahren Sie etwas über den Umgang der Briten mit ihrer Kolonialvergangenheit:

        https://www.dw.com/de/indien-wartet-auf-entschuldigung-der-briten/a-48314557

        Für das in diesem Artikel geschilderte Massaker 1919 räumen die Briten selbst 379 Opfer ein. Das direkt anschließende, aber nicht so bekannte Massaker von Peschawar hat laut Wikipedia sogar 4-5000 Opfer gekostet, Dabei hat die Royal Airforce sogar die nur von Zivilisten bevölkerten Basare bombardiert.
        All dies geschah zwischen den beiden Weltkriegen, in denen die Briten doch angeblich Freiheit und Demokratie verteidigt hatten.
        Am traumatischsten für die Unterdrückten dürfte allerdings der Aufstand von 1857 sein, der sogenannte Sepoy-Aufstand. Hier ist die Quellenlage allerdings ziemlich dürftig, insbesondere was neutrale Quellen betrifft. Vielleicht stimmen ja die indischen Angaben von Millionen von Opfern, zumindest gab es von britischer Seite nie offizielle Zahlen.
        Gesichert ist jedoch, daß dieser Aufstand „mit beispielloser Brutalität“ niedergeschlagen wurde, die Briten haben ja noch nicht einmal ein Geheimnis aus ihrer Grausamkeit gemacht.
        Und zumindest die Mordmethode, Menschen vor Kanonen zu binden um diese dann abzuschießen, dürften die Briten in der gesamten Weltgeschichte exklusiv haben.

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        Sie bringen da einiges durcheinander. Die Brutalität und Unfähigkeit der Britischen Ost-Indien-Kompagnie wird von niemandem bestritten. Das war noch Globalisierung auf privatkapitalistischer Grundlage, und wer den Imperialismus (den ich verteidige) verurteilt, sollte sich fragen, was passiert wäre, wenn man weiterhin sozusagen à la Ayn Rand vorgegangen wäre. Der Imperialismus, jedenfalls in seiner britischen Variante, war sozusagen die Regulierung der Globalisierung. Die Liste selbst zeigt deutlich, dass dies eine Reduzierung der Brutalität zur Folge hatte.

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        Was den Imperialismus betrifft, bin ich sogar bei Ihnen.
        Man muß sich nur mal Afrika ansehen, man wird Mühe haben, Länder zu finden, die sich nach dem Abzug der Kolonialmächte zu einem besseren Ort für die dort lebenden Menschen entwickelt haben. Ich fürchte allerdings, so eine Meinungsäußerung wird heutzutage als politisch nicht korrekt oder gar als Rassismus gar nicht erst diskutiert.
        Bei der Bewertung der britischen Variante des Imperialismus sind wir uns nicht so einig.
        Ich glaube nicht, daß man wirklich einen Unterschied machen kann zwischen der direkten Machtausübung durch den britischen Staat oder durch eine zwischengeschaltete britischen Privatfirma unter Kontrolle des britischen Staates. Heutzutage kennt man solche Konstruktionen unter dem Begriff PPP (Public Private Partnership), und natürlich ist letztlich der Staat dafür verantwortlich, was dort unter seiner Regie geschiet.

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        Lieber Gerald Wissler, der „Kolonialismus“ war nun einmal die Form, unter der sich die Globalisierung vollzog. Das Wesentliche dazu haben Karl Marx und Friedrich Engels im „Kommunistischen Manifest“ gesagt. einem Dokument, das nach „postkolonialem“ Verständnis zutiefst rassistisch ist. Und wie sich die Industrialiserung und die so genannte „ursprüngliche Akkumulation“ in den westeuropäischen Ländern und den USA zunächst völlig unreguliert abspielte, Stichwort „Manchesterkapitalismus“, so wurde die Ausbeutung der Länder Asiens und Afrikas – in Südamerika lag die Sache ein wenig anders – im Wesentlichen Privatzusammenschlüssen von Abenteuerern und Kapitalgebern überlassen. Das Ergebnis war – ob in Indien oder im Kongo – so wenig erträglich wie die Situation in den heimischen Bergwerken und Fabriken, und Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte die staatliche Regulierung, die schließlich in den Imperialismus mündete. Ich bin zutiefst überzeugt, dass unter den imperialistischen Mächten die Briten die humansten waren. Das schließt Inhumanität in Einzelfällen nicht aus und rechtfertigt auch weder Rassismus noch paternalistische Herablassung. Dennoch muss der Imperialismus aus seiner Zeit heraus beurteilt werden, nicht nach heutigen Empfindlichkeiten.

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        „Und zumindest die Mordmethode, Menschen vor Kanonen zu binden um diese dann abzuschießen, dürften die Briten in der gesamten Weltgeschichte exklusiv haben.“

        Wenn das Thema das hergäbe, hörten Sie jetzt ein lautes „Bruhahahaha“. Als die Briten damit anfingen, waren ihre Vorläufer bereits viele Jahrhunderte lang Staub der Geschichte …

        Aber das ist kaum Ihre Schuld. Wenn ich mich an die Harmlosigkeit der schulischen Geschichtsbücher noch in der Oberstufe erinnere …

        Gruss,
        Thorsten Haupts

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    Merkwürdigerweise wird ja der Umstand, dass Deutschland sich für den Klimaschutz einsetzt, ebenfalls erklärt mit dem Holocaust. Also nicht nur wie bei Hallam, dass Deutschland zu wenig für das Klima tut, sondern auch, dass es zu viel für das Klima tut. (Beispiele dafür schenke ich mir, die gibts aber auch hier auf dem Blog.) Daraus kann man nur die Folgerung ziehen, dass, was immer gerade Deutshcland tut oder unterlässt, es immer als ein Spätschaden des Holocaust erklärt wird. Und eine ermüdendere und wirkungsvollere Relativierung als dieses permanente Mit-dem-Holocaust-Erklären kann ich mir kaum vorstellen.

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      …das haben Sie oben auch schon selber geschrieben („Klimaschutzweltmeister“) – das hatte ich überlesen, sorry.

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      …wohingegen jene Äußerung des „just another fuckery“ mir nicht besonders problematisch erscheint. Auch der „biggest fuckery of the world“ wäre „just another fuckery“. Die Nazis waren keine Aliens, sondern Menschen, deren Boshaftigkeit uns oft näher ist als wir uns weismachen möchten. Es schadet nicht, darauf gelegentlich hinzuweisen.

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    Klasse zusammengefasst. Nur dem Punkt Fischer würde ich einen anderen Spinn geben. Fischer (eigentlich ganz Rotgrün) hat Auschwitz nicht nur instrumentalisiert, sondern hat ihm auch einiges an Gewicht genommen. Dadurch, dass Auschwitz jetzt überall sein kann, ein Hitler überall Appeasement fordert und Holocaust im kleinsten Dorfe ist, wurde die Schuld demokratisiert, d.h. nicht das deutsche Abendland hat den Holocaust hervorgebracht, es kann, fast schon aus Versehen, jeden treffen. Schiitische Perser, katholische Polen, orthodoxe Serben – united colors of Auschwitz. Damit konnte die Normalisierung Deutschlands als Land wie jedes andere eingeleitet werden und das Mündete vielleicht sogar in der merkwürdigen Auffassung, Deutschland als mit Abstand größtes und mächtigste Land der EU hätte die gleiche Verantwortung wie Luxemburg oder Uruguay, was im Ergebnis die Idee einer EU als Imperium unmöglich gemacht hat. Wenn der Kern eines Imperiums glaubt, nicht anders als die Slowakei zu sein, entfällt das Bewusstsein von Zentrum und Peripherie. Nur weil Deutschland so groß war (und nach wie vor ist) konnte der Mord an der Juden Europas ermöglicht werden, was Serbien oder Luxemburg, bei allem guten Willen, niemals geschafft hätten. Den Umkehrschluss, dass auch nur Deutschland die Mittel hat, Europa zu etwas Großem zu machen, hat man so nicht gemacht. Fischer (nur stellvertretend genannt) hat den Holocaust erfolgreich banalisiert und Deutschland, wenn nicht vom Judenknax, so zumindest vom Trauma der Einzigartigkeit als Täter des Holocaust geheilt. So gesehen ist Ausschwitz wirklich der Gründungsmythos eines neuen Deutschlands, eines Deutschlands, das weder seiner Größe, seiner Macht, seiner Möglichkeiten noch seiner Verantwortung gerecht wird. Und es funktioniert so nicht, was wir an der EU ja sehen. Solange man nutzlose Militär-Kontingente um die Welt schickt, hat Deutschland ja die richtigen Lehren gezogen und dafür braucht es keine 2% BIP. Logisch. Fischer hat die Aussage, der Holocaust sei nur eine der üblichen Fuckerys, aufgenommen und hat ihn nur anders durchdekliniert und hat damit Auschwitz erfolgreich zu einer popkulturellen Chiffre gemacht. Kollegahs (ich glaube es war in einem seiner Lieder) definierte KZ-Körper waren nicht nur ordinärer Antisemitismus, sondern sie gaben auch wieder, wo das Gedenken heute jenseits von Festtagsreden in Wirklichkeit ist. Fischer war die Lösung für Walsers Dilemma. Walser wollte die Verantwortung nicht verleugnen, sie aber auch nicht tragen, also hat Fischer sie, mit ergriffener Miene, auf viele Schultern verteilt. Der Antisemitismus quilt den rechten Polen aus jeder Pore, aber sie reden nicht nur dummes Zeug. Die haben den Trick mit der Demokratisierung des Holocaust erkannt.

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      Lieber Stevanovic, das ist sehr geistreich argumentiert, und Sie haben vielleicht Recht. Vielleicht aber nicht ganz. Also, wo Sie unbedingt Recht haben: Der Holocaust war auch ein imperiales Verbrechen, also nicht gleichzusetzen mit kleinen serbischen Fuckerys an der Peripherie des Kontinents. Auch deshalb übrigens wäre die AfD, selbst wenn sie sich radikaler geben würde, als sie es heute tut, nicht mit der NSDAP gleichzusetzen, wie es die Antifa tut. Die Zeiten, da Deutschland die Welt herausfordern konnte, sind endgültig vorbei.
      Fischers Auschwitz-Instrumentalisierung könnte man aber auch anders interpretieren als Sie, nämlich als Herausforderung an die führende europäische Macht, entsprechend ihrer großen – moralischen und machtpolitischen – Verantwortung zu handeln. Einer Verantwortung, der seine Nachfolger nur selten gerecht wurden.

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        Ich muss mich an einer Stelle korrigieren. Es war kein Trick, im Sinne einer Absicht. Was Fischer wollte, war etwas ganz anderes, das bestreite ich nicht. Persönlich bin ich der Meinung, dass er das Richtige im Blick hatte. Aber welches politische Vermächtnis ist denn übriggeblieben? Fischer hat den Diskurs geprägt, aber der Diskurs nicht das wirkliche Leben. Und das hatte Folgen, mit denen wir heute leben.

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        Lieber Herr Posener, der damalige Verteidigungsminister Scharping hatte glatt gelogen. Es gab nie ein KZ mit zehntausenden Insassen im Stadion Pristina. Es gab nie einen Hufeisen-Plan und nichts ähnlich einer Wannsee-Konferenz. Tatsächlich gab es im ganzen Kosovo-Konflikt, dh auch den Krieg vor dem NATO-Eingreifen mit eingerechnet, in zwei Jahren etwas über 10.000 albanische und etwas über 2000 serbische Tote (Wikipedia). Ja, ein Berg kalter Körper, Opfer des serbischen Nationalismus. Es war sinnvoll, dies zu beenden, „nie wieder Faschismus“ hatte es ganz gut getroffen. Nur war das mit dem Faschismus nicht gut genug, es musste ja die Champions Leage der Betroffenheit sein. Wenn heute von Lügenpresse gesprochen wird, Verschwörungstheorien plausibel gemacht werden sollen und die Systempresse angeprangert wird, höre ich ständig die Lügen des Jugoslawienkriegs. Bei der Rechten ist Serbien als Propagandaopfer rehabilitiert, bei der Linken hat eine Reflektion des serbischen Faschismus nie stattgefunden und das wird es auch nicht mehr. Das spiegelt sich bis zu den Nationalisten des Balkans zurück, die haben auch Internet. Das ist das Vermächtnis von Fischers gut gemeinter Tat, Rechtssicherheit und Prosperität, die mission civilisatrice, gehören nach wie vor nicht dazu. Die US hatten eine Entscheidung getroffen, das ganze wäre ohne Auschwitz nicht anders verlaufen. Waren die Lügen die 4 Tornado-Flieger wirklich wert?
        Treppenwitz der Geschichte: Die Tornados sollten Aufklärung betreiben, nur, als sie über dem Stadion in Pristina waren, haben sie vergessen zu filmen.

        Nachtrag: Ich schreibe über Fischer, weil auch gut gemeinter Unsinn zur Wirkung des Holocaust eben bleibt, was es ist – Unsinn. Sie haben Recht, der Holocaust, oder besser die Erinnerung, hindert die Deutschen nicht daran, selbstbewusste Kämpfer für eine gute Sache zu sein. Sie macht sie aber auch nicht zu dazu. Sekundärer Philosemitismus (dummer Begriff, gerade erfunden, ich hoffe sie verstehen im Zusammenhang) funktioniert nicht. Ich lese Sie seit Jahren und Sie waren mit Ihrer Position immer offen. Fischer/Scharping nicht. Und dafür zahlt unsere Demokratie noch heute. Und wenn ich die Kommentare unter Ihren Artikeln lese, Sie auch.

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        Vielleicht haben Sie Recht, lieber Stevanovic. Ich war in Sarajevo und in Srebrenica, und es kann sein, dass die USA, die Nato und speziell die Bundesrepublik beim Kosovo überkompensiert haben. Ich muss mich kundig machen.
        Kleine Anekdote: Vor ein paar Jahren war ich Gast des Herrn Thaci in Pristina. Er wollte, dass ich seine Biographie schreibe. Unsinn natürlich, da ich keine der Sprachen der Region beherrsche. Was aber den Ausschlag gab, dass ich ihm absagte, war ein Spaziergang in der Altstadt. Eine junge Frau lächelte mich an, wir kamen in einem Café ins Gespräch. Als ich sie nach Ihrer Meinung zu Thaci fragte, blickte sie sich ängstlich um und sagte, im Café könne sie darüber nicht reden. Da war mir schon klar, was das für einer ist, so urban er sich beim Gespräch auch gab.

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        https://www.welt.de/kultur/plus210485343/Jugoslawienkrieg-Die-Urkatastrophe-des-21-Jahrhunderts.html?cid=onsite.onsitesearch

        Ja, ich habe den Artikel gelesen. Beim letzten Absatz wurde es spannend, da verließ den Autor aber der Mut oder er wollte nicht zu Ende denken, ist auch nicht wichtig.

        „Die Fotos, die Scharping auf zwei Pressekonferenzen als „Beweis“ für eine „humanitäre Katastrophe“ in die Kameras hielt, erwiesen sich schnell als arrangiert. Zwar war der Auftritt noch weit entfernt von der Multimediashow, mit der US-Außenminister Colin Powell vier Jahre später vor dem UN-Sicherheitsrat den Krieg gegen den Irak rechtfertigte. Doch die fehlende Sorgfalt, mit der hier gearbeitet wurde, stand doch in krassem Gegensatz zum hohen moralischen Standpunkt der Bundesregierung und der Nato-Partner.“
        – fehlende Sorgfalt? Das glaube ich beim besten Willen nicht und noch schlimmer, der Rest der Welt auch nicht.

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        „… höre ich ständig die Lügen des Jugoslawienkriegs. …“

        Tja, kann ich als alter Soldat da nur sagen, Fluch des Pazifismus als Staatsraison in genau dem Moment, wo man ein berechtigtes militärisches Eingreifen öffentlich rechtfertigen will. Dann geht´s eben nur mit der Champions League.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

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        Es gibt da eine aus der Verzweiflung geborene Geschichte, die so die Runde macht. Trump hat nicht nur für den Nahen Osten ein Ehrlich machen vorgeschlagen, sondern auch für den Balkan, d.h. den Gebietstausch zwischen Albanern und Serben und der Vereinigung serbischer Gebiete, vielleicht mit Abtretung der muslimischen Gebiete in Sandzak an einen muslimischen Staat. Nichts Genaues weiß man nicht. Vucics Stabilokratie wird von den USA akzeptiert, weil er jetzt ein Mandat hätte, so einer Variante zuzustimmen. Thaci weiß, dass er ohne eine Einigung mit Serbien, nie als vollkommener Staatsgründer in die Geschichtsbücher eingehen wird. Die EU blockiert diese Variante, weil es Eingeständnis von 20 Jahren Unfähigkeit wäre und sie beträchtlich an Einfluss verlieren würde. Deswegen wird Thaci nach 20Jahre Gehätschel fallengelassen und doch in Den Haag angeklagt. Ich weiß die genaue Zahl nicht (Google), aber es könnte schon fast eine Fußballmannschaft an Zeugen gegen ihn zusammenkommen, die unter dem „Schutz“ Deutschlands und der EU in den vergangenen Jahren einen unerwarteten Tod fanden. Wie dem am Ende auch sei, auf die EU als Ordnungsmacht setzt kaum jemand, Macron war mit seinem no hat den Elefanten im Raum angesprochen. Jetzt werden andere Lösungen gesucht und auch gehofft.
        Ich bin weit vom Thema abgedrifftet. Ich wollte eigentlich zeigen, dass „nie wieder Auschwitz“ eine prima Parolle im medialen Diskurs ist und in den Gängen der Elfenbeintürme schön hallt. Am Ende des Tages geht es aber nicht um das Verhindern von schlimmen Sachen, sondern um das bauen neuer und da ist das Motiv, Politik wegen Auschwitz zu machen, schlicht zu dünn.

    2. avatar

      Ich kann bei Fischer keine Holocaust-Banalisierung erkennen. Den Kampf gegen den Klimawandel mit dem Holocaust in Verbindung zu bringen, ist so eine Banalisierung. Aber der Kampf gegen einen Genozid nicht. Wie wenn ein Feuerwehrmann seinen Kampf gegen die Zerstörungskraft des Feuers mit der Begegnung mit einer Feuersbrunst erklärt. Da würde man auch nicht auf die Idee kommen zu sagen, das alltägliche Feuerlöschen banalisiere die große Feuersbrunst von damals.

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    Hallo Herr Posener,

    oder vergleichen Sie doch mal Ihre Vision von der „Weltmacht Europa“ mit der Afrika-*topie von Herrn Sarr:

    https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/afrotopia.html

    Bei mir in der Familie, die nur im Entferntesten mit Kolonialismus zu tun hatte (in meiner Elterngeneration gab es „Entwicklungshelfer“ in den 1960ern), gibt es auch ein paar „indianische Kulturgegenstände“, die ein Verwandter in Südamerika damals gegen Handtücher etc. „getauscht“ hat. Wie sieht es da bei Ihnen in der Familie aus? Gibt es da auch so etwas?

    Ihr 68er

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      Lieber 68er, bekanntlich bin ich für eine „Weltmacht Europa“, weil ich es lieber sehe, wenn unsere Werte die Welt dominieren als jene Chinas und Russlands. Sie mögen es anders sehen.
      Was meine Familie angeht: Hier habe ich auch (vor 18 Jahren) über die Souvenirs gesprochen, die ehemalige Kolonialbeamte mit in die fremde Heimat nahmen, vielleicht beantwortet das Ihre Frage:
      https://www.welt.de/print-welt/article399817/Auch-ich-war-in-den-Kolonien.html

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    Hallo Herr Posener,

    ist es wirklich so, dass „korrupte und unfähige einheimische Eliten und ihre postkolonialen Apologeten bemüht sind, alle Übel der Gegenwart als Nachwirkungen des Kolonialismus zu erklären und Reform zuhause durch moralische Erpressung der angeblich auf ihre Kosten reich gewordenen Europäer zu ersetzen“?

    Ich weiß nicht.

    Was halten Sie denn hiervon?

    https://news.artnet.com/market/two-sacred-sculptures-nigeria-sold-christies-christies-paris-despite-claims-objects-looted-war-1890772

    Ist das „moralische Erpressung“ als Ersatz für mangelnde „Reform zuhause“?

    Ich würde mal die Theorie aufstellen wollen, dass da ein Auktionshaus ohne jede Scham sich am Handel von Raubkunst bereichert. Aber mit „Stil“ und jahrhundertelanger Expertise.

    https://www.christies.com/departments/African-and-Oceanic-Art-57-1.aspx

    https://www.christies.com/departments/Pre-Columbian-Art-91-1.aspx

    Sie haben hier doch massig „Platz“ auf den Seiten und könnten die etwas homogen anmutenden Themen der letzen Monate ja ein wenig „heterogenisieren“ und Frau Bénédicte Savoy, die ja an der TU bei Ihnen in Berlin eine Professur innehat, um einen Gastbeitrag bitten.

    https://www.kuk.tu-berlin.de/menue/team/professuren/prof_dr_benedicte_savoy/

    Ich glaube, ich bestelle mir mal dieses Buch:

    https://www.amazon.de/Zur%C3%BCckgeben-Restitution-afrikanischer-Kulturg%C3%BCter-punctum/dp/3957577632/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&dchild=1&keywords=zur%C3%BCckgeben&qid=1593551657&sr=8-1

    Beste Grüße

    Ihr 68er

    1. avatar

      Lieber 68er, es ist so, wie ich es sage.
      Glauben Sie mir aber keinesfalls. Schauen Sie lieber auf den Korruptionsindex von Transparency International:
      https://www.transparency.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/2019/CPI-Flyer_2018_WEB.pdf

      Das bedeutet nicht, dass ich nachträglich den Raub von Kult-, Kultur- und Kunstgegenständen rechtfertige. Sie mögen es mir als Rassismus auslegen, aber ich habe mich bislang nicht ausreichend mit dem Gegenstand beschäftigt. Ich bleibe also hinsichtlich der Rückgabe agnostisch. Ich sollte sicher auch das Buch von Frau Savoy lesen. Danke für die Links und Hinweise.

    2. avatar

      Und ganz kurz, 68er, und ohne dass es apologetisch gemeint ist: Den Kunstraub haben die Europäer nicht erfunden:

      Belsatzar

      Die Mitternacht zog näher schon;
      In stummer Ruh lag Babylon.

      Nur oben, in des Königs Schloß,
      Da flackert’s, da lärmt des Königs Troß,

      Dort oben, in dem Königssaal,
      Belsatzar hielt sein Königsmahl.

      Die Knechte saßen in schimmernden Reih’n,
      Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.

      Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht’;
      So klang es dem störrigen Könige recht.

      Des Königs Wangen leuchten Glut;
      Im Wein erwuchs ihm kecker Muth.

      Und blindlings reißt der Muth ihn fort;
      Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.

      Und er brüstet sich frech, und lästert wild;
      Der Knechtenschaar ihm Beifall brüllt.

      Der König rief mit stolzem Blick;
      Der Diener eilt und kehrt zurück.

      Er trug viel gülden Geräth auf dem Haupt;
      Das war aus dem Tempel Jehovas geraubt.

      Und der König ergriff mit frevler Hand
      Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand’.

      Und er leert ihn hastig bis auf den Grund,
      Und rufet laut mit schäumendem Mund:

      Jehovah! dir künd’ ich auf ewig Hohn, –
      Ich bin der König von Babylon!

      Doch kaum das grause Wort verklang,
      Dem König ward’s heimlich im Busen bang.

      Das gellende Lachen verstummte zumal;
      Es wurde leichenstill im Saal.

      Und sieh! und sieh! an weißer Wand
      Da kam’s hervor wie Menschenhand;

      Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
      Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.

      Der König stieren Blicks da saß,
      Mit schlotternden Knien und todtenblaß.

      Die Knechtenschaar saß kalt durchgraut,
      Und saß gar still, gab keinen Laut.

      Die Magier kamen, doch keiner verstand
      Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.

      Belsatzar ward aber in selbiger Nacht
      Von seinen Knechten umgebracht.

      Heinrich Heine

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        Hätte ich auch nie behauptet. Menschen sind Menschen, sie begehren nun mal zu häufig des Anderen Hab und gut, vor allem, wenn es schön und/oder anders ist. Teilweise scheint das paradox, aber auf den zweiten Blick macht es auch Sinn. Durch den Diebstahl erringt man die Macht über das Fremde und nimmt ihm so etwas von seinem „Bedrohlichen“. Und diese Macht beinhaltet selbstverständlich auch eine Deutungsmacht.

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        D’accord. Und wenn man Ihren Gedanken zu Ende denkt, bedeutet die Forderung nach Rückgabe von Kunstwerken eben auch einen Kampf um die Deutungsmacht. Wie ich ja geschrieben habe.

    3. avatar

      Die Rückabwicklung der Geschichte ist die Büchse der Pandora, deren öffnen nur so lange einleuchtend klingt, so lange nur Westeuropäer und ihre ehemaligen Kolonien beteiligt sind. Das wird nicht so bleiben. Es wird schwer zu vermitteln sein, warum die einen Wiedergutmachung erhalten und die anderen nicht. Manche Fässer sollte man geschlossen lassen. Die Galle darin werden wir nicht überstehen. Um des lieben Friedens willen und der ist es durchaus Wert.

      1. avatar

        @Stevanovic – „Manche Fässer sollte man geschlossen lassen.“ Ich glaube, Sie haben recht. — Abgesehen davon,
        den Holocaust werden die Deutschen den Juden „nie“ verzeihen. Das könnten sie nur, wenn es tatsächlich gelungen wäre (oder – vielleicht – überhaupt nicht). So aber wird jeder Jude den sie sehen, an ihre Missetaten erinnern. Wir kann man unter solchen Umständen „verzeihen“? Umgekehrt geht es eher, wie ich es immer wieder höre /lese.
        Komisch. Oder?
        lg
        caruso

      2. avatar

        Caruso; ‚… den Holocaust werden die Deutschen den Juden “nie” verzeihen …‘

        … werte Caruso, das sind, zu welchem Zweck und von wem auch immer, sinn frei behauptete Projektionen. Faktisch nix anderes, als die Holocaustleugnung selber.

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