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Eine Replik zu Alan Poseners Essay „Wann wird man den Juden Auschwitz verzeihen?“

Ein Gastbeitrag von Bruno Heidlberger

In seinem Gastbeitrag setzt sich Bruno Heidlberger mit Alan Poseners These: „die Kritik am deutschen ‚Judenknax‘ gehört spätestens seit der Studentenbewegung auch zum Arsenal linker Rhetorik“, auseinander.

Lieber Alan Posener,

wenn ich Sie richtig verstanden habe versuchen Sie in Ihrem auf diesem Blog erschienenen Essay „Wann wird man den Juden Auschwitz verzeihen?“ aufzuzeigen, dass es nicht allein rechte, sondern auch linke Varianten der Instrumentalisierung des Holocaust gibt, deren Ursprung Sie bei „den 68ern“ zu finden meinen. Sie nennen das „sekundären Antisemitismus“. Seine Instrumentalisierung, um die eigenen politischen Interessen zu befeuern, stelle ich aber vor allem auf der rechten Seite fest. Ihrem Wortspiel: „Rinks und lechts“ kann ich deshalb nur mit Einschränkung folgen.

Ihre Hypothese, dass „die Kritik am deutschen „Judenknax“ spätestens seit der Studentenbewegung auch zum Arsenal linker Rhetorik“ gehöre, gar ein Merkmal linker Politik sei, kann ich nicht teilen. Ich bezweifle nicht, dass Antisemitismus auch damals vereinzelt bei Leuten vorkam, die sich als links verstanden. Links ist das aber nicht. Ihre Diagnose trifft zu, wenn wir von Teilen der Partei Die Linke, als Nachfolgeorganisation der PDS, ehemals SED[i], die es damals ja noch nicht gab, absehen, auf linksextreme K-Gruppen oder die RAF, aber nicht verallgemeinernd auf die 68er-Bewegung. Linke, sozialdemokratische, liberale und konservative Politik schließt ihrem Wesen nach Antisemitismus aus. Für Rechte oder gar rechtsextreme Politik ist er wesensimmanent.

Maßstab von demokratischer und rechtsstaatlicher Politik sind die Ideen der Französischen Revolution: Liberté, égalité, fraternité. Sie sind Grundlage unserer Demokratie und mit Rassismus und Antisemitismus unvereinbar. Wer unsere liberale, offene und pluralistische Gesellschaft abschaffen will ist entweder ein Links- oder ein Rechtsextremist. Gaulands Selbstbeschreibung als bürgerlich konservativ und der AfD als „Partei des Grundgesetzes“ oder der konservativen Mitte, die als völkisch-nationalistische Partei ihren Hass auf die Gleichheit zelebriert, würden Sie sicher widersprechen.

Ist Roger Hallam ein Antisemit und ein Linker?

Ja, Hallam benutzt eine Rhetorik, die bisher aus dem Arsenal von rechts kam. Aber wieso orten Sie Roger Hallam links ein, obgleich Sie die Kritik von links an seiner Person ausführlich darstellen? XR Deutschland, FFF und Robert Habeck, die alle zu Recht nichts mit dem Demokratieverächter und Holocaust-Relativierer zu tun haben wollen, mit jemanden, der auch Leute, die „ein bisschen sexistisch oder rassistisch“ denken, „bei uns mitmachen“ lassen will. „Seine Aussagen widersprechen diametral den gewaltfreien Prinzipien von XR“, sagte Tino Pfaff, Pressesprecher von XR Deutschland. Hallam erinnert eher an den sogenannten „linken“ querfrontfähigen nationalistischen Populismus eines Jean-Luc Mélenchon oder an Jeremy Corbyn, die es mit dem Antisemiten, Sexisten und Rassisten in ihren eigenen Reihen auch nicht so eng sehen, Hauptsache Front „gegen die da oben.“ Links ist das auch nicht. Eher antiliberal und antidemokratisch. Es ist ein Etikettenschwindel a la Gauland. Anders als Sie, ordnet Armin Laschet (CDU) Hallam rechts ein: „Warum dieses antisemitische und rechtsradikale Framing, wenn es doch angeblich um Klimaschutz geht?“

Was hat Rudi Dutschke mit Dieter Kunzelmanns Antisemitismus zu tun?

In einem Atemzug mit Roger Hallam nennen Sie nun die 68-Studentenbewegung, Rudi Dutschke, die Rechte und Ulrike Meinhof. „Dutschkes Freund Dieter Kunzelmann“, notieren Sie, habe dann „die Sache“, das mit dem „Judenknax“  – also die Instrumentalisierung des Holocaust – „auf die Spitze“ getrieben. Kunzelmann war Antisemit, wie Tilman Fichter bestätigt. Dutschke hat das weder gesagt, noch hat er den Holocaust instrumentalisiert, noch war er Antisemit. Mir ist auch nicht bekannt, dass Dutschke irgendwann erklärt hätte, die Beschäftigung mit diesem „Trauma“ sei für die Bewegung – und ihre „gute Sache“ – schädlich. Das wäre, wie Sie formulieren, „ein Beispiel für sekundären Antisemitismus.“

In einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen 2008 sprach Christian Semmler (KPD/AO) in Verbindung mit dem Sechstagekrieg 1967 von einem „antiisraelischen Schwenk“ der Bewegung. Er wies jedoch auf zweierlei hin: „Es gab immer innerhalb der radikalen Linken Teile, die diesen einseitigen Kurs kritisierten. Herbert Marcuse, der ja großen Einfluss hatte, war in dieser Frage keineswegs auf diesem Kurs. Auch Rudi Dutschke nicht. Aber generell muss man sagen, dass es nach 1967 diesen Schwenk gab.“ Und weiter: „Ich glaube nicht, dass die damalige Form des Antizionismus, die damalige wohlgemerkt, Spuren des Antisemitismus in sich trug. Das hat sich später geändert.“ Damit meinte er die K-Gruppen, vor allem die RAF.

Was hat die Studentenbewegung mit dem Antisemitismus von Kunzelmann zu tun?

Wie die K-Gruppen oder die RAF war auch Kunzelmann weder Repräsentant noch Sprecher „der Studentenbewegung“. Kunzelmann war, wie Horst Mahler und einer Handvoll Gesinnungsgenossen, die nach rechts abdrifteten, in antisemitischer Hinsicht problematisch und nicht links. Auch waren „die 68er“ keine homogene Bewegung. Wenn man eine grobe kategoriale Unterteilung der Studentenbewegung vornehmen will, dann könnte man sagen: Es gab eine antiautoritäre und ein dogmatische autoritäre Richtung, aber auch Terrorismus. Dutschke gehörte zur ersteren. Durch Ihre Formulierung „Dutschkes Freund Dieter Kunzelmann“ unterstellen Sie Dutschke einen linken Antisemitismus. Mit der „Schlacht am Tegeler Weg“ begann die Selbstliquidierung der antiautoritären Revolte. Es war das Ende des antiautoritären ’68. Die Bewegung begann zu zerfallen. K-Gruppen und der RAF schienen die Szene zu beherrschen.

Was ist an dem gegen die 68-Bewegung immer wieder vorgetragene Antisemitismusvorwurf dran?

Der insbesondere von Wolfgang Kraushaar vorgetragene Antisemitismusvorwurf trifft vor allem Dieter Kunzelmann, der sich als Teil der deutschen Linken verstand, diese aber nicht repräsentierte und durch den Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Berlin 1969 seine Meinungsführerschaft zurückzuerobern suchte, da er schon 1967 aus dem SDS herausgeworfen worden war. Wie seinem Tagebuch zu entnehmen ist, war Kunzelmann tief verzweifelt, weil die Köpfe der 68er nicht bereit waren, seine Kampagne zusammen mit der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) gegen die Juden zu unterstützen. Es war die erste Bombe der militanten linken Szene  – und „sie zielte auf Juden,“ wie Gretchen Dutschke bemerkt.[ii]

Seit seinem Buch über Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus (2005) will „Kraushaar mit aller Gewalt die Linke des Antisemitismus überführen“,[iii] kritisiert Willi Winkler in seinem Beitrag in der SZ mit der Überschrift: Wie man Geschichte konstruiert, indem man die Welt im Konjunktiv betrachtet. Die Täter von München wurden nie entdeckt. Wolfgang Kraushaar hätte, die „Münchner Tupamaros und Kommunarden als Antisemiten zu entlarven“ versucht und sie „nachträglich zur Hilfstruppe der Palästinenser“ erklärt. Kraushaar ziehe „ganz dicke Linien“. „Und wirklich“, so Winkler, „dürfte es wenige Bücher geben, in denen so viel zu sein ‚scheint‘ oder auch nur ‚offenbar‘ zu sein scheint, alles Mögliche ‚wahrscheinlich‘ ist oder ‚nicht auszuschließen‘“. Michael Wolffsohn sprach von „Kaffeesatzleserei“.

Dass sich die PLO eines marxistischen Vokabulars bediente, ließ sie als Teil des globalen antiimperialistischen Kampfes erscheinen. Daher rührt die Taubheit vieler Linker gegenüber der antisemitischen Tat 1969, für die nur eine Handvoll Militanter verantwortlich war. Diese Proportion, so Stefan Reinecke, gerate im „großformatigen Reden vom linken Antisemitismus aus dem Blick.“ „Die Gleichung „68 = Antizionismus = linker Antisemitismus“, die bei Kraushaar[iv] oder auch Götz Aly aufblinkt“, gehe nicht auf.“[v]

Tilman Fichter, der Bruder des Attentäters, erklärt: „Einige dieser SDS-nahen Akteure von damals – Günther Maschke, Reinhold Oberlercher, Horst Mahler und Bernd Rabehl – sind heute mehr oder weniger manifest Antisemiten. Es sind fünf Leute von etwa 3.000, dem harten Kern des SDS. Ich weiß nur, dass Kunzelmanns Texte von damals, wenn man sie heute analysiert, nicht linker Antisemitismus sind, sondern Antisemitismus. Die Linke habe es nie für möglich gehalten, dass in ihren Reihen dieses Problem auch existiert. Rudi war da ganz eindeutig. Er war mit linkszionistischen Kreisen befreundet und hatte keine antisemitischen Positionen. Solange der SDS noch funktionierte, hat er verhindert, dass die westdeutsche Linke auf einen klar antiisraelischen Kurs gegangen ist. Er war, wie die übergroße Mehrheit der Bewegung, weder Antisemit noch Antizionist. Dann kam der Anschlag auf Rudi. Danach fehlte uns der reflektierteste Freund der israelischen Linken“, [vi] bemerkt Fichter.

Auch Gerd Koenen weist in der Zeit die plakative Generalthese von Wolfgang Kraushaar zurück: Den Motivkern für den Aufbruch von 1968 und seine terroristischen Folgen in einem „primären Judenhass“ auszumachen, sei vollkommen abwegig. [vii] Für viele Aktivisten, wie auch für Dutschke, war ihr Engagement für die Revolution ihre Art, mit den ungeheuren Verbrechen der Nazizeit umzugehen. Rudi schrieb dazu: „Meine christliche Scham über das Geschehene war so groß, dass ich es ablehnte, weitere Beweisdokumente zu lesen.“[viii]

Herbert Marcuse, einer der wichtigsten Köpfe „der 68er“, erinnert, als er im Mai 1979 in Frankfurt sagte: „Jede Verinnerlichung, jede veröffentlichte Erinnerung, die nicht die Erinnerung an Auschwitz festhält, die von Auschwitz als belanglos desavouiert wird, ist Flucht, Ausflucht.“[ix]  Für Tilman Fichter war Marcuse damals „die Symbolfigur dafür, dass der Geist der Aufklärung trotz Auschwitz und GPU-Keller noch existierte“.[x]

Adornos und Marcuses Auftrag Auschwitz aufzuarbeiten wurde spätestens mit der Gründung der autoritären K-Gruppen versäumt

Die konkrete Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und seinen sozialpsychologischen Ursachen wurde verdrängt und der vor allem von Rudi Dutschke formulierte Anspruch der frühen 1968er Jahre aufgegeben, auch den eigenen „autoritären Charakter“ zu überwinden. Die Rolle und die Funktion des Antisemitismus im Nationalsozialismus wurden spätestens mit der Gründung der autoritären und dogmatischen K-Gruppen aus dem Auge verloren. Der Kampf gegen den Faschismus wurde nun zur Systemfrage erklärt; zum Kampf gegen den Kapitalismus. Man glaubte die Revolution stehe in ein paar Jahren bevor, und wollte sich nicht mehr mit der deutschen Vergangenheit befassten.[xi]

So erwies sich die autoritäre Strukturen aufbrechende Bewegung Anfang der 1970er Jahre spätestens mit der Gründung der K-Gruppen als eine rückwärtsgewandte reproduktive Kraft, die alte nicht erfolgreiche und undemokratische Formen kommunistischen Kampfes zu bewahren suchte und diese mit dem verband, was sie unter Maoismus verstand. Der chinesische Maoismus und sein westdeutscher Lehrling waren, wie Sie, Herr Posener, einmal treffend formulierten, eine „geistige und moralische Verirrung“.[xii]

Der „erheblich größere Teil der Rebellen“, betont Peter Schneider, „erlag der totalitären Verführung“ jedoch nicht. Er gab sich „mit politisch bescheideneren Projekten“ ab: „mit der Organisierung von Kinderläden, mit der Emanzipation der Frauen, mit der Gründung von Bürgerinitiativen, die Ende der 70er Jahre mehr Mitglieder zählten als die Parteien“. Schätzungen gehen von 50.000 Bürgerinitiativen mit 1,5 Millionen Mitgliedern aus[xiii] Schneider lehnt den „Tunnelblick auf das Totalitäre“, die „Einengung der 68er auf die Phase ihrer maoistischen Verirrung“[xiv] ab. Würde Rudi Dutschke heute noch leben, er würde wie FFF und XR jede Art von Rassismus, Sexismus und Diskriminierung entschieden ablehnen und FFF und XR unterstützen.

Hat Rinks und lechts etwas mit der Hufeisen-Theorie zu tun?

Ihren Bemerkungen zu 68 erinnern mich an die sog. Hufeisentheorie des Extremismusforscher Eckhard Jesse. Danach haben extremistische Kräfte am linken und rechten Rand mehr miteinander gemeinsam als mit der demokratischen Mitte. Dem stimme ich zu. Wenn aber zwischen links und linksextrem kaum differenziert wird, dann geht das Hufeisen an der Realität vorbei. Bodo Ramelow ist kein Stalinist und nicht gefährlich für die Demokratie. Im Ergebnis führte diese Sicht in Thüringen zur Blockade der Demokratie, die von der tatsächlich extremen Rechten benutzt und missbraucht wurde. Für den Politikwissenschaftler Hajo Funke ist der Unterschied beim Antisemitismus besonders groß: „Antisemitische Straftaten werden heute zu neun Zehntel von Rechtsextremen begangen.“[xv]  Wer wissen will, „wie Jesse tickt“, kann sich, so Stefan Leber, Journalist beim TS, „seinen Aufsatz Philosemitismus, Antisemitismus und Anti-Antisemitismusdurchlesen“, er ist 30 Jahre alt.[xvi] Unter Politikwissenschaftlern gilt das Modell als überholt.

Bruno Heidlberger, *1951,1987 Promotion zum Dr. phil., Studienrat für Politik, Philosophie, Geschichte. Lehraufträge an der TU Berlin, derzeit an der MHB Brandenburg. Autor: „Wohin geht unsere offene Gesellschaft? 1968‘ – Sein Erbe und seine Feinde“, Logos Verlag Berlin 2019. Verfasser von Essays und Rezensionen in philosophischen und politischen Fachzeitschriften.

Anmerkungen:


[i] Matthias Meisner: Linke Ausfälle gegen Israel, Zeit-Online, 20.05.2011,  https://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-05/linkspartei-antisemitismus-studie?page=3#comments

[ii] Gretchen Dutschke: 1968. Worauf wir stolz sein dürfen, Hamburg, S. 175.

[iii] Willi Winkler: Die Linke und der Antisemitismus. Möglicherweise, SZ 24. Februar 2013, https://www.sueddeutsche.de/kultur/die-linke-und-der-antisemitismus-moeglicherweise-1.1608113, letzter Aufruf: 02.01.2019.

[iv] Wolfgang Kraushaar: »Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?«, München 1970.

[v] Stefan Reinicke: Linker Antisemitismus? https://taz.de/Kommentar-zum-linken-Antisemitismus/!5071205/

[vi] Tilman Fichter: „Wir haben das nicht ernst genommen.“ Interview Philipp Gessler/ Stefan Reinecke, taz 25.102005, http://www.taz.de/!527391/ und Tilmann Fichter: Der Staat Israel und die neue Linke in Deutschland. http://www.isioma.net/sds130103.html vgl. Wolfgang Kraushaar: Die blinden Flecken der 68er-Bewegung, Stuttgart 2018, S. 170ff.

[vii]Gert Koenen: Mutmaßungen über Fritz, Die Zeit 10/2013, 28.02.2013.

[viii] Gretchen Dutschke: a. a. O., S. 29.

[ix] Detlev Clausen: Schwierigkeiten die eigene Geschichte zu diskutieren, In: Herbert Marcuse. Das Ende der Utopie. Vorträge und Diskussionen in Berlin 1967, S. 76ff. http://www.irwish.de/PDF/Marcuse/Marcuse-Das_Ende_der_Utopie.pdf, S.78.

[x] Ebd., S. 79.

[xi] Jens Benicke: Von Adorno zu Mao. Über die schlechte Aufhebung der antiautoritären Bewegung, Freiburg 2010. (Dissertation) Benicke analysiert auf breiter Quellenbasis die Rezeption der Kritischen Theorie und die Aufhebung der antiautoritären Bewegung durch die Konstitution der mao-stalinistischen K-Gruppen, die die endgültige Abkehr eines großen Teils der Protestbewegung von der Kritischen Theorie und dem Nationalsozialismus zur Folge hatte.

[xii] Alan Posener: Die verlorene Ehre des Alexander Gaulands, 21.06.2016, https://starke-meinungen.de/blog/2016/05/31/die-verlorene-ehre-des-alexander-gauland/, letzter Zugriff: 30.06.2016.

[xiii] Paul Ackermann: Politische System Deutschland, Stuttgart 2002, S. 27.

[xiv] Peter Schneider: Antwort an Götz Aly. Tunnelblick aufs Totalitäre, Frankfurter Rundschau 10.04.2008.

[xv] https://www.n-tv.de/politik/Extremismus-links-ist-nicht-gleich-rechts-article21584203.html

[xvi] Sebastian Leber: Rechtsextreme Gewalt. Warum Chemnitz nicht der Hambacher Forst ist, TS 23.09.2018.

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8 Gedanken zu “Eine Replik zu Alan Poseners Essay „Wann wird man den Juden Auschwitz verzeihen?“;”

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    Es gibt diejenigen, welche immer noch von einem anti-imperialistischen Kampf schwadronieren (bei den G20 Krawallen in Hamburg waren sie sehr aktiv). Für sie ist Israel eine Besatzungsmacht und die Palästinenser, was immer sie tun, ‚unschuldige Opfer‘. Diese Haltung erscheint mir absurd, aber es gibt Leute, die das „links“ nennen, sozusagen deshalb, weil die strategischen Vollen der kommunistischen Tradition (Lügengeschichten) erneut verwendet und geschickt gemischt werden.
    Die Nachfahren der antiautoritären Kultur Veränderung im Gefolge der 1968er, ich würde das Wort „Revolution“ vermeiden, weil es lächerlich ist, sind keine Antisemiten. Sie haben begriffen, was Nazis und Faschisten angerichtet haben. Viele sind mittlerweile bei den GRÜNEN, aber die Grünen haben wieder andere Themen, Schwerpunkte und Irrtümer. So einfach ist das also nicht mit „den 68ern“ oder „den Linken“. Diese Fabeltiere gibt es nicht.

  2. avatar

    Hallo 68er,
    ich stelle Jebsen als Beispiel eines Verschwörungstheoretikers nicht in eine Reihe mit Leuten, weil sie Massenmörder sind, sondern mit Leuten, die Ihre Theorien nicht der Kritik unterwerfen wollen, weil sie diese für absolut wahr halten. Darum geht es. Wenn Jebsen das Ihrer Meinung und auch tatsächlich tut, umso besser. Verschwörungstheoretiker tun es gemein hin nicht oder weichen aus und erfinden andere spekulative Zusammenhänge.

  3. avatar

    Lieber Herr Alan Posener,
    wie ich arbeiten Sie mit Hypothesen zu Sachverhalten. Mit meiner Replik habe ich den Versuch unternommen, aus meiner Perspektive die Schwachstellen Ihrer Argumentation deutlich zu machen. Popper nennt das Fehlersuche oder Falsifikation; für ihn ist das die Methode der Wissenschaft. Ich behaupte damit nicht, dass ich keine Fehler mache. Kritik, Selbstkritik und damit Fehlersuche ist auch die Methode der Demokratie. Deshalb ist sie geschlossen Systemen, in denen wir uns beide ehemals bewegten, überlegen. Ein Diskurs verdient dann seinen Namen, wenn man sich auf die vorgetragenen Argumente einlässt.
    Die Nummerierung Ihrer Ausführungen vermittelt mir den Eindruck von systematischer Kritik meiner zentralen Argumente, die Ihre Hypothese von einer weit verbreiteten linken Variante der Instrumentalisierung des Holocaust – deren Ursprung Sie bei „den 68ern“ zu finden meinen – in Frage stellt. Auf meine zentralen Argumente nehmen Sie leider keinen direkten Bezug. Es sind m. E. andere Punkte, die Sie, pointiert herausstellen und kritisieren. Dass es linken Antisemitismus gibt, besonders im Lager des Linksextremismus, habe ich nicht bestritten.
    Es ging mir keineswegs um die Verharmlosung eines, in welcher Form auch immer, auftretenden Antisemitismus – verdeckt offen oder instrumentell – den man bereits bei den Frühsozialisten und der marxistischen Arbeiterbewegung findet, bei der KPD Ruth Fischers und ihrem Übervater Stalin und in den ehemaligen Ostblockstaaten, vor allem der DDR, deshalb auch noch bei Teilen der Linkspartei, wie bei Sahra Wagenknecht, wenn sie, wie manche Alt Linke, dem immer noch von alten Klassenkampfkategorien geprägten Weltbild folgt und wie die AfD gegen die liberalen Eliten „da oben“ oder gegen den internationalen Finanzkapitalismus wettert oder um die Gruppe Linksruck oder um irgendwelche unbedeutenden kleinen antiimperialistischen marxistischen oder trotzkistischen Grüppchen, die längst verlorene Schlachten von gestern schlagen wollen, auch nicht um die Tageszeitung junge Welt usw. Antijüdische Ressentiments im linksextremen Spektrum sind nichts Neues. Bei ganz links und ganz rechts außen gab es schon in der Weimarer Zeit in Hinblick auf Liberalismus und Demokratie starke querfrontmäßige Berührungspunkt. Das sehe ich so wie Sie. Darum geht es aber nicht.
    Es geht um Ihre Hypothese, diese vereinfacht formuliert: der heutige linke Antisemitismus, insbesondere seine sekundäre Variante, sei wie ein Virus, von Dieter Kunzlemann auf Dutschke und dann auf die gesamte 68er Bewegung übergesprungen. Dutschke im Schlepptau von Kunzelmann, beide, sozusagen als Superspreader; wie ich bereits deutlich machte, eine nicht haltbare und undifferenzierte Verallgemeinerung.

    Nochmal:
    1. Kunzelmann war Antisemit, Dutschke war weder Antisemit noch vertrat er einen sekundären Antisemitismus.
    2. Die 68er-Bewegung war in ihrer Gänze weder antisemitisch noch vertrat sie einen sekundären Antisemitismus.

    Zwar wurde der Kampf der PLO von diversen K-Gruppen unterstützt, die aber einen sehr kleinen Teil der Bewegung ausmachten. Der „erheblich größere Teil der Rebellen“, betont Peter Schneider, „erlag der totalitären Verführung“ jedoch nicht und engagierte sich in Bürgerinitiativen, der Anti-Atomkraft-, der Frauen- und Friedensbewegung usw. Hier geht es um Hunderttausende bis Millionen. Ohne 1968 hätte es sicher keine Bürgerinitiativen, keine Frauen , Friedens- und keine grün-alternative Bewegung gegeben. Das wichtigste Ergebnis von 1968 ist die Entstehung der Grünen, die heute für Ökologie, Menschenrechte, Pluralismus und den Universalismus der Aufklärung stehen.

    Die Grünen sind die heutigen Erben von 68, des von Rudi Dutschke repräsentierten antiautoritären Flügels der Studentenbewegung. Nicht zufällig gedachten die Grünen am Kurfürstendamm am 11. April 2018, am Ort des Attentats, seines 50. Todestages. Wie ich finde gilt zwischen links, linksliberal und linksextrem zu differenzieren. Das Hufeisen gilt allein für die Extreme. Darum ging es mir.

    Warum Gräben vertiefen, statt Brücken bauen?
    1. Statt auf das von mir angesprochene Problem- Hufeisen- differenziert einzugehen, weisen Sie mich auf Bildungslücken hin. Wer verstehen will, der versteht.
    2. Sie interpretieren meine Ausführungen als Dogma. Mir hingegen geht es um Differenzierung und nicht um Verallgemeinerung. Wie ich bereits ausführte: Bei Vertretern völkisch-nationalistischer Provenienz ist der Antisemitismus, also der Hass auf die Gleichheit und auf die Ideen der Französischen Revolution, Programm. Bei Linksradikalen, die in der Tradition eines revolutionären Marxismus stehen und „raffgierigen Kapitalisten“ den Garaus machen wollen, kommt Antisemitismus oft ins Spiel. Bei Konservativen und national orientierten Liberalen sowie bei gemäßigten Linken kann er vorkommen, ergibt sich aber nicht zwangsläufig aus dem politischen Weltbild – ist im Extremfall aber ein Grund für den Ausschluss aus der Partei. Beispiel Sarrazin oder Robert Hallam. Wolfgang Gedeon, die Spitze des Eisbergs, ist immer noch in der AfD.
    3. Sie unterstellen mir einen offenen Jabobinismus. Bei Freiheit denke ich – und das habe ich auch so geschrieben – nicht an die blutige Jakobiner Herrschaft, wie Sie, sondern an das GG. Insbesondere an die Art. 1- 20. Also an Freiheit, Menschenrechte, Rechts- und Sozialstaat und eben nicht an Joseph-Ignace Guillotin. Die physische Vernichtung einer Klasse als angebliche Hauptidee der Französischen Revolution, in der es auch, wie heute gemäßigte und radikale Gruppen gab, habe ich als Geschichtslehrer bisher in keinem Geschichtsbuch gefunden. Es waren ja nicht alle Jakobiner, wie heute auch nicht alle Linke Linksextremisten und Antisemiten sind.
    4. Ihr Chef hat, wie ich schrieb, auf „zweierlei“ hingewiesen. Mir scheint, Sie haben sich das für Sie Passende – nur den ersten Punkt – ausgesucht. Christian Semmler wies jedoch auch darauf hin: „Ich glaube nicht, dass die damalige Form des Antizionismus, die damalige wohlgemerkt, Spuren des Antisemitismus in sich trug. Das hat sich später geändert.“ Damit meinte er (wohl) die K-Gruppen, vor allem die RAF und wohl kaum die grün-alternative Bewegung, die ihren Anfang Mitte bis 70er hatte.
    5. Ihren Ausführungen zu Jeremy Corbyn verstehe ich nicht als Kritik, sondern als Bestätigung, weil ich ja selbst auf ihn als Beförderer des Antisemitismus hingewiesen habe.
    6. Zum Schluss: Antisemitismus ist und bleibt wie jede Form von Rassismus eine autoritäre Versuchung für das gesamte politische Spektrum, besonders für die Extreme. Darauf habe ich in meinem Buch Wohin geht die offene Gesellschaft 1968 – Sein Erbe und seine Feinde und in meinem letzten Seminar zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit hingewiesen. Hierbei ist auch immer wieder Selbstreflexion gefordert.

    Beste Grüße
    Bruno Heidlberger

  4. avatar

    Hallo 68er,

    die damaligen Debatten waren deshalb unfruchtbar, weil sie sich innerhalb eines Dogmas, innerhalb einer geschlossenen Weltanschauung, bewegten. Diese Debatte hier ist anders. Sie findet nicht im Rahmen eines Dogmas statt. Sie ist offen und frei, sie schließt nicht aus, lässt Kritik zu. Hier kann jeder seine Meinung sagen. Aber auch hier sollte gelten: Der Zwang des besseren Arguments. Eine Sachentscheidung sollte immer auf Basis des besten Arguments erfolgen, damit ein rational motivierter, also echter Konsensus, herstellbar ist.

    Mit Kant formuliert: „Die Vernunft muss sich in allen ihren Unternehmungen der Kritik unterwerfen!“ Das wäre bei Marx Hitler, Stalin, Mao, Pol Pot, Putin, Erdogan, Trump, Xi Jinping, Orban, Gauland&Co. oder Ken Jebsen&Co., nicht möglich gewesen.

    Besten Dank für die Links!

  5. avatar

    Gerade aus den sogenannten „links-bürgerlichen“ Kreisen hört man immer wieder Sätze wie, „Ich bin ja kein Gegner Israels, aaber…“ oder „Ich kann kein Antisemit sein, ich habe ja Freunde, die sind Juden….“. Das alles ist nur Heuchelei! Ich bin kein Linker, kein Rechter, sondern nur ein vernünftiger Mensch, der der Meinung ist, daß wir an Israel oder den Juden die gleichen Maßstäbe anlegen sollten, wie an alle anderen. Sie sind nicht besser als wir und auch nicht schlechter, sie sind wie wie wir! Die politische Linke hat ihren Teil am heutigen Antisemitismus beigetragen, ebenso wie die Rechte, und dafür verachte ich beide!

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    Das ist hier alles Schattenboxen und erinnert in eklatanter Weise an K-Gruppen-Gefechte, in denen nachweislich auch die westlichen Geheimdienste engagiert waren, um die Linke mit sich selbst zu beschäftigten und gegeneinander aufzuwiegeln.

    Zu Jeremy Corbyn sollte man sich folgende Artikel durchlesen, bevor man behauptet, dieser sei eigentlich kein Linker:
    https://www.middleeasteye.net/opinion/killing-jeremy-corbyn

    https://www.telegraph.co.uk/news/2019/11/24/former-mi6-chief-calls-jeremy-corbyn-danger-national-security/

    Und weil man es nicht oft genug sagen kann, bei seiner angeblich historischen Wahlniederlage haben mehr Wähler für ihn gestimmt, als seinerzeit für Gorgon Brown.

  7. avatar

    Lieber Bruno Heidlberger,
    1. Sie schreiben: „Ihrem Wortspiel: „Rinks und lechts“ kann ich deshalb nur mit Einschränkung folgen.“ Das Wortspiel stammt nicht von mir, sondern von Ernst Jandl.
    2. Sie schreiben: „Linke, sozialdemokratische, liberale und konservative Politik schließt ihrem Wesen nach Antisemitismus aus. Für Rechte oder gar rechtsextreme Politik ist er wesensimmanent.“ Na, dann ist alles geklärt. Weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf. Damit erübrigt sich jede Diskussion.
    3. Sie schreiben: „Maßstab von demokratischer und rechtsstaatlicher Politik sind die Ideen der Französischen Revolution: Liberté, égalité, fraternité.“ Die Hauptidee der Französischen Revolution war jedoch die physische Vernichtung einer ganzen Klasse. Maßstab demokratischer und rechtstaatlicher Politik darf niemals diese Blutorgie sein.
    4. sie zitieren meinen ehemaligen Chef Christian Semler, Vorsitzender des Ständigen Ausschusses des ZK der KPD. Er hat nie richtig mit seinen damaligen Irrungen abgerechnet, hat sich aber später große Verdiente erworben in der Unterstützung der oppositionellen Arbeiterbewegung in Polen, so dass seinem Urteil trotz seiner Befangenheit zu trauen ist. Er spricht im zitierten Interview von einem „antiisraelischen Schwenk“ der Bewegung. Er sagt: „Es gab immer innerhalb der radikalen Linken Teile, die diesen einseitigen Kurs kritisierten. Herbert Marcuse, der ja großen Einfluss hatte, war in dieser Frage keineswegs auf diesem Kurs. Auch Rudi Dutschke nicht. Aber generell muss man sagen, dass es nach 1967 diesen Schwenk gab.“
    Er redet von „der Bewegung“ und von „Teilen innerhalb der radikalen Linken“. Jedoch konstatiert er „generell“ einen „antiisraelischen Schwenk“. Genau das sage ich auch.
    5. „Generell“ leugnen die damaligen Wortführer das heute. Aus nachvollziehbaren Gründen ist ihren Beteuerungen nicht zu trauen. Auch Jeremy Corbyn leugnet, dass er den Antisemitismus in der Labour Party befördert hat. So lange Linke nicht begreifen, dass der Antisemitismus auch für Linke, ob radikal oder gemäßigt, international oder national, eine Versuchung ist, werden sie ihm immer wieder erliegen oder – wie Sie – verniedlichen.

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      Ich finde es schon ein wenig seltsam, dass Sie Herrn Jebsen in einer Reihe mit Hitler, Mao, Stalin und Pol Pot nennen. Man kann ja Herrn Jebsen Übertreibung oder anderes vorwerfen, aber dass er sich keiner Kritik stellen würde, sehe ich nicht. Haben Sie sich eigentlich jemals eine seiner Interviews oder Diskussionsrunden angesehen? In einigen Bereichen, so z. B. bei der Frage der deutschen Beteiligung an den NATO-Kriegen gibt er Menschen, wie dem ehemaligen CDU Staatssekretär Willy Wimmer einen Kritikraum.

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