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Wo bleiben die Grünen?

Nach dem Brexit-Referendum  haben sich die deutschen Parteien schnell positioniert. Die Kanzlerin ließ verlauten, man müsse den Briten jetzt Zeit geben, den Ausstieg aus der EU vorzubereiten. Sie warnte davor, aus Rache jetzt „garstig“ zu sein und die Briten demütigen zu wollen. Ihr Motiv ist klar: Sie  möchte auch nach dem Ausscheiden des Vereinigten Königsreichs aus der EU-Familie das Land eng an die EU binden, weil sie den freien Geist der Briten und ihr Gespür für marktwirtschaftliches Handeln überaus schätzt. Die SPD  hingegen drängte auf sofortige Ausstiegsverhandlungen, als könne es ihr nicht schnell genug gehen, den Störenfried GB endlich loszuwerden. Gleichzeitig  forderten die beiden SPD-Granden Gabriel und Schulz eine neue sozialpolitische Ausrichtung der EU, eine „europäische Wachstumsunion“. Hinter diesem Begriff verbirgt sich das alte Konzept der SPD, das sie schon bei Machtantritt von Francoise Hollande als europäische Verheißung  lanciert hatte: höhere Staatsverschuldung zur Ankurbelung der Wirtschaft in den EU-Staaten und Vergemeinschaftung der Staatsschulden. Die Linke forderte das, was sie in jeder Lebenslage fordert: Abkehr von einem „Europa der Banken“ und Umverteilung des Reichtums zugunsten der Armen.  Sarah Wagenknecht forderte sogar eine Volksabstimmung über die EU-Verträge. Damit gibt sie ein weiteres Mal zu erkennen, wie groß die geistige Nähe der Linken zu den Rechtspopulisten der AfD tatsächlich ist. 

Wo bleiben die Grünen? Haben sie zum Brexit keine Meinung? Nach 10 Jahren in der Opposition haben sie endlich wieder Mut gefasst, sich an einer  Regierung zu beteiligen. Dazu haben sie sogar ihre frühere „natürliche“ Vorliebe für Rot-Grün aufgegeben und präsentieren sich neuerdings als bündnisoffen. Als Partei der linken Mitte sollten die Grünen zum Brexit eigentlich eine Meinung haben. Auffällig ist, dass die Grünen seit dem Abgang von Joschka Fischer keinen profilierten Außenpolitiker mehr hervorgebracht haben. Fischer galt nicht nur als strategischer Kopf, der es liebte, die Weltlage in Grundsatzreden zu analysieren. Er praktizierte  auch eine den Menschenrechten verpflichtete Außenpolitik, die sich nicht scheute, bei Potentaten anzuecken, wenn es nötig war. Wie gut Fischer war, kann man ermessen, wenn man an seine Nachfolger Westerwelle und Steinmeier denkt. Letzterer ist mit seiner NATO-Schelte gerade dabei, seinen guten Ruf als ausgewogener Spitzendiplomat zu beschädigen. Eine Zeit lang hatte es den Anschein, als wolle Fischers großer Gegenspieler Jürgen Trittin in seine Fußstapfen treten. Auffallend häufig meldete er sich zu außenpolitischen Themen zu Wort und stand dazu auch in Talkshows Rede und Antwort. Dann holte ihn  allerdings  sein antikapitalistischer Furor aus seiner studentischen Vergangenheit als Maoist ein und er manövrierte sich mit einem gigantischen Steuererhöhungskonzept ins politische Abseits.

Eine außenpolitische Neigung spricht man auch der osteuropapolitischen Sprecherin der Grünen Marieluise Beck zu. Gegenüber Putins Aggressionspolitik hat sie stets mutig Flagge gezeigt und damit auch manch einen  Putin-Versteher in der SPD verärgert. Leider hat sie in der grünen Partei nicht den Rückhalt, der für ein Spitzenamt nötig wäre.

Cem Özdemir, dem anatolischen Schwaben und Vorsitzenden der Grünen, könnte man am ehesten zutrauen, dass er das Zeug zum profilierten  Außenpolitiker hätte. Bei  Vorbereitung und Verabschiedung  der Armenienresolution im Deutschen Bundestag gab er eine sehr gute Figur ab. Aber auch er hält sich zur Zeit bedeckt, wagt kein Statement, das über floskelhafte Satzbausteine hinausginge. Grund dafür ist die Konkurrenz um die Spitzenkandidatur im nächsten Bundestagswahlkampf. Mehrere Grüne beiderlei Geschlechts konkurrieren um die begehrten Spitzenplätze. Dabei verhindert die verquere Arithmetik –  Frau / Mann, links / rechts –  Fundi / Realo – die deutliche politische  Ansage. Alle Bewerber halten sich mit Aussagen zurück, die von der „gegnerischen Strömung“ als  schädlich empfunden werden und die ihre Wahlaussichten schmälern könnten.  Auf diese Art werden alle Meinungen rundgeschliffen wie Kieselsteine im Bergbach.

Dabei läge eine freiheitlich-grüne Europapolitik doch auf der Hand und könnte von allen Flügeln der Grünen mitgetragen werden. Sie könnte, wenn sie gut ausgearbeitet wird, sogar ein Alleinstellungsmerkmal im Parteienkonzert sein.  Ausgangspunkt könnte das grüne Prinzip der Subsidiarität sein, das die Partei in ökologischen Fragen immer gerne bemüht. Das, was die  „Basis“  (ur-grünes Wort) am besten lösen kann, soll sie auch lösen. Auf Europa übertragen hieße das: Was die Mitgliedsstaaten am besten regeln können, sollen sie auch regeln dürfen. Dazu müssten ihnen freilich Kompetenzen zurückübertragen werden, die die EU-Kommission all die Jahre  an sich gerissen hat.  Ein weiterer grüner Begriff könnte in ein EU-Konzept einfließen: Nachhaltigkeit. Wenn nur eine nachhaltige Ökonomie das Überleben der Gattung Mensch auf dem Planeten sichert, kann jeder nachvollziehen, dass es sinnvoll ist,  auch den Umgang mit den Staatsfinanzen nachhaltig zu gestalten. Hier hätte eine grüne Agenda ein reiches Betätigungsfeld:  Die überbordende Verschuldung in den EU-Staaten wächst  trotz der negativen Erfahrungen in der  Staatsschuldenkrise immer weiter an. Der durchschnittliche Schuldenstand in der Euro-Zone liegt bei 88% des BIP (erlaubt sind laut Maastricht-Vertrag 60%).  Griechenland (162%), Italien (120%) und Portugal (101%) liegen weit darüber. Die hohen Schuldenstände lähmen nicht nur die Wirtschaft, sie  belasten vor allem die künftigen Generationen. Wenn irgendwann die Kreditzinsen wieder in die Höhe gehen, stünden einige EU-Staaten bald vor dem Bankrott.  Das Chaos der Griechenlandkrise würde sich dann in neuem Gewand  wiederholen.

Der dritte Pfeiler einer grünen Außenpolitik müsste die stärkere Verpflichtung auf die universelle   Gültigkeit der Menschenrechte sein.  Auch wenn man anerkennt, dass internationale Politik über weite Strecken Realpolitik sein muss,  sollte man die Spielräume, die sich für das Geltendmachen der Menschenrechte ergeben, offensiver nutzen, als dies z.B. Außenminister Steinmeier  tut. Die SPD ist gefangen in ihrer Entspannungsideologie aus den 1960er/1970er Jahren. Unvergessen ist das Wort des damaligen Chefideologen der SPD Egon Bahr, die Zusammenarbeit mit der Opposition in Polen (Solidarnosc) und der DDR (Neues Forum) gefährde  den Weltfrieden. Diese tief verwurzelte  Denkweise ist der Hintergrund für das ständige Zurückweichen der SPD vor der russischen Aggressionspolitik.

Nach Lage der Dinge werden die Grünen nach der nächsten Bundestagswahl im Parlament für jede Farbenkombination gebraucht. Dabei könnten sie selbstbewusst ihr außen- und europapolitisches Konzept in  die Koalitionsverhandlungen einbringen. Der oft allzu pragmatischen CDU/CSU täte die stärkere Betonung der Menschenrechte nur gut. Und der rot-roten Phalanx, die das Böse in erster Linie in den USA  verortet, Russland hingegen zu schonen geneigt ist, könnten die Grünen die Verankerung deutscher Politik im transatlantischen Bündnis entgegenstellen.

Es gibt viel zu tun, liebe Grüne. Packt es endlich an!

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6 Gedanken zu “Wo bleiben die Grünen?;”

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    Leiden die Grünen unter Realitätsverlust?

    von: Dr. Dr. Joachim Seeger, RECKLINGHAUSEN

    Es ist nicht verwunderlich, dass sich die Grünen in der Wählergunst im Abwärtstrend befinden. Ich denke, sie haben den Zenit überschritten und leiden unter desolatem Realitätsverlust. Ein Beispiel dafür ist die Haltung von Holger Freitag im Zusammenhang der Diskussion mit dem Umgang von 15 Schwalbenpärchen auf der Trabrennbahn in Recklinghausen. Da wird mit dem Argument, man müsse um jeden Preis den Artenschutz gewährleisten, die Ansiedlung von Gewerbebetrieben im Bereich der ehemaligen Stallungen auf der Hillerheide blockiert. Brauchen wir denn keine neuen Arbeitsplätze in Recklinghausen, wo doch gerade der Verlust von Arbeitsplätzen in einer anderen Branche droht? Ökologie versus Ökonomie – unter ethischem Aspekt muss man sich für die utilitaristische Position entscheiden. Die Berücksichtigung ökonomischer Gesichtspunkte trägt zum Nutzen der Bürger in Recklinghausen bei. Je mehr Menschen durch eine Handlung glücklich werden, desto besser ist die Handlung. Hätten sich die Grünen in Recklinghausen besser informiert, so wären sie in der Lage gewesen, eine pragmatische Lösung anzubieten- beispielsweise das Aufstellen von Schwalbenhäusern bzw. Schwalbenlaternen. Der NABU bietet zahlreiche Anregungen diesbezüglich an. Den Grünen in Recklinghausen geht es offensichtlich nur darum, ihre antiquierte Ideologie durchzusetzen, um verlorenes Terrain zurückzuerobern. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, hoch geschätzter Herr Freitag!

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    Wenn für Sie Subsidiarität sich lediglich darin ausdrückt:
    „Auf Europa übertragen hieße das: Was die Mitgliedsstaaten am besten regeln können, sollen sie auch regeln dürfen.“
    dann ist das ja ziemlich dünn.
    Wenn der Slogan „Global denken – lokal handeln“ wieder zum grünen Prädikat werden sollte, dann wäre nicht die Ebene der Mitgliedsstaaten der erste Augenmerk, sondern die Frage, inwiefern die EU Chancen für eine Regionalisierung und Stärkung der Kommunalebene bietet.
    „Typisch Grün“ wäre nicht die D-Mark, sondern die Regionalwährung „Chiemgauer“. Und die relevante Gretchenfrage der nächsten Wochen wird lauten:
    „Wie hältst Du´s mit den Schotten?“
    Die Stabilität der Mitgliedsstaaten ist nicht unantastbar, und ihre Auslösung kann durchaus zu einem weitaus demokratischeren Europa führen.
    Immerhin sind – was Europa betrifft – die Grünen auf einem forgeschritteneren Weg als die anderen Parteien. Es gibt schon die „European Greens“ auch wenn selbst der Europawahlkampf noch stark national geprägt ist. Ergänzt werden müssten Europaparteien dann durch Regionalparteien. Do soweit sind wir leider noch nicht.

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    sehr schoen, Herr Werner, da hätte ja vieles von mir sein können, auch weil sie gut erkennen, dass wie in vielen Parteien und auch beim Brexit und auch in der EU vieles innerparteilichen Kämpfen und dem Abwarten auf den Gewinn oder den Erhalt von Spitzenposten geschuldet ist..was aber wohl in Medien und Wissenschaft und auch im Kulturbetrieb öfter der Fall ist.Doch es wäre nicht schlecht, Sie würden Ihre Leser
    immerhin auf die Äusserungen der EP fraktion hinweisen und deren webseite und die Stellungnahmen von Rebecca Harms der EP fraktions vorsitzenden, die aber immer sehr gemäßigt und vorsichtig formuliert oder auf den europapolitischen Sprecher Manuel Sarrazin im Bundestag,der es aber nicht wie Trittin in die talkshows schafft, da deren Moderatorinnen ja immer auf ein wenig Zoff hoffen, um unterhaltsam zu bleiben und nicht zu komplexe Fachfragen ansprechen zu müssen, zu denen die meisten Moderatorinnen nicht informiert sind.Die Grünen müssen sich, wie der alte Parteifunktionär und als MdEP Vorsitzende der europäischen Grünen BÜtikofer andeutete vor zwei Wochen von dem MEhr Europa ,das auch die schnellredende Beraterin Ulrike Gueriot immer gepredigt hat,verabschieden und dem Konzept einer immer weiteren und intensiveren Integration in der EU
    Nur dass Frau Merkel mit ihren blassen Sinnsprüchen selbst in dieser Mehrfach und Langzeitkrise mal wieder nur zu sagen hatte:Es geht nicht um Mehr oder weniger Europa sondern um ein effizientes,ja was soll das denn bezogen auf Schulden,Investionsfonds,
    Jugendarbeitslosigkeit, EZB und SChengen und Dublin und Zollgrenzen mit dem UK nun bedeuten und auf die Sicherung der Aussengrenze ohne Erdogan und SChlepperbanden und bezogen auf die Integration der mehr als einer Million Flüchtinge und eine neue Einwanderungspolitik und das Asylrecht mit Mindeststandards in Europa?Die Grünen muss man an mehr MEnschenrechtspolitik wohl nicht erinnern, siehe ihre Ukrainepolitik, ihre Position zu sicheren Herkunftsländern und ihren Einsatz für Schwulenrechte weltweit udn die Kritik am Rüstungsexport nach Saudi Arabien.Doch eine neue Verbindung von klarer Menschenrechtspolitik und alos auch globaler Frauenrechtspolitik bezogen auf den politischen ISlam haben sie nicht und auch keinen nötigen Kompromiss wie bei der Frage sicheres Herkunftsland Balkan und das Konzept einer anderen Kooperations und Entwicklungspolitik bezogen auf NOrdafrika und die Stabilisierung des Irak und Lybiens oder das Ende des KRieges in Syrien und im Jemen,weil das auch Russland und den USA, China und dem Iran ,sozusagen allen Groß und Mittelmächten, die Mitspieler sind wie Saudi Arabien und der Türkei fehlt.Ohne besser geopolitische und aussenpolitische öffentliche und mediale Debatten in Deutschland werden die Grünen die nötige Mischung von Menschenrechts und Frauenrechtsansatz und notwendiger moderner Real und Europapolitik, die keinen deutschen SOnderweg geht nicht hinbekommen.Der Wettbewerb mit Alexander von Lambsdorff im EP und guten französischen oder britischen Aussenpolitikern wäre auf jeden Fall angenehmer als dass sich jetzt viele mit der AFD,der Profilierung der LInkspartei als angeblich einziger Friedenspartei,die gegen den Natogipfel in Warschau kämpft und den Folgen des Brexit referendums rumschlagen muessen,was irre viel Zeit und Fachpersonal in der EU in Anspruch nehmen wird und überall die Kräfte des Chaos,wenn auch einige der Vernunft zu stärken scheint.KLaus Rebling hat im guten Gegensatz zur Kanzlerin, die mal wieder Abwarten als Nachdenken ausgibt,gesagt, der Brexit sei nicht unbedingt notwendig nach diesem Referendum,aber auf jeden Fall ein Konzept für verschiedene Geschwindigkeiten und INtegraitonsstufen in der EU.Dem stimme ich schon seit 1992 zu.

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    Ausgerechnet Özdemir, der ist ja sowas von eingenordet, dass er Ihnen einfach gefallen muß.

    Özdemir absolvierte das Young Leader-Programm des mit dem deutsch-amerikanischen Netzwerk Atlantik-Brücke affiliierten American Council on Germany.

    2003 war er Fellow des German Marshall Fund of the United States.

    Er war in der Atlantik-Brücke, trat aber wegen F. Merz wieder aus, wahrscheinlich weil es ihm da zu deutsch war.

    Er ist teilweise auf der Linie von PNAC, einem neokonservativen amerikanischen Think-Tank…

    Der vertritt sicherlich nicht unsere Interessen.

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    Guter Beitrag,
    in der Tat: die SPD mit einem so verhandlungsstarken Außenminister und einem so gut vernetzten Europapolitiker reagiert provinziell: sie wollen den Störenfried GB loswerden. Kein Plan für künftige Abkommen in Sicht.
    Da ist ja Schäuble nachvollziehbarer.
    Warum sind die Grünen nur bei Themen wie „Völkermord“, Homophobie (Russland, Türkei….) hörbar? Es ist eine Moralpartei geworden ohne politisches Profil. Antidiskriminierung reicht nicht mehr, das ist in Deutschland – bis auf die AfD und ein paar Gestrige – Konsens. Ein Verdienst der Grünen, aber sie sollten sich nicht auf Lorbeeren ausruhen.
    Gefragt sind sie nur, wenn die AfD hohe Werte bei der nächsten Bundestagswahl einfährt. Aber das könnte ausbleiben, weil deren Geschwätz durch die Breit-Schwätzer erkennbar gefährlich ist. Das merken doch jetzt die sog. „Protestwähler“ auch.

    Leider sind die Grünen nicht nur außenpolitisch schweigsam, auch da, wo sie Kampagnen bedienen, sind die Folgen dieser Sprüche nicht bedacht, und die handwerkliche Seite ist immer völlig unzureichend. Dabei könnte die Mischung aus Ökologie, Völkerverständigung und liberalen Prinzipien sehr hilfreich sein.

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