Auf dem Parteitag der SPD Mitte Dezember in Berlin gab es für die anwesenden Delegierten der SPD eine Schrecksekunde. Dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel war gerade von der Wahlkommission auf einem Zettel das Ergebnis seiner Wahl als Parteivorsitzender gereicht worden. Er erhielt nur 74,3% der Delegiertenstimmen – eine Demütigung. Wie versteinert saß Gabriel da und wälzte nur einen Gedanken: hinschmeißen oder weitermachen? Wie Beobachter der Szene später schilderten, war es nur dem guten Zuspruch enger Genossen und Freunde zu verdanken, dass er nicht das Handtuch warf, sondern sich mit einer trotzigen Rede zu dem Ergebnis bekannte: Jetzt sei über den Kurs der Partei entschieden und diejenigen, die ihn nicht gewählt haben, wüssten, wo es künftig lang geht.
Dass die SPD ihr eigenes Führungspersonal gerne mal abstraft, ja regelrecht demontiert, hat in dieser Programmpartei eine lange Tradition. Rudolf Scharping wurde 1994 auf einem denkwürdigen Parteitag in Mannheim als Vorsitzender vom Hof gejagt und durch den Volkstribun Oskar Lafontaine ersetzt. Ein fataler Irrtum, wie sich später herausstellen sollte. Dem Vorsitzenden Kurt Beck erging es 2008 am Schwielowsee nicht besser. Die SPD kann im Umgang mit dem eigenen Führungspersonal unbarmherzig sein, was für eine Partei, die vorgeblich die Solidarität in den Genen trägt, zumindest ungewöhnlich ist.
Vor allem der mittlere Funktionärskörper, der in der Partei groß geworden ist, achtet darauf, dass kein Jota des Parteiprogramms beim Regierungshandeln unter den Tisch fällt. Anstatt sich daran zu erfreuen, dass die SPD in der Großen Koalition bisher so viel durchgesetzt hat wie nie zuvor (Mindestlohn, Rente mit 63, Energiewende, Frauenquote), hadern die Funktionäre mit dem ungeliebten Bündnis und wollen der CDU immer neue Zugeständnisse abringen – möglichst das SPD-Programm pur. Die Realität wird dabei gerne ausgeblendet. Wenn die SPD-Bürgermeister auch noch so sehr unter den Herausforderungen der Flüchtlingskrise stöhnen, darf auch nicht das geringste Signal gesendet werden, dass die Ressourcen der Betreuung endlich sind. Die reine Lehre ist den Oberstudienräten in den Ortsgruppen der SPD heilig. Sie handeln nach dem Prinzip: Lieber in der Opposition recht behalten, als in der Regierung Kröten schlucken zu müssen. Gabriel sagte in seiner Trotzrede, er habe der SPD „viel zugemutet“: die Zustimmung zu TTIP, das neue Gesetz zur Datenvorratsspeicherung und die Verschärfung der Asylbestimmungen. Diese Zumutungen genügten für die Abstrafung des Spitzengenossen, der ja auch der natürliche Kanzlerkandidat seiner Partei ist. Eine Woche später bekam Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe Ovationen für ihre Rede und ein Spitzenergebnis für ihren Antrag zur Flüchtlingspolitik. Ein Kommentator verglich die beiden Parteitage und schrieb ironisch: Während sich die CDU in Autosuggestion ergehe, verfalle die SPD in Autoaggression.
Das Dilemma der SPD besteht darin, dass sich ihre beiden Flügel – Realos und Linke – immer nur punktuell versöhnlich zeigen, aber nicht zu einem gemeinsamen politischen Konzept finden können. Der linke Flügel will die SPD weiter links positionieren, um der Linkspartei Wähler abspenstig zu machen. Er fände es auch nicht anstößig, mit der Linken zu koalieren. Gabriel und der wirtschaftsfreundliche Flügel will die SPD in die Mitte führen, weil er weiß, dass sie nur dann eine Chance hat, stärkste Partei zu werden, wenn sie die unideologische und pragmatisch gestimmte Mitte der Wählerschaft gewinnt. Wie soll eine Partei das aushalten: ein Flügel zieht nach links, der andere nach rechts?
Das Flügeldilemma ist entstanden, weil die SPD seit den 1970er Jahren ihr Programm im Wesentlichen auf eine Forderung verengt hat: die der sozialen Gerechtigkeit. Diese Forderung ist inzwischen in alle Programmbereiche eingesickert. Wenn man z.B. einen SPD-Genossen an einem Werbestand in der Fußgängerzone fragt, welche Schulpolitik seine Partei verfolge, kommt die Antwort: „Wir sind für ein gerechtes Schulsystem“. Ein qualitativ gutes Bildungssystem wäre eigentlich die passende Antwort gewesen. Der vor zehn Jahren verstorbene Vordenker der Partei, Peter Glotz, hielt diese Einengung auf das Soziale damals schon für fatal. Er plädierte dafür, das ganze Spektrum sozialdemokratischer Politik wieder ins Auge zu fassen: Freiheit, Fortschritt, Internationalismus und – er nannte sie als letzten Punkt – soziale Gerechtigkeit.
Am Ende der Studentenbewegung wurden viele SPD-Ortsgruppen von heimatlos gewordenen radikalen Linken geflutet. Ein anderer Teil der APO gründete die Grünen. Seitdem dominiert in der SPD die Umverteilungspolitik. Die Denkfigur der Alt-68er geht so: „Wir wollten einst den Kapitalismus beseitigen und sind dabei gescheitert. Jetzt zahlen wir es ihm heim, indem wir den erwirtschafteten Reichtum kräftig umverteilen“. Seit dieser Zeit gehört die Forderung nach „Steuererhöhungen für die Reichen“ zur Grundausstattung sozialdemokratischer Politik.
In den späten 1980er Jahren nahm mich ein Arbeitskollege – ein „linker“ Oberstudienrat – einmal mit in seine SPD-Ortsgruppe in Reinickendorf. Es war für mich eine erhellende Erfahrung: Jeder der anwesenden Genossen sprudelte nur so vor Ideen, welchen „Bedürftigen“ man noch Steuergeld zukommen lassen könnte. Jedes persönliche Leid sollte mit einem finanziellen Pflaster geheilt werden. Die Frage, wie das umzuverteilende Geld erwirtschaftet wird, welche günstigen Rahmenbedingungen man dafür schaffen müsse, kam während der ganzen Sitzung nicht vor. Es war ein einziges sozialpolitisches Wunschkonzert.
Wenn Umverteilung von Oben nach Unten das Lebenselixier der SPD ist, kann sie nur als ökonomische Schönwetterpartei glänzen. Wenn es hingegen wirtschaftlich bergab geht und man den Bürgern – auch der eigenen Klientel – Zumutungen auferlegen muss, gerät die SPD ins Schlingern. Gerhard Schröder musste seine Agenda 2010 mit brachialen Methoden – mit einem Vertrauensvotum im Parlament – durchboxen. Letzten Endes hat ihn diese für das Land segensreiche Politik die Kanzlerschaft gekostet. Sie hat zudem bewirkt, dass Teile der SPD und der Gewerkschaften zur Linken übergelaufen sind. Hätte die SPD sich damals stolz zur Agenda 2010 bekannt, weil sie notwendig war und weil sie Deutschland wieder stark gemacht hat, wäre ihr dieses Desaster vermutlich erspart geblieben. Sie hätte sich dabei bestens in die Ahnenreihe berühmter Sozialdemokratien einreihen können, die das Staatsschiff aus patriotischer Gesinnung durch eine mutige und durchaus unbequeme Politik aus dem Schlamassel befreit haben, wie z.B. Friedrich Ebert (Gründung der Weimarer Republik, Versailler Vertrag), Helmut Schmidt (Ölkrise, Terror der RAF) und Willy Brandt (Demokratisierung der Gesellschaft, Neue Ostpolitik).
Der linke SPD-Flügel sitzt dem Irrglauben auf, das linke Potential in der Bevölkerung lasse sich beliebig vermehren, man müsse nur eine konsequent linke Politik anbieten. In Wirklichkeit ist dieses Potential schon seit Jahren ausgeschöpft. Alle Wahlergebnisse der Bundestagswahlen der letzten 30 Jahr zeigen, dass sich bei uns das linke und das rechte Lager ungefähr gleich stark gegenüber stehen. Ob das eine oder das andere bei den Wahlen vorne liegt, hängt von den konkreten politischen Umständen ab, unter denen die Wahlen gerade stattfinden – und vom angebotenen Personal. Nach Lage der Dinge kann die SPD auf absehbare Zeit keine Volkspartei mehr werden, wenn man 30% der Wählerstimmen als Minimum für einen solchen Status ansieht. Wenn sie nämlich nach links rückt, verliert sie in der Mitte; rückt sie zur Mitte, verliert sie Stimmen an die Linkspartei. Als Zwei-Flügel-Partei ist sie mit den gegenwärtigen 25 % Zustimmung gut bedient.
Ich sehe nur eine Möglichkeit, dass die SPD wieder in die Nähe von 30 % oder gar 35 % der Wählerstimmen kommt: Sie muss die volle Palette ihres traditionsreichen Programmfundus wieder ausschöpfen und zu einer Partei der linken Mitte werden. Sie muss vor allem von dem Wettlauf mit der Linken um die höchsten Sozialleistungen, die höchsten Mindestlöhne und Hartz-IV-Sätze ablassen. Diesen Kampf kann sie nur verlieren, weil die Linke – völlig unbelastet von Regierungsambitionen – (wie der Igel im Märchen zu dem Hasen) immer rufen wird: „Ich bin schon da!“
Unsere Wähler sind inzwischen so intelligent, dass sie mit der Leitung der Deutschland-AG nicht den Betriebsrat betrauen, sondern den Vorstand. Und wer möchte gerne von der bequemsten aller Mitfahrgelegenheiten – Angela Merkel – lassen?
Mir würde es schon reichen, wenn der linke Flügel nicht staatsferne spielen würde. Die Sozialdemokratie ist Staatstragend, weil nur im Staat Arbeiter und Angestellte Schutz und Mitbestimmung finden. Bildung, Gesundheit, Rente und Sicherheit. Qualitativ hochwertige Institutionen für die, die keine Wahl haben. Dazu gehört auch gerade wieder die Sicherheit. Es ist ja nicht so, dass in Problemvierteln und Brennpunktschulen Richie Rich eins auf die Fresse bekommt und um seine Zukunft betrogen wird, es sind die Kinder der SPD-Wähler. Allerdings (und das IST ein Problem der Partei) es sind auch nicht die Kinder der Oberstudienrat-Funktionäre. Von Überwachungsstaat und geschürtem Misstrauen spricht nur der, dessen Kind nicht zwei/drei Mal die Woche abgezogen wurde. Es ist zwar ehrenhaft, die „Jünger des Neoliberalismus“ zu verurteilen, das Thema geht aber am Leben der Menschen vorbei. Entgegen der Umvolkungstheorie wählen nicht-akademische Migranten eben keine SPD, weil ihnen der innerparteiliche Klärungsprozess zu TTIP vollkommen egal ist. Sie merken aber, dass nichts unternommen wird, um ihre Kinder vor einem Milieu zu schützen, was längst in den Schulen angekommen ist. Die merken auch, das Präventionspolitik sich nicht an ihre Kinder richtet und das sie gegen Salafisten, Rockergangs und Ethno-Mafia schutzlos sind.
In Gießen versammelte sich eine Rocker-Gang (1%er, alle Big-Jim Figuren) und fuhren im Spalier durch die Stadt. Sie kontrollieren die Szene. Alles junge Migranten, meist Türken/Kurden. Ich weiß nicht, ob ein Funktionär die Angst eines türkischen Vaters bei dem Anblick nachvollziehen kann. Vielleicht würde die Islamisierung nicht so eine Gefahr sein, wenn Sozialdemokraten dafür sorgen würden, dass die, die sich an sozialdemokratische Werte halten, nicht die dummen Opfer sind. Nicht TTIP ist das Problem, sondern das Arschloch, das das Kind in so was rein zieht. Und ja, vielleicht würde ich aus Verzweiflung auch zum Koran greifen.
ich sehe die Probleme der SPD ähnlich und meine, dass sie in der Flüchtlingspolitik die ersten Wochen denselben Fehler gemacht hat,den sie dann zu korrigieren versuchte, doch der linke Flügel haut ihr ständig dazwischen wie gestern und heute wieder.Statt sofort für sich das Thema Wohnen, Arbeit und Sicherheit für die ärmeren Deutschen und andere Migranten, die länger hier sind, die nicht abgehängt werden dürfen durch Merkels Shönrednerei mit platten Sprüchen und ihre Offenheit mit einem Europa ohne Grenzsicherung zu erkennen ,scheint ein Teil der SPD zu oft den Grünen hinterherzurennen und gestattet es Merkel,nichts zum Wirtschaftswachstum und jobs und Euro und EU mit einer Weitsicht von zumindest zehn Jahren und mit konkreten Antworten für die nächsten Wochen sagen zu müssen und meint mit
dem Schimpfen auf Seehofer und Klöckner liberale Wähler zu halten oder zu gewinnen oder so die AFD zu schwächen, was so leider nicht funktionieren wird
Eine gewaltige Schlappe für Gabriel. Ich denken auch, dass die Wähler heute intelligenter sind als früher, auch wenn das manchmal nicht den Anschein hat.
Die SPD sollte sich wieder mit der SED vereinigen, die Linksextremisten gehören zusammen. Wenn die Sozis nicht so fleißig Pässe an Türken verteilt hätten, wären sie unter 10 %.
Was soll’s die Lücke, die die SPD lässt, wird von der AfD mehr als ausgefüllt.
Für Deutschland ist dies ein guter Tausch.