Während die Fragen der existentiellen Humanität in den letzten Monaten vor allem am
Flüchtlingsthema öffentlich abgehandelt werden , sind andere sozial Schwache und Leidende
aus dem Blick geraten, wie Hunderttausende in Altenpflegeheimen und in Krankenhäusern,
die schlecht gepflegt werden oder unheilbar krank sind und sterben wollen. Sie haben scheint es, keinerlei Lobby, außer den mutigen Pfleger Klaus Fussek, der ein Buch veröffentlicht und die Missstände mit Verelendung, Verwahrlosung, ja sogar mit Massentierhaltung vergleicht, ein Schandfleck des Sozialstaates, des Gesundheitswesens .
Im Bundestag soll am Freitag durch ein neues Gesetz zur Sterbehilfe über ihr Schicksal am Ende des Lebens entschieden werden, über das Ärztelobby und Kirchen -und Parteien streiten.Darf überhaupt im Jahre 2015 die Regierung und das Parlament darüber entscheiden, ob wir sterben dürfen, wenn wir es wollen?
Gestern hat Bischof Huber im Tagesspiegel eine Seite lang seriöse Argumente aufgelistet, die dem
Gesetzentwurf von Kerstin Giese (SPD) und Michael Brand(CDU) Recht geben, der wie das Radio meldet, auch von Kanzlerin Merkel unterstützt wird. Das regt mich auf. Wie kann eine Riesenkoalition von Merkel, Oppermann, Göring-Eckhart gestützt von Kirchen und Ärztegruppen sich anmaßen, über die Verlängerung meines Lebens im modernen Zweiklassenkrankenhaussystem zu entscheiden?Obwohl die Gewissensentscheidung von den Fraktionsspitzen freigegeben ist, wird nun über die Medien, als seien sie Regierungsorgane Druck gemacht, dass dieser Antrag den liberaleren vorzuziehen sei. Zum Glück haben zwei Frauen, mit denen ich sonst nicht immer übereinstimme, Petra Sitte von der Linkspartei und Renate Künast von den Grünen einen Antrag eingebracht, auch Peter Hintze parteiübergreifend mit Karl Lauterbach, dem Willen und Wunsch derer, die sterben wollen, vorwiegend, wenn sie älter als 70 oder 80 sind, Recht und Würde zu geben , dem Freiheitsgedanken auch am Ende des Lebens Raum zu geben.
Auch in anderen Bereichen haben Regierung und Kirche und Berufsstände ja nicht die Macht und das Recht die Freiheit des Einzelnen so stark einzuschränken in der modernen Gesellschaft, oder geschäftlichen Missbrauch von Bedürfnissen in der Gesellschaft total einzuschränken. Die Gesellschaft könnte doch als reif und stark genug anerkannt werden, einem miesen Profitinteresse von Sterbehilfevereinen entgegenzuwirken. Sie setzt sich ja auch mit miesen Profitinteressen bei Alkoholmissbrauch, Pornografie oder -Prostitutionskonsum auseinander , die ja alle nicht mehr durch den Staat und Kirche von oben in den letzten Jahrzehnten verboten sind. Unter dem Tabu des Selbstmordes haben zu viele in der Geschichte leiden müssen. Doch das Sterben wollen gegen Ende des Lebens, ist kein Selbstmord und ist keine Aufforderung zum Töten oder der Hilfe zum Töten, sondern oft der stille Schrei zur Hilfe zum Sterben. Es hat viel mit dem Wunsch nach einem würdigen Leben, einem würdigen Abschied, einem würdig gehen können zu tun . Der Wunsch nach Freiheit und Persönlichkeit sein können, im Kreise der Familie oder von Freundinnen sein zu können, statt in dem von Medizinapparaten oder Pflegern, mit denen man nicht mal mehr reden kann , soll durch Palliativmedizin beantwortet werden.Dies Versprechen kann von der Politik , Ärzten und Kirchen kaum eingelöst werden in einer Zeit, wo das Gesundheitssystem die Patienten eher verwaltet und mit Fallpauschalen verschiebt, als ihnen mit einem Minimum und genug Menschlichkeit begegnet. Wieso drücken sich Bischof und Merkel und Göring Eckhart Oppermann und Kauder und Gröhe vor der Einsicht in das Dilemma der modernen Medizin, die ja eben teilweise das Leben unsinnig verlängert, statt zu einem guten Ende nach dem Wunsch des Patienten kommen zu lassen?
Das Leiden unter dem „Nicht Sterben dürfen „, konnte ja noch keiner in Romanen beschreiben, da es einsam und oft ohne Sprache erlitten werden muss und ohne jede Patientenvertretung.Es ist ja gut, dass nun wenigstens für den Bereich der Hospize und der Palliativmedizin, die dringend mehr Finanzen brauchen, wie eine Studie der Bertelsmannstiftung zum Sterben in Krankenhäusern nachweist, Abhilfe geschafft werden soll. Doch wieso setzt man das nicht erst mal flächendeckend um und wieso wartet man nicht, bis erst mal das Pflegepersonal überall erhöht ist um die 50 000, die fehlen, statt nun das Gesetz zu Sterbehilfe zu verschärfen?
Alle, die sterben wollen bei unheilbaren Krankheiten und die sich am Ende ihres Lebens fühlen, werden in ihrer Not und in ihren Anliegen, in ihrem Wunsch, würdig zu sterben dadurch nicht in ihrer Not, in ihrem Willen verstanden. Sie werden gefangen gehalten im Medizinsystem. Das Versprechen eines Arztes, der ja nicht ihr Freund oder Geliebter ist,“ ich lasse sie nicht allein“, hilft ihnen nicht, verehrter Bischof Huber.Wieso sollen die, die im Kreise ihrer Lieben sterben wollen, durch Medizin, Wissenschaft, Kirche und Staat daran gehindert werden?
Wieso braucht es ein neues Gesetz, das dem freien Willensbildung und der Hilfe in der Not, derer, die sterben wollen, weil sie genug haben, schadet? Besser kein neues Gesetz, als ein schlechteres!
Besonders glaubwürdig ist für mich die Argumentation von Petra Sitte für einen freiheitlicheren Umgang mit der Sterbehilfe. Denn sie hat erlebt , wie ihr Vater, der im späten Stadium an Alzheimer litt nicht sterben durfte im modernen Pflege -und Krankenhausalltag. Es ist nicht nur die Angst, andern eine Last zu sein, wie viele behaupten, die für den Regierungsantrag stimmen wollen, nein es ist ein tiefes Bedürfnis nach Freiheit und sinnvollem Leben, nach im Gespräch sein können mit andern, Abschied nehmen zu dürfen.1986 bin ich nach einer Rede zur Tschernobyl katastrophe vom grünen Parteitag aus auf der Intensivstation aufgewacht.So wurde ich nicht nur in jungen Jahren plötzlich mit dem Thema Sterben und Tod konfrontiert, sondern mit der Angst davor, ein jahrelanger Pflegefall zu werden, noch schlimmer mit der Angst, jahrelang nicht sprechen und hören und Menschen begegnen zu können, mich auszudrücken ,zu danken, zu bitten, zu lächeln, zu weinen, zu lachen. Ich hätte im Koma landen können, meinte ein Arzt mir sagen zu müssen, kaum dass ich verstanden hatte, was mir geschehen war.Seitdem denke ich über Sterben im Krankenhaus, über Pflege im Krankenhaus oder Altersheim viel nach, habe auch eine Tante in ihren Jahren mit Alzheimer erlebt. Von Freunden habe ich gehört, wie sie sich von ihren Liebsten nicht verabschieden konnten, weil diese an Maschinen gefesselt waren . Sie wollten als letzten Rest von Autonomie und sich für einen Abschied vom Leben entscheiden können, nicht mehr essen . Sie wollten lieber ein gutes Ende, als eines als Gefangener an Apparaten.
Es erscheint mir ein immer noch sehr autoritäres Bündnis von Kirche, Wissenschaft, Ärzteschaft und Staat, wenn Sterbehilfe nicht mit Freiheit und Würde, sondern nur mit dem Verdacht des Profitmachens verbunden wird. Ausgerechnet am Lebensende wird im Krankenhauswesen gegen profitorientierte Vereine gekämpft auf Kosten derer, die mit guten Gründen nach einem langen Leben sterben wollen. Die Anträge zur Sterbehilfe von Petra Sitte und Renate Künast, Peter Hintze und Lauterbach sehe ich als Versuch, sich vom autoritären Bündnis von Kirche und Staat , wie ich sie vom Bündnis gegen den Schwangerschaftsabbruch u.a. kenne, zu lösen. Ich finde, wie in den meisten Bereichen unseres modernen Lebens soll auch beim Sterben der Freiheit des Einzelnen neben seiner Selbstverantwortung genug Raum gegeben werden und der Not entkommen werden, zum Leben „egal wie“ autoritär von oben gezwungen zu werden.Der Wunsch zu Sterben und dazu Hilfe zu erhalten von Schwerkranken, von unheilbar Kranken ,von denen, deren Leben erfüllt ihnen erfüllt scheint, sollte gewürdigt und ernst genommen werden, sterben wollen, sollte nicht verdammt werden!
Der Wunsch zu sterben ist nicht nur ein Ergebnis des Gefühls, dass man Familie und Gesellschaft nicht belasten will, wie Kirche und einige Anträge im Bundestag argumentieren. Nein, es gibt ein erfülltes Leben, es gibt auch ein nicht mehr tragbares Leben, es gibt eine Zeit zu sterben, die nicht allein von Kirche, Staat und Medizinapparat wie Wissenschaft , die über die Individuen herrschen, bestimmt werden kann.
Da vertrete ich im Unterschied zu Bischof Huber, Pastorentochter Merkel, Pfarrfrau Göring- Eckhart und Pfarrer Gauck eher eine Theologie der Freiheit und der Würde des Individuums, die Einsicht in die Grenzen der Medizin und des Fortschritts und auch eine Theologie, wie sie in vielen alten Kirchenliedern vertreten wird: Es ist genug !
@Stevanovic
Stimmt. Aber das ist das Leben. Man kann vorsorgen, aber nicht alle Eventualitäten ausschließen. Für mich persönlich steht das Recht auf Selbstbestimmung auch am Lebensende an erster Stelle.
Da er auf dem Blog keinen Platz gefunden hat, hier verlinkt mein Gegenentwurf. In dem geht es mir darum aufzuzeigen, dass es hier keinesfalls um den Aspekt der „Freiwilligkeit“ geht. (Schon gar nicht bei psychischen Erkrankungen. Die werden von den „sozialen“ Befürwortern der Tötung auf Verlangen sowieso ausgeschlossen). Freiwillig wäre, jeder hätte Zugang zur Möglichkeit, an welchem Punkt seines Lebens er auch immer angekommen sei. Hier geht es um neue staatliche Verordnungen, Gesetze, die für alle gelten soll, wo Gesetze nie jedem gerecht werden können. Und es geht um die Erlaubnis Außenstehender, aktiv einzugreifen (und ja, auch das Reichen des Bechers ist ein aktiver Vorgang. Wird dieser gereicht in einer Situation, in der der Patient unter Druck ist, aus welchem Grund auch immer, ist auch hier eine „Freiwilligkeit“ fragwürdig). Das ist eine neue Machtstruktur, kein Auflösen von Zwang und Macht zugunsten einer herbeifabulierten „Freiwilligkeit“, die in solch einer Konstellation nicht existent ist. Man will sich angeblicher Fremdbestimmung entledigen, indem man neue Formen der Fremdbestimmung schafft. Denn auch schon der Mangel an Wahlmöglichkeiten in Fragen von Unterbringung, palliativer Pflege (die immer noch nicht jedem offensteht) ist schon ein Teil des Puzzlestücks. Also ja, jeder sollte seine Entscheidungen treffen dürfen. Aber diese gehören nicht in Ärztehand, nicht in Pflegerhand, nicht in Staateshand, nicht in die Hand derer, die über Legalisierung und Kriminalisierung von Medikamenten entscheiden, nicht in Einrichtungen, in denen Druck und Trostlosigkeit im Zweifel den Wunsch zu sterben befeuern. https://tonfarbe.wordpress.com/2015/11/05/sterbehilfe-ein-euphemismus/
Ich sehe die Argumente der Selbstbestimmung schon. Auch den Aspekt des Unwürdigen. Auch halte ich die Angst vor der Kommerzialisierung für vorgeschoben.
Nur, Würde steht im Kontext mit der Umgebung, vor allem der Familie und ich habe keine Lust mit anzusehen, wie Erben an Opas Krankenbett ihm suggerieren, dass alles keinen Sinn und er keine Würde hätte. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die Familien werden immer kleiner, aus Option kann Norm werden. Sterbehilfe ist billiger als Frührente.
Ich bin da nicht so meinungsstark. In der Familie haben wir die Aufgaben für Eventualitäten verteilt, kann die Entscheidung nicht verurteilen. Es kann aber eine Dynamik geben, die in hässliche Richtungen laufen kann.