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Der Pipeline-Fluch

Von Sonja Margolina:

Fast unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit wurde auf dem East Economic Forum, das am 3-5.September in Wladiwostok stattfand, ein Milliardendeal zwischen dem russischen Staatskonzern Gazprom und dem Chemiekonzern BASF unterzeichnet. Das Abkommen sieht vor, dass die BASF-Tochter Wintershall ihre Gashandel- und Gasspeichergeschäft zum Ende dieses Jahres vollständig an Gazprom abgibt. Zugleich haben Gazprom und eine Reihe europäischer Partner, unter anderem EON, Wintershall und Royal Dutch Shell, ein Konsortium gebildet, das bis Ende 2019 zwei zusätzlichen Gas-Pipelines in der Ostsee verlegen wollen. Bei der Kapazität von 55 Mrd. Kubikmeter Gas werden die neuen Stränge zusammen mit dem bereits in Betrieb genommenen Nordstream Russland ermöglichen, ein Drittel des gesamteuropäischen Verbrauchs zu decken und die Ukraine als Transitland überflüssig machen.

Für die betroffenen deutsche Wirtschaft ist das Abkommen, das bereits 2013 beschlossen, aber wegen der Ukraine-Krise aufs Eis gelegt wurde, eine Rückkehr zum business as usual. Vor dem Hintergrund der immer noch bestehenden Sanktionen gegen Russland ist der Deal jedoch ein politischer Dolchstoß. Der polnische Präsident Andrzej Duda hat daraufhin moniert, dass das Projekt polnische Interessen komplett ignoriere und die Solidarität der EU hinsichtlich der „Aggression“ Putins in der Ukraine unterlaufe. Der ukrainische Präsident Yatsenyuk bezeichnete das Projekt als „antiukrainisch und antieuropäisch“. Allerdings würden die Ukraine und die Slowakei jeweils um die 2 Mlrd und Hunderte von Mio. Dollars an Transitgebühren verlieren.(http://www.bloomberg.com/news/articles/2015-09-11/)

Handel ohne Wandel

Der Staatskonzern Gazprom ist nicht nur ein Monopolist. Er ist vor allem ein „Privatbesitz“ wichtigster politischer Akteuere des Kreml und ein wirkungsvolles Instrument geopolitischer Einflussnahme. Im Unterschied zum Öl, das auf der Börse gehandelt wird, werden die Gaspreise insbesondere in den ehemaligen Ostblockländenr mit den jeweiligen Regierungen je nach ihrem „guten Benehmen“ ausgehandelt. Erpressung und Korruption sind Bestandteile nicht transparenter Verhandlungen. Das Scheitern des klugen Vorschlags Polens, dass die EU das Gas an ihrer Grenze kaufen sollte, um das Problem der „politischen“ Preise zu lösen, spricht Bände über die Sonderbeziehungen zwischen nationalen Regierungen in der EU-Zone und Gazprom.

Nun wird die Politik vor das Problem gestellt, dass die „erhöhte Versorgungssicherheit“ an sich mit dem erhöhten geopolitischen Einfluss Russlands einhergeht und nicht unbedingt zur europäischen Sicherheit beiträgt. Im Gegenteil, sie könnte diese erheblich schwächen. Dieses Paradoxon sollte man sich näher anschauen.

Als die Gaspipeline aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges gebaut werden sollte, warnten Amerikaner vor der fragwürdigen Abhängigkeit Westeuropas von der kommunistischen Supermacht. Auch bei der CDU gab es Bedenken. Doch nach dem Öl-Schock 1973, der im Westen eine Wirtschaftskrise ausgelöst hatte, versprach das gigantische Projekt lukrative Einnahmen und sichere Arbeitsplätze.Zudem lieferte die deutsche Ostpolitik eine ideologische Legitimation für die Pipeline, die eine Einbindung der Sowjetunion und damit ihre Abhängigkeit vom Westen angeblich festigen sollte.  Wandel durch Annäherung, Wandel durch Handel, wer handelt, führt keinen Krieg – diese Mantras dienen auch heute noch als Leitfaden der deutschen Russlandpolitik. Verdrängt wird dabei oft, dass das Wettrüsten gerade in den 70er und 80er Jahre auf Hochtouren lief, während ausgerechnet die Devisen aus dem Westen der sowjetischen Seite halfen, ihre Einflusszonen zu sichern und weiter aufzurüsten.

Handel ohne einen Gewinn gab es nur im Sozialismus. Doch der Handel mit Naturressourcen, insbesondere mit Kohlenwasserstoffen, kann sich auf die Volkswirtschaft und vor allem auf die politische und soziale Entwicklung häufig negativ auswirken. Metapher wie „Ressourcenfalle“ oder „Ölfluch“ bringen dessen Kehrseite zum Ausdruck.

Ressourcenarme Länder sind eher zu einer Modernisierung gezwungen als Renten-Staaten.

Am Anfang der 60er Jahre hatte die SU, die im Westen kaum Handelspartner hatte, eine solche Chance verpasst. Die sowjetische Landwirtschaft lag brach. 1963 hatte es eine Hungernot gegeben. Vor diesem Hintergrund hat die Regierung unter dem Ministerpräsidenten Alexei Kossygin versucht, gewisse „proto-kapitalistische“ Reformen in die Wege zu leiten. Man wollte eine Konkurrenz unter den Betrieben zulassen und die Löhne nach dem Leistungsprinzip einführen. Naturgemäß war der Widerstand unter den orthodoxen Parteibossen und in den Ministerien groß. Als zeitgleich Öl-und Gasvorkommen in Sibirien entdeckt wurden, hat das Politbüro die Entscheidung getroffen, die Reformen abzublasen und die im Argen liegende Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern über die Öleinnahmen zu finanzieren. Das Programm „Öl gegen Lebensmittel“ sollte Getreide aus dem Westen sicherstellen. Hauptlieferant waren die USA.

Der Handel mit Öl und Gas hat die Reformchancen also zunichte gemacht. Das Zeitfenster hat sich geschlossen. Zwanzig weitere Jahre dümpelte das Land in der Stagnation vor sich hin, bevor es zusammenbrach. Darüber hinaus hat der hohe Ölpreis am Ende der 70er Jahre das senile Politbüro in das Afghanistan-Abenteuer getrieben. Auch der Georgien-Krieg 2008 und der Ukraine-Krieg 2014 wurde mit steigenden Öl-Einnahmen finanziert.

Die Mantra „Wandel durch Handel“ lässt sich weder am Beispiel der SU noch an Russland, von vielen afrikanischen und Nahost-Staaten ganz zu schweigen, bestätigen. Wenn es einen Wandel auch geben mag, dann nicht in die Richtung, die von den Wohlgesinnten gemeint ist. Vielmehr stabilisiert er autoritäre und archaische Regime, korrumpiert die Obrigkeit, verringert die Möglichkeit innovativer und institutioneller Entwicklung.

Der Handel mit dem Westen seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist gewiss nicht der einzige, aber doch einer der gewichtigen Gründe dafür, dass Russland seine „Pfad-Abhängigkeit“ nicht überwinden konnte.

Nun zurück zur Gaspipeline. Wie eine Nabelschnur verband sie Deutschland mit Russland. Zweifelsohne hat das sibirische Gas seit bald vierzig Jahren zur wirtschaftlichen Entwicklung hierzulande beigetragen. Doch die Versorgungssicherheit hatte auch eine Kehrseite. Seit dem Bau der Pipeline fand eine Energierevolution statt. Dank den neuen und preiswerteren Fördermethoden wie Fracking wurde es möglich, Gas aus den Schichten zu holen, die früher unzugänglich waren. Vorkommen von Schiefergas gibt es in Europa und Deutschland. Viel höhere Volumen von Flüssiggas werden auch aus dem Nahosten nach Europa verschifft. Die teueren Pipelines, die über Tausende von Kilometern durch politisch instabile, kriegsführende und autoritäre Staaten verlegt werden, muten zunehmend unzeitgemäß an. Auch die Preisbildung findet immer mehr auf dem freien Markt statt. Politische Preise und Gaskriege wirken anachronistisch. Vor diesem Hintergrund führt business as usual in eine technologische Rückständigkeit. Der Erfolg von Gazprom, der Protestgruppen gegen Fracking in Deutschland, Rumänien und anderen potentiellen Gasfördererländern unterstützt, sowie dessen erfolgreicher Lobbyismus auf der EU-Ebene verhindern den energiepolitischen Wandel in Europa. Und damit wächst der Zugriff Russlands auf das europäische Gefüge. Selbstverständlich hat der „Komintern“ viele anderen Bereiche- politische Parteien, Medien, Spionage-, in denen sein Einfluss zur Geltung kommt. Doch seine subversive Tätigkeit wird in der Regel mit den Einnahmen aus dem Gashandel finanziert.

Allerdings bringt der Handel durchaus einen Wandel, aber nicht in Russland, sondern in Deutschland – der Ostpolitik sei dank.

Für die Ukraine, die eine Leidtragende des letzten Pipeline-Deals ist, stellt sich nun auch die Frage, ob der Wegfall der Transitgebühren sie auf die Knie zwingt, oder als Chance genutzt wird, sich zu modernisieren und der Abhängigkeit vom russischen Ressourcenfluch zu entkommen.

 

Sonja Margolina ist Autorin von “KALTZEIT: Ein Klimaroman”(2013), “Brandgeruch”(2011) und anderer Werke

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