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Wer Arbeit hat, kann Deutscher werden

Als tipping point bezeichnet man ein Ereignis, das eine vorgezeichnet erscheinende Entwicklung plötzlich verändert. Die Einführung der DM nach dem 2. Weltkrieg war so ein Ereignis. Wie durch ein Wunder füllten sich unmittelbar danach die Schaufenster, die bis dahin leer gewesen waren, und es begann, was später das deutsche Wirtschaftswunder genannt werden sollte. Oder die Aufhebung der Zwangsbewirtschaftung von Wohnraum. Statt weiter den Mangel zu verteilen, wurde gebaut und in Wohnungen investiert.

Auch im Umgang mit Flüchtlingen brauchen wir jetzt einen tipping point. Bisher ging man davon aus, dass Kriegsflüchtlinge nur vorübergehend in Deutschland aufgenommen werden. Integrationsmaßnahmen seien unnötig, weil die Menschen in ihre Heimat zurückkehren würden, sobald der Krieg dort beendet sei. Schließlich würden sie zum Wiederaufbau ihres Landes gebraucht.

Bis heute werden deshalb Menschen in den Kosovo abgeschoben, die sich Anfang der 90er Jahre vor Milosevics Truppen nach Deutschland in Sicherheit gebracht hatten. Es gab zunächst weder Sprachkurse noch Arbeitserlaubnisse. Viele hangelten sich mit sechsmonatigen Kettenduldungen durch die Jahre in Deutschland. Nicht einmal die Kinder unterlagen von Anfang an der allgemeinen Schulpflicht. Sie würden Deutschland eh bald wieder verlassen, dachte man zunächst.

Über die Jahre haben wir zwar gelernt. Flüchtlingskinder gehen schon lange vom ersten Tag an in die Schule. Es gibt jetzt Arbeitserlaubnisse für Flüchtlinge, und Flüchtlinge können auch einen Ausbildungsvertrag abschließen. Die Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender (GGUA) informiert über Einzelheiten: „Am 6. und am 11. November 2014 sind mehrere Erleichterungen beim Arbeitsmarktzugang für Asylsuchende mit Aufenthaltsgestattung und Personen mit Duldung in Kraft getreten: Die Wartefrist für die Arbeitserlaubnis verkürzt sich für beide Gruppen von bisher neun bzw. zwölf Monaten auf die ersten drei Monate des Aufenthalts (bei der Berechnung der Wartefrist wird die gesamte Zeit des bisherigen Aufenthalts mitgezählt – unabhängig vom vorherigen Status). Danach besteht für beide Gruppen grundsätzlich ein nachrangiger Arbeitsmarktzugang, d. h. weiterhin muss für eine konkrete Beschäftigung eine Erlaubnis bei der Ausländerbehörde beantragt werden, die wiederum die ZAV (Agentur für Arbeit) um Zustimmung anfragen muss. Für eine Zustimmung werden grundsätzlich eine Vorrangprüfung und eine Prüfung der Beschäftigungsbedingungen durchgeführt. Die Vorrangprüfung entfällt nun spätestens nach einem 15monatigen Aufenthalt.“ Und dann folgen weitere eng bedruckte Seiten mit Regeln und Ausnahmen.

Das klingt nicht nur bürokratisch, das ist es auch. Und unübersichtlich ist es außerdem. Vor allem werden diese Regelungen der Aufgabe, vor der Deutschland jetzt steht, nicht gerecht.

Wir müssen uns darauf einstellen, dass ein großer Teil der Menschen, die jetzt aus Syrien zu uns kommen, dauerhaft in Deutschland bleiben werden. Ziel unserer Flüchtlingspolitik muss deshalb sein, alles dafür zu tun, dass diese Menschen möglichst bald auf eigenen Füßen stehen, für sich selbst sorgen und sich in Deutschland eine Existenz aufbauen können.

Das wird den Flüchtlingen viel abverlangen. Die notwendigen Anstrengungen werden sie nur unternehmen und sich auf dieses Ziel konzentrieren, wenn sie AM ANFANG die Sicherheit haben, dass SIE SELBST es in der Hand haben, ihr dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland zu sichern.

Um einen tipping point zu bekommen, sind zwei neue Regeln unerlässlich:

Wer einen Arbeitsplatz hat und für seinen Lebensunterhalt sorgen kann, kann dauerhaft in Deutschland bleiben und, wenn gewünscht, nach acht Jahren auch Deutscher werden.
Wer eine Ausbildung erfolgreich abschließt, kann anschließend in Deutschland bleiben und arbeiten.

Mit dieser Möglichkeit vor Augen werden sich die Flüchtlinge anstrengen, die deutsche Sprache zu lernen. Sie werden sich aus eigenem Antrieb um Arbeits- und Ausbildungsplätze bemühen. Arbeitgeber, die bisher gezögert haben, Flüchtlinge einzustellen, weil ja noch nicht klar ist, wie lange sich der Bewerber überhaupt in Deutschland aufhalten darf, werden handeln und einstellen.

Arbeit und Beschäftigung ist kein Nullsummen-Spiel nach dem Motto: die Flüchtlinge nehmen uns die Arbeit weg – sondern schafft neue Arbeit und Beschäftigung. Deshalb braucht man auch die sog. Vorrangprüfung nicht mehr. Auch die Sperrfristen können entfallen. Jedes Foto von Aleppo zeigt: es sind nicht die sog. Pull-Faktoren wie Arbeitsplätze, die die Flüchtlinge nach Deutschland gelockt hätten. Es waren die Fassbomben von Assad, die sie zu uns getrieben haben.

Wer Arbeit hat, kann Deutscher werden – das könnte der tipping point nicht nur für eine erfolgreiche Integration der Flüchtlinge werden, sondern auch ein kräftiger Wachstumsschub für unsere Wirtschaft.

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Über Ruprecht Polenz

Ruprecht Polenz (68) gehörte von 1994 bis 2013 dem Deutschen Bundestag an und war 2000 Generalsekretär der CDU. Von 2005 bis 2013 war der Politiker aus Münster Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) und Dean des Global Diplomacy Lab. Der Jurist ist verheiratet und hat mit seiner Frau vier erwachsene Kinder.

6 Gedanken zu “Wer Arbeit hat, kann Deutscher werden;”

  1. avatar

    Sehr geehrter Herr Polenz!
    Würden Sie bitte erklären, warum der Westen in Serbien eingegriffen hat? Meines Erachtens geschah das auch, um den Kosovaren einen eigenen Staat zu geben. Wenn die Kosovaren den Staat nicht mehr wollen, könnten sie ihn im Grunde an Serbien zurückgeben. Wir nehmen dann alle Kosovaren auf. Würden Sie also bitte mal die windige Mentalität der Kosovaren (Ex-Albaner) erklären? Oder beitragen, wieso man überzeugt sein sollte, dass diese zwar kein Land auf die Beine stellen und verwalten können, aber statt dessen in einem hochtechnisierten Staat Karriere machen können?
    Zweitens wäre ich der Politik durchaus dafür verbunden, wenn sie mal aufschlüsseln würde, wer vor wem aus Syr-irak flieht und ob wir wirklich alle davon aufnehmen sollten, unter denen, die vor Assad fliehen, auch Al-Nusra und vermutlich IS-Anhänger. Und eine schlüssige Erklärung, warum Saudi-Arabien diese nicht will, wäre auch schön.
    Schließlich möchte ich Sie noch auffordern, das triumphierende Lächeln des Mannes, der mit sich und Frau Merkel ein Selfie machte mit dem Victory-Zeichen hinter dem Handy, zu analysieren. Aber ich denke, die CIA hat das längst registriert. Deutsche Politiker haben ihre „eyes wide shut“, sollte man meinen. Für deutsche Politiker scheint es Tradition zu werden, das eigene Volk als Kanonenfutter zu betrachten. Oder finden Sie das pessimistisch? Ich gebe zu, mein Vertrauen in diese Vorgänge ist nicht groß.

  2. avatar

    Assad ist kein Waisenknabe, aber die meisten Flüchtlinge (selbst Moslems) fliehen vor den Hardcore-Moslems des IS.

    Aber das zu sagen wäre für den Islam-Versteher Polenz wohl zu viel verlangt gewesen.

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    Okay, Herr Polenz, ich stimme Ihnen unter den Voraussetzungen zu, dass alles getan wird, dass die z.Z. unreglementierten Zuwanderung, die eben ein „büschen Chaos schafft“, unter Kontrolle gebracht wird, dass wir bestimmen, welche und wieviele Einwanderer kommen, dass nur soviele Menschen zugelassen werden, wie Arbeitsplätze angeboten werden können, dass es eine Erfolgskontrolle für dieses Programm gibt, dass Deutschland seine helldeutsche Politik nicht auf Kosten der anderen europäischen Länder, hauptsächlich den Transitländern, betreibt. Dienlich wäre auch, wenn die Bundesregierung zeigen würde, dass sie mit ähnlich großem Elan das Problem der inneren Sicherheit angeht, einen Bruchteil von 6 Milliarden zur Verfügung stellt, um in bestimmten Zonen unserer Republik wieder die Herrschaft des Rechts und des staatlichen Gewaltmonopols wiederherzustellen.

    Wenn, wie Claudia Roth bemerkt „Es werden auch Menschen kommen, die nicht unmittelbar verwertbar sind.“, dies, wie üblich in der Politik nicht quantifiziert wird, die als Kleingeister hingestellt werden, die Kosten-Nutzen-Rechnungen aufstellten, bezweifle ich, dass das ein Tipping-Point ist.

  4. avatar

    Ps.:
    Erstaunlich auch, das für Sie 2015 nichts mehr weiter dazu gehört, Deutscher zu sein, außer dem deutschen Arbeitsplatz. Es ist doch so – und da zitiere ich tatsächlich einmal Alexander Kissler aus seinem neuen Buch „Keine Toleranz den Intoleranten: „Wem alles egal ist, auch daa eigene Wertegerüst, der ist nicht tolerant, sondern ignorant.“

  5. avatar

    Lieber Ruprecht Polenz,

    Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze. Besonders Ihr im positivsten Sinne zwanghaftes Verhalten, wenn es um einfache Lösungen und Erklärungsmuster geht. So etwas zeichnet ja den geübten Politiker aus. Zweifel sind etwas für die Klausur, nicht für die Mikrofone. Aber so, wie Sie hier an die „Mikrofone“ treten, kann es meiner Meinung nach nicht funktionieren. Gradezu unterträglich wird es, wo sie den Konflikt in Syrien, der nichts anderes ist als ein weiteres Desaster dieses Feldzuges nach 9/11, herunterbrechen auf Assads Fassbomebn. Sie wissen das ebenso besser, wie Sie besser wissen, dass von 500.000 Flüchtlingen (die Zahlen werden ja täglich nach oben korrigiert), die längerfristig hierbleiben werden oder/und wollen, mind. 450.000 jahrelang auf den Wohlfahrtstaat angewiesen sein werden. Das gilt für jedes 500.000er Kontigent weiter. Maybritt Illner hat ja dafür Zeugniss abgelegt, als sie den sympathischen Elektro-Ing. aus Syrien eingeladen hatte, der eindrucksvoll Beleg dafür war, dass man auch nach einem jahr intensiver Deutschkurse leider leider noch nciht das Rüstzeug in der Tasche hat, seinen Beruf in Deutschland auch nur annährend zu erledigen. Und wenn Sie hier nun im gleichen Maßen das Getöse eines Sascha Lobos in diversen Talkshows übernehmen, der am Scheitelpunkt jeder Debatte immer lautstark erklärt, wir brauchen doch Hunderttausende jedes Jahr! wir brauchen doch Hunderttausende jedes Jahr! , dann frage ich Sie, wofür? Was haben wir verpasst? Möglicherweise eine destaströse Familien-Politik in de letzten Jahrzehnten, die uns einen Bevölkerung garantiert hätte, die auch Sascha Lobos Verlangen nah jährliche Zuwachs an Bruttosozailprodukt ausreichend befriedigt hätte? Lieber Ruprecht Polenz, vielleicht ist es mitunter doch sinnvoll, die Widersprüche einer Angelegenheit offen zu legen verus die vereinfachte politische Proklamation. ich würde mir das von Ihnen wünschen. Platz genug ist ja hier. Legen Sie los! 😉 Ihr Wallasch

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    „es sind nicht die sog. Pull-Faktoren wie Arbeitsplätze, die die Flüchtlinge nach Deutschland gelockt hätten. Es waren die Fassbomben von Assad, die sie zu uns getrieben haben.“

    Und was hat sie aus Ungarn und Österreich zu uns getrieben?
    Aber es stimmt, die Arbeitsplätze haben sie nicht zu uns getrieben.

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