Im Unterricht kann es passieren, dass der Lehrer einen begabten Schüler, der sich schon zu Beginn der Stunde eifrig meldet, mit den Worten bremst: „Dich kann ich erst am Ende der Stunde dran nehmen, du nimmst mir ja das Stundenziel vorweg!“ – Verkehrte Welt.
Da gibt es in einer Schulklasse einen Überflieger, der in Windeseile alles kapiert, der aber ruhig gestellt werden muss, damit er den schön austarierten Stundenentwurf des Lehrers nicht durcheinander bringt. Solche leistungsstarken Schüler, die mit einer hohen Intelligenz und einer flinken Auffassungsgabe ausgestattet sind, gibt es zu Hauf. Im normalen Unterricht werden sie nicht gefördert. Der Gründe sind viele.
Die Lehrer schieben die Schuld gerne auf zu großen Klassen, die es nicht erlaubten, allen Begabungen gleichermaßen gerecht zu werden. Ich sehe die Ursache vor allem in der Mentalität der Lehrer. Viele sehen es nicht als vordringliche Aufgabe an, hochbegabte Kinder besonders zu fördern, weil sie denken: Die schaffen es ja ohnehin.
Mit dieser Haltung befinden sich die Lehrer völlig in Einklang mit der Mehrheit der Eltern, die in der Leistung keineswegs ein vordringliches Ziel von Schule sehen. In der vor kurzem veröffentlichten Studie der Jako-O-Stiftung (s. WELT vom 6. 9. 2012) ist zu lesen, dass nur 52% der befragten Eltern die Förderung besonders begabter Schüler befürworten, während 84% für „gleiche Bildungschancen“ als vordringliches Ziel plädieren. Warum ist es so wenig populär, auch im Bildungssystem am Leistungsgedanken festzuhalten?
Warum fällt die Forderung nach „gemeinsamem Lernen“ selbst im Bildungsbürgertum auf fruchtbaren Boden? Im Show-Business und im Sport gilt es als selbstverständlich, dass Sieger im harten Ausscheidungswettbewerb ermittelt werden. Spitzenkönner werden wie Ikonen verehrt und in die Hall of Fame aufgenommen. Kein Mensch käme auf die Idee, in die deutsche Fußballnationalmannschaft einige Spieler aus der Kreisklasse aufzunehmen, damit der Chancengleichheit und der sozialen Gerechtigkeit Genüge getan wird. Warum will man nur in der Bildung die „Einheitskost“, das gemeinsame Lernen von Begabten und Minderbegabten, das dem Leistungsgedanken widerspricht?
Warum nimmt man in Kauf, dass diejenigen, die die Masse an Geistesgaben überragen, an der optimalen Entfaltung ihrer Anlagen gehindert werden? Anscheinend ist es kränkender, weniger intelligent zu sein als weniger sportlich. Die Vertreter der Gleichheit in der Bildung können es nicht ertragen, dass ein Gut wie die Intelligenz nicht gerecht unter den Kindern und Jugendlichen verteilt ist, weil der eine offensichtlich mehr von diesem kostbaren „Rohstoff“ abbekommen hat als der andere. Der Kampf um die Gemeinschaftsschule, der zum Kernbestand der Bildungspolitik vornehmlich der linken Parteien und Verbände gehört, ist Ausdruck einer tief sitzenden Kränkung darüber, dass es junge Menschen gibt, denen – unverdient – alles zufliegt, weil sie das Glück haben, in bildungsbeflissenen Elternhäusern heranzuwachsen, während andere – unverschuldet – in Milieus hineingeboren werden, die sie von Anfang an in ihrer geistigen Entwicklung benachteiligen.
Den Wünschen der Wähler gehorchend, haben die meisten Landesregierungen (Fels in der Brandung: Bayern) inzwischen Gemeinschaftsschulen gegründet. Um den Spagat der Begabungsunterschiede in den Klassen zu meistern, wählen diese Schulen unterschiedliche Differenzierungsmethoden. Sie reichen von der Einführung von Fachleistungskursen bis zum individuellen Lernplan für jeden einzelnen Schüler.
Es muss erlaubt sein, diese Modelle des gemeinsamen Lernens auf den Prüfstand zu stellen. Wichtigstes Kriterium muss dabei der Lernerfolg der Schüler sein, der in einem bestimmten Zeitraum erreichte Lernzuwachs. Da in den drei PISA-Studien die Erhebungen schulformspezifisch vorgenommen wurden, gibt es zum Glück belastbare Zahlen.
Sie sind eindeutig: Das gegliederte Schulsystem ist dem vereinheitlichten in allen Belangen überlegen. Lehrer wundert dieses Resultat keineswegs. Sie machen in jeder heterogen zusammen gesetzten Lerngruppe immer die gleiche Erfahrung: Das Niveau des Unterrichts pendelt sich auf ein mittleres Maß ein, zum Nachteil der besonders klugen Schüler.
Aufschlussreich sind Studien, die „weiche“ Faktoren wie die Zufriedenheit der Schüler mit ihrer Schule untersuchen. Die Ergebnisse müssen die Verfechter der Gemeinschaftschule nachdenklich stimmen. Die Ergebnisse für die Gesamtschulen zeigen, dass die Lernschwachen gerade darunter leiden, dass es an ihrer Seite „Überflieger“ gibt, die mit einem einzigen Gedankenblitz das begreifen, was ihnen selbst bei langem Nachdenken verschlossen bleibt.
Das „soziale Miteinander“ wird von den Schülern also eher als psychische Belastung erfahren. Viele Schüler rutschen aus Frustration über die erlittene „Zurücksetzung“, die sie als Niederlage empfinden, in die Verhaltensauffälligkeit. Viele Disziplinverstöße, über die die Gesamtschulen klagen, haben ihre Ursache in dem Gefühl der leistungsschwachen Schüler, ständig zu den „Verlierern“ zu zählen.
Das Geheimnis der gut funktionierenden Hauptschulen in Bayern und Baden-Württemberg liegt u.a. auch darin, dass die Hauptschüler „unter sich sind“ und so einen hohen Grad an Zufriedenheit mit „ihrer“ Schule entwickeln können.
Was bleibt zu tun? Seit Jahren genießt bei Befragungen über die Wertepräferenzen in der Bevölkerung „Gerechtigkeit“ eine höhere Wertschätzung als „Freiheit“. Leistungsbereitschaft ist aber die Folge von Freiheit und zugleich ihre Voraussetzung. Da es sehr schwer ist, Mentalitäten in der Bevölkerung zu ändern, wird es in Hinblick auf die Schule kaum möglich sein, dem eingewurzelten Gerechtigkeitsempfinden so etwas wie Leistungsdenken entgegen zu setzen.
Die Regierung hat allerdings eine Verantwortung für das Wohlergehen unseres Landes. Wenn alle aufstrebenden Nationen der Welt – allen voran Indien und China – keine Scheu davor haben, ihren Schülern Höchstleistungen abzuverlangen, kann sich Deutschland nicht bequem zurücklehnen.
Denn jeder weiß, dass in der modernen Welt das in der Gesellschaft vorhandene Wissen ökonomisches Wachstum generiert und Wohlstand sichert. Wenn wir da zurückbleiben, haben wir zwar kuschelige Schulen, aber einen niedrigeren Lebensstandard.
Deshalb müssen folgende Maßnahmen auf die Agenda: ein zentrales Abitur für ganz Deutschland und gemeinsame Standards für alle Mittleren Schulabschlüsse in den Bundesländern. Jede Schule hätte dann die Freiheit, ihr eigenes Lernmilieu auszuprägen. Bei den zentralen Prüfungen käme dann aber die Stunde der Wahrheit: Hic Rhodus, hic salta! (Zeig hier, was du kannst!)
Der Autor unterrichtete bis zu seiner Pensionierung am John-Lennon-Gymnasium in Berlin-Mitte. Er ist Autor des Buches „Auf den Lehrer kommt es an“.
@derblondehans
„… null problemo … ich helfe.“
Soso, gerettete Banken halten sich also nicht an Auflagen, überhaupt bewirken Subventionen nicht das, was sie erreichen sollen, public private partnerships,.. usw. usf. Der Staat zieht sich da zurück, wo er eingreifen müsste und greift da ein, wo er nichts zu suchen hat. Wer hätte nun das gedacht.. Ich schrieb‘ doch bereits: „Griechenland ist überall.“
Ich meine: Der Staat – wir – müssen protestantisch (sic!) sparen, damit wir aus der Abhängigkeit vom Finanzmarkt geraten. Und wir müssen uns von einer Vorstellung von Wachstum lösen, die immer noch den Verhältnissen im Nachkriegs-Aufbaudeutschland verhaftet sind.
Damit ich nochwas zum Thema sage: Kinder müssen vor allem lernen, sich ein Ziel zu setzen und sich darauf zu focussieren. Ich glaube, da fehlen ihnen aber die Vorbilder.
KJN: “Gibt es einen Dritten der profitiert?”
DAS allerdings, frage ich mich auch seit langem!
… null problemo … ich helfe.
derblondehans fragt:
„Gibt es einen Dritten der profitiert?“
DAS allerdings, frage ich mich auch seit langem!
@Parisien: Bei mir trifft von den dreien die zweite Möglichkeit zu.
Parisien: … Entweder Sie und Posener haben ein extrem schlechtes Gedächtnis, oder Sie hatten nur mittelmäßiges Interesse an der Schule, oder Sie wollen die Kultur zerstören zugunsten eines technokratisch erzogenen Fabrikarbeiters oder sozialen Hinternabputzers. Aber das passt alles zu Ihrer pauschalen 100%-Ablehnung von Thilo Sarrazin, Absolvent eines humanistischen Gymnasiums.
Ihr etwas eindimensional wirkendes Konzept von Kindererziehung und Schulbildung wird sich hoffentlich nicht durchsetzen.‘
… genauso ist es.