Eine italienische Szene: Der feige Kapitän verpisst sich jammernd im Dunkel der Nacht ins erstbeste Rettungsboot, während Frauen und Kinder ertrinken. Er selbst war es, der durch fahrlässige Eitelkeit die Katastrophe herbeigeführt hatte. Und sich nun vor seiner ureigensten Verantwortung drückt. Der Hafenkommandant brüllt ihn am Telefon an: „Geh an Bord, Du Schwanz!“ Er wimmert zurück. Hier sei es aber dunkel.
Die Opfer der Feigheit sind nicht anonym. Wir sehen Filmfetzen von den Handys der gerade noch geretteten Passagiere. Eine junge Familie mit zwei kleinen Töchtern, zunächst stolz in der Kabine, dann vergnügt im Flur zum Dinner, dann verloren im Ballsaal. Alarmgesten und das Mädchen an der Hand der Mutter. Entsetzen, Hilflosigkeit in ihren Augen. Es treibt einem die Tränen in die Augen. Vada a bordo, cazzo.
Der Ruf nach dem Helden. Wir wollen das Staatsschiff in guten Händen wissen. So klang das, nachdem Bismarck, der Lotse, das Staatsschiff verlassen hatte. Ging nicht wirklich gut. Zur gelehrsamen deutschen Geschichte gehört seitdem, dass nicht nur auf Kreuzfahrtschiffen die Lotsen von Bord gehen können. Und die Kapitäne das Staatsschiff dann gegen die Klippen setzen.
Der Philosoph Sloterdijk hat einen Preis gestiftet für den Großmut, das Generöse. Mit seiner Trüffelnase für den Zeitgeist will er nun im allgegenwärtigen Mittelmaß neue Helden erspüren. Zurecht weist er darauf hin, dass der Mensch das werde, was er von sich selbst halte. Nach dem Geiz könnte nun, so der Plan, jetzt mal der Großmut geil sein. Die Glorifi-zierung von Friedrich dem Großen passt in diese Zeit. Titanenverehrung tut not, ganz nach Graf Luckners Motto.
Kern unserer Unterhaltungskultur ist das Traumschiff. Ein mit Goldlitzen bewehrter Herr sorgt für klaren Kurs und erhabensten Glamour. Eine schöne Frau an seiner Seite. Das Projekt Christian Wulff, dem eine ehrgeizige Frau sagte: Vada a bordo. Und nun gibt er nicht Bismarck oder Wilhelm II, sondern den fliegenden Holländer. Diese Enttäuschung wird das Publikum ihm nicht verzeihen. Vorübergehend gescheitert. Am Ende kann dann nur noch Helmut Schmidt von der ZEIT helfen, unter einer Hamburger Lotsenmütze. Ein deutscher Nationalcharakter von Giovanni di Lorenzos Gnaden.
Spekulationen zum Nationalcharakter: Ist das eine typisch italienische Szene? So wie die Bilder aus Athen von den Hellaten im Strassencafé eine typisch griechische zeigen? An die Arbeit, Ihr Hunde!? Oder das Halbdunkel, in dem Franzosen zwischen Milieu und Millionen tingeln. Geht das auch mit Stil, Monsieur? Und aus dem Ski-Dorf Davos kommen Bilder von den ganz Großen dieser Welt, mit geöffnetem Kragenknopf. Sind diese Kapitäne an Bord? Oder treiben sie in luxuriösen Rettungsbooten? Steuern sie einen Kurs unserer Wirtschaft jenseits der Klippen, an denen unser Leben zu zerschellen droht?
In einem Davoser Restaurant höre ich abends aus dem Schwaden der Käsefondues, dass der Weltreiche Soros beim Lunch über Frau Merkel gesagt haben soll, dass sie die emotionale Qualität der Märkte nicht verstehe. Da ist der Spott der athletischen Milliardäre über eine kleine dicke Frau aus dem Osten, die mit Aluchips und Konvertierrubel aufgewachsen sei. Sie habe eingeräumt, dass man einer Attacke der Märkte vielleicht nicht standhalten werde. Das stimme zwar, aber man dürfe es nicht auch noch sagen. Spott über die Brücke des deutschen Dampfers von denen, die die Wellen machen.
Zum englischen Nationalcharakter gehört es, dass man sich als eine Nation freier Menschen sieht („Britains never will be slaves !“) und den Anspruch hat, das Regieren der Welle nicht den amerikanischen Investmentbankern zu überlassen („Britannia, rule the waves!“). So begründet man dort seinen Abstand zur Euro-Zone. Der englische Premierminister bescheidet das deutsch-französische Gespann: Ohne uns. Die Eintracht (lateinisch: „concordia“) in der EU ist hin. Liegt der europäische Traum inzwischen dort, wo das Kreuzfahrtschiff namens Concordia gestrandet ist? Auf dem Bauch in seichten Gewässern mediterraner Untiefen?
Der vormalige Interims-Präsident in Schloss Bellevue, Horst Köhler, hatte noch vor dem Monster der Finanzmärkte gewarnt. Heute findet er sich, trotz Desertion, gelobt. Er verstand wenigstens etwas, von dem, was er sagte. Der jetzige Interims-Präsident, Christian Wulff, wird in die Kulturgeschichte dieses Landes eingehen als ein Vorbild des Schnorrens und der Schnäppchenjägerei.
Man möchte meinen, dass Wulff ein durchaus italienischer Charakter ist, eine griechische Mentalität, ein französisches Phlegma. Und jetzt, spätestens jetzt, wird das Hantieren mit den Ressentiments der Nationalcharaktere schal. Man müsste sich bei allen Helden Italiens und Griechenlands entschuldigen (insbesondere denen des Alltags), wäre nicht auch das eine leere Wendung.
Bitter ist mir noch in Erinnerung, wie die deutsche Bundeskanzlerin in Davos von jenen apostrophiert wurde, die ein paar Brocken Deutsch kannten: „DAS Merkel.“ Die diskriminierende Versachlichung macht es den Machos vielleicht leichter, mit einer Frau auf der Brücke umzugehen, ist aber in der politischen Mentalität ein Eisberg. Unter der Wasseroberfläche schlummern der Groll und Grimm vor der Führungsrolle Deutschlands in Europa. Wir dürfen das Schiff wieder flottmachen, aber sie werden uns dafür nicht lieben.
Unsere Seelen lechzen nach Helden. Wir wissen nur, wer das nicht sein wird. Nicht der neue Präsident des EU-Parlaments ein Martin Irgendwas aus Aachen. Nicht die Außenbeauftrage der EU, eine Labor-Abgeordnete tragischer Physiognomie. Nicht der kleine Belgier mit dem breiten Mittelscheitel oder der geschwätzige Portugiese. Eine politische Klasse der allzu italienischen Kapitäne. Lauter Wulffomaten.
In Europa entsteht ein populistisches Klima, das nach einem charismatischen Führer verlangt. Wir werden uns über künftige Wahlen in Italien und Griechenland noch wundern, wenn wir damit nicht schon bei Frankreich anfangen. Es riecht ungarisch aus der europäischen Küche. Als Deutscher weiß man, wie gefährlich das ist. Da muss nur eine Figur um die Ecke kommen, und die Massen brüllen wieder: Vada a bordo, cazzo.
„Unsere Seelen lechzen nach Helden. Wir wissen nur, wer das nicht sein wird. Nicht der neue Präsident des EU-Parlaments ein Martin Irgendwas aus Aachen. Nicht die Außenbeauftrage der EU, eine Labor-Abgeordnete tragischer Physiognomie. Nicht der kleine Belgier mit dem breiten Mittelscheitel oder der geschwätzige Portugiese. Eine politische Klasse der allzu italienischen Kapitäne. Lauter Wulffomaten.“
Toll geschrieben, das Ganze, Kompliment. Ob Sie Recht haben damit, dass wir nach Helden lechzen, weiß ich nicht. Wenn Sie Schettino und Chesley Sullenberger vergleichen, ist uns natürlich Sullenberger lieber.
Aber eins erscheint mir gewiss: Die Brüsseler Eurokraten haben die meisten Leute satt, in allen Ländern. Vielleicht wünschen sie sich lediglich Politiker, die wieder die landeseigenen Interessen besser vertreten (wie das sowohl Merkel als auch Cameron vorführen) und zeigen, dass ihnen ihre Wähler mehr am Herzen liegen als Elitendenken aus Brüssel. Man will auch nicht über den Euro definiert werden. Man ist nicht Geld.
Hollande ist übrigens kein Populist.
Populismus kommt auf, weil Anliegen von ureigenen Wählern seit Jahrzehnten, ganz besonders seit 1989, zunehmend überhört werden. Populismus ist doch auch eine Folge von falschem und vor allem blinden und tauben Regieren. Und jeder bemerkt, dass es keinen in der Regierung kratzt, wenn ca. 30-40% gar nicht wählen, wenn also die jeweilige Koalition nur von maximal 30% insgesamt gewählt wurde.
Der Gaudi in Europa, heute, ist doch erheiternd bestrachtet von Lateinamerika, Afrika und Asien : Wenn die NATO-Euros sich mit sich selbst befassen muessen, koennen die „Anderen“ zumindest mehr fuer ihre Unabhaengigkeit versuchen. Aber keine Angst – auch wenn es oben in Palais und Kanzleramten kracht – das NATO-Europa graebt nicht nur unvermindert, sondern mit vielen „Operations“ und vielerorts fuer die Ausdehnung der NATO. Das in Lateinamerika als „harmlos“ vermutete ‚Alemania/Alemanha'( weil nicht „Anglo“) hat die „lead-position“ fuer die Ausdehnung der NATO in Lateinamerika. 2010 erschien der General Klaus Naumann in der KAS in Rio im Auftrag der NATO Ausdehnung in den Suedatlantik und wurde mit einem hoehnische „NAO“ gedemuetigt. Aber unbelehrbar erschienen 2011 wieder germanische Verteidigungsexperten in der KAS in Rio, hoerten wieder „NAO“ und meinten: „Wir werden trotzdem wieder darueber sprechen!“ Am 6. Feb. 2012 beginnt eine permanente Infiltration der oeffentlichen Meinung in Lateinamerika, durch die „Deutsche Welle“ mit einem 24/7 TV Kanal in spanischer Sprache. Mit besonderer Unterstuetzung des Praesidenten Felipe Calderon in Mexico, der PAN Partei (katholisch, konservativ, pro-USA). Die „Deutsche Welle“ operiert weiltweit in TV und Radio in vielen Sprachen mit Orientierung “ CDU-NATO-Katholische Kirche“. Auch Murdochs FOX, die Neocon Organisation, beginnt einen 24/7 TV Kanal in spanischer Sprache in Lateinamerika. Deshalb – the „permanent government“ ist still am Werk unten im geostrategischen Bunker, auch wenn es oben in der Fuehreretage etwas rumpelt.
Ein Kapitän hat eine beachtliche seemännische Laufbahn hinter sich, eher er ein Schiff führen darf. Das macht mich im ‚Fall‘ der havarierten ‚Costa Concordia‘, insgesamt vom Unglücksablauf her, mißtrauisch.
Wenn ich einen Versicherungsbetrug annehme, so’was gibt ’s auch in der Seefahrt, käme dies dem Staatsschiff ‚BRD‘ ähnlich. Oder?
Na ja, mit den Helden ist das immer so eine Sache. Augstein (auch kein Vorbild) , nannte Friederich den Großen einen „Hanswurst im Fuchtbaren“, Graf Luckner wurde im SPIEGEL der Pädophilie verdächtigt, der Jopi Heesters von der ZEIT hat bei näherem Hinhören auch viel Quark von sich gegeben und Mist gebaut und der kalte Fisch aus Meck Pom ist auch nicht das Wahre. Eigentlich ist Christian Wulff der Beste. Eine gesamteuropäische Charaktermaske mit allen Zutaten eines untapfren Italieners, einem auf schuldbewußt gepimpten Deutschen und ausgestattet mit der Reisefreudigkeit eines Franzosen. Was will man mehr?