
Merkel verriet in 16 Jahren als Kanzlerin diverse Grundwerte der CDU. Merz schafft das in 100 Tagen. Für seine weitere Regierungszeit lässt das Schlimmes befürchten.
„Früher konnte man CDU-Mitglieder nachts anrufen und fragen, warum die CDU regieren soll“, äzte Merz 2018 auf einer Regionalkonferenz, als er sich zum ersten Mal vergebens für den CDU-Vorsitz bewarb, „sie hätten im Schlaf geantwortet: ‚Damit es der Wirtschaft gut geht, die Steuer niedrig sind und die Russen nicht kommen‘.“ Seit Merkel die Partei und das Land geführt habe, wüssten sie nicht mehr, wofür sie noch Wahlkampf machen und Plakate kleben sollten.
Nun regiert er selbst, sein Lebenstraum. Und muss seine eigenen Worte fressen.
Merkel hatte den Atomausstieg beschlossen, obwohl ihre schwarz-gelbe Regierung kurz zuvor die Reaktorlaufzeiten verlängert hatte; sie hatte die Wehrpflicht ausgesetzt, obwohl die CDU vordem immer für eine starke Bundeswehr war; und sie hatte 2015 die Grenzen für Fluchtmigranten weit geöffnet, obwohl sie die bis dahin fest verschlossen gehalten hatte. Jedesmal warf sie eigene Prinzipien und solche der CDU über Bord, dem Zeitgeist folgend.
Vielen Mitglieder und Wähler wurde darüber schwindelig, wie Merz immer wieder zurecht monierte. Die Partei verlor an Zustimmung, bis sie 2021 abgewählt wurde. Während die AfD erstarkte.
Als er dann endlich Parteichef und Kanzlerkandidat war, kündige Merz an, dass es mit ihm nach dem Scholz-Intermezzo ganz anders würde. Verlässlichkeit werde mit ihm wieder regieren. Viele glaubten ihn und machten die Union im Februar wieder zur Kanzlerpartei.
Erster Wortbruch schon vor der Kanzlerwahl
Doch bevor die Koalitionsgespräche mit der SPD überhaupt begannen, kassierte der da noch Kanzler in spe bereits ein erstes zentrales Wahlversprechen. Zusammen mit den Grünen schaffte Schwarz-Rot die einst von der CDU erkämpfte Schuldenbremse, Ausdruck finanzpolitischer Zuverlässigkeit, faktisch ab. Obwohl die Kassen des Bundes nun gut gefüllt sind, ließ Merz sich vom SPD-Vorsitzenden und Finanzminister Lars Klingbeil überreden, die Stromsteuer nicht wie versprochen auch für Privathaushalt und Kleinbetriebe zu senken, sondern nur für Großkonzerne und die Landwirtschaft. Was weitere Zweifel an seiner Standfestigkeit weckte.
Jetzt hat er sich auch noch vom Beistand für Israels Sicherheit verabschiedet – einem Eckpfeiler deutscher Außenpolitik seit Adenauers Zeiten. Obwohl die Hamas Israel weiter bedroht und sie immer noch jüdische Geiseln hält, darunter sieben Deutsche, schickte er nicht etwa das KSK, um sie zu befreien, wie weiland Helmut Schmidt die GSG9. Sondern belohnte sie erst für ihre Hunger-Propaganda, indem er die Bundeswehr Hilfspakete über Gaza abwerfen lässt. Und nun, indem er Rüstungslieferungen an den angegriffenen jüdischen Staat für den Einsatz in Gaza stoppte, da die israelische Regierung den Terroristen endgültig den Garaus machen will, um ihre Bürger vor neuerlichen genozidalen Massakern zu schützen.
Der israelfeindlichen Stimmung nachgegeben
Überzeugend begründen kann Merz seinen verhängnisvollen Schritt nicht, der die Verlässlichkeit deutscher Außen- und Sicherheitspolitik generell infrage stellt. Davon abgesehen, dass Deutschland Israel ohnehin kaum etwas liefert, was in Gaza eingesetzt werden könnte. Weshalb es eine eher alberne Entscheidung ist.
Auch wenn Merz sich am Wochenende nach der heftigen Kritik auch aus der eigenen Partei und von der CSU bemühte zu betonen, dass es keine grundsätzliche Abkehr von Israel sei, kann er die Wogen nicht glätten. In einer nachgeschobenen internen Erklärung verriet das Kanzleramt am Sonnntag kaum verklausuliert, was ihn getrieben hat und treibt: Druck der SPD und die Pro-Hamas-Demos. „Diese Eskalation trägt auch zur Verschärfung gesellschaftlicher Konflikte in Deutschland und Europa bei“, heißt es in dem Papier. Mit anderen Worten: Israel ist dafür verantwortlich, das sich hierzulande seit dem 7. Oktober 2023 eine israel- und judenfeindliche Stimmung breit macht und die deutsche Politik kaum etwas dagegen unternimmt. Zynischer geht es kaum.
Stoppt Merz auch die Rüstungshilfe an die Ukraine?
Wird Merz in ähnlicher Weise demnächst begründen, dass Deutschland der Ukraine keine Waffen mehr liefert? Schließlich sind auch hier große Teile der SPD, die Linkspartei, AfD und BSW dagegen, nur dass im Vergleich wenige Putin-Fans auf deutschen Straßen mit russischen Fahnen für dessen Terrorkrieg und ein Ende der Unterstützung der ukranischen Gegenwehr demonstrieren. Aber das kann ja noch kommen, nachdem die Hamas nun Erfolg hatte.
Von einer Taurus-Lieferung, die er im Wahlkampf binnen weniger Tage angekündigt hatte, falls Russland nicht einem Waffenstillstand zustimme, redet Merz jedenfalls schon lange nicht mehr. Falls sich Trump und Putin bei ihrem Treffen am Freitag in Alaska auf einen Kapitulationsfrieden zu Putins Bedingungen verständigen: Wird Merz dann auch die Rüstungshilfe an die Ukraine „vorerst“ einstellen, um den US-Präsidenten nicht zu verägern mit Blick auf dessen Zoll-Hammer?
Kanzler sein zu wollen reicht nicht
Zuzutrauen wäre es ihm jetzt. Und noch manches andere. Eigentlich wollten er und die Union nach der Sommerpause dringend notwendige Sozial- und Wirtschaftsreformen angehen. Ist das jetzt auch Schnee von gestern, um die SPD zu besänftigen, die sauer ist, weil ihre Kandidatin Brosius-Gerstorf nicht Verfassungsrichterin werden darf?
Oder ist es schlicht so, dass das einzige wirkliche Ziel von Merz war, Kanzler zu werden? So wie das von Olaf Scholz. Und alles andere ihm egal ist? Den Eindruck könnte man inzwischen bekommen.
Da muss man gar nicht das AfD-Gespenst an die Wand malen. Das allein reicht, einen schaudern zu lassen.
(veröffentlicht zuerst im Blog „Ruhrbarone“)