Die SPD regiert seit einem Vierteljahrhundert mit. In dieser Zeit hat sie einen beispiellosen Niedergang erlebt. Nun muss sie zeigen, dass sie in einer höchst schwierigen Zeit mit der Union die Weichen für eine bessere Politik stellen kann. Sonst war’s das wohl für sie.
Was war das für ein Jubel, als die SPD 1998 mit Gerhard Schröder die Wahl gewann. Zum zweiten Mal überhaupt lag sie vor der Union und konnte mit den Grünen Helmut Kohl ablösen. Danach folgten ab 2005 zwölf Jahre an der Seite von Merkel – und eine Serie von Wahlniederlagen, fast jede heftiger als die vorhergehende, unterbrochen nur vom relativen Erfolg von 2021 dank der Schwäche der CDU. Im Februar dann der historische Tiefpunkt: das schlechteste Ergebnis seit 1887, als die SPD von Bismarck unterdrückt wurde. Sieht so ein Regierungsauftrag aus?
Die SPD-Mitglieder haben sich nach den Koalitionsverhandlungen, bei denen ihre Partei trotz ihrer eklatanten Schwäche eine Menge erreichen konnte, für Schwarz-Rot entschieden, wenn auch mit einer geringen Beteiligung von nur 56 Prozent. Das kann man durchaus als Misstrauensvotum werten. Oder als Eingeständnis, dass die Sozialdemokraten eigentlich in die Opposition gehören. Denn wer dermaßen abgewählt wurde nach drei Jahren Scholz-Ampel und deren vorzeitigem Scheitern, hat an der Spitze des Landes normalerweise nichts mehr zu suchen.
Zum Erfolg verpflichtet
Das Wahlergebnis ließ allerdings kaum etwas anderes zu, da der Gewinner Friedrich Merz richtigerweise ein Bündnis mit der AfD ausgeschlossen hatte. Genauso eine Minderheitsregierung, die von Fall zu Fall ebenfalls von der in großen Teilen rechtextremen Partei abhängig gewesen wäre.
Nun sind er, die Union und die SPD zum Erfolg verdammt. Denn wenn sie es nicht hinbekommen, die gravierenden Probleme von der mangelnden Verteidigungsfähigkeit über die Wirtschaftsschwäche, die marode Infrastruktur bis zur Migration entschlossen anzugehen, dürfte die AfD bei der nächsten Wahl stärkste Partei werden und zusammen mit der Linken das Land regierungsunfähig machen. Es sei denn, die Union ginge mit ihr zusammen, was kein vernünfiger Politiker wollen kann.
Für die SPD würde es wahrscheinlich bedeuten, dass sie unter 10 Prozent fallen könnte und ihr das Schicksal europäischer Schwesterpartein drohen würde: Bedeutungslosigkeit bis hin zum Verschwinden. Die Kraft, mit der sie die Geschicke des Landes seit 1949 mitbestimmte und das lange Zeit erfolgreiche Modell der deutschen sozialen Marktwirtschaft mit prägte, hat sie indes schon länger verloren. Durch eigenes Verschulden und verhängnisvolles Anpassen an einen vermeintlichen Zeitgeist.
Von der Arbeiterpartei zum Grünen-Anhängsel
Die Sozialdemokratie stand seit ihrer Gründung für die Emanzipation der Arbeiter und Angestellten, ihre soziale Absicherung und Stärkung und ihre Gleichberechtigung mit dem Bürgertum. Eine Blüte erlebte das in der sozialliberalen Koalition von Willy Brandt und Walter Scheel mit großen Reformen in der Sozial-, Innen-, Bildungs- und Rechtspolitik, die bis heute wirken. Schröder setzte mit Rot-Grün ebenfalls wichtige Reformen in der Sozial- und Gesellschaftspolitik durch, von denen seine Nachfolgerin Merkel und das Land profitierten. Große Teile seiner Partei sahen die Sozialreformen jedoch als Verrat an, ein Teil spaltete sich ab und landete bei der Linkspartei.
Damit begann der Niedergang. Die SPD verabschiedete sich mehr und mehr von ihren ursprünglichen Zielen und wurde zu einer reinen Funktionärspartei, die ihre Haupftaufgaber darin sieht, Sozialleistungen für die Schwächsten zu sichern und ansonsten eine mehr grüne als rote Agenda zu verfolgen, vom Klimaschutz bis zu Rechten für allerlei Minderheiten und Fluchtmigranten. Ihre frühere Kernklientel, aufstiegsorientierte Facharbeiter und Angestellte, wandte sich von ihr ab und ging zum erheblichen Teil zur Union und zur AfD. Während sich die Grünen im Westen von ihr mästeten und das links-öko-liberale Bürgertum anlockten, das dort seine neue Heimat sah, nicht bei der anverwandelten verstaubten SPD.
Keine Idee, nirgends
Larst Klingbeil, der neue starke Mann einer schwachen Partei, muss nun die Scherben dieser jahrelangen erfolglosen Politik zusammenfegen. Als zehnter Vorsitzender seit 1998 (von seiner Noch-Co-Vorsitzenden Saski Esken abgesehen). Und als Vizekanzler einer 16,4-Prozent-Partei.
Dass er es schaffen wird, seine Partei zu neuen Ufern zu führen, ist jedoch äußerst zweifelhaft. Denn weder bringt er dafür irgendwelche richtungsweisenden Ideen mit, noch hat die SPD überhaupt auch nur begonnen, die tieferen Gründe für ihr neuerliches Wahldebakel und ihren chronischen Bedeutungsverlust zu erkunden. Stattdessen will sich ihre Führung in die Regierungsbeteiligung retten, die ein Teil der Mitglieder ablehnt, um von der eigenen Misere abzulenken. Daraus kann nichts Gutes, Besseres werden.
Eine ehrliche Bestandsaufnahme würde verlangen herauszufinden, wofür die Sozialdemokratie heute noch steht. Was es unter den Bedingungen eines globalen digitalen Kapitalismus in einem neoimperialen Zeitalter bedeutet, für die Interessen von Werktätigen zu kämpfen und für sozial Schwache. Nicht für die Leidenden und Unterdrückten der ganzen Welt, Trans-Rechte, Gendersternchen oder die Freigabe von Cannabis.
Von der AfD und der Linken lernen?
Dass man mit dem Eintreten für soziale Sicherheit Wahlerfolge erzielen kann, haben sowohl die Linke als auch die AfD bewiesen. Denn der schier unaufhaltsame Aufstieg der Rechtspopulisten und der Überraschungserfolg der Linkspopulisten resultieren ja nicht daher, dass die Zahl der Extremisten rechts wie links plötzlich stark zugenommen hätte. Sondern im Frust über die bisherige Politik. Auf der rechten Seite vor allem im Protest gegen die ungesteuerte irreguläre Masseneinwanderung, von der sich viele Bürger kulturell wie sozial bedroht fühlen.
Wenn die SPD dagegen nicht zusammen mit der Union entschieden vorgeht und nicht daran mitwirkt, die heimischen Unternehmen wieder zu stärken und vom Ballast überbordenden Reguierungen und hoher Energiekosten zu befreien zum Schutz vieler bedrohter Arbeitsplätze, wird sie ihren weiteren Niedergang nicht aufhalten können. Der Koalitionsvertrag zeigt immerhin, dass sie auf beiden Feldern einiges erkannt hat. Der neuen Regierung ist deshalb Erfolg zu wünschen. Auch für die SPD, auf die das Land und seine Bürger eigentlich nicht verzichten können.
Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor. 2021 hat er SPD gewählt, wurde kurzzeitig sogar Genosse. Diesmal hat er sich anders entschieden, aus Enttäuschung wie viele.