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Zeitenwende 2.0

Das Bundestagsvotum der Union mit der AfD für eine Umkehr der fatalen Migrationspolitik seit 2015 und der bevorstehende Regierungswechsel beenden ein Vierteljahrhundert rotgrüner politisch-kultureller Dominanz. Und ihre Realitätsverleugnung. Ob das zu Gutem oder Schlechtem, mehr Sicherheit oder Unsicherheit führt, wird man erst später sehen. Aber es war unausweichlich.

Mit historischen Überhöhungen sollte man immer vorsichtig sein. Dieser 29. Januar 2025 markiert jedoch ohne Zweifel eine weitere Zäsur der bundesdeutschen Geschichte. Weil SPD und Grüne ein Zusammenwirken mit der wieder konservativeren Kraft der Mitte verweigerten, stimmten die Abgeordneten von CDU und CSU erstmals bewusst mit denen einer in großen Teilen rechtsextremen Partei – die ohne die von der Merkel-CDU mit der SPD und tatkräftiger Hilfe der Grünen herbeigeführte Flüchtlingskrise, um die es ging, nie so entsetzlich stark geworden wäre. Und die genau dadurch wieder geschwächt werden könnte. Eine wahrlich dialektische Entwicklung.

Geschichte verläuft wie die Politik häufig in solchen dialektischen Sprüngen. Die rotgrüne Schröder-Fischer-Regierung führte Deutschland, entgegen ihren Parteidogmen, erstmals nach 1945 in einen Kriegseinsatz und verhängte unter heftigen Protesten drastische neoliberale Sozialreformen, an denen Kohls schwarz-gelbe Vorgängerregierung gescheitert war. Die CDU, bis dato stets migrationsskeptisch und industriefreundlich, beschloss unter ihrer Kanzlerin Merkel den vordem verteufelten Atomausstieg und öffnete die Grenzen weit für Flüchtlinge und Migranten. Die ihr Nach-Nachfolger Merz nun wieder schließen will.

Rot-Grün fürchtet um ihre Macht

War die 2022 vom noch amtierenden Kanzler Scholz ausgerufene, aber kaum vollzogene Zeitenwende in der Verteidigungs- und Energiepolitik von Außen durch die kriegerische Aggression Putin-Russlands erzwungen, wurde diese innenpolitische Wende von den krisenhaften Folgen der aus dem Ruder gelaufenen Willkommenspolitik herbeigeführt. Nicht von einem unverantwortlichen CDU-Kanzerkandidaten, der „Nazis“ den Weg zur Macht ebnen will, wie das rotgrüne Lager mit Unterstützung etlicher Medien, NGOs und auch der Kirchen tönt, weil es um seine Deutungsmacht bangt, was allein zulässig sein soll und was nicht. Sondern weil die raue Wirklichkeit in den Kommunen, der Gesellschaft, bei Wahlen und in den Parlamenten schlicht nichts anderes mehr übrig ließ, wenn das Land nicht demnächst völlig auseinander fliegen soll.

Die von Rotgrün und ihren Verbündeten, mit Merkels Hilfe gebaute Brandmauer ist gefallen. Zumindest hat sie starke Risse bekommen. So wie vor bald 30 Jahren die von der CDU erichtete rote Wand zu Bündnissen mit der damals noch in erheblichen Teilen verfassungswidrigen, aus der SED hervorgegangenen PDS/Linkspartei. Merz hat die Union aus der Umklammerung eines linksliberalen Zeitgeistes befreit, der aus der Zeit gefallen ist. Ohne dass schon klar wäre, wohin er sie jetzt führen will.

Wie nach der durch das Platzen der Ampelkoalition ausgelösten Neuwahl nun eine Regierung gebildet werden soll, ist fast nebensächlich. SPD und Grüne müssen sich entscheiden, ob sie sich dann weiter hinter der bröckelnden Brandmauer verkriechen und der AfD das Feld überlassen. Oder ob eine von ihnen beiden mit der Union die Verantwortung für die von ihnen Dreien verursachte desolate Lage im Land übernnimmt und mit für Abhilfe sorgt. Andernfalls werden sich die gewaltigen Probleme andere Mehrheiten suchen, was kein vernünftiger Mensch wollen kann.

Wechselnde Mehrheiten?

Möglicherweise wird es nach diesem Tag und der Dauerfehde der Ampelparteien gar keine feste Koalition mehr geben, sondern werden sich Merz und die Union wechselnde Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat suchen müssen. Das müsste kein Schaden sein, sondern könnte die parlamentarischen und gesellschaftlichen Debatten nach dem Mehltau eines Vierteljahrhunderts angeblicher rot-grün-merkelscher Alternativlosigkeit beleben. Und damit dem Frust vieler Bürger über dieses Regierungs(nicht)handeln bis hin zum Abgleiten in den Rechts- und Linksextremismus entgegenwirken. Sicher ist das nicht.

Aber mit Sicherheit würde ein Fortsetzen der bisherigen Politik besonders auf dem Feld der Migration, aber auch in der Wirtschafts- und Klimaschutzpolitik diese Entwicklung weiter gefährlich verstärken. Nicht der Versuch von Merz, sich dem entgegen zu stemmen, was immer man von seinen Plänen im Einzelnen hält. Und ob sie sich umsetzen lassen werden.

Sollte allerdings auch er das Land nicht aus der vielfältigen Krise herausführen, wird auch er bald hinweggefegt werden von den Stürmen der Gegenwart. Und dann?

Ludwig Greven ist freier Publizist. Er war Politikchef der „Woche“ und von zeit-online und schreibt für verschiedene Medien und in diesem Blog.

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4 Gedanken zu “Zeitenwende 2.0;”

  1. avatar

    Lieber herr Greven,

    Merz geht den zweiten Schritt vor dem ersten: Anstatt pragmatisch darauf hinzuwirken, den Rechtsstaat zu ertüchtigen und so auszustatten, dass bestehendes Recht zur Anwendung kommt und effektiv vollzogen wird – nicht nur auf dem Feld der Immigrationspolitik – , arbeitet er auf rechtlich zumindest unsichere aber gleichwohl in Deutschland populäre Maßnahmen hin, um Symptome zu bekämpfen. Und, das unterstelle ich, am rechten Rand zu fischen.

    Der Westen zerfällt. Ob die USA unter „Dealmaker“ Trump noch unser wichtigster Verbündeter sind, steht zumindest in Frage. Ein ohnehin überdehntes Europa droht „auseinanderzufliegen“, um Ihre Wortwahl zu benutzen. Merz`Maßnahmen werden einen substantiellen Beitrag dazu leisten.

    „Linksliberaler Zeitgeist“, „rotgrün-merkelsche Alternativlosigkeit“ – so spricht der Nius – Konsument, „Achse – des – Guten“ – Leser und AfD – Sympathisant.

    „Wir überblicken das noch nicht und wollen wenig spekulieren. Und weil es noch nie unsere Aufgabe war, Masse zu erzeugen und den Bohrer zu vergrößern (das machen Wallasch, Sellner, Tichy, Kontrafunk, xyz ständig und gut), dürfen Entwicklungen auch einmal lange abhängen, bevor wir sie filetieren.“
    Dies schreibt Götz Kubitschek in der „Sezession“. Unter „xyz“ darf man nun getrost auch Sie, Herr Greven einordnen. Aber Sie können ja mit F. Merz lässig dagegen reden, dass Ihre Argumentation nicht dadurch falsch wird, wenn ihr die Falschen zustimmen. Oder sich auf Ihr Gewissen berufen.

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      Lieber Herr Trute,
      ich habe noch nie Nius gelesen, die „Achse des Guten“ früher gelegentlich, weil mich interessierte, was dort geschrieben wird. Mit der AfD habe ich überhaupt nichts am Hut. Vielmehr glaube ich, dass Merz mit seinem Ansatz viel bessere Chancen hat, diese blau-braune Partei wieder kleiner zu machen und vor allem Wähler von dort zurück zu gewinnen, die früher CDU, SPD, Linke oder auch FDP oder Grüne gewählt haben. Und es deshalb nicht mehr tun, weil sie viel zu oft gehört haben: „Wir müssen nur die bestehende Gesetze besser anwenden.“ Geschieht aber nicht. Der Täter von Aschaffenburg hätte gar nicht erst einreisen dürfen. Den von Magdeburg hätte man schon lange in die Psychiatrie einweisen müssen, wo er stattdessen als Psychiater gearbeitet hat. Und einen Großteil derjenigen, die seit 2015 gekommen sind und immer noch kommen, hätte man – nach geltendem Gesetz und Artikel 16a GG – entweder längst abschieben müssen oder gar nicht erst einreisen lassen, weil sie keinen Schutzanspruch haben oder über einen sicheren Drittstaat kamen. Also gerade keine „Flüchtlinge“ sind, sondern illegale Einwanderer. Um dadurch Platz zu schaffen für diejenigen, die wirklich Schutz brauchen, aber bei dem jetzigen inhumanen System auf der Strecke bleiben, nämlich Frauen, Kinder, Alte, die kein Geld für Schleuser haben. Um etliche von denen kümmere ich mich privat seit Jahren. Weil man als Christenmensch wie ich Menschen helfen sollte, die Hilfe brauchen. Aber nicht denen, die keine benötigen.

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    Das war einfach nur schlecht geplant, weil Merz zwar im Bundestag mit Mühe eine Mehrheit bekam, damit nicht aber durch den Bundesrat kommen wird, weil Schleswig-Holstein sich enthält. Nun wissen wir es: Merz kann nicht Bundeskanzler.

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      Das werden wir sehen, wenn der nach der Neuwahl zum Kanzler gewählt wurde. Schlechter als der jetzige kann er definitiv nicht regieren. Bei den Anträgen am Mittwoch handelte es sich i.Ü. nicht um Gesetze. Denen muss der Bundesrat nicht zustimmen.

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