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Lob des Hinterzimmers

Artikel 17 Absatz 7 des EU-Vertrags ist eindeutig: „Der Europäische Rat schlägt dem Europäischen Parlament nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor; dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament.“ Dort steht nicht: Die Parteien schlagen „Spitzenkandidaten“ vor, und der Rat nickt den Kandidaten ab, dessen Partei bei der Wahl die meisten Stimmen bekommt. 

Trotz dieser eindeutigen Rechtslage haben einige deutsche Parteien auf die Nominierung einer Deutschen als erster Kommissionspräsidentin mit populistischer Stimmungsmache reagiert. CSU-Chef Markus Söder meinte, es sei „bitter, dass die Demokratie verloren und das Hinterzimmer gewonnen hat“. Dabei ist das Hinterzimmer integraler Bestandteil der Demokratie, und das weiß niemand besser als der Strippenzieher Söder.

Noch schlimmer agiert die SPD, die nun Ursula von der Leyen im Europäischen Parlament zu Fall bringen will und damit die eigene Kanzlerin desavouiert. Man würde gerne glauben, dass diese Illoyalität auf Prinzipien gründet und nicht auf dem Kalkül, den Abstieg der Partei durch Klamauk ein wenig zu bremsen.

Doch das „Spitzenkandidatenprinzip“ ist das Gegenteil eines Prinzips. Es ist der prinzipienlose Versuch der Parteien, den EU-Vertrag auszuhebeln. Warum haben denn die Staats- und Regierungschefs das Vorschlagsrecht beim Kommissionspräsidenten? Weil sie einen Teil ihrer souveränen Aufgaben – etwa in der Außenvertretung, zum Beispiel bei Handelsverträgen – auf die Kommission übertragen, die das Vertrauen der nationalen Regierungen braucht. Und weil die Kommission, wie etwa im Falle Ungarns bei der Asylpolitik oder Italiens bei der Finanzpolitik, auch in die Innenpolitik der Staaten eingreift. Auch in solchen Konflikten ist es für die Legitimität der Kommission wichtig, dass sie nicht wahrgenommen wird als eine Institution, die völlig losgelöst ist von den demokratisch gewählten Regierungen der Nationalstaaten.

Wer Europa zusammenhalten will, muss den Rat stärken, in dem das Prinzip der Kollegialität herrscht. Wer dieses Prinzip als „Hinterzimmer“ diffamiert oder das Parlament gegen den Rat in Stellung bringt, spaltet die EU. Es mag eine Zeit kommen, da ein Europäisches Parlament so viel Autorität besitzt, dass den Rat herausfordert und den EU-Vertrag zwischen den Nationalstaaten durch die Verfassung eines Bundesstaats ersetzt, in der die Befugnisse des Rats beschnitten sind. Diese Zeit ist noch lange nicht gekommen.

 

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23 Gedanken zu “Lob des Hinterzimmers;”

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    Es ist schon interessant, was hier von wem so gesagt wird. Einzig „blondi“ ist ehrlich und verweist auf Ulbricht und Emma Goldmann. Der Rest verschwurbelt sich und meint, dass das Hinterzimmer irgendwie doch demokratisch sei. Tatsächlich sind solche Verfahren äußerst undemokratisch im dem Sinne, dass das Volk der Souverän ist und dabei aussen vor gelassen wird. Dazu gab es hier ja schon einige Diskussionen und mich wundert es nicht, dass viele von den weißen alten Herren, die hier diskutieren und die sich meist für besonders schlau halten, Angst davor haben, dass das einfache Volk über sie „herrscht“. Darin unterscheiden sie sich nicht wesentlich von der Aristokratie des „Ancien Régime“.

    Wenn man dann mal schaut, welche Reformen diese unwissenden „Proleten“ in den letzten 250 Jahren gefordert und letzlich durchgesetzt haben, auf das Wenigste von dem würden die hier mitdiskutierenden Herren wohl verzichten wollen (vielleicht mit Ausnahme des 3- Klassen-Wahlrechts Herr Nick? Heute vielleicht in moderner Form mit IQ- oder Gen-Test? Ich möchte kotzen, wenn ich so etwas lese!).

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      Lieber 68er, ich hätte gedacht, dass die Zustimmung des AfD-Sympathisanten Hans Faust Ihnen zu denken geben würde, aber anscheinend wird Ihnen bei dieser Querfront nicht mulmig. Nun denn.
      Ich werde, wenn ich dazu komme, das Missverständnis, das dem linken und rechten Populismus gemein (!) ist, hier in einem eigenen Artikel thematisieren, wie ich es auch in der Vergangenheit schon gelegentlich getan habe. In aller Kürze:
      Zur Demokratie gehört immer mehr als die Herrschaft der Mehrheit, ob sie nun durch ein gewähltes Parlament ausgeübt wird oder durch Volksentscheide.
      Zur Demokratie gehören (und die Liste ist vermutlich nicht vollständig):
      Der Rechtsstaat, d.h., dass auch die Mehrheit das Recht nicht beliebig ändern kann. Wie wichtig das ist, sieht man gerade bei Herrn Trump in den USA.
      Damit zusammenhängend eine unabhängige Justiz.
      Die Grundfreiheiten.
      Und ein wirksamer Schutz der Minderheit vor der Willkür der Mehrheit. Dieser Punkt ist wichtig. Er drückt sich in der Verfassung der USA zum Beispiel darin, dass im Senat jeder Bundesstaat zwei Senatoren hat: ein Winzling wie Rhode Island ebenso wie der Riese Kalifornien. Also haben die Bewohner von Rhode Island im Senat tausendmal mehr zu sagen pro Kopf der Bevölkerung als die von Kalifornien. ist das demokratisch? Nicht, wenn man Demokratie als Herrschaft der Mehrheit definiert. Unbedingt, wenn man den Zusammenhalt der Union als Vorbedingung der Demokratie akzeptiert: die Gleichberechtigung der Staaten war Vorbedingung ihres Zusammenschlusses.
      Nun ist die EU im Rat nicht so radikal egalitär wie der US-Senat. Bei uns werden die Stimmen der Staaten gewichtet. Sie erinnern sich vielleicht um den Kampf der Polen um eine andere Stimmenverteilung, den ich damals unterstützte. Vergeblich. Dennoch ist der Rat, wenn man in ihm etwas Ähnliches sieht wie den Senat, Teil des demokratischen Gefüges der EU, die ja kein föderaler Staat ist, sondern ein Bund souveräner Staaten, die Teile ihrer Souveränität gemeinsam ausüben. Der Rat sorgt dafür, dass die einzelstaatlichen Interessen nicht untergebuttert werden. Er hat mindestens ebenso viel Legitimität wie das Parlament.
      Und benimmt sich oft sehr viel erwachsener. Theresa May hielt sich angesichts des bevorstehenden britischen Beitritts zurück und versuchte nicht etwa, den Rat zu schwächen oder zu lähmen, um Großbritanniens Position zu stärken. Vergleichen Sie das rüpelhafte Benehmen der Farage-Leute im Parlament. Um es sehr deutlich auszudrücken: Es ist möglich, dass die Populisten die Mehrheit im EP bekommen; es ist sehr unwahrscheinlich, dass gleichzeitig alle oder auch nur eine Mehrheit der EU-Regierungen von Populisten gestellt werden könnten. jetzt schimpft man über den Kompromiss mit den Visegrad-Staaten. Aber es kann durchaus sein. dass wir einmal den Rat als Bollwerk eines demokratischen Europa schätzen lernen, so wie Preußen – ja, Preußen! – das letzte Bollwerk war gegen die legal im und durch das Parlament herrschenden Nazis war.
      Wenn Sie aus Ihrem Schimpfmodus erwachen und sich wieder an der Diskussion beteiligen wollen, wäre ich an Ihren Argumenten interessiert. Bis dahin –
      Ihr
      A.P.

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        APo: … die Zustimmung des AfD-Sympathisanten Hans Faust …

        … ich meine der werte Hr. ‚Hans Faust‘ sympathisiert mit ‚Einigkeit und Recht und Freiheit‘ – für Deutschland (first ;-)), Europa, die US und die Welt … von einer ‚Hinterzimmeridologie‘ auserwählte Kommissionspräsident*innen machen Politik für das ‚Hinterzimmer‘. Für wen sonst?

        Kommissionspräsident*inn könnte dann auch ruhig mal ein ‚Staatskasper‘ ala Böhmermann sein. Völlig Banane. Die Ukraine hat ’s vorgemacht … aaaber, so richtig wohl fühlen sich die ‚Hinterzimmerideologen‘ aber nicht. Oder?

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        … oder muss so geschrieben werden? … Widerstand ist das Pendant zur ‚Hinterzimmerideologie‘!

        Die Monarchie in D war zur ‚Hinterzimmerideologie‘ geradezu modern. Wa‘? Friedrich II. (der Große) 1752; Der Herrscher ist der erste Diener des Staates.

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        Richtig, hans, „Der Herrscher ist der erste Diener des Staates“. Das war Fritzens Idealvorstelung: Der aufgeklärte Monarch. Und dem sollte der aufgeklärte Demokrat, der in eine Funktion gewählt wurde, folgen und nicht dem politischen Aktivismus der Machtbesessenen. Es heißt nämlich keineswegs: Erster Diener der Linken, der Rechten oder gar von bestimmten Interessengruppen, NGOs usw. Das Versprechen ‚wählt Weber, dann wählt ihr einen deutschen Kommissionspräsidenten‘ war Betrug. Eine zynisch-machiavellistische Wählertäuschung auf Kosten des dadurch erwartbaren Vertrauensverlustes der EU-Politik. Fortgesetzt durch die scheinheiligen Krokodilstränen der SPD. Das allerdings ist tatsächlich zum Kotzen (@68er).
        Es sollte eigentlich jedem, der sich mit dem Thema Politik einigermaßen ernsthaft beschäftigt, irgendwann klar werden, da ein Unterschied zwischen politischem Aktivismus und verantwortlicher Position im Regierungsbetrieb besteht. Ein prägnantes Beispiel dafür ist dabei allzu nah: Eine etwas etwas eitel-narzisstische Schiffsführerin (eine verwöhnte Kommunistin, was ist so schlimm daran?) darf die ‚Heldin‘ spielen, indem sie sich gewaltsam Zugang zum lampedusischen Hafen verschafft, um den moralisch einwandfreies Teil des Schleppergeschäftes zu vollenden (Risiken und Folgen sind überschaubar, der humantäre Aspekt im Einzelfall überwiegt, ich hätte das genauso gemacht). Die Reaktionen von Steinmeier, Maas & Co, die nicht gewählt und bezahlt werden um sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit moralisch ins rechte Licht zu rücken, sind hingegen verwerflich und verachtenswert, sie spalten die EU, befördern das lebensgefährliche Schleppergeschäft und es müsste eigentlich jeden mit ein bißchen Ehrgefühl anwidern, wie man sich seitens dieser Herren risikofrei und populistisch an den Aktivismus anderer anhängt. Trittbrettfahrer nennt man das wohl. Will sagen: Das Bedienen von Stimmungen mag therapeutisch interessant sein (-> Bildzeitung) war aber noch nie lösungsorientiert und man kann den Damen und Herren in den Hinterzimmern vielleicht nicht dankbar genug sein, wenn sie durch solche Personalentscheidungen, wie jetzt, versuchen, den Weg dafür freizuhalten, daß sich in Einzelfällen trotz allem Idealismus und Populismus von allen(!) Seiten die abschätzende Vernunft in der EU bisweilen durchsetzt.

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      Das undemokratische waren nicht die Gremien, hier die gewählten Regierungschefs, die die Entscheidung getroffen haben. Die Entscheider hatten alle ein Mandat des Wählers. Das undemokratische ist die Intransparenz der Entscheidungsfindung. Wir wissen nicht, wer und warum für etwas oder gegen etwas war. Um eine sinnvolle Entscheidung zu treffen, wem man als nächstes das Vertrauen als Wähler ausspricht, braucht es Informationen. Wir müssen warten, bis diese geleakt oder Protokolle freigegeben werden. Obwohl es als ein politisches Manöver gedacht war, war die Veröffentlichung des Gespräches zwischen Timmermanns und Borissov eigentlich das Richtige aus Versehen. Der Fehler im System besteht darin, das wir die anderen Gespräche eben nicht zu hören bekommen. Dadurch entsteht die Herrschaft der Narrative und des Framings und der Manipulation ist Tür und Tor geöffnet. Der Wähler kann die Regierung abwählen, die Regierung kann aber dafür sorgen, dass der Wähler relevante Informationen für seine Meinungsbildung erst gar nicht bekommt. Bis die freie Presse solche Sachverhalte recherchiert und veröffentlicht hat, sind die Informationen unter Umständen irrelevant. Und das kann Demokratie aushebeln.

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        Lieber Stevanovic,

        Sie bringen es mal wieder auf den Punkt.

        Vielen Dank!

        68ee

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      Wo ich vom 3-Klassen-Wahlrecht schreibe, müssten Sie mir aber schon mal zeigen, lieber Herr 68er.. Vielleicht sollten Sie etwas langsamer lesen, damit Sie sich nicht verschlucken und kotzen müssen, wie Sie beklagten. Aber ich will Sie nach unserem nunmehr jahrzehntelangen Dissens hier nicht enttäuschen: Ich bin für die Heraufsetzung des Wahlrechtes auf mindestens 21 J, was aber mit ‚Intelligenz‘ (was soll das sein) nicht zu tun hat, sondern mit Erfahrung. Aber die möchte die Linke natürlich abschaffen, weswegen der Bezug auf alles vor der frz. Revolution die von Ihnen demonstrierten Abwehrreflexe hervorruft. Verwechseln Sie mich aber bitte nicht, ich bin eher Atheist, als alles andere. Ich verrate Ihnen aber ein in linken Kreisen gut gehütetes Geheimnis: Der Erfolg der Aufklärer beruht auf dem scholastisch-stringenten Denken der Kleriker. Bitte nicht weitersagen, es könnte Ihre Gesinnungsgenossen zu sehr verstören.

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    … jau, es lebe das linke Hinterzimmer, schon Walter Ulbricht 1945; ‚es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.‘

    ‎… oder so; ‚If voting changed anything they would make it illegal.‘ Emma Goldman.

    (Although often attributed to Goldman, there is no evidence that she made such a statement. The earliest known example of this quote is from a 1976 newspaper opinion piece by Robert S. Borden, in „Voting is Dishonest and Fraudulent“, The Sun {Lowell, Massachusetts} (24 September 1976), p. 7: „If voting could change anything, it would be made illegal“. According to Snopes.com, this and similar statements are also incorrectly attributed to American humorist Mark Twain or American peace activist Philip Berrigan.)

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    Und wer bitteschön hat durch die Suggestion eines Gewinns für die Demokratie das Spitzenkandidatenmodell etabliert? Er der Rat daran etwa nicht beteiligt? Ein ganz armseliger Versuch, die Wähler hinters Licht zu führen. Ich werde nach dieser Erfahrung nicht mehr zur Europa – Wahl gehen. Sie verweisen auf die Vertragspflichten und auf gewisse Usancen wie Kollegilaität. An hätte man diese Prioritäten der Öffentlichkeit erklären sollen. Natürlich den Wahlen.

  4. avatar

    Hallo Herr Posener,

    mein Browser hat mir seiner dämlichen fill in Funktion meinen richtigen Namen in das Formularfeld eingefügt. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie meinen Post wie immer unter dem Pseudonym 68er veröffentlichen könnten.

    Mit freundlichem Gruß

    68er

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      Done: Und das, obwohl ich Ihren Beitrag, der in der verleumderischen Lüge gipfelt, ich wäre ein Mitstreiter der Rechtspopulisten, grenzwertig finde.

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        Hallo Herr Posener,

        Sie haben Recht, das hätte ich mir sparen können. Man muß nicht immer mit gleicher Münze zurückzahlen. Aber die Vergleiche mit Berija, und Antisemten etc.lassen auch mich manchmal dünnhäutig werden. Insofern könnte man sagen, das ist die Posenersche-Schule. Ich denke zur „Spiegelung“ ist die Methode ausnahmsweise akzeptabel. Wenn ich mir mehr Mühe geben hätte, wäre wahrscheinlich eine elegantere Formulierung heraus gekommen nach dem Motto, „Sie wollen sich doch nicht mit Orban, Babiš und Co. gemein machen.“ Sagt das selbe in etwas unredlicherer Art. Da ist das direkte Wort wohl ehrlicher.

        Dass Ihnen der von mir aufgezeigte Bewertungsgleichklang den Sie in der Personalentscheidung vdL mit den Herren Teilen nicht behagt, kann ich gut nachvollziehen. Aber vielleicht ist das nur ein nicht kausaler Zusammenhang. So etwas gibt es. Aber wenn man in diese Ecke einmal gestellt wurde, bedarf es eines besonderen Rechtfertigungsaufwand um sich da wieder heraus zu argumentieren. Es sei denn, der „Denunziant“ übertreibt es, wie in dem Berija Beispiel. Da kann man auch versuchen den zu Unrecht geprügelten zu „spielen“. In gewisser Weise haben Sie die Taktik heute gewählt, aber bei so einem banalen Hinweis auf die Wertungsgemeinsamkeiten mit Fides und Co. passt das nicht wirklich.

        Beste Grüße

        68er

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        Ach ja, noch vielen Dank für die Änderung! Das müssen Sie nicht freischalten.

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    Hallo Herr Posener,

    Frau von der Leyen wäre eine Katastrophe als Kommissionspräsidentin.

    Sie und die Art ihrer Nominierung stehen genau für das, was die Kritiker der EU mit Recht monieren.

    Die Art und Weise, wie sie das Verteidigungsministerium geführt hat, passt zu dem europäischenLobbyismus und Nepotismus den man eigentlich überwinden sollte. Man kann nur hoffen, dass die europäische Öffentlichkeit jetzt etwas genauer hinsieht.

    Was Herr Gabriel erzählt, ist formal natürlich Unsinn. Der Sache nach hat er Recht, wenn er diesen typisch merkelschen Coup als Bruch des Koalitionsfriedens bewertet. Daß die Medien breitbändig die Geschichte zu erzählen versuchen, der Personalvorschlag sei von Herrn Macron gekommen und Frau Merkel wäre von den anderen 27 Regierungschefs überstimmt worden, ist doch offensichtlicher Mumpitz. Wenn Frau Merkel gesagt hätte, Frau von der Leyen stehe nicht zur Verfügung, wäre sie auch nicht nominiert worden.

    Die Kritik, die man teilweise hört, sie sei europapolitisch unerfahren, ist auch Unfug. Frau von der Leyen gehört quasi schon seit ihrer Geburt zum Brüsseler Establishment. Als stramme NATO-Soldatin wird sie im Zweifelsfall genau die Politik machen, für die die Kommission zu Recht kritisiert wird. Die EU würde unter ihr weiter militarisiert. Das mag ja in Ihrem Sinne sein, im Sinne der Bürger wäre das aber sicher nicht.

    Ich gratuliere Ihnen und Ihren Mitstreitern von Fides, PiS und ANO ganz herzlich dazu, dass Herr Timmermans endlich mit diesem Unfug aufhören soll, die Bedeutung demokratischer Standards in der EU irrational über zu bewerten.
    Wenn das EU-Parlament die Dame abnickt, degradiert es sich selbst zu dem Kasperltheater, das es nach der Beschreibung von Herrn Sonneborn strukturell scheinbar sein soll.

    Die Herren Farage, Johnson und Trump hätten sich das nicht besser ausdenken können.

    Beste Grüße

    68er

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    Irgendwie will mir beim Thema ‚Hinterzimmer‘ der Beitrag von Ronald Reschke hier
    https://starke-meinungen.de/blog/2018/11/05/die-verlorene-ehre-des-gerhard-gundermann/#comment-70044
    (zu Gundermann) nicht aus dem Sinn: „Das Plappermäuler-Demokratiesurrogat lärmt, maximal mobil u infantil-‘individualistisch’, dem menschheitlichen Untergang entgegen und demonstriert sich im Vorfeld in Orwellscher Verblendung vorher selber von der globalen verschleierten in die zunehmend offene globale, z.Zt. vorrangig klimatologisch gerechtfertigte Wohlverhaltensdiktatur. Traumhaft.“ usw. usf.
    Ich finde, da ist der Zeitgeist großartig analysiert und wahrscheinlich trifft eine vergleichbare Analyse auch für alle Zeitgeister. Gerade in einem Reclam-Heft blätternd, das Thomas von Aquins Text „Über die Herrschaft der Fürsten“ enthält, fällt mir auf, daß der ‚Aquinat‘ sich auch schon am damaligen Zeitgeist, nämlich der Verherrlichung und Verabsolutierung von irgendwas (damals der angeblich von Gott dem jeweiligen Fürsten verliehenen Macht und Weisheit – eine Konkurrenz für den Papst) abarbeitete, weswegen er meinte, dem damaligen zyprischen König ganz viele Ratschläge erteilen zu müssen. Ob das was gebracht hat, weiß ich nicht. Was ich aber stark vermute ist, daß die parlamentarische Demokratie sich deswegen teilweise in der Welt behauptet hat, weil sie zumindest die Möglichkeit beinhaltet, Idioten abzusetzen. Ein guter evolutionärer Vorteil im industriell basierten Wohlstand, aber in Konkurrenz (-> China). Mehr (bitte) nicht. (Man stelle sich vor, die aufgrund schwüler Stadtsommertage und den Zumutungen der kapitalistischen Moderne so überaus beliebten ‚Fridays for Future‘ Schreihälse würden die Kohlekraftwerke abstellen und man liegt gerade auf einer Intensivstation..). Es geht um die Weisheit – eben nicht die des Fürsten – sondern in der Demokratie. Und die findet sich eben nicht im Aktionismus (Populismus) einer Katherina Barley (für wie doof hält eigentlich die SPD mittlerweile ihre potentiellen Wähler) – sondern in .. Hinterzimmern im kleinen Kreis. Wo ein Interessenausgleich- ja, auch mit einem Orban- verhandelt wird. Ich stimme hier Alan Poseners Lobgesang des Hinterzimmers zu: Ich möchte im Gegensatz zu Ronald Reschke nicht von einem (Parteitags-) Proletariat regiert bzw. verwaltet werden, sondern von Leuten, die in Hinterzimmen mit Argumenten kämpfen können und das Scheitern kennen: Frau v.d. Leyen, übernehmen Sie!

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    Sie haben mit allen Punkten Recht. Der Kult um die Spitzenkandidaten ist vor der Wahl in vielen Ländern mit Verwunderung aufgenommen worden. Auch haben einige Regierungen schon vor der Wahl deutlich gesagt, sich an dieses Konzept nicht gebunden zu fühlen. Tatsächlich ist dieses auch laut den Regeln, die jedem einsehbar sind, nicht vorgesehen. Trotzdem haben Christ- und Sozialdemokraten munter genau dieses propagiert und Teile der deutschen Presse haben dabei assistiert. Die Liberalen haben sich nicht beteiligt, auch wenn hier Herr Lindner etwas genuschelt hat, Macron war immer eindeutig. Wie konnte es dazu kommen? Warum glauben viele Bürger und behaupten nach wie vor viele Kommentatoren, es gäbe einen Spitzenkandidaten mit aus der Wahl abgeleiteter Legitimität? Ob etwas politisch gewollt ist, ist das eine – die Regeln sind aber anders. Auch wenn der Vergleich bestimmt hinkt, drängen sich mir Parallelen zum Brexit auf. Es wurde eine Scheinwelt aufgebaut, fake news wurde so lange wiederholt, bis es eine kritische Masse glaubte und diese kritische Masse legitimiert nun die Scheinwelt und bringt die Politik unter Zugzwang Dinge zu leisten, die verfahrenstechnisch nicht vorgesehen und deswegen auch nicht möglich sind. Eigentlich ist alles genau so gelaufen, wie es laufen musste. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass vor der Wahl die fachkundige Presse besonders laut Unsinn! gerufen hätte.
    Was von der Leyens Aufstellung betrifft, ist guter Rat teuer, um mir den Kalauer zu erlauben. Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa. Ich hoffe für sie und uns alle, dass ich ihr falsches nachsage, aber wöllte ich als deutsche Regierung Europa sabotieren, wäre sie neben Dobrint und Maas auf meiner short-list dafür geeigneter Kandidaten. Eben ein Kandidat, der nur in einem verrauchten Hinterzimmer kurz vor Morgengrauen Sinn macht. Es ist zwar nicht nötig, aber es würde Sinn der Kommission durchaus Legitimität verleihen, wenn man ein bisschen als Wähler den Eindruck hätte, dass ihre französischen Sprachkenntnisse nicht die einzigen Qualifikationen wären, die sie vorzuweisen hat. Aber da rede ich mir gerade selbst fake news ein, an die ich in schwachen Momenten dann selbst glaube. Sowas kommt von sowas.

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    Es wäre wünschenswert, wenn dieser Unsinn mit den „Spitzenkandidaten“ endlich aufhören würde, nicht nur in Europa, sondern auch bei deutschen Wahlen.
    Nach der Logik der SPD-Bundesspitze hätte ja die SPD in Bremen den „siegreichen“ CDU-Spitzenkandidaten zum Bürgermeister wählen müssen.
    Macht sie aber nicht.
    Allerdings wird der zweitplatzierte, quasi der Timmermans Bremens, auch nicht Bürgermeister, obwohl er sogar eine Mehrheit gefunden hätte. Vielleicht auch nicht, und der Rückzug war gar nicht so freiwillig, wie er der Öffentlichkeit verkauft wurde.
    Stattdessen wird jetzt jemand präsentiert, der in einem SPD-Hinterzimmer ausgekungelt wurde und von dem kein Wähler vor der Wahl wußte, daß er Bürgermeister werden soll.
    Worin unterscheiden sich jetz noch mal CDU und SPD ?

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